Page images
PDF
EPUB

so ist wohl nicht zu leugnen, daß ein einzelnes mächtiges Volk oder mehrere in Gemeinschaft im Stande sein würden, allen übrigen die Mitbenuzung eines bestimmten Meeres, ja selbst des sog. großen Weltmeeres zu verschließen, oder doch dieselben bei der Mitbenuzung von dem Willen des herrschenden Theiles abhängig zu machen. Allein abgesehen von den endlosen Schwierigkeiten, womit eine alleinige oder Oberherrschaft zu kämpfen haben würde, die zu besiegen wohl bisher noch kein einziges Volk der Erde bei ernstem Gegenstreben der übrigen vermocht hätte, müßte jene Herrschaft gewiß allezeit als eine rechtlose erscheinen, da sie der Freiheit und Bestimmung des Menschengeschlechtes zuwider läuft, mit welcher Milde sie auch immer ausgeübt werden möchte. Das Gesetz des Meeres und seiner Benußung wäre nämlich ein allen übrigen Menschen außer der herrschenden Nation wider Willen aufge= drungenes, rücksichtlich eines Elementes, welches den einzig möglichen Verbindungsweg unter den dadurch ganz getrennten, bewohnten und bewohnbaren Erdtheilen darbietet, folglich auch nicht der freien Bewegung verschlossen werden darf; welches ferner in seiner sich stets bewegenden Substanz und in dem Inhalte derselben an Fischen, Fossilien und dergl. einen reichen Naturschaß zu einer gleichartigen Benuzung für alle Menschen enthält, woran kaum für gewisse Districte durch Titanenarbeit eine ausschließende Verfügung erlangt werden könnte. Da nun an und für sich kein Mensch in der natürlichen Herrschaft eines anderen steht, sobald er sich zur sittlichen Selbständigkeit des Willens erhoben hat, so wird auch das Gesetz eines einzelnen Volkes über eine gemeinsame Sache Aller kein verbindliches Gesetz für die Uebrigen ohne deren freie Annahme sein, vielmehr zu jeder Zeit und mit allen Mitteln bekämpft werden dürfen. Zu allen Zeiten hat sich auch ein Widerspruch dagegen erhoben; es giebt daher nach positivem Europäischen Völkerrecht durchaus keine geschliche Oberherrschaft über das Weltmeer oder dessen einzelne Theile, so fern sie nur irgend einzelnen Völkern und Individuen zugänglich und nicht entgegenstehende Zugeständnisse 2) ausdrücklich oder stillschweigend gemacht sind, wozu im Besonderen bei einzelnen Wassergebieten der gemeinsame Nußen führen kann, indem man die Schifffahrts- und Handels- Interessen unter den regulatorischen Schuß des nächstgelegenen Küstenstaates stellt und ihm eine gewisse Gesetzgebung und Polizeigewalt, oder auch noch

größere Rechte, so wie gewisse Nuzungen gestattet, dafür aber den Vortheil einer desto ungchinderteren Benußung der Gewässer genießt. Außerdem fließen gewisse Staatenrechte über bestimmte Theile des Wassergebietes ganz von selbst aus der Befugniß der Selbsterhaltung (§ 75. 76).

Dagegen ist die privative Erwerbung eines auch noch so kleinen Theiles des großen gemeinsamen Meergebietes für einen Staat oder dessen Angehörige im Wege der Occupation als rechtlich unmöglich anzusehen. Selbst die Einpferchung eines bestimmten Meergebietes durch Schuß- und Abwehr-Anstalten aller Art würde immer nur einen factischen Zustand begründen, der ohne deutliches Zugeständniß anderer Nationen kein Eigenthum geben, vielmehr mit dem Verfalle jener Anstalten von selbst wieder aufhören würde. Sogar ein unvordenklicher Besißstand, wenn er nicht als ein freiwilliges Zugeständniß anderer Nationen deutlich zu erkennen ist, vermag keine ausschließlichen Befugnisse bei solchen res merae facultatis zu ertheilen ). Außerdem bleibt noch hinsichts der geschlossenen oder Souveränetätsgewässer einzelner Staaten ein Anspruch der anderen auf einen unschädlichen Gebrauch zu erlaubtem Verkehre (8 37) vorbehalten.

1) Stoerk, 1. c. § 92.

