Page images
PDF
EPUB

Eine weitere Befugniß, nämlich zu einer thätlichen Cooperation, eröffnet sich, wenn in einem Staate ein innerer Krieg wirklich ausgebrochen ist und ein anderer Staat von dem im Recht befindlichen, aber widerrechtlich bedrängten Theile um Hilfe angerufen wird. Es ist schon das Recht jedes einzelnen Menschen, dem widerrechtlich Gekränkten zu seiner und seines Rechtes Erhaltung beizustehen; es muß auch das Recht der Staaten sein 2). Der Gebrauch darf freilich kein leichtsinniger sein; denn das Urtheil über Recht und Unrecht im einzelnen Fall kann leicht trügen; die HilfeLeistung nimmt zugleich Leben und Vermögen der Unterthanen in Anspruch; es kann die Gefahr und der schlimmste Erfolg auf den Hilfeleistenden selbst zurückfallen. Unter allen Umständen muß die Cooperation in den natürlichen Schranken des Accessorischen bleiben; sie kann nicht aufgedrungen werden, nicht weiter gehen als der Wille der Hauptpartei, und muß aufhören, wenn diese selbst nicht mehr existirt oder sich unterwirft.

Nach diesen Grundsägen unterscheidet sich unter Anderem, in wie fern eine Einmischung in Religionsangelegenheiten eines fremden Staates, namentlich bei religiösen Verfolgungen und Maßregeln der Intoleranz zulässig sei 3). Eben darauf beruhte die Intervention für Griechenland und die Rechtmäßigkeit der Schlacht von Navarin.

1) [G. Von diesem Gesichtspunkt wurde auf dem Pariser Congreß von 1856 die Mißregierung von Neapel zur Sprache gebracht, und als Mahnungen keinen Erfolg hatten, brachen England und Frankreich die diplomatischen Beziehungen ab.]

) [G. Das Recht eines Staates, bei einem Bürgerkriege in einem andern zu interveniren, ist zweifelhaft, so fern der Kampf nicht seine eigene Sicherheit gefährdet oder er nicht von beiden Theilen dazu aufgefordert wird, wo er ebenso gewiß das Recht hat, als ihm keine Verpflichtung obliegt, der Aufforderung Folge zu leisten. In Frage kommt die Intervention in solchen Fällen nur, wo ein Kampf vorliegt, der eine gewisse Gleichheit der Kräfte zeigt, nicht bei einem vorübergehenden Aufstand wie der polnische von 1862, ebenso nicht wo eine Partei ganz außer Stande ist, ihren behaupteten Rechtsanspruch durchzuführen, wie Spanien gegenüber seinen aufständischen Colonien. Dauert dagegen der Kampf noch fort, so ist eine Anerkennung des aufständischen Theiles schon Intervention, wie z. B. die der Nordamerikanischen Colonien durch Frankreich 1770. § 24 Nr. 3.]

9) [G. Eine Intervention zu Gunsten der in einem anderen Staate religiös bedrückten Unterthanen ist grundsäßlich unzulässig; die Kriege des 16. u. 17. Jahrh. zeigen, daß dabei stets eigensüchtige Interessen vorgewaltet haben, die Einmischung Rußland's zu Gunsten der orthodoren Unterthanen Polen's war nur Vorwand; die Interventionen Lesterreich's und Frankreich's zu Gunsten der weltlichen Macht des Papstes 1832 u. 1849 waren unheilbringend. In muselmännischen Staaten liegen allerdings Ausnahmeverhältnisse vor, in so fern der Gegensaß ihrer ganzen rechtlichen und sittlichen Auffassung es unmöglich macht, Christen und Muselmänner unter dasselbe Recht zu stellen, daher die Capitulationen zum Schuß der Unterthanen fremder Nationalitäten. Außerdem versprach die Pforte in Verträgen seit Anfang

des 18. Jahrh. Schuß der christlichen Religion in ihrem Gebiete, aber niemals gestand sie ein Einmischungsrecht anderer Mächte in die Angelegenheiten ihrer Unterthanen zu, der Anspruch, den Rußland 1853 aus dem Vertrage von Kudjuk-Kainardj (1774 Art. 7) auf ein Schußrecht über die orthodoxen Unterthanen der Pforte machte, war deshalb gänzlich unhaltbar. Der Pariser Vertrag von 1856 Art. 9 schloß jedes Interventionsrecht in die inneren Angelegenheiten der Pforte aus. Der Mißregierung derselben gegenüber erwies sich dies indeß als undurchführbar, und der Berliner Vertrag von 1878 hat durch Art. 23. 61. 62 ein umfassendes collectives Interventionsrecht in innere Angelegenheiten der Türkei begründet, wobei es freilich zweifelhaft bleibt, ob dies das richtige Mittel war, den Uebelständen abzuhelfen.]

