Page images
PDF
EPUB

haben, die zu begreifen und für die Kirche nutzbar zu machen Andere sich Schweiss kosten lassen, verfallen in der Masse, wenn es gut geht, nach und nach dem Schlendrian, und drängen zuletzt die besseren Elemente der Laienschaft aus der Kirche hinaus, die sie kaum erst wieder aufzusuchen begonnen haben, nachdem ihnen in Folge der Bemühungen der katholischen Wissenschaft gezeigt worden, dass sie die verschrieene stationäre Verdummungsanstalt nicht sei. Italien, Spanien, Portugal, früher (und jetzt wieder) Frankreich, von den katholischen Ländern der neuen Welt nicht zu reden, mit ihren geistlichen Herrn, der santa canaglia P. Rohs, sind für alle, die nicht absichtlich die Augen schliessen, nicht sprechende, sondern geradezu schreiende Belege hiefür."

Um diese Zeit kam es auch an den Tag, dass bereits auch der Bischof in Rom denuncirt sei, und dort hatte man der Denunciation ein Ohr geliehen. Im August d. J. hatte der Cardinalstaatssecretair Antonelli im Auftrag des Papstes durch den Münchner Nuntius bei der Würtembergischen Staatsregierung anfragen lassen, ob und welche Mittel die Staatsregierung Behufs Aufstellung eines Coadjutors biete, da der hochbetagte Bischof nicht mehr im Stande sei, den traurigen Zuständen der Diöcese Rottenburg abzuhelfen. Die Kunde von dieser Anfrage war dem Bischof nur auf Privatwegen zugekommen, und er musste sich erst nach Rom und an den Nuntius in München wenden, um das Nähere zu erfahren. Die Antwort, die er vom Nuntius erhielt (28. Aug. 1868), lautete dahin: es sei keinerlei Anklage oder Denunciation gegen seine Person an den Nuntius gebracht worden, aber die Schwierigkeiten in welchen sich die Diöcese selbst befinde, seien derart und so gross, dass der Bischof in Anbetracht seiner physischen Schwäche allein nicht genügen könne, um die alten Schäden zu verbessern, und die drohenden Uebel abzuhalten. Das sei die Erwägung gewesen, von der aus der Papst den Entschluss gefasst habe, ihm einen Coadjutor zur Seite zu geben. Die Anklage des Nuntius war vorzugsweise gegen das Tübinger Convict gerichtet. In diesem sollte den Jünglingen eine so grosse Freiheit gelassen sein, und sollten solche Missbräuche geduldet werden, dass es ohne besondere göttliche Gnadenhülfe gleichsam unmöglich scheine, die wahre Frömmigkeit zu pflegen und jene Tugenden zu erwerben, welche

die Zierde einer geistlichen Versammlung durchaus bilden müssten: denn den Zöglingen werde gestattet, mit protestantischen Schülern aufs freieste zu verkehren, mit denselben die öffentlichen Wirthshäuser der Stadt zu besuchen, daselbst manchmal bis zur zehnten, ja eilften Stunde der Nacht zu bleiben, öffentliche Concerte und andere weltliche Unterhaltungen zu besuchen, oder zum Theil im Convict selbst zu veranstalten; alles was sie wollen, zu lesen, ohne irgend eine Auswahl der Bücher; der Lectüre von Zeitungen beständig obzuliegen, und die Parthei der sog. Liberalen in kirchlichen und politischen Angelegenheiten zu ergreifen.

Gegen den Director des Convicts, Dr. Ruckgaber, wird dann die Klage erhoben, dass, wenn er auch für seine Person Liebe zur katholischen Sache hege, er doch in der Erziehung der ihm anvertrauten Jugend einer falschen Methode zugethan sei, es gebe nichts, was er nicht den Zöglingen gestatte, nichts, worin er eine Gefahr sehe.

Dem Bischof legte der Nuntius darum ans Herz, er möge in erster Reihe eine Reformation des Tübinger Convicts vornehmen, und möge, so lange nicht ein echtes Seminar nach dem Sinn des Tridentinums errichtet sei, dem Mangel einigermassen durch die Anordnung abhelfen, dass die geistlichen Jünglinge einen längeren Zeitraum hindurch im Rottenburger Seminar verweilten, denn über den dortigen Seminarregens (Dr. Mast) seien die besten Berichte eingelaufen."