2) G. Die Eigenthumsunfähigkeit und das daraus folgende Nichtunterworfensein des Meeres unter das Geseß eines Staates sind unbestritten, was aber die Begründung dieses Princips betrifft, so ist Stoerk zwar zuzugeben, daß H.'s Hinweis auf die Nothwendigkeit gemeinsamer Ausbeutung der Naturschäße des Meeres nicht zutreffend ist, das aber von ihm gleichfalls beanstandete Motiv H's., daß das Meer das nothwendigste verbindende Element zwischen verschiedenen Ländern ist, wird doch das zutreffendste bleiben. Man hat, wie v. Martens bemerkt, das Meer für eigen= thumsunfähig erklärt, nicht weil es an sich unmöglich wäre umfassende Theile desselben zu occupiren; die Einwendungen Hautefeuille's wegen der Ausdehnung, Flüssigkeit, Unmöglichkeit Anker zu werfen u. s. w. beweisen nichts und würden theilweise auch gegen das Küstenmeer gehen, es kommt auf die Möglichkeit an, Andere auszuschließen; thatsächlich beherrschte England dasselbe von 1807-12, wo es keine Flotte neben der feinigen gab, die Barbaresken machten die Schifffahrt auf dem Mittelmeer tributpflichtig, und andrerseits haben Staaten vertragsmäßig auf die Freiheit des Meeres verzichtet, so Persien gegen Athen, Rom gegen Karthago, Antiochus gegen Rom, Desterreich 1726 gegen England und Holland, weshalb Groot II, cap. 3 § 15 mit Recht sagt: „Possunt enim ut singuli, ita et populi pactis, non tantum de jure quod proprie sibi competit, sed et de eo quod cum omnibus hominibus commune habent, in gratiam ejus cujus id interest decedere." Wenn dies finguläre Ausnahmen sind, die heute nicht mehr vorkommen werden, so liegt dies darin, daß die Freiheit des Meeres unbedingt nothwendig für Alle ist, es soll Niemand über dasselbe Hoheitsrechte üben, während bei der Wüste es Niemand will, weil es unnüß wäre.]

2) Vattel I, 23, § 285. 286. Nicht ganz übereinstimmend scheint Wheaton,

Intern. L. II, § 10 a. E. in Betreff eines hier zulässigen tacitus consensus. S. indessen auch Hautefeuille I, 43 und Phillimore I, 247. [G. Aus dieser Freiheit des Meeres folgt nicht nur die des Verkehrs und des Fischfanges, sondern auch, daß auf hoher See im Frieden jedes Schiff nur unter der Jurisdiction seines Heimathsstaates steht, mit Ausnahme der Seeräuber. Dies schließt vertragsmäßige Bestimmungen über gewisse Verhältnisse auf hoher See nicht aus, wie z. B. die Verträge über Unterdrückung des Sklavenhandels, welche für bestimmte Seegebiete ein Mandat der Durchsuchung gewähren, und der Vertrag Deutschland's Belgien's, Dänemark's, Frankreich's, Großbritannieu's und Niederlande v. 6. Mai 1882 betr. die Regelung der Fischerei-Polizei in der Nordsee außerhalb der Küstengewässer, wobei die nationale Jurisdiction über die betr. Schiffe festgehalten ist, die Kreuzer der contrahirenden Parteien dürfen nur Verlegungen der Vertragsvorschriften constatiren und sich von dem betr. Fahrzeug seinen Seepaß zeigen lassen. (Art. 38. 39.)]

Küstengewässer.1)

75. Ein unmittelbares Interesse und Recht haben unbestreitbar alle Küstenstaaten, zur Sicherstellung ihres Landgebietes gegen unerwartete Ueberfälle, so wie zur Aufrechthaltung ihres Handels-, Steuer- und Verkehrsystemes nicht nur jede Annäherung von der Seeseite her zu beobachten, sondern auch Anstalten zu treffen, daß das Staatsgebiet von Niemand betreten werde, dem die Aufnahme darin verweigert werden kann 2), so wie daß die hierzu erforderlichen Bedingungen erfüllt werden. Jeder Staat darf daher auch, wenn er nicht durch entgegenstehende Verträge gebunden ist, eine eigene Küstenbewachung und Küstenpolizei einrichten und nach den be= sonderen Verhältnissen der Küste so wie der Gewässer die erforderliche Ausdehnung bestimmen, wobei Kanonenschußweite 3) vom Uferrande aus1) als allgemein zugestandene Linie gelten darf, deren Ueberschreitung allerdings durch besondere Umstände gerechtfertigt wird 5). Jeder Fremde, der in den Bereich dieser Seegrenze kommt, ist demnächst verbunden, sich den vom Uferstaate getroffenen Einrichtungen zu fügen, er mag durch Zufall oder absichtlich dahin gelangt sein. Zu den unzweifelhaften Befugnissen gehört hierbei auf Seiten des Küstenstaates:

das Recht, über den Zweck der Annäherung Auskunft zu
verlangen und im Falle ihrer Verweigerung oder bei
entstehendem Verdachte einer Unrichtigkeit sich unmittel-
bar Kenntniß von dem Zwecke zu verschaffen, auch ge-
eignete Maßregeln gegen Gefahren zu ergreifen;
das Recht, Friedensstörungen in diesen Gewässern zu ver-
hindern und dagegen factisch zu interveniren;

das Recht, die Benuzung der Küstengewässer, z. B. in

Betreff der verschiedenen Arten der Fischerei zu reguliren, oder dieselbe allein auszuüben ®);

das Recht des Embargo (§ 112) und die Aufstellung von Kreuzern gegen den Schleichhandel;

die Ausübung der Gerichtsbarkeit 7).

