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diplomatischen Quellenwerkes über jene Epoche, die man das Revolutions - Zeitalter nennt, und in der sich thatsächlich die Freiheit Europa's unter die Fahnen Oesterreichs geflüchtet hatte.

Schon aus den oben angedeuteten Erwägungen darf die Herausgabe des österreichischen Urkundenmaterials, nach den vorangegangenen französischen, deutschen und russischen Publicationen über denselben Zeitraum, ganz abgesehen von dessen wissenschaftlichem Werthe, als ein politisches Bedürfniss für die Länder der österreichisch-ungarischen Monarchie betrachtet werden. Durch die Veröffentlichung der österreichischen Geschichtsquellen aus der Zeit der französischen Revolutionskriege, deren erster Band hier vorliegt, scheint mir diesem Bedürfniss in jeder Weise gedient.

In diesem Quellenwerk finden sich die Grundprincipien der österreichischen Politik unter der Leitung jener bedeutenden Staatsmänner verzeichnet, denen die Durchführung der politischen Ziele Oesterreichs im letzten Decennium des vergangenen Jahrhunderts anvertraut war.

Die gewaltige Zeit, in welcher das letzte deutsche Reichsoberhaupt freier Wahl, Kaiser Franz II., für die Unverletzlichkeit europäischer Friedensschlüsse, für Religion und bürgerliche Ordnung, für Erhaltung des alten Reichsverbandes, für die Unabhängigkeit der europäischen Staatenfamilie, für grosse Principien und Traditionen einen zwanzigjährigen Kampf standhaft durchgeführt hat: diese an denkwürdigen Ereignissen überreiche Geschichtsperiode, die in ihren erschütternden Folgen bis in unsere Zeit hereinragt, verdiente es in jedem Anbetracht, endlich in unverfälschten Quellen urkundlich zur Darstellung gebracht, und diese Darstellung als Gemeingut der Weltliteratur überliefert zu werden. - Die Quellen ihrer Geschichte werden für die Reinheit der politischen Absichten der österreichischen Vergangenheit Zeugenschaft ablegen.

Die politische Action Oesterreichs gegenüber der französischen Revolution begann erst im Jahre 1790, nach Schlichtung der österreichisch-türkisch-preussischen Zwistigkeiten. Noch im Jahre 1789, beim Ausbruch der Revolution, war die kaiserliche Politik ausschliesslich mit der Beendigung des türkischen Krieges

und mit der Bewältigung der Unruhen beschäftigt, welche die wohlmeinenden Neuerungen Joseph's II. in allen Provinzen der österreichischen Monarchie hervorgerufen hatten.

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Auf die französischen Angelegenheiten, die der Staatskanzler Fürst Kaunitz-Rietberg mit wachsamen Blicken verfolgte, beziehen sich nur wenige Andeutungen in seinen Rescripten. Eine chiffrirte Depesche des Fürsten an den Grafen Mercy lautet: „Dero „beobachtetes Betragen, sowie die Rathschläge, welche Dieselben „dem König und der Königin bisher ertheilt haben, verdienen allen möglichen Beifall; sie sind nach der höchsten Klugheit ab- und der gewaltsamen Lage der Umstände auf das Vollkommenste angemessen. Ein wahres Unglück würde es sein, wenn E. Exc. unmöglich werden sollte, sich in einer solchen Situation fortan „zu erhalten, welche wenigstens eine geheime schriftliche Communication zwischen der Königin und Denenselben offen lässt, um solchergestalt Höchstdenenselben ohne Unterbrechung mit Rath und That beistehen zu können. Da in dem gegenwärtigen Moment Alles hierauf ankömmt, so bin ich zum Voraus überzeugt, dass E. Exc. auch alles Menschenmögliche anwenden werden, um in einer ununterbrochenen Correspondenz mit der „Königin zu bleiben."*) In einem anderen Erlasse des Fürsten heisst es: „Dero bei den noch immer fortdauernden höchst bedenklichen Umständen einzuschlagendes Benehmen und besonders „der Entschluss, sich noch fortan in Dero Landgut auf- und vom Hofe entfernt zu halten, verdienen allen Beifall. Dero weiteres Betragen durch irgend einige bestimmte Weisungen von hier aus zu leiten, ist bei der ausserordentlichen Veränderlichkeit der dortigen Ereignisse ganz unmöglich."**) Man sieht, dass diese Haltung einer vollständigen, auch nach Aussen nicht zu bezweifelnden Passivität gleichkam.

