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als 2000 Zöglinge der Knabenseminare, verschiedene Tausende von Mitgliedern solcher Vereine, welche unter unbedingter geistlicher Führung stehen, so kommt leicht eine Armee von 40 bis 50,000 Köpfen heraus."*)

IV.

Die theologische Wissenschaft.

Es kann nicht unsere Absicht sein, eine Geschichte der katholischen Theologie unserer Schrift einzuverleiben, denn eine solche würde einen unverhältnissmässigen Raum einnehmen, aber wir können doch auch nicht ganz an ihr vorübergehen. Wir haben sie auf die Frage anzusehen, ob und wie weit die uns jetzt bekannte Richtung der katholischen Kirche von Einfluss auf sie gewesen ist, und ob die Kirche auch auf sie eine beherrschende Macht ausgeübt und sie in ihren Dienst gezogen hat?

Dass die Theologie schon in den Jahren 1830 bis 1848 auf orthodox-katholischen Bahnen wandelte, haben wir bereits erwähnt. Verfolgen wir sie nun von da an weiter, so ist das Erste, was uns entgegentritt, ein Machtwort, welches die Kirche in ihrem Oberhaupt gegen die Wissenschaft, und zwar gegen die Günthersche Philosophie, gesprochen hat.

Durch Decret der congregatio indicis vom 8. Januar 1857 wurden die Schriften Günthers verdammt.

Wir constatiren nur diese Thatsache, ohne auf die Frage, ob das Günthersche System orthodox oder heterodox ist, einzugehen, und beschränken uns auf Folgendes.

Anton Günther, geboren 1785 zu Lindenau in Böhmen, hatte sich erst den Rechtsstudien zugewendet, und war bis in sein reifes Mannesalter dem Glauben seiner Kirche entfremdet. Ernste Forschung führte ihn wieder zu demselben zurück, und er liess sich zum Priester weihen. Eine Zeitlang hielt er sich in einem Novizenhaus der Jesuiten in Gallicien auf, verliess dasselbe aber noch vor Ablauf des Noviciats, und begab sich nach Wien, wo er die ganze

*) Denkschrift über das Verhältniss des Staats zu den Sätzen der päpstl. Constitution vom 18. Juli 1870. Prag 1871.

übrige Zeit seines Lebens zubrachte, von einer Pension, die ihm eine fürstliche Familie für die Erziehung ihrer Kinder ausgesetzt hatte, lebend, und nur mit literarischen Arbeiten beschäftigt. Er war erst thätig als Recensent philosophischer Schriften in mehreren Literaturzeitungen, 1828 erschien sein erstes selbständiges Werk, „die Vorschule zur speculativen Theologie." Daran reihten sich viele andere Schriften:,,Peregrins Gastmahl", „Süd- und Nordlichter am Horizont speculativer Theologie", „,Janusköpfe für Philosophie und Theologie" (davon die erste Hälfte von seinem Freund J. H. Pabst abgefasst war), „,der letzte Symboliker", „Thomas a Scrupulis",,,Juste-Milieus in der deutschen Philosophie gegenwärtiger Zeit," ,,Euristheus und Heracles." Vom Jahr 1849 an gab er in Verbindung mit seinem Freund J. E. Veith, dem bekannten Wiener Prediger, das philosophische Taschenbuch „Lydia" heraus (von 1849-1857).

In diesen Schriften entwickelte er ein neues philosophisches System. Er glaubte den Ausgangspunct gefunden zu haben, durch den man den Verirrungen der modernen Philosophie, insbesondere des Pantheismus, einer Krankheit,,die der Zeit in Mark und Bein sitze und ein Verderben namentlich unter der Jugend erzeuge“, sich entziehen könne, und war überzeugt, dass ,,durch sein System dem menschlichen Denken eben so wie der Wirklichkeit des positiven Christenthums und den Erscheinungen im Leben der Natur und der Menschheit die volle Berechtigung und Selbständigkeit gewahrt würde." Die falsche Weltweisheit sollte darin ,,durch die Vernunft, auf welche sie selbst sich berief, durch freie Wissenschaft ohne dogmatische Voraussetzung überwunden werden; es sollte darin dargethan sein, dass dem vernünftigen Denker das positive Christenthum so nothwendig sei, dass der Mensch, indem er letzteres verleugne, sein eigenes Wesen aufzugeben gezwungen sei.“

Dieses sein System, an dem auch die Philosophen vom Fach nicht achtlos vorübergingen, fand bald in katholischen Kreisen, namentlich in den österreichischen Staaten, Eingang und Günther wurde Haupt einer philosophischen Schule. Zu seinen Schülern gehörten ausser den schon genannten (J. Heinrich Pabst und Dr. Jos. Emanuel Veith) Knoodt in Bonn, später auch Baltzer.