Specialrechte einzelner Staaten unter einander.

47. Die Befugnisse, welche ein Staat an den anderen, außer den allgemeinen völkerrechtlichen (§ 26), durch gültige Titel (§ 12) erwerben kann, sind theils schon bei Gelegenheit der allgemeinen Rechte der Staaten vorgekommen, theils werden sie noch fernerhin im Sachen, Obligationen- und Actionenrechte ihre Stelle finden. Ein gemeinsames, gesetzliches Erbrecht besteht an sich nicht unter den Europäischen Staaten. Wohl aber kann durch Verträge einer Staatsgewalt die Succession in die Rechte der anderen auf einen gewissen Fall zugesichert und eröffnet werden. Im Mittelalter waren dergleichen vertragsmäßige Beerbungen nichts Seltenes 1), und auch noch in der Folge werden manche Erbverträge aus älterer Zeit ihre Wirksamkeit unter Deutschen Staaten äußern können 2). Ihre Gültigkeit ist nach der Zeit ihrer Entstehung zu beurtheilen; ihre Wirksamkeit aber vielleicht in einzelnen Fällen durch neuere Staatsumwälzungen unmöglich gemacht.

1) So kam im Jahre 1032 das Königreich Burgund (Arelat) an das Deutsche Reich auf Grund eines Erbvertrages von 1016 und 1018. Mascov., de regni Burgund. ortu etc. I, § 10.

2) Hierdurch ist jedoch nicht sowohl den Staaten, als vielmehr den regierenden Familien ein Erbrecht ertheilt. Im Allgemeinen bezeichnet die Deutsche Staatssprache dergleichen Erbverträge durch Erbeinungen (uniones hereditariae), einzelne derselben durch Erbverbrüderungen (confraternitates hereditariae), womit die Annahme des Brudernamens, auch wohl die Vereinigung der beiderseitigen Besigungen zu einem Gesammteigenthum mit eventueller Huldigungspflicht der Unterthanen verbunden war. Man s. Günther II, 106 und Beseler, Vergabungen I, 215 ff.; II, 3, 90. Ueber die noch möglichen Anwartschaften aus solchen Verträgen f. Heinrich Gottlieb Reichard, Monarchie, Landstände und Bundesverfassung in Deutschland. Leipz. 1836 S. 149. 150. Vgl. auch Wiener Congr.-A. 99.

Zweite Abtheilung.

Die Souveräne, ihre persönlichen und Familien-Verhältnisse.

48. Die zweite Kategorie der völkerrechtlichen Personen bilden die Souveräne der Staaten, ihre Familien und unmittelbaren Vertreter 1). Souverän ist die physische und moralische Person, welche die gesammte Staatsgewalt in ihren verschiedenen Verzweigungen vereinigt, und in so fern ein wesentlicher Theil des wirklichen Staates. Auch sein Recht heißt Souveränetät mit einer zweifachen Wirksamkeit, im Innern und außerhalb des eigenen Staates. Sie ist entweder eine volle, unbeschränkte Souveränetät, wie in der absoluten Monarchic, oder eine verfassungsmäßig beschränkte (constitutionelle), oder auch äußerlich nur eine Halbsouveränetät. In Hinsicht auf den Inhaber ist sie ferner entweder eine solidarische, im Alleinbesitz eines Einzigen befindlich, oder sie ist ein gemeinsames Recht Mehrerer, die zu seiner Ausübung entweder gleichmäßig in Collegialweise, oder in gewissen Verhältnissen concurriren 2), oder auch wohl Jeder cs solidarisch auszuüben haben 3).

