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Aufstellung rechtswidriger Principien gegen alle und Durchsehung derselben gegen Einen;

Beunruhigung und Störung des gemeinsamen Verkehrs auf offenen Land- und Seestraßen.

Eine Art hiervon ist Seeräuberei (Piraterie), bestehend in gewaltsamer Anhaltung und Wegnahme von Nationalschiffen oder des darauf befindlichen Eigenthumes um sich damit zu bereichern, ohne dazu den Auftrag einer sich dafür verantwortlich machenden Staatsgewalt nachweisen zu können 2). Dergleichen Beginnen gilt als eine Feindseligkeit gegen alle Menschen, wenn es entweder schon ein habituelles geworden ist, oder doch als wirklich beabsichtigt erfannt werden kann. Werden Seeräuber in der That selbst begriffen. und machen sie von Waffen Gebrauch, so hat der Sieger Recht auf Leben und Tod (es geht mit ihnen an die Raa"); jeder Staat, der sich ihrer bemächtigt, ist befugt, sie nach seinen Gesezen zu richten 3).

Nicht in dieselbe Kategorie hat man aber bisher die Schiffe und Angehörigen der Barbareskenstaaten, sowie anderer osmanischer Ufervölker gestellt, sondern sich wegen ihrer Verhältnisse zu der Pforte nur auf einen Vertheidigungfuß gegen sie gesezt, oder durch Verträge und Geschenke Sicherheit verschafft (§ 7)1).

Wäre bereits von allen Europäischen Völkerrechtsgenossen die Sklaverei der Neger aufgegeben und aller Schuß ihr entzogen, so würde auch die Zufuhr derselben auf offener See von jedem Staate als ein Verbrechen gegen die allgemeinen Menschenrechte behandelt werden dürfen. Für jezt kann indessen jede Nation, welche selbst die Sklaverci verwirst, den wenn auch nur durch Zufall in ihr Gebiet gekommenen Sclaven eine Zuflucht gewähren und deren Auslieferung ihren unnatürlichen Herren versagen, thatsächlich also jenen das geben, was sie nie verlieren konnten ").

1) Daher nehmen auch bei vorfallenden Verleßungen des Völkerrechtes in diesem Stück augenblicklich meist alle Glieder des diplomatischen Corps Antheil an den Erörterungen, oder man fordert sie dazu auf. Beispiele s. in Ch. de Martens, Causes célèbres I, 79. 104.

2) Ortolan, Règl. intern. I, 250. Phillimore I, 488. Calvo § 1134, jezt namentlich Gareis, Die Interdiction des Seeraubes, v. Holzendorff, Handb. II, S. 571-88.

[G. Die obige Definition ist nicht genau. Ein Seeräuber, der auf hoher See gegen fremde Personen oder fremdes Eigenthum Gewalt übt, ohne dazu von einer bestimmten Staatsgewalt ermächtigt zu sein, hat keine Nationalität, da keine Re

Heffter, Völkerrecht. 8. Ausg.

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Erstes Buch. Das Völkerrecht 2c. in Friedenszeiten.

§ 104. gierung ein solches Verbrechen erlauben wird, kann also nur betrügerischer Weise Schiffspapiere erhalten haben und eine Flagge nur durch Usurpation führen. Kein Staat kann also für die Handlungen von Seeräubern verantwortlich gemacht werden. Dieser Mangel jedes Auftraggebers ist das Charakteristische, nicht der animus furandi, wenn der Capitän eines Schiffes andere ohne Ermächtigung einer Regierung angreift und sie aus Rache zerstört, ohne sich dabei zu bereichern, so ist dies doch ein Act der Seeräuberei. Dagegen kann man solche, die von einem Staate Kaperbriefe nehmen, mit dem ihr Staat im Frieden ist, nicht Seeräuber nennen, es ist eine unerlaubte Handlung, aber die Regierung, welche ihnen den Kaperbrief ertheilt, bleibt verantwortlich. Die Seeräuber wählen ein neutrales, allen Nationen gemeinsames Gebiet, dessen Frieden zu bewahren alle Nationen gleiches Interesse haben. Nach diesen Kriterien sind die einzelnen Fälle zu beurtheilen. Neuerlich der der „Vigilante“ (1873), wo das deutsche Kriegsgericht Capitän Werner mit Recht freisprach, weil er das Schiff, welches er genommen, als Pirat betrachten mußte (Tecklenburg, der Vigilantefall, 1873), des „Huascar“, gegen den der Englische Admiral ebenso verfuhr, da das Schiff keine Papiere hatte und einem Englischen Kohlen weggenommen, vgl. die nähere Beleuchtung dieser Fälle bei Geffcken in v. Holzend. Handb. IV. Das Seekriegsrecht. c. Zweifelhafte Fälle der Kaperei. Die Fälle des „Cagliari" und des „Virginius“ lagen anders, der Capitän des ersteren wurde gezwungen, Insurgenten an der Neapolitanischen Küste auszuseßen. Der „Virginius“, der unter betrügerisch erlangter Nordamerikanischer Flagge fuhr, aber Cubanischen Insurgenten gehörte, hatte unzweifelhaft Ungefeßlichkeiten begangen, die aber keine Seeräuberei waren. Der spanische Kreuzer konnte ihn anhalten, aber nicht auf hoher See an Bord gefundene Leute hinrichten.]