Diese, denen auch von Gegnern wissenschaftliche Strebsam

keit und kirchliche Haltung und Gesinnung zuerkannt wurde, ergingen sich in begeistertem Lob seiner Philosophie. Er wurde von ihnen gepriesen,,als der Meister im eminenten Sinn des Worts, ,,dem auf dem ganzen Gebiet der christlichen Speculation kaum ein heil. Augustinus und ein Cartesius ebenbürtig an die Seite träten." Von ihm rühmten sie, dass er den Kampf mit der verführerischen Dialektik einer stolzen antichristlichen Wissenschaft auf sich genommen," nicht etwa um der verachtetèn positiven Theologie ihren ehrenvollen Platz in der Wissenschaft wieder zu erobern, nein, um dem Christenthum die Wissenschaft selber und dieser das Christenthum zu erobern." Er sollte zuerst angefangen haben,,,den alten auch in der Scholastik noch versteckten Freund des Semipantheismus ans Licht zu ziehen, und dessen letzten Lebensnerv zu durchschneiden, um dadurch den Grund zu der so lange und so heiss erstrebten wahren Philosophie des Christenthums zu legen." Ihm sollte es gelungen sein,,,den alleinigen Schlüssel für das Verständniss der Glaubenslehre, den die Kirchenväter und Scholastiker in der antiken, unter der Alleinherrschaft des Plato und Aristoteles stehenden, Philosophie zu besitzen glaubten und womit sie Semipantheismus und Emanation erschlossen hatten, endlich aufzufinden in der Idee."

Auch das endlich wurde von der Güntherschen Philosophie gerühmt, dass sie ,,als Vertheidigerin der Kirche gegen die im Protestantismus grossgewordene pantheistische Denkmacht als zweite katholische Denkmacht dastehe."*)

Eine Versöhnung von Wissen und Glauben schien Günther darzubieten, wie Hermes sie geboten hatte. Und da Günther nicht nur wie Hermes zu dem ganzen Inhalt des katholischen Dogmas sich bekannte, namentlich auch die Autorität der Kirche sehr betonte, sondern auch mit ungleich grösserer Wärme und Ergriffenheit als Hermes die Heilsthaten des Christenthums, vor allem die der Person Christi, hervorhob, so übte er auf Viele eine mächtige Anziehungskraft aus.

Sehr lange Zeit hindurch waren es nur vereinzelte Stimmen,

*) Tübinger theologische Quartalschrift. Jahrgang XXXVI. 1854. „Die neuesten Verhandlungen über die speculative Theologie Dr. A. Günthers und seiner Schule (von Dr. Repetent Hitzfelder). Heft I und III.

welche sich zweifelhaft darüber aussprachen, ob Günther wirklich die Aufgabe, die er sich gestellt, gelöst habe. Die Ersten, die solche Zweifel erhoben, waren dieselben, welche auch als Gegner des Hermesianismus aufgetreten waren. Auch die Tübinger Quartalschrift hatte bereits im Jahr 1844 (Heft III) einige Ausstellungen an der Güntherschen Philosophie gemacht, Günther aber hatte sie derb abgefertigt: denn das scheint er mit Hermes gemein gehabt zu haben, dass er Widerspruch schwer vertrug, wie denn auch seine Anhänger das mit den Hermesianern gemein gehabt zu haben scheinen, dass sie etwas vornehm auf die, welchen Günthers Philosophie nicht zusagen wollte, herabblickten, als auf solche, welche,,theils an dem gründlichsten dogmatischen Nichtwissen, theils an einer irrigen philosophischen Weltansicht laborirten," wodurch Manche eingeschüchtert wurden.