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Der natürliche Ausgangspunkt für die hier gesammelten Geschichtsquellen war somit auch ein gegebener. Sie beginnen mit dem Tode Kaiser Joseph's II. und sollen nach dem von mir gefassten Plane ihre Begrenzung mit dem Jahre 1801, das ist mit dem Lunéviller Frieden finden, in welchem die im Jahre 1795

*) An den Grafen Mercy d'Argenteau, kaiserl. Botschafter in Paris, d. d. Wien, 3. August 1789.

**) An Mercy, d. d. Wien, 3. November 1789.

zu Basel eingeleitete Reichszersetzung ihre erzwungene reichsoberhauptliche Anerkennung fand.

Der hier vorliegende erste Band umfasst die ganze Regierungsperiode Kaiser Leopold's II., das ist die den Revolutionskrieg einleitende Periode, welche mit dem Thronwechsel in Oesterreich und der französischen Kriegserklärung an den König von Ungarn und Böhmen" schliesst. In den folgenden Bänden sehen wir den zum römischen König in Frankfurt erwählten und gekrönten deutschen Kaiser Franz II., als Nachfolger seines Vaters, in den grossen Krieg gestürzt, dessen unglücklicher Ausgang Oesterreich aus seiner Machtstellung im Reiche verdrängen sollte, und dessen erschütternde Nachwirkungen unsere Zeitgenossen zu erleben berufen sind.

Die Materialien zu diesem umfassenden Werke fanden sich in den grossen kaiserlichen Archiven, vor Allem im k. k. geheimen Haus-, Hof- und Staats- Archiv in Wien vor. Ein eilf jähriges Durchforschen der Quellen hat sie in dieser Weise zusammengetragen.

Was das bei Herausgabe dieser Publication eingehaltene System betrifft, so hatte ich die Wahl zwischen der chronologischen und der Ordnung nach Materien oder Expeditionen. Ich habe mich für die erstere entschieden, abgesehen von einigen Beilagen, die nicht gut von der ihnen angewiesenen Stelle zu versetzen waren. Jeder Band wird ein eigenes Register, ein doppeltes Inhaltsverzeichniss, chronologisch und nach Materien geordnet, besitzen, um Gelehrten, Staatsmännern und Diplomaten den Gebrauch dieses Werkes als eines „diplomatischen Handbuches" zu erleichtern.

Bei einem so umfassenden Quellen - Material war die Frage der Classificirung desselben eine sehr schwierige. Es galt vor Allem, aus nach Tausenden zählenden Actenstücken, unter Ausscheidung des bereits Bekannten, eine richtige Auswahl zwischen Werthvollem und Werthlosem zu treffen, - ganz abgesehen von der ersten mühevollen Sichtung eines in vielen Hunderten von Fascikeln in den grossen Wiener Archiven zerstreut liegenden Materials.

Ich verfehlte nicht zu erkennen, wie überaus wählerisch ich bei Sichtung der zahllosen Documente, die mir vorlagen, zu Werke gehen musste, wollte ich den mir vorschwebenden doppelten Zweck der Anregung und Belehrung erreichen. Ob es mir gelungen ist, den richtigen Mittelweg zu treffen, vermag ich nicht

zu entscheiden. Einzelne Mängel, gegen die ich nicht blind bin, werden sich dem Sachkundigen von selbst erklären und entschuldigen. Dem natürlichen Umstand, dass unter der Arbeit selbst bei fortgesetzten Nachforschungen das Material ununterbrochen nachwuchs, ist es z. B. zuzuschreiben, dass noch während des Druckes nicht unwesentliche Veränderungen im ursprünglichen Plan der Arbeit entstanden. So erklärt sich der wichtige Anhang des ersten Bandes über den Reichenbacher Congress, dessen Platz eigentlich zu Anfang des Werkes gewesen wäre.

Im grossen Ganzen habe ich den Abdruck der politischen Expeditionen der Staatskanzlei in ihrer Gesammtheit bevorzugt, weil es mir wichtiger schien, die Frage: Was wollte man in Wien?" zur Entscheidung zu bringen, als jene: „Was wurde nach Wien über die Verhältnisse fremder Höfe berichtet?"