Dagegen kann ein bloßes Hereinkommen in diese Polizeigrenze noch kein Besteuerungsrecht von Seiten des Küstenstaates begründen, sondern höchstens eine Abgabenpflicht für die Benuzung von Anstalten zum Vortheil der Schifffahrt oder der daselbst gestatteten Fischerei.

1) Hautefeuille I, 51. Calvo § 229 sqq.

3) Nam quod quisque propter defensionem sui fecerit, iure fecisse videtur. et J. Vgl. Vattel I, 23, § 288.

[G. Der Ausdruck Küstengewässer (territorial waters) zeigt, daß es sich bei diesem Theil der See um Staatsgebiet handelt, das von der See bedeckt ist.]

3) Groot, Bynkershoek, Galiani und Klüber, so wie die Reglements und Geseße vieler Staaten stimmen darin überein. S. die Nachweisung bei Tellegen p. 46. Ortolan, Règl. intern. I, 176. Hautefeuille I, 57. Vertrag zwischen Frankreich und Rußland v. 11. Jan. 1787 Art. 28, zwischen England und Nordamerika v. 1794 Art. 25. Ueber die Entstehung dieser Lehre und Praris vgl. Tellegen p. 11. 35. Von Italienischen Rechtslehrern ward zuerst eine Entfernung von 100 (Jtal.) Meilen angenommen. Tellegen p. 14. So auch von Don Abreu, Tratado sopra las prisas maritimas. Čadix 1746. Bei Bodinus, de republ. I, 9 ist von 60 Meilen die Rede, wenn hier kein Druckfehler zum Grunde liegt. Tellegen p. 15. Der Saß der Neueren ist: terrae dominium finitur, ubi finitur armorum vis, oder quousque mari e terra imperari potest.

4) Tellegen p. 49. Ein Vertrag zwischen England und Frankreich v. 2. August 1839 wegen der Canalfischerei nimmt die Ebbezeit als Norm.

[G. Der Grund dieser Regel ist, daß obwohl die Grenze des Küstengewässers der Natur der Sache nach nur eine ideelle Linie sein kann, sie doch so gezogen sein muß, daß an diesem Theil der See vom Lande aus ein Besiß, der ja die Grundlage der Gebietshoheit ist, aufrecht erhalten werden kann. Obwohl aber jezt bei der großen Tragweite der Geschüße dies eine unbestimmte Größe ist, haben die meisten neueren Staatsverträge die Entfernung von 3 Seemeilen von dem äußersten Punkte der Ebbe beibehalten, welche man früher als Kanonenschußzweite betrachtete (s. Art. I des Vertrags v. 11. Nov. 1867 zwischen Frankreich und England, Nordseefischereivertrag v. 2. Nov. 1882), und die Britische Territorial-Waters Act ist dem sub 6) bei= getreten:,,within one marine league (= ca. 3 Seemeilen) of the coast measured from low-water mark".]

*) Z. B. Zollbewachung und Quarantaine. [G. So nahm England durch die jog. Hoverings Acts das Recht in Anspruch, durch seine Zollkreuzer innerhalb 12 Seemeilen alle nach Britischen Häfen segelnden Schiffe anzuhalten. Dies ist aufgehoben und die Customs Consolidation Act von 1876 beschränkt das Anhalte= recht bei fremden Schiffen auf 3 Meilen.]