Erst zu Anfang der fünfziger Jahre erhob sich ein Sturm gegen die Günthersche Philosophie.

Der allgemeinen Zeitung wurde am 4. Juli 1852 von Berlin aus geschrieben, es sei von Trier die Nachricht hieher gelangt, dass der Bischof Arnoldi dem dortigen Professor der Philosophie am Seminar auf Befehl des Papstes das Verbot notifizirt habe, weiterhin die Günthersche Philosophie vorzutragen. Diese Nachricht war allerdings insofern ungenau, als das Verbot nicht auf Befehl des Papstes gegeben war, und auch die bald darauf von mehreren Zeitungen gebrachte Kunde, dass seine Bücher auf den Index gesetzt seien, war eine verfrühte. Aber diese Nachrichten und Gerüchte deuteten doch auf das Herannahen eines Sturmes.

Bald ergingen auch ernstliche literarische Angriffe auf die Günthersche Philosophie. Den ersten Angriff machte der Privatdocent Clemens mit seiner Schrift:,,die speculative Philosophie A. Günthers und die katholische Kirchenlehre. 1853." Diese Schrift, welche in der Tübinger Quartalschrift „als ein Compendium alles dessen, was man in der Lehre Günthers für unkatholisch ansieht," bezeichnet wurde, gab das Signal zu einem Schriftenwechsel, an dem sich Baltzer, Knoodt u. A. zu Gunsten Günthers betheiligten.

Clemens hatte in seiner Schrift die Ergebnisse der Güntherschen Speculation mit dem Lehrbegriff der katholischen Kirche, wie derselbe in den Bestimmungen der allgemeinen Concilien und den

Auslegungen der Theologen, eines Suarez, Petavius u. A. vorliegt, zusammengestellt, und aus der Vergleichung die Abweichungen Günthers in vielen Puncten nachzuweisen gesucht.

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Man kann das Ergebniss dieser Schrift mit Werner *) dahin zusammenfassen, dass die Günthersche Philosophie das Moment der Rationalität in der christlichen Offenbarungslehre auf Kosten des mysteriösen supranaturalen Gehaltes desselben betone, und in einzelnen Puncten gegen ausgesprochene dogmatische Lehrbestimmungen der Kirche verstosse."

Die Frage über die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der Güntherschen Philosophie war jetzt in Fluss gerathen. Bald wurde auch erzählt, dass die Aufmerksamkeit des Papstes auf diesen Gegenstand gelenkt sei, noch im Jahr aber 1854 waren die Anhänger Günthers guten Muths. Ein,,katholischer Gottesgelehrter" brachte die Angelegenheit in der allgemeinen Zeitung zur Sprache**). Er berichtete, dass allerdings die Untersuchung der Günthersche Lehre in Rom eingeleitet sei, und erzählt nun der Reihe nach, erst dass angesehene Kirchenfürsten Deutschlands, unter ihnen die Cardinäle Diepenbrock und Schwarzenberg, die Bestrebungen Günthers begünstigten, dass der päpstliche Nuntius, Cardinal Viale Prela sie wohlwollend beurtheile, und dass man die Aeusserung des hl. Vaters erfahren habe, es sei nichts zu fürchten;" dann: dass der Papst gewünscht habe, dass Günther in unmittelbare Beziehung zu ihm trete, und dass der mit der deutschen Philosophie wohl vertraute Abt der Benedictiner in St. Paul ihn eingeladen habe, nach Rom zu kommen, Günther aber, durch Kränklichkeit verhindert, in einem Schreiben an den Abt die Absichten seiner Speculation auseinander gesetzt habe. Der Papst, wird weiter be richtet, habe dasselbe mit Rührung gelesen, und ihm einen Brief geschrieben, in dem er ihn: „wahrhaft katholischer, dem hl. Stuhl ergebenster, Mann" angeredet habe. Endlich wird erzählt: zur Förderung der Verhandlungen in Rom seien Betheiligte aus Deutschland zugezogen worden, und unter Mitwirkung eines deutschen Car

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*) Geschichte der katholischen Theologie S. 624.

**) Augsb. Allgemeine Zeitung, Beilage Nr. 189. 8. Juli 1854.,,Anton Günther und die Verhandlungen über seine Philosophie."

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