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hoffe, und betont, wie schwierig es oft sei, die nöthigen Beweise für das im Ausland begangene Verbrechen in England beizubringen. Demzufolge hat England dem naturalisirten Engländer Tourville, der im dringenden Verdacht stand, seine Frau in Oesterreich ermordet zu haben, ausgeliefert und hat sich in seinem Vertrag von 1881 mit der Schweiz verpflichtet alle Personen auszuliefern, obwohl die Schweiz dies für ihre Angehörigen nicht thut. Ohne so weit zu gehen, kann man wünschen, daß die Auslieferung der Inländer nicht unbedingt ausgeschlossen sei.]

7) Aeltere Publicisten haben öfters eine solche Verbindlichkeit behauptet, z. B. Groot, Vatel. Aber die neuere Doctrin ist überwiegend dagegen, wie die Praxis. Die andere extreme Ansicht, daß nie ausgeliefert werden dürfe, so z. B. von PinheiroFerreira, hat sich bisher keinen Eingang verschaffen können.

[G. Widerspricht auch dem Princip der internationalen Gemeinschaft. Allerdings besteht nicht ohne Weiteres Auslieferungspflicht, allein selten entziehen sich heute noch Regierungen bei unbezweifelt vorliegenden gemeinen Verbrechen der Auslieferung, denn es ist ein gemeinsames internationales Interesse, daß kein Verbrechen unbestraft bleibe und das Asylrecht nicht mißbraucht werde. Treffend bemerkte Rouher 1866: „Le principe de l'extradition est le principe de la solidarité, de la sûreté réciproque des gouvernements et des peuples contre l'ubiquité du mal." So lieferte 1873 die Schweiz den Mörder Netschajew aus, obwohl sie keinen Vertrag mit Rußland hatte. Der Bericht der Engl. Commission von 1878 empfahl die Gegenseitigkeit nicht zur Bedingung zu machen; der oberste Gerichtshof zu St. Jago entschied am 29. Mai 1882, daß der Flüchtling Sachs an Deutschland ausgeliefert werde, in Ansehung, daß der Mangel eines Auslieferungsvertrages kein Hinderniß sein darf, da solche Verträge nur die gegenseitigen Rechte und Pflichten genauer bestimmen, welche schon kraft der freundlichen Beziehungen und der eigenen Bedürfnisse unter den Nationen bestehen“. Nichtsdestoweniger bleibt der Abschluß eines allgemeinen Vertrages sehr wünschenswerth, wofür der Bericht von v. Liszt auf dem Deutschen Juristentag v. 13. Sept. 1882 werthvollen Anhalt giebt.]

9) [G. Die Zahl der namhaft gemachten Verbrechen ist stark erweitert. Als solche gelten durchweg Mord, Mordversuch, Todtschlag, Brandstiftung, Nothzucht, Kinderraub, Fälschung, Raub, Diebstahl, Einbruch, Unterschlagung, Betrug, betrügerischer Bankerott, Veruntreuung, Entführung, vorsätzliche Zerstörung eines Schiffes auf hoher See, Meuterei.]

9) Auslieferung wegen politischer Vergehen behandeln: Coninch-Liefsting, Mémoire sur le principe: pas d'extradition pour les délits politiques. 1875. Teichmann, Les délits politiques, le régicide et l'extradition. Rev. de dr. int. XI, p. 479. Orforder Beschlüsse des Inst. de dr. intern. Sept. 1880. Lammasch, Das Recht der Auslieferung wegen polit. Verbrechen. 1884. Report from the Royal Commission on Extradition. 1878.

[G. Die ältesten Auslieferungsverträge waren gerade politischer Natur, so 1303 zwischen England und Frankreich, 1461 England und Flandern, 1661 Karl II. und Dänemark. Noch 1820 schloß die Schweiz mit Baden, 1828 mit Desterreich Verträge über Auslieferung wegen Hochverrath und Aufruhr. Heute findet durchweg Auslieferung bei politischen Verbrechen nicht statt. Der Grund ist, daß der Thäter hier zwar unternimmt, seinen Willen eigenmächtig an die Stelle der competenten Organe zu sehen, aber nicht nothwendig damit einen gemeinen verbrecherischen Willen kundgiebt, es vielmehr für dritte Staaten zweifelhaft sein kann, ob die Bestrafung, welche ihn im Heimathsstaat erwartet, im internationalen Interesse ist. Schon die Strafe ist in den verschiedenen Staaten sehr verschieden, dazu üben die besonderen Zustände eines Staates und die Parteileidenschaften großen Einfluß. Nicht so einfach aber ist zu bestimmen, was im einzelnen Falle ein politisches Verbrechen ist, im Allgemeinen wird man sagen können, daß ein solches nicht den Erfolg bezweckt, der bei seiner Beurtheilung als gemeines Verbrechen entscheidend wäre, sondern darüber hinausgehend, die Ausführung oder Vorbereitung eines rechtswidrigen Angriffs gegen einen Staat und seine Institutionen anstrebt. Cb dies vorliegt, kann nur die ersuchte Regierung entscheiden. Indeß fordert die Gerechtigkeit, daß die Auslieferung erfolge, Heffter, Völkerrecht. 8. Ausg.

