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Folge von 1842-1848 herausgegeben von Achterfeld, Braun und Vogelsang.

Als die characteristischen Merkmale der katholischen Theologie dieser Zeit möchten die beiden hervorzuheben sein, dass man sich dem rationalistischen Boden, der von Wolf herstammt, mit Entschiedenheit zu entziehen suchte, (wovon schon die Rede war), und dass man eine katholische Theologie (im strengen und engeren Sinn) erstrebte. Das stärker gewordene katholische Bewusstsein machte sich eben auch in der Theologie geltend, und namentlich auch in der Stellung bemerkbar, welche man zum Protestantismus und zur protestantischen Theologie einnahm. Der Protestantismus hatte bis dahin in der Wissenschaft eine dominirende Stellung eingenommen; er galt in der öffentlichen Meinung als der competentere Vertreter der Wissenschaft, und durchschnittlich hatten auch die katholischen Theologen, welche Stellung sie immer zur protestantischen Glaubenslehre einnehmen mochten, dem Protestantismus in wissenschaftlicher Beziehung den Principat zuerkannt, wie das in der jüngsten Zeit Döllinger in seinen kirchlich-politischen Vorträgen *) anerkannte. Denn wenn er da sagt, dass die protestantische Theologie qualitativ und quantitativ mindestens sechsfach reicher sei als die katholische, so hat er der Hauptsache nach zwar eine frühere Zeit im Auge; die jetzt vorliegende ist aber damit nicht ausgeschlossen. Das Demüthigende, das in diesem Zugeständniss lag, wurde katholischerseits natürlich in dem Mass empfunden, als das Selbstbewusstsein sich steigerte. Daher der erneute Eifer in wissenschaftlicher Beziehung. Das Zugeständniss, das man bis dahin machen musste, bezog sich aber nicht bloss auf das grössere Mass von Wissen, welches man den Protestanten zuerkennen musste, sondern vor allem darauf, dass der Protestantismus sich wissenschaftlich beweisen könne, während der Katholicismus das nicht vermöge. Gegen dieses Zugeständniss sträubte man sich natürlich in dem Masse, in welchem man sich in die Ueberzeugung hineinlebte, dass die Wahrheit allein auf

*) Vorträge über Vereinigungsversuche der christlichen Kirchen, und die Aussichten auf eine künftige Union; vom 31. Jan. 1872 an in München gehalten (Allg. Ztg.)

Seite des Katholicismus stehe. War dies der Fall, so war auch die Wissenschaft, die echte und wahre, auf Seite des Katholicismus. Es war also nicht nur der Philosophendünkel, der einen Hermesianer als von einem Factum sprechen liess, dass der Katholicismus die wahre wissenschaftliche Uebermacht über die Protestanten habe, *) es war eine Glaubensüberzeugung, welche den Katholiken so sprechen hiess. Diese Glaubensüberzeugung fand vielleicht ihren kecksten Ausdruck in den historisch-politischen Blättern, die als von einer selbstverständlichen Sache sprachen, dass die Wissenschaft des Protestantismus Afterwissenschaft sei. Da aber trat sie mehr nur als eine Behauptung auf. Dagegen stossen wir jetzt auch auf Theologen, welche den Beweis dafür zu führen suchten, und sichs eine ernste Anstrengung kosten liessen. Und wiederum werden wir da die theologische Quartalschrift als diejenige bezeichnen können, welche den Reigen führte. Unter diesen steht Möhler oben an, der sich die Aufgabe, welche der katholischen Theologie gestellt sei, vielleicht am klarsten zum Bewusstsein gebracht hat. Er gehört auch ohne Frage zu den katholischen Theologen, welche die moderne Bildung und Wissenschaft sich gründlich angeeignet hatten. Er hatte sich einen guten Theil seiner Bildung von den Protestanten geholt, und seine Abhängigkeit von ihnen, namentlich von Neander, möchte sich in seinem 1827 in 2 Bänden erschienenen „Athanasius der Grosse und die Kirche seiner Zeit im Kampf mit dem Arianismus“ zu erkennen geben. Mit seiner 1825 erschienenen Schrift: die Einheit in der Kirche und das Princip des Katholicismus" hatte er den strengen Katholiken noch nicht genügt, sie fanden daran auszusetzen, dass er die Entstehung der Kirche gewissermassen als ein Product des Gemeingeistes der Kirche darstellte. **) Um so befriedigter waren sie von seiner (in erster Auflage 1832) erschienenen Schrift: „Symbolik oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten nach ihren öffentlichen Bekenntnissschriften." Darin