Der Bischof, der die Beweise in die Hand bekam, dass Dr. Mast, wenn nicht direct, doch jedenfalls indirect bei dieser Denunciation betheiligt war, hatte noch den Muth, das Schreiben des Nuntius mit der Entlassung Masts von seiner bisherigen Stelle zu beantworten.

Aber Mast ging, statt die Pfarrei, auf welche er von dem Bischof versetzt worden war, anzutreten, nach Rom, und von Rom langte ein vom 4. Febr. 1869 datirtes päpstliches Breve an den Bischof an, welches ganz zu dessen Ungunsten entschied. Der Papst schrieb ihm, dass er noch Vieles vermisse, was durchaus erforderlich sei zur rechten Verwaltung seiner Diöcese, und zur Erziehung, Bildung und Disciplin des Clerus. Er erklärte ihm, nicht zugeben zu können, dass Dr. Ruckgaber das Amt eines Vorstehers

und Lehrers im Tübinger Convict länger fortführe. Er nennt es endlich eine unüberlegte Massregel, dass er den Dr. Mast aus dem Rottenburger Seminar verstossen, und nicht Bedenken getragen habe,,,die Ehre dieses Priesters zu verletzen und ihn besonders bei seinem Clerus in Verruf zu bringen", und mahnt ihn, er solle nicht unterlassen, ein solches Unrecht, wie er dem Priester Mast zugefügt habe, in angemessener Weise wieder gut zu machen, und für seinen guten Namen und guten Ruf zu sorgen. *)

Ueberschauen wir den ganzen Gang der Dinge vom Jahr 1848 an, so finden wir, dass die katholische Kirche in allen Puncten einen ganzen Ernst gemacht hat in der Verfolgung ihres Zieles. Innerhalb der Kirche ist ihr nur in dem zuletzt besprochenen Punct ein Widerspruch entgegen getreten, in allen anderen Puncten ist man in die Tendenzen der Kirche eingegangen.

Dieser Widerspruch hat eine Seite, anf die wir noch aufmerksam machen müssen. Er geht von einer ganzen Classe der Gesellschaft aus. Es sind in erster Linie die Träger der Wissenschaft, welche gegen die letzte Consequenz, die man zu Gunsten der Herrschaft der katholischen Kirche ziehen wollte, Protest eingelegt haben, und an diesem Punct ist es doch zum Vorschein gekommen, dass es auch unter dem Clerus nicht an solchen fehlt, welche einer freieren Richtung nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im kirchlichen Leben zugethan sind, einer freieren Richtung, an der sie sich nicht durch den Zug, der jetzt durch die katholische Kirche ging, hindern liessen, und die sie wenigstens in der Stille pflegten. Wir legen auf diese Thatsache ein grosses Gewicht: denn es drängt

*) Ueber alle diese Vorgänge: Actenmässige Beleuchtung der Wirren in der Diöcese Rottenburg I und II. in histor. Blätter 1868, 2; und Schlusserklärung zu der actenmässigen Beleuchtung u. s. w. und über die Wirren in der Diöcese Rottenburg. Eine Gegenstimme (von einem Mitglied der katholisch-theologischen Facultät in Tübingen) ebend. 1869. 1. Diocese Rottenburg und ihre Ankläger von Dr. Aemil Ruckgaber. Tübingen

Die

sich da die Frage auf, ob es unter den Katholiken dieser Periode nicht auch solche gab, welche in anderen Puncten nicht willig in jenen Zug der katholischen Kirche eingingen, und nur, weil diese eine solche Macht gewonnen hatte, den Widerspruch unterliessen?