1) [G. Dies ist zu bestreiten, eben weil der Souverän nur ein Theil des Staates ist, kann er nur Vertreter desselben, nie selbst völkerrechtliches Subject sein, dies ist der Staat allein.]

2) Verhältnisse dieser Art sind selten. Als Beispiel können dienen: die alten Deutschen Gauerbschaften und noch jezt hin und wieder bestehenden Codominate (1. § 65); die gemeinsame Regierung mancher Deutschen Fürstenhäuser für gewisse Angelegenheiten, z. B. der Mecklenburgischen, so wie Herzoglich-Sächsischen Linien, die jüngere Linie Reuß, in einzelnen Beziehungen auch das Haus Lippe. Man f. Klüber, Oeffentl. R. des teutschen B. § 81. Heffter, Beitr. zum Staats- und Fürstenr. S. 311. In Republiken sind noch größere Verschränkungen der Organe der Staatsgewalt bemerkbar, (G. deren Verhältnisse weit wichtiger sind, in der aristokratischen liegt die Souveränetät in einer bestimmten Corporation, in der demokra= tischen im ganzen Volke, wie in den Verein. Staaten und der Schweiz.]

3) Leßteres kann der Fall sein bei der unbedingten Annahme eines Mitregenten (darüber schon J. J. Moser, Staatsr. XXIV, 236), ohne daß der Hauptregent auf fortgejezte Mitregierung verzichtet; bei einer Consularregierung ohne Vertheilung der Functionen. Hier gilt der Grundsatz 1. 25 D. ad municip.: „Magistratus (plures) cum unum magistratum administrent, etiam unius hominis vicem sustinent." S. auch Hert, de plurib. hominib. personam unam sustinentib. in Comm. et Op. III, p. 61. Bis zur Perfection eines Regierungsactes hat dann jeder Mitberechtigte ein Recht der Intercession und des Veto.

Erwerb der Souveränetät im Allgemeinen.

49. Die Erlangung der Souveränetät ist cine legitime, wenn sie ohne Verlegung eines bis dahin gültig gewesenen rechtlichen Zustandes und ohne Widerspruch der daran Betheiligten erfolgt ist; sie ist eine illegitime, usurpirte, wenn sie mit Verlegung früherer Rechte geschah; sie kann aber durch Zustimmung oder gänzliches Erlöschen der früheren Berechtigten eine legitime werden 1). Wo und so lange die Erwerbung, im Besonderen die Legitimität derselben bestritten wird, vertritt die Thatsache des Souveränetätsbesizes auch das Recht dazu, und zwar nicht allein für den eigenen Staat, so weit er jenem Besiz thatsächlich unterworfen ist, sondern auch für auswärtige Staaten, hinsichtlich ihrer Rechtsverhältnisse zu jenem. Auch die illegitime factische Souveränctät sett den bisherigen Staat fort, vertritt ihn und erzeugt ihm Rechte und Verbindlichkeiten für die Zukunft 2), unbeschadet des Postliminium's des legitimen Souveräns. Freilich hat der nicht legitime Souverän gegen fremde Staaten keinen rechtlichen Anspruch auf Anerkennung als legitime Macht und auf die damit verbundenen Befugnisse, oder auf Herstellung und Unterhaltung einer förmlichen völkerrechtlichen Verbindung; andrerseits aber kann auch der legitime Souverän bei einer derartigen Wendung der Verhältnisse den übrigen Staaten alle Vortheile eines gegenseitigen Verkehres mit dem Usurpator nicht untersagen.

Unter allen Umständen gebietet Völkerrecht und Politik, so lange der Streit über die Souveränetät in einem Staate dauert, Beobachtung der strengsten Neutralität von Seiten anderer Staaten; in wie fern aber dabei ein Interventions- oder Cooperationsrecht begründet sein könne, beurtheilt sich nach den schon zuvor (§ 44 f.) dargelegten Grundsäßen. Ein Entscheidungsrecht steht an sich anderen Staaten nicht zu. Sie selbst können jedoch ihrerseits während des Souveränetätsstreites nach eigenem rechtlichen Ermessen hinsichtlich der mehreren Prätendenten handeln, ohne daß die Begünstigung des cinen vor dem anderen als Rechtsverletzung zugerechnet werden mag. Erst mit Eintritt eines bestimmten Besizstandes sind sie thatsächlich bei Verhandlung von Staatsinteressen an den Besitzer gewiesen, ohne daß der Gegenprätendent hierin

eine Beleidigung finden, oder auch seinem Rechte dadurch präjudicirt werden kann 3).