5) Die regelmäßige Strafe war schon im Alterthum der Tod. Cic. in Verrem V, 26. Im Mittelalter Ertränkung. Leibnitz, Cod. iur. gent. Urf. 124. Einzelne Unterthanen haben jedoch_das_Tödtungsrecht außer dem Falle eines Piratenangriffes nicht mehr. Ortolan I, 254.

[G. Auch nicht mehr die Befehlshaber von Kriegsschiffen, sie müssen die gefangenen Seeräuber zur Aburtheilung ihrem Gericht überliefern.]

6) G. Wie früher schon bemerkt obsolet, der von Bluntschli (349) angenom= mene Fall, daß ein Staat im Frieden Schiffe ermächtige auf Beute auszufahren, kommt nicht vor.]

7) G. Es ist sehr wenig glücklich, daß die innere Geseßgebung mancher Staaten gewisse Verbrechen deshalb mit dem Seeraub gleichgestellt hat, weil sie mit denselben Strafen belegt sind, so beschloß 1790 der Amerikanische Congreß, daß jedes zur See begangene Verbrechen, welches zu Lande begangen mit dem Tode bestraft werde, Seeraub sein solle und jeder Bürger, welcher auf hoher See einen Act der Feindseligkeit gegen die Verein. Staaten begehe, als Seeräuber zu strafen sei. Ebenso haben die Verein. Staaten und England durch ihre Geseße, dann 1841 auch Oesterreich, Preußen und Rußland den Sklavenhandel dem Seeraub gleichgestellt. Dies ist aber nicht Völkerrecht, die allgemeine Strafbarkeit ist nicht auf diese Verbrechen anzuwenden. Noch unglücklicher war der von Oesterreich gemachte Vorschlag, die Beschädigung internationaler Telegraphenkabel als Seeraub zu behandeln, was auch bei Abschluß des Vertrags v. 14. März 1884 zum Schuß der Kabel unbeachtet geblieben ist.]

Zweites Buch.

Das Völkerrecht im Zustande des Anfriedens

oder

Die Actionenrechte der Staaten.

Erster Abschnitt.

Von den völkerrechtlichen Streitigkeiten und deren Erledigung überhaupt.

Veranlassungen derselben.

105. Völkerrechtliche Streitigkeiten entstehen im Allgemeinen über Ansprüche, deren Erledigung dem verfassungsmäßigen Rechtsgange cines bestimmten Staates nicht angehört, oder wegen willkürlicher von Seiten der dortigen Staatsgewalt entgegengestellter Hindernisse daselbst nicht erreicht werden kann; folglich nicht allein über Ansprüche der Staatsgewalten und Souveräne an einander, sondern auch über Privatansprüche cincs Unterthans an einen auswärtigen Staat oder dessen Unterthanen, wenn jenem das Recht von dem fremden Staate verweigert wird und sich der Staat des in seinem Rechte gekränkten Unterthans vermöge des ihm zustehenden Vertretungsrechtes (§ 53) gegen den fremden Staat annimmt. Eine Einmischung dritter Mächte würde allein unter den Beding= ungen des § 45 f. berechtigt sein.

Mittel zur Beseitigung überhaupt1).

