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mit dem der völligen Debellation (ultima victoria) verwechselt und jenem zugeschrieben, was erst in dem letteren enthalten sein kann. Es war nichts Seltenes, daß der Sieger sich sofort bei der Besehung eines Gebietes oder Gebietstheiles von den dortigen Unterthanen huldigen ließ; man schrieb ferner dem Sieger, der vorläufig verdrängten Staatsgewalt gegenüber, ein Confiscationsrecht zu, geleitet durch die Ansicht des älteren Kriegsrechtes, welche sich auch noch bei vielen Publicisten erhielt, daß die Sachen des Feindes res nullius scien oder als solche behandelt werden könnten. Man disponirte sogar zuweilen über occupirte Länder wie über wirkliches Eigenthum1). Indeß ist diese Praxis nicht auch noch in den Kriegen. des jezigen Jahrhunderts bleibend befolgt worden, sondern man hat sie in der That nur im Falle einer Debellation und einer damit. verbundenen totalen Besißnahme von der ganz außer Kraft geseßten bisherigen Staatsgewalt geübt, in der Zwischenzeit aber sich mit der thatsächlichen Benuzung aller Mittel und Hilfsquellen der bis dahin bestandenen Regierung begnügt.

Ebenso hat man sich im Landkricge hinsichtlich des Privatcigenthumes der Angehörigen des occupirten Landes im Wesentlichen auf ein Contributions- und Requisitionssystem beschränkt, und für das augenblickliche Bedürfniß eine disciplinirte Maraude in Anwendung gebracht; man hat ferner Zerstörungen von Sachen, wenigstens von Seiten der Kriegsvorgesezten, so viel als möglich vermieden und nur als crceptionelle Maßregel zu vertheidigen ge= sucht. Dagegen hat man im Seekriege noch immer ein das Privatcigenthum schwer verlegendes System befolgt (s. unten), nicht minder im Landkriege das Recht der Kriegsbeute (praeda bellica) binnen gewisser Grenzen beibehalten; endlich sind auch noch in Betreff einzelner Gegenstände sowohl des öffentlichen wie Privatvermögens selbst von den Publicisten der neueren Zeit manche Grundsätze behauptet worden, welche mit den aus der rechtlichen Natur des Krieges fließenden nicht vereinigt werden können. Alle diese Punkte sind nun noch im Einzelnen zu erörtern.

1) „Georg I. von Großbritannien kaufte das Herzogthum Bremen, Verden und Stade von Dänemark, welches diese Besitzungen den Schweden abgenommen hatte, durch Act ratificirt am 17. Juli 1715; vier Monate zuvor, che Großbritannien den Krieg an Schweden erklärte!" Britische Publicisten nehmen dies System noch immer in Anspruch. Oke Manning § 277 not. 6. Wildman II, 9. Allerdings haben sie Groot und Bynkershoek als Autoritäten für sich.

Recht auf unbeweglichen Sachen im eigenen Lande des Feindes.

133. In Anschung der unbeweglichen Sachen ist man im Allgemeinen schon längst einverstanden, daß dieselben wenigstens dann, wenn sie feindlichen Unterthanen gehören, durch Invasion und Landesbesißnahme von Seiten der anderen Kriegspartei ihren Eigenthümer nicht verändern und nicht mehr, wie in älterer Zeit, in das Eigenthum des Siegers übergehen 1). Es folgt daraus von selbst, daß jede von demselben vorgenommene Veränderung eine rechtlich unhaltbare ist, nur thatsächliche Wirkungen hervorbringen kann und durch das Postliminium hinfällig wird. Sollte sich der Sieger künftighin in dem eroberten Lande behaupten und es zu dem seinigen machen, so würde er freilich auch der thatsächlichen Veräußerung einen juristischen Charakter zu geben im Stande sein. Ganz auf dieselbe Weise verhält es sich mit dem unbeweglichen Privateigenthum des verdrängten Souveräns, welches er nicht als Souverän besigt 2); ja auch von dem öffentlichen unbeweglichen Staatscigenthume wird, so lange nicht die Staatsgewalt selbst wenigstens interimistisch auf den Sieger übergegangen ist, ein Anderes nicht zu behaupten sein 3). Natürlich wird in beiderlei Hinsicht dem Sieger cine vorläufige Beschlagnahme und die Beziehung der Einfünfte zu seinem Vortheile freistehen.

1) Hierüber besteht durchaus keine Meinungsverschiedenheit unter den neueren Publicisten. S. besonders Meermann, Von dem Recht der Eroberung. Erf. 1774. Bufendorf VIII, 6, 20. Vattel III, § 195. 196. Klüber § 256. v. Martens $277. Wheaton IV, 2 § 16. Alle gestehen wenigstens zu, daß noch eine Bestätigung der Erwerbung durch den Friedensschluß nöthig sei, wenn das Eigenthum ein ganz sicheres sein soll.

2) Vgl. die Entscheidung des Pariser Cassationshofes bei Sirey XVII, 1, 217: ,,Le droit de conquête n'a effet au préjudice des princes que sur les biens qu'ils possèdent en qualité de princes et non sur les biens qu'ils possèdent comme simple propriété."