1) Auf diese einfachen Säße läßt sich die Frage von der Legitimität oder Illegitimität der Souveräne vor dem Tribunal des Rechtes zurückführen. Vgl. übrigens unten, Buch II, im Kriegsrecht, Tit. 4 über die Usurpationen. Eine ausführliche Erörterung enthält die Schrift von P. Friedr. Brockhaus, Das Legitimitätsprincip. Leipz. 1868.

[G. In der regelrechten inneren Entwickelung des Staatslebens ist der Anfang der Souveränetät nicht zweifelhaft, es gilt auch im V. R., daß dieselbe keine Lücke erträgt,,,le roi est mort, vive le roi," in demselben Augenblick, wo die Amtsperiode eines gewählten Präsidenten abläuft, tritt sein Nachfolger ein. Bei legalem Uebergang kann kein Staat, der den andern überhaupt als selbständig anerkannt hat, die Anerkennung des neuen Staatsoberhauptes weigern. Ebenso wenig kann ein neuer Souverän dies hinsichtlich eines andern thun, wenn sein Vorgänger diesen anerkannt hat. Anders bei bestrittenem Uebergang durch Revolution, Usurpation u. s. w. Oesterreich, Rußland, Preußen, Bayern weigerten bis 1848 die Anerkennung Isabella's als Königin von Spanien, auch als sie im unbestrittenen Besitz der Herrschaft, ähnlich manche Staaten bis 1866 die Victor Emanuel's als König von Italien. Man kann indeß schwerlich behaupten, daß gänzliches Erlöschen der ursprünglich Berechtigten erforderlich ist, um eine formell usurpirte Souveränetät zu legitimiren, so kann man doch nicht sagen, daß das von allen Mächten anerkannte Haus Hannover in England erst mit dem Tode des leßten Stuart legitim wurde.]

2) Denn es ist noch immer derselbe Staat. § 24. Für Großbritannien ist das Princip ausgesprochen in einer Parlaments acte (2 Henry VII), nämlich im Wesentlichen dahin,,,that he, who is actually King, whether by election or by descent, yet being once King, all acts done by him as King, are lawful and justifiable, as by any King" [G. Niemand socht nach der Restauration die Gültigkeit der von Cromwell geübten Souveränetätsacte an sich an, das von dem Usurpator Gambetta geschlossene Morgan-Anlehen ward anerkannt. Der Kurfürst von Hessen, welcher 1815 nach seiner Rückkehr die Gültigkeit der Regierungsacte der Zwischenherrschaft anfocht, wurde genöthigt hiervon abzusehen. Recht und Besiß sind im V. R. untrennbar verbunden. Die bloße Legitimität reicht nicht aus, wenn sie nicht die Grundlage des leßteren hat.]

3) S. schon oben § 23 und Günther II, 421. Vattel 11, 12, 198. Moser, Vers. I, 185 f. [G. Die conforme Praxis des Römischen Stuhles erhellt aus der Bulle Gregor's XVI. von 1831, welche es als Bedürfniß und alten Gebrauch der Kirche erklärt, daß dieselbe mit denen verhandle „qui actu summa rerum potiuntur," sich aber zugleich dagegen verwahrt, daß darin eine Anerkennung der Rechtmäßigkeit der betreffenden Gewalthaber liege. Vgl. ferner die Depesche Bismarck's an J. Favre v. 16. Jan. 1871, welche für die völkerrechtliche Anerkennung des Gouvernement de la défense nationale die Anerkennung der Französischen Nation forderte.]

Erwerbungsarten.

50. Die Souveränetät oder Hoheitsgewalt über einen Staat ist keine substanzielle Macht, welche an und für sich einem Gliede der Staatsgemeinde oder dieser selbst in ihrem Ganzen beiwohnt 1); sie ist eine Gewalt, deren organische Erscheinung und Bedeutung das Product an Thatsachen und Willensacten ist, wodurch sie der Verfügung einer oder mehrerer Personen in Gemeinschaft unterworfen

« PreviousContinue »