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Von Relationen habe ich nur denjenigen eine Aufnahme gegönnt, die mir von ganz besonderem Interesse schienen. Einige Berichte des Grafen Mercy, z. B. jener über die Verhandlungen im Haag,*) die Berichte der Bevollmächtigten, von Spielmann und Fürst Reuss, aus Reichenbach gehören dahin.

In allem Unwesentlichen, namentlich insoferne dies in Reproduction bekannter Dinge, Höflichkeitsfloskeln u. dgl. bestand, habe ich die Actenstücke gekürzt, jedoch die weggelassenen Stellen durch Punkte angedeutet, um späteren Forschern jede Controle meiner Arbeit zu ermöglichen. Orthographie und Interpunction habe ich nach Thunlichkeit einheitlich nach den neueren Principien durchgeführt und dort, wo es ohne Veränderung des ursprünglichen Gedankens geschehen konnte, geringfügige grammatikalische Verbesserungen vorgenommen. Wo ich aus der Handschrift des Entwurfes den Verfasser der Depesche mit Sicherheit zu erkennen vermochte, habe ich dessen Namen angezeigt.

Was den besonderen Inhalt dieses ersten Bandes betrifft, so darf ich ihn als einen sehr werthvollen bezeichnen. Er enthält vierhundert und zwei Documente, unter denen die nachstehend angeführten als die hervorragendsten betrachtet werden können. Und zwar: 101 Correspondenzstücke von Souverainen, 129 Expeditionen der Staatskanzlei nach Paris, Brüssel, St. Petersburg, Berlin, London, dem Haag, Lissabon, in das

*) d. d. 23. November 1790.

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Reich und nach Reichenbach, 29 Relationen österreichischer Minister und Gesandten, 16 Expeditionen fremder Mächte, 17 Relationen von Gesandten fremder Mächte, 29 Privatbriefe handelnder Personen politischen Inhaltes. Hieran reihen sich Vorträge an den Kaiser, Minister-Conferenz-Protokolle und Referate, VerbalNoten, Declarationen, Erklärungen, Bulletins und etwa 21 hochinteressante Memoires und politische Betrachtungen des Fürsten Kaunitz, endlich drei ebenfalls sehr merkwürdige Journale über die wichtigen politischen Sendungen Lord Elgin's und Bischoffwerder's an Kaiser Leopold II.

Sehr interessante, bisher unbekannte Aufklärungen bietet der vorliegende Band über die Reichenbacher Verhandlungen und den Haager Congress des Jahres 1790. Das Ziel der ersteren ist bekannt. Es galt, den Frieden mit Preussen zu erhalten und den mit der Pforte in Sistow eingeleiteten um jeden Preis zu schliessen.

Ueber das Verhältniss des Fürsten Kaunitz zur inneren Politik Kaiser Joseph's II. verbreiten einige merkwürdige Briefe des Staatskanzlers an Mercy helles Licht.*) Auch bei den Nachfolgern Joseph's hat es Momente gegeben, in denen sie gleich jenem den weisen Rathschlägen des Fürsten Kaunitz kein Gehör geschenkt haben. Rückhaltlos sprach sich der Staatskanzler hierüber gegen den Grafen Ph. Cobenzl und Freiherrn von Spielmann wiederholt aus. So stand er beispielsweise der Idee, kaiserliche Bevollmächtigte nach Reichenbach zu senden, gänzlich fern. Die zweifellos echte Abschrift eines seiner Billete an Ph. Cobenzl (dessen Original mir jedoch nicht vorlag) lautet: „En saine politique, jamais on ne devait donner les mains à ce congrès; c'était une démarche humiliante; décidé à tout accorder, on aurait pu le faire à Vienne, et on aurait ainsi évité d'insolents et d'insultants propos. Celui qui a engagé le Roi**) à cette fausse démarche est donc, si non très-coupable, du moins très-responsable, et il l'est devenu encore davantage par la mauvaise besogne qu'il a faite. La déclaration est basse, rampante, sans ombre de dignité; elle laisse d'ailleurs indécises les choses les plus essentielles." ***)

Das Ziel der Haager Conferenz, die unmittelbar nach den Reichenbacher Verhandlungen zusammentrat, war die Pacification der aufrührerischen Niederlande. Ueber diese Ereignisse sind

*) Siehe Seite 478 und 487.

**) Leopold II.

***) Kaunitz an Ph. Cobenzl, Juli 1790.

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