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wenn der requirirte Staat anerkennen muß, daß nach seinen Geseßen ein gemeines Verbrechen vorliegt. Es ist widerssinnig, einen Mörder auszuliefern, der einen Bürger getötet, und die Auslieferung dessen zu weigern, der einen Souverän ermordet. Seit dem Belgisch - Französ. Vertrag v. 22. Sept. 1856 ist in vielen Verträgen ausdrücklich vorgesehen, daß Mord, Vergiftung und Versuch dazu gegen einen Souverän oder ein Mitglied seiner Familie nicht als politische Verbrechen gelten. Nur England, Italien und die Schweiz haben bis jezt abgelehnt diese Clausel anzunehmen." Sie scheint indeß wohlbegründet, es kann damit kein Flüchtling getroffen werden, der blos an einem Aufstand theilgenommen, in dem Menschen das Leben verloren, denn bei einem solchen kann zwar getötet werden, muß aber keineswegs gemordet werden, und es kann nicht als zutreffend anerkannt werden, wenn v. Holzendorff sagt, daß auch der als Mörder zu bestrafen sei, der im Bürgerkrieg im offenen Gefecht und mit Ueberlegung den commandirenden Monarchen zu töten suchte. Weit über diese Clausel hinaus, aber nicht zu billigen ist es, wenn die Verträge Rußland's mit Preußen v. 13. Januar 1885 und mit Bayern v. 1. Oktober 1885 nicht blos meutre und assassinat und deren Versuch gegen die genannten Personen, sondern auch Körperverlegungen, Thätlichkeiten, vorsätzliche Beraubung der persönlichen Freiheit und Beleidigungen gegen dieselben, endlich sogar die rechtswidrige Herstellung oder den rechtswidrigen Besiß von Sprengstoffen als der Auslieferung unterliegend bezeichnen. Andrerseits ist es gewiß wünschenswerth, den Thatbestand nicht auf Mord und Mordversuch zu beschränken, sondern mit dem Inst. de dr. intern. (Orforder Beschl. vom Sept. 1880 14a) zu sagen: „Handlungen, welche alle Eigenschaften gemeiner Verbrechen an sich tragen (Mord, Brandstiftung und Raub), begründen blos wegen der politischen Absicht ihrer Urheber keine Ausnahme von der Auslieferung."

So lieferte Belgien den Communard Bignon, der, abgesehen von seiner Theilnahme an dem Aufstand, in demselben gestohlen hatte, unter der Bedingung aus, daß er lediglich für diese That durch ein ordentliches Gericht abgeurtheilt werde.

In dem Fall Hartmann begründete die Französische Regierung ihre Weigerung der Auslieferung, wenigstens formell, nicht darauf, daß sie keinen Auslieferungsvertrag mit Rußland habe, sondern daß die Identität Hartmann's nicht constatirt sei.]

10) [G. In Frankreich thut dies allein die Regierung ohne Mitwirkung der Gerichte, in England und den Vereinigten Staaten sind umgekehrt allein die Gerichte competent. In der Schweiz verfügt die Executive die Verhaftung; wenn der Betreffende behauptet, dieselbe sei rechtswidrig, entscheidet das Bundesgericht, andere Staaten haben ähnliche Modalitäten. Stets haben die beglaubigten Actenstücke des ersuchenden Staates Beweiskraft.

Für desertirte Matrosen findet summarische Auslieferung ohne diplomatisches Ansuchen statt.]