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*) Vgl. den schon erwähnte Brief eines Hermesianers in der Aschaffenburger Kirchenzeitung bei Rheinwald S. 277.

**) Werner, Geschichte der katholischen Theologie S. 482.

sucht er den Beweis zu führen, dass die Principien des Katholicismus die allein und echt wissenschaftlichen seien. Dieses Buch war darum Epochemachend für die katholische Theologie.

Der Inhalt des Buchs brachte es mit sich, dass Möhler die Principien des Katholicismus im Gegensatz gegen die des Protestantismus durchführte. Die Weise, wie er es that, die Schärfe mit der er den confessionellen Zwiespalt darstellte, die herbe Kritik, die er dem Protestantismus angedeihen liess, haben ihn in eine Fehde mit protestantischen Theologen, mit Baur, Nitzsch, Marheineke verwickelt, die wir hier nicht weiter verfolgen. Das nur wollen wir als bezeichnend hervorheben, dass auch hier das gesteigerte katholische Bewusstsein eine gegen den Protestantismus feindliche Wendung nahm. Es lag die Beziehung, die da zum Protestantismus genommen wurde, allerdings in der Natur der Sache, nicht gleich sehr aber, dass sie einen so herben Ausdruck fand.

An diese Schrift schliessen wir, wohl nicht unpassend, die Schrift von J. Döllinger an die Reformation, ihre Entwicklung und ihre Wirkungen" (I. Bd. 1846), dieses kath. Theologen der Neuzeit, der alle kath. Theologen an Gelehrsamkeit und universeller Bildung übertrifft. Es lag für einen katholischen Theologen allerdings nahe, die Glanzperiode der protestantischen Kirche herabzudrücken und ihre Schattenseiten aufzusuchen, und so wie Möhler, darin besteht der Zusammenhang zwischen beiden Schriften, gegen die Principien der protestantischen Kirche sich kehrte, hat Döllinger sich gegen ihre Geschichte gekehrt. Vom protestantischen Standpunkte aus brauchen wir aber für die von Döllinger angefochtene Geschichte nicht einzutreten, da Döllinger in seinem nachmaligen Auftreten von der Zeit des Vaticanum an dieses Geschäft selbst übernommen hat.

Schliesslich möchten wir noch eines Werkes des alten Görres erwähnen, seiner „christlichen Mystik" in 4 Bänden von 1836 bis 1842 (der 4. Band in 2 Abtheilungen). Wir erwähnen dieses Werkes nur zum Beweis des Muthes, der aus dem so stark erregten katholischen Bewusstsein erwachsen ist: denn Muth gehörte dazu, die Legenden von Heiligen, die so materiell leicht waren, dass sie auf dem Blatt eines Baumes ihre Andacht verrichten konnten,

und von Heiligen, deren Herz von Liebe so entbrannt war, dass sie auch physische Hitze empfanden, und sich darum in kaltem Wasser abkühlten, das zischte, wie wenn ein glühendes Eisen in das Wasser gestossen wird, wie geschichtliche Wahrheit vorzutragen. *)

Noch zehn Jahre zuvor hätte kein katholischer Theologe eine solche Geschichte zu schreiben gewagt. In diesem Muth bespiegelt sich aber Görres, denn er schreibt in der Vorrede (XIII.): „Ich wollte eine Sache wieder zur Sprache bringen, die man seit geraumer Zeit selbst in der katholischen Welt hat auf sich beruhen lassen, weil das wegwerfende Gerede von der Gegenseite, selbst auf die Einsichtigeren, nicht ohne Wirkung geblieben."