106. Völkerrechtliche Ansprüche haben der Regel nach keine andere Garantie für sich, als die Macht der Wahrheit und den thatkräftigen Willen der Betheiligten; kein anderes Forum, als die eigene Gewissenhaftigkeit und die öffentliche Meinung 2). Es gebührt daher zunächst den Betheiligten, sich unter einander über die Entscheidung zu verständigen, oder, dafern eine Vereinigung nicht zu bewirken wäre, sich durch eigene Kraft in dem einseitig erkannten Rechte zu behaupten oder dasselbe zu erstreben. Das äußerste Mittel zur Erhaltung, Wiedererlangung oder Durchsehung des Rechtes gegen Widerspruch ist dann Gewalt oder Selbsthilfe, und zwar entweder eine defensive gegen bevorstehende Gefährdungen des Rechtes oder der ganzen Existenz, oder eine aggressive Selbsthilfe wegen Rechtsverweigerung. Die erstere geht ihrer Natur nach lediglich auf Abwendung der Gefahr und Sicherung gegen fernere Beeinträchtigung, die lettere auf Erlangung vollständiger Genugthuung. Sogar die völlige Vernichtung des Gegners ist bis zur Erreichung dieser Zwecke nicht ausgeschlossen, wiewohl dieselbe nicht als das sofortige unmittelbare Ziel mit Recht betrachtet werden darf. Das Dasein eines hinreichenden Grundes zur Selbsthilfe und die Beobachtung der richtigen Grenzen, welche durch den Zweck bestimmt werden, entscheidet zugleich über die Gerechtigkeit der Selbsthilfe. Sonst ist sie eine tadelnswerthe und unrechte. Tadelnswerth erscheint sie insbesondere, wenn außer dem Falle unmittelbarer Gefahr ohne Versuch gütlicher Mittel, ohne Vorbringung und gehörige Unterstüßung eines vermeintlichen Anspruchs sogleich zu dem lezten Mittel gegriffen wird. Denn gerecht ist sie nur als Nothmittel.

1) S. darüber Wurm, im St.-Lexikon XII, 111 ff. Desselben Aufsaß in der Deutschen Vierteljahrsschrift von 1858. Berner, im Staatswörterbuch VI, 101 und eine Abhandlung des Frh. v. Kaltenborn, Zur_Revision der Lehre von den internationalen Rechtsmitteln (1861, Tüb. Ztschr. f. Staatsw. XVII S. 69 ff.), welche sich besonders mit der Systematik dieser Lehre beschäftigt. Vgl. Halleck, Intern. L. ch. XII. Calvo II, 1. XVII, sect. 1-4. v. Bulmerincq: Die Staatsstreitigkeiten und ihre Entscheidung ohne Krieg, in v. Holzendorff's Handb. IV, S. 1 ff.

) [G. Richtig bemerkt hierzu v. Bulmerincą S. 13, daß die Garantie, insoweit nicht eine vertragsmäßige vorliegt, in dem Völkerrecht selbst zu erblicken ist, da sonst die Ansprüche nicht völkerrechtliche wären.]

Gütliche Versuche.

107. Zweckdienliche Mittel, um den Anderen von seinem Unrecht zu überzeugen und zur Nachgiebigkeit zu bestimmen, welche auch nicht unversucht bleiben dürfen, so lange keine unmittelbare Gefahr eines Rechtsverlustes bevorsteht, sind diese:

zuerst diplomatische Unterhandlungen mit dem anderen Theile oder mit dritten Mächten, deren Stimme von Einfluß sein kann, namentlich auch Mittheilung von entscheidenden Actenstücken und daraus hergenommenen Rechtsausführungen 1); sodann öffentliche Verbreitung von Deductionen oder Memoirs mit ausdrücklichem oder selbstverstandenem Anrufe der öffentlichen Meinung, wenn eine Verständigung im Wege der gegenseitigen Correspondenz nicht zu bewirken gewesen oder dieselbe bereits abgebrochen ist 2);

ferner die Annahme der freundlichen Dienste einer dritten Macht, welche als Versöhnerin zu wirken hat; oder eine von allen streitenden Theilen angenommene Vermittelung einer dritten Staatsgewalt 3) (§ 88).

Im letteren liegt mehr als im ersteren. Die Vermittelung suspendirt die Feindseligkeiten, so lange nicht das Amt des Vermittlers aufgehört hat, von Rechtswegen, wofern nicht das Gegen= theil verabredet wird. Freundliche Dienste haben nur eine moralische Bedeutung.

Befindet sich ein Theil gar nicht in der Gefahr eines wirklichen Rechtsverlustes, könnte seine Handlung oder sein Stillschweigen nur einer rechtsnachtheiligen Deutung verfallen: so genügt zur Erhaltung des Rechtes gegen etwaige Anfechtung schon eine bloße Protestation, wenn sie nicht den bereits für den Protestirenden eingetretenen wohlbegründeten Rechtsverhältnissen oder den gleichzeitigen Handlungen desselben zuwider ist, eine protestatio facto

contraria.

1) [G. Als eine gesteigerte Art der internationalen Verhandlung kann der Zusammentritt besonders sachkundiger Männer beider Parteien zu einer Commission gelten, welche gemeinsam zu einem Ausgleich zu kommen sucht und dann ihre Vorchläge den Regierungen unterbreitet, so Anfang 1871 die Joint High Commission, durch die England und die Verein. Staaten eine Reihe von Streitpunkten in dem Vertrage von Washington ausglichen, die Ende 1887 von denselben beiden Staaten eingeseßte Commission für die Fischereistreitigkeiten in Canada.]

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