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Vorrede.

Der wiener Congreß schließt in der Weltgeschichte

ein Viertel. Jahrhundert, welches einem Jahrtaufend gleicht, wenn man es mißt nach Menge und Wechsel der wichtigsten Begebenheiten, vornehmlich nach Mißgeschick für Staaten und Menschheit.

Groß, unermeßlich war die Aufgabe, deren Löz sung jener Versammlung oblag. Ein politischer Welts Orfan hatte in dem Gemeinwesen von Europa. Verwüstungen angerichtet, nicht blos in geogra phischer und politischer, auch in sittlicher und völkerrechtlicher Hinsicht. Man erwartete Wiederhers stellung und Sicherstellung einer sittlichen Ordnung in den Staatenverhältnissen. Durch sie sollten Staas A

ten, wie Einzelne, genöthigt werden, zu der edlen Gewohnheit zurückzukehren, nichts Unrechtliches zu wollen. Ueber dem Meer von Einzelheiten und Ver: suchungen, auf welchem bedachtsam herumzutreiben war, sollten die Steuerleute mit unverwandtem Blick dem reinen Licht eines Leitsterns folgen, mit dessen Hülfe allein es möglich war das große Ziel zu erreichen. Was Menschenkraft, fern von Selbstsucht, vermag, sollte, nach so mancher ernsten Wars nung von Innen und Aussen, geleistet werden, zum Segen für Mit- und Nachwelt, als Vorbild für späte, dankbare Enkel, als Lehr- und War: nungstafel in der Geschichte.

Was und wie, auf der wiener Versammlung der Häupter der europäischen Christenheit, verhan delt und beschloffen ward, soll hier, von einem Aus genzeugen, in den Schooß der Weltgeschichte nies dergelegt werden, so tren, in Kürze so vollständig, mit solcher Unbefangenheit, als seine Kräfte zulass sen. Im Einzelnen haben ohne Zweifel Manche noch Bieles, vielleicht auch Manches hie und da anders, beobachtet. Mögen sie, so weit es frommt, einer Mittheilung sich nicht entziehen! Jeder hat seinen

Vorrede.

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Standpunct: aber keinem ist vergönnt, auf seine eigenen Schultern zu steigen, um sich eine weitere Aussicht zu verschaffen.

Zu einem Geständniß hält hier der Verfasser sich für eben so verpflichtet als berechtigt, und solches eben darum für verantwortbar vor seiner Eigens liebe; zu demjenigen eines gewiffen Stolzes, der ihm nie gestattet, im Angesicht des Publicums irgend einer Partei durch Wort oder That zu huldigen. Berechtigt dieses Geständniß keine, ihn als den Ihrigen zu betrachten, so sollte nie eine sich anmassen, ihn wegen solcher Gesinnung anzufeinden. Einem Naturgeseh zufolge, bestärkt solches Anfein: den nur den Festen in Grundsäßen und Handlungs, weise. Hoffentlich wird ihn Niemand überweisen, daß er je die Grenze unumschränkter Duldung gegen Andersdenkende überschritten habe. Legt er nun durch jenes Geständniß sich zugleich vor dem Rich terstuhl des Publicums eine heilige Pflicht auf; fo hat er dabei keineswegs die Absicht, irgend eine besonnene Critik zu bestechen. Die Wahrheit kann durch eine solche nur gewinnen; und sie allein ist das, wonach zu ringen, die Selbstthätigkeit der

moralischen Urtheilskraft den sittlich Unverdorbenen

unwiderstehlich antreibt.

Eine weite Reise entfernt unvermuthet den Verfaffer von dem Druckort, in dem Augenblick wo der Druck beginnen soll. Er vermag also weder die lekte Hand an das Werk zu legen, noch selbst für Richtigkeit des Abdrucks zu wachen.

Frankfurt am Main, den 29. Jänner 1816.

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Magna pericula animos explorant.

Uebersicht

der diplomatischen Verhandlungen des wiener Congresses überhaupt.

In

dem pariser Frieden war (festgeseßt, daß innerhalb zweier Monate alle Mächte, die auf der einen oder andern Seite in den Krieg verwickelt gewesen, Bevollmächtigte nach Wien schicken sollten, um daselbst auf einem allgemeinen Congreß die Bestimmungen zu machen, wodurch die Verfügungen dieses Friedensschlusses ihre Vollständigkeit erhielten. Der erste geheime Artizel dieses Friedens fügte. noch hinzu: «daß die Bestimmungen, aus welchen ein wirkliches und dauerhaftes System des Gleichge: wichtes für Europa hervorgehen solle, auf dem Congreß ihr Daseyn erhalten sollten, auf Grundlagen, welche die verbündeten Mächte unter sich festgescht hätten, und nach der allgemeinen Vers fügung, welche in den übrigen geheimen Ar tikeln enthalten sey.»

Die Eröffnung des Congresses, die sonach schon am ersten August hätte statt haben sollen, ward. bald nachher, von den in London anwesenden Souve

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