IV. Der heilige Rock zu Trier und der DeutschKatholicismus.

Wenn alle die Erscheinungen, welche wir bis dahin betrachtet haben, dieses stärkere Begehren nach Freiheit der Kirche dem Staat gegenüber, dieses ernstere Dringen auf eine ganz reine katholische Theologie, sammt dem Einschreiten gegen die, welche es darin fehlen liessen, diese herbere Stellung der katholischen Wissenschaft zur protestantischen, ihren Grund in dem Erwachen des katholischen Bewusstseins haben, so war es natürlich, dass man dasselbe auch im katholischen Volk zu wecken und zu nähren suchte. Dass dies geschehen ist, wissen wir bereits, und ihre Siege verdankt die katholische Kirche guten Theils dem Umstand, dass es ihr gelnngen war, das Volk in Mitleidenschaft zu ziehen. Das war namentlich in Preussen geschehen, und wir erinnern uns, wie hoch Görres das anschlug.

Und auch die Mittel kennen wir bereits, durch welche man auf das Volk zu wirken suchte. In oberster Linie stand, dass man ihm seinen Gottesdienst lieb machte, Wallfahrten und Prozessionen beförderte, zu Stiftung von Bruderschaften anregte, die Heiligenverehrung wieder mehr in den Vordergrund treten liess. Für diese war das katholische Volk

*) Bd. II. 533. 21.

von jeher sehr empfänglich, ja wir haben katholische Länder, in denen die Frömmigkeit des Volks in ihr nahezu aufgeht. Auch im deutschen Volk wurde sie fleissig geübt, aber in den letzten 30 Jahren mehr nur in den niederen Schichten, denn seit dieser Zeit redete man ihr nur schüchtern das Wort. Das Uebermass, in dem man früher auch in Deutschland sich in der Heiligen- und Reliquien-Verehrung ergangen hatte, war Ursache gewesen, dass man in der Aufklärungsperiode vor allem gegen sie eiferte, und sie als einen Aberglauben bezeichnete, von dem ein aufgeklärter Mann frei sein müsse. Bis zur gänzlichen Verwerfung der Heiligenund Reliquien-Verehrung ging man freilich nur in diesen Kreisen, und so weit konnte nur der gehen, der vom katholischen Boden abwich; denn die Heiligen-Verehrung ist ein Stück des katholischen Glaubens und vom Tridentinum sanctionirt. Aber sie im Sinn des katholischen Glaubens auf ihr richtiges Mass zurückzuführen, und vor allem dahin zu wirken, dass man über den Heiligen nicht Gott und Christum übersehe, war eine Aufgabe, welche sich in der vorigen Periode gerade die besten und frömmsten Männer, wie Sailer, gestellt hatten. Dieses Bestreben theilten auch alle wissenschaftlichen Theologen dieser Periode, und theilten dasselbe selbst da, wo sie weniger das Interesse der Frömmigkeit trieb, schon darum, weil die Heiligenverehrung der protestantischen Kritik so viele Angriffspunkte darbot. Auch war dies ein Punct, der nie übersehen wurde, wo man die Gedanken an Reformen, welche der katholischen Kirche Noth thäten, noch festhielt und ihnen das Wort redete. Nicht nur Theiner, *) der dem Standpunkt der Aufklärung angehörte, griff sie von diesem aus an, auch die Tübinger Quartalschrift beschäftigte sich mit diesem Gegenstand. Den Wünschen, welche man von dieser Seite hegte, wurde zwar nicht entsprochen. Eine Revision des Breviers, wo sich Heilige in Menge fanden, von deren Dasein man theils nicht wusste, theils wusste, dass sie keine Heiligen, oder solche Heilige gewesen, denen man die wunderlichsten Thaten nachrühmte, fand nicht statt; auch keine der Gebetbücher, in denen die Gebete zu den Heiligen und Reli

*) Die „katholische Kirche besonders in Schlesien in ihren Gebrechen dargestellt von einem katholischen Geistlichen." 2. Ausg. Altenburg 1827.

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