Es wäre uns vom höchsten Werth, wenn wir das annehmen dürften: denn durch die ganze Zeit, nicht nur vom Jahr 1848 an, sondern schon vom Jahr 1830 an, haben wir schmerzlichst die Symptome jener Frömmigkeit vermisst, wie sie uns in der Sailerschen Richtung früher entgegen getreten war. Sollte die Pflege stiller Frömmigkeit und Gottseligkeit ganz erstickt worden sein durch das Streben der Kirche nach äusserer Machtentfaltung? Wir nehmen lieber an, und möchten an dem Hervortreten jenes Widerspruchs einen Anhaltspunct dafür finden, dass nur nach aussen hin, und in der Geschichte sich dieser Zug so laut und breit gemacht hat, dass die Frommen dagegen nicht aufkommen konnten, dass es aber doch nicht an solchen fehlt, welche jene Herzensfrömmigkeit pflegen, für die nach unserer Auffassung die katholische Kirche bei allem Irrthum, den wir ihr als Protestanten vorwerfen müssen, reichliche Mittel darbietet.

Wie, das ist nun die Frage, mit der wir unsere Geschichte der katholischen Kirche Deutschlands zu schliessen haben, kam die katholische Kirche nach der Stellung, die sie vom Jahr 1848 an eingenommen hat, zu Syllabus und Vaticanum zu stehen?

Die Geschichte von Syllabus und Vaticanum müssen wir als bekannt voraussetzen, und haben keine Verpflichtung, ja eigentlich kein Recht, sie hier zu erzählen, da beides in seiner Entstehung nicht der katholischen Kirche Deutschlands allein angehört.

Es wird für unsern Zweck genügen, an Folgendes zu erinnern.

Am 8. Dec. 1864 erliess der Papst Pius IX., zu einer Zeit, in welcher die weltliche Herrschaft des Papstthums aufs ernstlichste bedroht war, und das Losungswort ,,die freie Kirche im freien Staat" durch ganz Italien schallte, seine berühmte Encyclica sammt dem

Syllabus. Die historisch-politischen Blätter*) vergleichen diese Encyclica mit der Gregors XVI., welche wir an den Eingang der 2. Hälfte unserer Geschichte gestellt haben, und sagen von dieser, sie verhalte sich wie die Ouvertüre zur Oper. Damals hätten die modernen Ideen die Laufbahn ihrer Entwicklung erst begonnen, jetzt stünden sie in voller Blüthe da: denn das sei die Tendenz der ganzen Encyclica, sie richte sich gegen die gesammten modernen Ideen des Jahrhunderts.

In diesem Syllabus sind die hauptsächlichsten Irrthümer der Zeit zusammengestellt und verworfen.

In zehn Capiteln wird verworfen der Pantheismus, Naturalismus und absolute Rationalismus; der gemässigte Rationalismus; der Indifferentismus und Latitudinarismus; der Socialismus, Communismus, die geheimen Gesellschaften, die Bibelgesellschaften, die liberalen Cleriker-Vereine; die Irrthümer über die Kirche und ihre Rechte; die Irrthümer über die bürgerliche Gesellschaft, sowohl an sich als in ihren Beziehungen zur Kirche; die Irrthümer über das natürliche und das christliche Sittengesetz; die Irrthümer über die christliche Ehe, die über die weltliche Herrschaft des Papstes, und die, welche sich auf den Liberalismus unserer Tage beziehen.

Es sind das zum guten Theil die Irrthümer, welche der Papst bereits während seines Pontificats in einer Reihe von Encykliken, Allocutionen und anderen apostolischen Schreiben gerügt hatte. An diese sind die anderen Meinungen angereiht, welche aus diesen Irrthümern wie aus Quellen hervorbrechen, die,,,welche darauf gerichtet sind, jene heilsame Gewalt zu hemmen und zu beseitigen, welche die katholische Kirche nach der Anordnung und dem Befehl ihres göttlichen Stifters bis an das Ende der Zeiten eben so gegen jeden einzelnen Menschen, wie gegen die Nationen, die Völker und ihre höchsten Fürsten frei ausüben muss, und jene gegenseitige Gemeinsamkeit und Eirtracht der Absichten zwischen Kirche und Staat zu beseitigen, welche von jeher der Sache der Kirche wie des Staats förderlich und heilsam war."

Es ist eine bunte Mischung von Irrthümern, welche in diesem Syllabus verzeichnet sind, und viele sind darin aufgeführt, die man vom christlichen Standpunct aus als solche bezeichnen muss. Wir

*) LV, 1865, 1.

« PreviousContinue »