63 a. Will ein Staat Flüchtlingen und insonderheit politischen Flüchtlingen eine Freistätte gewähren, so kann solches gemäß den allgemeinen gesellschaftlichen Verpflichtungen wider andere befreundete Staaten nur unter der Bedingung geschehen, daß die Flüchtlinge ihren Aufenthalt nicht etwa zu feindlichen oder verbrecherischen Unternehmungen gegen ihren zeitherigen oder auch gegen einen dritten Staat benutzen. Die betreffende Regierung ist deshalb so berechtigt als verpflichtet, Maßregeln zu treffen, welche einer derartigen Gefahr vorbeugen. Sie kann besonders den Flüchtlingen den Aufenthalt in Grenzorten untersagen und ihnen vielmehr einen solchen

im Innern des Landes anweisen (Interni rung). Sie darf nach Umständen, bei gefährlichen Symptomen, eine polizeiliche Ueberwachung einzelner Individuen anordnen; sie kann endlich gegen einzelne Subjecte zur Ausweisung schreiten. Kleinere Staaten, denen es an sonstigen Mitteln gebricht, werden allerdings nur das lettere anwenden können. Andrerseits muß es aber auch jeder Staatsregierung zustehen, bei einzelnen Subjecten mildere Maßregeln eintreten und sich an materiellen und moralischen Sicherheitsleistungen genügen zu lassen. Sic darf ihnen sogar Bürgerrecht oder Naturalisation zu Theil werden lassen und sie dadurch ganz unter den Schuß, wie unter die Schärfe ihrer Geseze stellen. Ueberhaupt kann hier positiv von einem anderen Staate nichts verlangt werden. Der Schußstaat hat jedenfalls nur den billigen Reclamationen auswärtiger Regierungen Gehör zu geben, sie zu prüfen und danach seine Maßregeln zu ergreifen. Verantwortlich macht er sich erst dann, wenn er zu feindlichen Unternehmungen, Agitationen und Friedensstörungen der Flüchtlinge connivirt oder wohl gar dieselben begünstigt und dadurch befreundete Staaten in Unruhe bringt oder unterhält 1).

1) [G. Die Ausrede unzureichender Mittel entschuldigt nicht, jeder Staat muß sorgen, daß seine Mittel ausreichend seien, internationalen Pflichten gerecht zu werden. Dieselben gehen sowohl dahin, Verleßungen vorzubeugen, als solche, wenn sie vorkommen, zu strafen. So unterdrückte 1878 die Schweiz das Blatt "L'avantgarde, organe anarchiste", das den Königsmord vertheidigte, und eine englische Jury verurtheilte den Herausgeber der „Freiheit“: Most, „da eine in England erfolgte Veröffentlichung, welche bezwecke, zum Morde von Souveränen auswärtiger Staaten oder anderer Personen aufzureizen, ein streng zu bestrafendes Verbrechen sei." Andrerseits beschränkt sich die Pflicht des Aufenthaltsstaates auf die Handhabung der eigenen Rechtsordnung. Es kann von ihm nur gefordert werden, daß er gegen solche Verletzungen des Asylrechtes einschreitet, die er bei seinen Angehörigen als rechtswidrige Handlungen hindert und straft. Ob er es für nothwendig erachtet, zur Wahrung dieser Pflicht die aufgenommenen Flüchtlinge ausnahmsweisen Beschränkungen zu unterwerfen, hat er zu entscheiden, und dies hängt sowohl von seinen Institutionen als von den Umständen ab. Die Frage ist eine andere, wenn Flüchtlinge sich in einem Nachbarstaate und in großer Menge befinden, wie z. B. 1850 die Ungarn in der Türkei, als wenn nur einzelne Jtlaiener oder Deutsche in London waren. Es kommt ferner darauf an, worin die Verlegung besteht, Desterreich war berechtigt sich darüber zu beschweren, daß Mazzini mit falschen Englischen Pässen nach Lugano reiste, um von dort aus in der Lombardei einen Aufstand anzuzetteln, unberechtigt dagegen war es, wenn Frankreich 1856 eine Beschränkung der Belgischen Preßfreiheit verlangte, weil die Französischen Flüchtlinge diese gegen das Kaiserthum brauchten. Das Belgische Gesez von 1868 kündigt das Asylrecht dem Flüchtling, ,qui par sa conduite compromet la tranquillité publique“. Das Rumänische von 1881 droht in solchem Fall Internirung oder Ausweisung.]

Zweiter Abschnitt.

Recht der Sachen.

Arten derselben.