) [G. Während die Fischerei auf hoher See, abgesehen von besonderen vertragsmäßigen Verabredungen, wie der § 63 Note 3 G erwähnte Vertrag über die Polizei in der Nordsee v. 6. Mai 1882, allen Nationen freisteht, ist dieselbe im Küstengewässer den Staatsangehörigen vorbehalten, so weit nicht ausdrückliche Ausnahmen gemacht sind, so z. B. die Verträge zwischen England und Frankreich

von 1833 und 1867, Art. 2 des Vertrags v. 2. Mai 1882 zwischen Deutschland, Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Niederlande: „Die Fischer jeder Nation sollen das ausschließliche Recht zum Betriebe der Fischerei haben in Sem Gebiete bis zu drei Seemeilen Entfernung von der Niedrigwassergrenze, in der ganzen Längenausdehnung der Küsten ihres Landes und der davor liegenden Inseln und Bänke. In den Buchten ist das Gebiet der 3 Seemeilen von einer geraden Linie ab zu rechnen, welche in dem dem Eingang der Bucht zunächst gelegenen Theile von einem Ufer derselben zum anderen da gezogen gedacht wird, wo die Oeffnung zuerst nicht mehr als 10 Seemeilen beträgt. Der gegenwärtige Artikel soll die den Fischerfahrzeugen bei der Schifffahrt und beim Ankern in den Küstengewässern eingeräumte frete Bewegung in keiner Weise beschränken, nur haben sich dieselben hierbei genau nach den von den Uferstaaten erlassenen besonderen polizeilichen Vorschriften zu richten.“ Die Ausnahmen haben zu viel Streit Anlaß gegeben, vor Allem in Britisch-Nordamerika. Art. 3 des Vertrages v. 30. Nov. 1783 gestand bei Anerkennung der Verein. Staaten deren Angehörigen zu, „daß sie fortfahren sollten unbehindert in Neufundland, dem St. Lorenz-Busen und anderen Pläßen zu fischen, wo die Bewohner beider Länder dies sonst je zuvor zu thun gewohnt waren". Diese Bestimmung wurde nach dem 1812 ausgebrochenen Kriege in dem Genter Frieden v. 12. Dec. 1814 nicht wieder hergestellt, vielmehr verzichteten im Art. 1 des Vertrages von 1818 die Verein. Staaten ausdrücklich auf das Fischereirecht mit Ausnahme gewisser Strecken an den Küsten von Neufundland und Labrador. 1854 wurde durch Vertrag das Recht, mit Ausnahme von Schellfisch, wieder gewährt, und nach dessen 1866 erfolgter Aufhebung durch den Vertrag von Washington_von 1871 wiederhergestellt, wofür die Verein. Staaten nach Schiedsspruch / Mill. Doll. zahlten, sie fündigten aber diese Bestimmung am 1. Juli 1883, so daß der Vertrag von 1818 wieder in Wirksamkeit trat. Gleichwohl führen die Amerikaner fort in canadischen Häfen Köder zu kaufen und Fische zu verkaufen, indem sie sich nur mit einem Certifikat ihrer Behörde versahen, welche sie zum Handel ermächtigte, worauf Canada die Wegnahme fremder Fischerboote durch ein Gesez verfügte, was großen Unwillen in den Verein. Staaten erregte. Eine gemeinsame Commission_beider Regierungen zur Regelung der Frage ist eingesezt. An Frankreich hatte England durch Art. 13 des Utrechter Vertrags 1717 und Art. 5 des Vertrags von 1763 das Fischereirecht an gewissen Küstenstrecken Neufundlands zugestanden. Nur geschichtlich von Interesse ist, daß Dänemark früher sich anmaßte, die Fischerei an den Grönländischen Küsten bis 15 Meilen anderen Nationen zu verbieten.]

[G. In dem Fall der „Franconia", die im englischen Küstengewässer ein englisches Schiff gerannt hatte, erklärte sich allerdings das Appellationsgericht incompetent, weil die Gesetzgebung nicht ausdrücklich die Competenz englischer Gerichtshöfe für Criminalfälle festgestellt hatte, wozu sie unzweifelhaft berechtigt. Dies geschah durch die erwähnte Acte von 1878.

Das Hoheitsrecht über das Küstengewässer ist aber kein absolutes, wie über das Landgebiet, denn es bleibt doch ein Theil der See; es kann zwar aus speciellen Gründen in einzelnen Theilen der Durchfahrt von Kriegsschiffen verschlossen werden, ohne solche aber unterliegt es dem Wegerecht anderer Nationen, und es war nicht zutreffend, wenn der Lordkanzler bei Einbringung der Territorial-Waters Bill von 1873 allgemein von dem,,right of passage over that part allowed to foreign ships" sprach. Wenn er richtig sagte, daß solche Schiffe sich jeder Verlegung der Rechte des Küstenstaates enthalten sollten, so steht doch nicht Alles, was auf dem das Küstengewässer durchschneidenden Schiff vorfällt, unter der Hoheit des Küstenstaates, so ist nicht ein auf ersterem geborenes Kind Unterthan des leßteren.]

Geschlossene Meeresgewässer 1).

76. Aus der Souveränetät über das Küstenwasser folgt ohne Weiteres auch die Souveränctät über die dadurch gedeckten oder

« PreviousContinue »