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Vorwort.

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Es sind vornehmlich zwei Absichten, welche mich zur Herausgabe dieser Schrift veranlaßten: ich möchte versuchen vor Allem auf die großen Errungenschaften der neuesten völkerrechtlichen Literatur mittels eines das Studium des Völkerrechts in akademischen wie in nichtakademischen Kreisen einleitenden Werkchens in einer Weise aufmerksam zu machen, welche zeigt, daß das Völkerrecht nicht blos ein „idealer Begriff" ist, sondern eine reale Existenz, eine praktische Bedeutung und eine positive Entwickelungsfähigkeit besigt. So großartig die Leistungen zahlreicher berufsmäßig mit dem Völkerrechte sich befassender Gelehrten und Praktiker auch sind ich brauche nur an die alljährlich erscheinenden Berichte des Instituts für Völkerrecht" Annuaires de l'Institut de droit international (I 1877 -- VIII 1886) und an die Arbeiten von v. Bulmerincq, Caratheodory, Dambach, Geffcken, Geßner, v. Holzendorff, Lammasch, Lueder, Meili, v. Melle, Rivier und Stoerk, welche v. Holzendorff in den eben erschienenen 3 Bänden seines „Handbuchs des Völkerrechts" vereinigt hat, zu erinnern, es herrscht doch noch weithin eine bedauerliche Unklarheit über Sein, Werden und Wirken des Völkerrechts nicht bloß unter den Nichtjuristen, sondern auch unter den Jüngern der Themis selbst. Unter legteren mag es wohl zumeist die Unterschätzung der Positivität und der praktischen Bedeutung des Völkerrechts für unsere Lebensverhältnisse sein, aus welcher eine gewisse Abneigung vieler praktischer in Juristen gegen die Beschäftigung mit völkerrechtlichen Dingen Deutschland wenigstens entspringt. Vielleicht gelingt es dem vorliegenden Schriftchen manches derartige Vorurtheil zu besiegen, nicht bloß deshalb, weil darin nur Normen des geltenden internationalen Rechts, nur positives Recht zur Darstellung gelangen sollen, sondern auch deßhalb, weil daselbst das Verhältniß unseres deutschen Vaterlandes zum Völkerrecht allerorts zum Ausdruck gebracht ist. Lehteres

ist die andere Absicht, die dieser Publikation zu Grunde liegt: wir haben in Deutschland nunmehr eine umfassende, direkt die völkerrechtlichen Verhältnisse betreffende Gesetzgebung; ein Blick in die Anmerkungen und in die eingeschobenen Text - Zusäge in diesem Werkchen genügt wohl um davon zu überzeugen, wie zahlreich und eingehend die Normen sind, in denen das Deutsche Reich den völkerrechtlichen Interessen Rechnung trägt und Schuß bietet; es ist aber mehr noch als die deutsche Reichsgeseßgebung die deutsche Reichspolitik dazu angethan, die Aufmerksamkeit aller Deutschen auf das Völkerrecht zu lenken, denn sicherlich ist es nicht zu viel gesagt, wenn diese Politik als die dem Völkerrecht förderlichste bezeichnet wird, welche es nachgewiesenermaßen jemals gegeben hat (S. 29 u. A.).

Neben dieser freudigen Konstatierung darf nicht vergessen werden, welchen Antheil auch die Politik anderer Staaten an dem Ausbau der humanen völkerrechtlichen Institutionen aktiv in unserem Zeitalter ge= nommen hat, ich erinnere z. B. an die Ausbildung des Kolonialrechts, an die Brüsseler Konferenz, die Petersburger Konvention von 1868, an die Entwickelung des internationalen Schußes von Urheberrechten, des internationalen Post- und Gewerbewesens u. s. w. (Vgl. die §§ 51, 62-66 und die Anhänge I-IV.)

Der innere Aufbau der Rechtsinstitute des heutigen geltenden Völkerrechts vollzieht sich auch in dem vorliegenden Werkchen auf der Grundlage des Begriffs der geschüßten Interessen, wie ich denselben bereits in meinem allgemeinen Staatsrechte (in Marquardsen's „Handbuch des öffentlichen Rechts") und in meiner „Encyclopädie und Metho= dologie der Rechtswissenschaft" aufgestellt und durchgeführt habe.

Vielleicht gelingt es diesen Auffassungen, im Verein mit der Positivität und mit der steten Berücksichtigung der nationalen Politik und Gesetzgebung, dem Werkchen Beifall zu verschaffen, welches sich Institutionen des Völkerrechts" nennt, weil es nicht die Ausführlichkeit der Handbücher dieses Rechtszweiges, von denen außer dem vorgenannten „Handbuche des Völkerrechts" hier noch besonders das von Bergbohm überseßte Völkerrecht von v. Martens und die Geff= cen'sche Bearbeitung des Heffter'schen Völkerrechts hervorgehoben sein sollen, besißt, sondern nur eine orientierende einleitende Einweisung in das Völkerrecht bieten möchte.

Gießen, Sommer 1887.

Carl Gareis.

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