64. Auch in völkerrechtlicher Hinsicht sind die Sachen, d. i. die Gegenstände der Rechte entweder körperliche oder unkörperliche, und jene theils unbeweglich, theils beweglich. Ferner sind sie entweder im Eigenthume eines bestimmten Staates, oder sie sind dieses nicht (res nullius), und dann bald eigenthumsfähig, nur für jezt herrenlos (adespota), bald solche, die sich in Niemandes Eigenthum befinden, wohl aber zum gemeinsamen Gebrauch oder Nußen vorübergehend dienen (res communes). Alles kommt hierbei auf den richtigen Begriff des internationalen Staats-Eigenthums1) an. Wir verstehen darunter diejenige Herrschaft, welche eine Staatsgewalt über bestimmte Sachen 2) in ihrem Bereiche mit Ausschließung jeder auswärtigen Gewalt ausüben und vermöge deren sie unabhängig nach eigener Macht dem inneren Staatsrecht gemäß darüber verfügen kann. Ein solches völkerrechtliches Eigenthum hat nur im Verhältnisse zu anderen Staaten denselben Charakter, wie das Privateigenthum, nämlich den Charakter der Ausschließlichkeit und freien Verfügung. Unter seinem Schuße steht in den einzelnen Staaten das Privateigenthum, nicht aber zur unbedingten Disposition der Staatsgewalten, wofern es nicht von lehteren mit diesem Vorbehalte übertragen ist, oder die Nothwendigkeit es erheischt. Omnia rex imperio possidet, singuli dominio 3). Ja, der Staat selbst so wie der Souverän kann Privateigenthum haben und erwerben, und zwar nicht blos inländisches, sondern auch ausländisches in fremden Staatsgebieten, welches sich aber dann der Herrschaft der auswärtigen Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit nicht entziehen läßt, wofern nicht in dieser Hinsicht besondere Berechtigungen, z. B. Staatsservituten, erworben werden. Dergleichen ausländisches Eigenthum ist, falls es nicht zum Familiengut der landesherrlichen Familie gehört ), ein wirkliches Pertinenzstück des eigenthumsberechtigten Staates. Kein Staat ist indessen die Erwerbung von Grundeigenthum in seinem Gebiet anderen Staaten oder deren Souveränen. zu gestatten schuldig, ja es kann auf Veräußerung des etwa schon

von ihnen Erworbenen gedrungen werden, wenn dadurch die Unabhängigkeit gefährdet oder die Verfassung des Landes zerstört werden könnte 5).

1) [G. E. Ortolan, des moyens d'acquérir le domaine national. 1851.] 2) Personen können in freien Staaten wenigstens in keinerlei Eigenthum sein. § 14 a. E. Groot II, 9, 1.

3) Seneca, orat. 31. Die Dispositionsrechte der Staatsgewalt über das Privateigenthum haben die Publicisten ein dominium eminens genannt. Schriften in Pütter, Lit. des Staatsr. III, 378. S. auch Vattel I, 20, 235. 244. II, 7, 81. Calvo, Livre IV, p. 134-36. [G. Wohl zu unterscheiden ist das imperium von dem feudalen Obereigenthum.]

4) Hierauf bezieht sich vorzüglich: Schmelzer in der schon angef. Schrift: Das Verhältniß auswärtiger Kammergüter. Halle 1819. S. 48 f. 179 f.

5) Beschränkende Verordnungen u. Maßregeln bestehen in einzelnen _Staaten, B. im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin. S. übrigens Klüber, Dr. d. g.

124. 128.

Das Staatsgebiet.

65. Hauptgegenstand des völkerrechtlichen Staats- Eigenthumes ist das Territorium oder das ausschließliche Gebiet jedes Einzelstaates, innerhalb derjenigen Grenzen, welche ihn von anderen Staaten scheiden 1). Ob dasselbe ein in sich völlig zusammenhängendes oder zerstückeltes, vielleicht von anderen Staaten ganz umschlossenes ist, ändert nichts an der Unabhängigkeit und an den Rechten der Staatsgewalt. Auch kann ein Staat ein oder mehrere von ihm abhängige Staatsgebiete (territoria subordinata) selbst mit eigenen Unterlandesherren oder bevorrechteten Grundherren in sich schließen, welche dann aber auswärtigen Mächten gegenüber nur als Theile des Hauptgebietes (territorium principale) anzusehen sind 2). Einzelne Gebiete können überdies der Hoheit mehrerer Staatsgewalten unterworfen sein 3) (Condominate).

[G. Grundsäglich unabhängig ist das Staatsgebiet von der Nationalität seiner Bewohner 4).]

1) Dig. de V. S. v. Holzendorff, Handb. II § 45. v. Martens § 88. Phillimore I, p. 150 .,,Des peuples qui n'auraient point de territoire fixe ne se livreraient pas, sur un sol qu'ils devraient abandonner bientôt, à des améliorations dont ils ne devraient pas profiter. Par son établissement, par son séjour, par son action quotidienne sur une terre, une nation se l'assimile et s'identifie en quelque sorte avec cette terre, elle en prend le nom ou elle lui donne le sien." (Ortolan § 10.) [G. v. Holzendorff bemerkt, daß in dem Worte Gebiet ein Hinweis auf das Recht und die Macht des Befehlens über einen bestimmten Grund und Boden liegt, während Territorium nur die ört

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