3) So entschied derselbe Cassationshof bei Sirey XXX, 1, 280: „La conquête et l'occupation d'un état par un souverain n'autorisent pas ce souverain à disposer par donation ou autrement du domaine conquis ou occupé." S. auch A. L.-R. für die Preuß. Staaten I, 9 § 198.

[G. Der Occupant wird pro tempore sufructuar, hat also jede zwecklose Schädigung oder Verfügung über die Substanz zu vermeiden, ist aber nicht an den bestehenden Wirthschaftsbetrieb gebunden. Hierher gehören auch die Eisenbahnen und Telegraphen, selbst wenn sie im Besiß Privater sind, weil dieselben Mittel der Kriegführung sind. Die occupirende Macht aber gewinnt auch hier nur das Gebrauchsrecht und hat das Material dieser Anstalten beim Frieden zurückzugeben. Art. 6 des Brüsseler Projects. Hat z. B. der Fiscus vor der Besißnahme ein Staatsgut verkauft, dessen Preis in Terminen zahlbar ist, so ist der Feind nicht be

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rechtigt, die während der Beseßung gezahlten Raten sich anzueignen, denn diese sind ein Theil des Kapitals und stehen nicht auf einer Stufe mit den vorgefundenen Kassenbeständen. Nur hat nicht, wie der Schlußsaß desselben annehmen läßt, die occupirende Macht beim Frieden Entschädigung zu leisten, sondern es bleibt, wie Bluntschli (645) bemerkt, dieselbe eventuell dem occupirten Staate Privaten gegenüber überlassen. Bei dem Prozeß über die von Preußen während der Cccupation 1870 verkauften 15000 Eichen aus französischen Staatswaldungen in Meurthe und Meuse hängt die Rechtsfrage lediglich davon ab, ob diese Anzahl Bäume als ein einigermaßen normaler Schlag gelten kann, oder als Consumirung der Substanz betrachtet werden muß, was Deutschland selbst auf der Brüsseler Conferenz als unberechtigt anerkannte. Art. 7 des Projet modifié: l'état occupant devra sauvegarder le fonds de ces propriétés et les administrer conformément aux règles de l'usufruit." Darüber hinauszugehen wäre nur gerechtfertigt, wenn das Holz zur Kriegführung nöthig gewesen, was Niemand behauptet. (Jahrb. für Gefeßgebg. und Verwaltung von Holzendorff und Brentano. I. Heft 2.) Als befriedet gelten Archive, Bibliotheken, Kunstsammlungen, Kirchen und wohlthätige Anstalten. Für lettere gebietet die Achtung der Religion und Menschlichkeit Schonung, Museen und Bibliotheken sind Nationaleigenthum, das dem Feinde nicht zur Kriegführung dienen kann. Die Archive, obwohl aus einzelnen beweglichen Stücken bestehend, sind in ihrer Gesammtheit Pertinenz der Souveränetät, indem sie die Beweise des Rechtes enthalten. Eine unbedingte Schonung solcher Gebäude ist freilich nicht immer mit dem Kriegszweck vereinbar, es kann nur, wie Art. 34 der Amerikanischen Kriegsart. sagt, als allgemeine Regel hingestellt werden, daß solches Eigenthum nicht öffentliches im Sinne des Kriegsrechtes ist, daß insbesondere muthwillige Schädigung desselben zu vermeiden ist, wie z. B. die Zerstörung des Capitols in Washington 1814 durch die Engländer, die auch im Parlament scharf getadelt ward. Besonders rechtswidrig ist die Wegschleppung von Sammlungen oder einzelner Gegenstände derselben, wie sie Seitens der Französischen Republik und des Kaiserreichs stattfand. Wellington erklärte in einer Depesche v. 11. Sept. 1815 dies Verfahren „contrary to the practice of civilized warfare" (Mart. N. R. II, p. 648), und Lord Castlereagh verlangte in seiner Note vom selben Tage an die verbündeten Mächte die Rückgabe dieser „dépouilles, inséparables des pays auxquels elles appartenaient. Le principe de la propriété basé sur les droits des territoires d'où ces chefs-d'oeuvres ont été enlevés est le plus sûr et le seul guide vers la justice." Als die franz. Regierung dieser Aufforderung nicht Folge leistete, ließ Wellington die betreffenden Kunstgegenstände selbst aus dem Louvre fortbringen. England gab 1812 freiwillig die in einem genommenen Schiffe befindliche und für die Akademie von Philadelphia bestimmte Gemäldesammlung zurück.]

Unkörperliche Sachen1) in Feindesland.

134. Eine besondere Streitfrage hat sich auch noch in neuerer Zeit in Betreff der unkörperlichen Sachen fortgesponnen, in wie fern nämlich diese ein Gegenstand der Kriegsoccupation seien und von dem Sieger als sein mit rechtlicher Wirkung behandelt werden dürfen. Die meisten Publicisten) haben sich in langer Reihenfolge für ein solches Verfügungsrecht ausgesprochen, dergestalt, daß ein Postliminium des ursprünglichen Forderungsberechtigten ausgeschlossen sei und der Schuldner durch den Sieger gültig liberirt werde; ja man hat behauptet, daß dieses auch auf solche Forderungen An

wendung leide, deren Schuldner sich in dritten neutralen Staaten befinden. Zur Begründung dieser Ansicht hat man sich hauptsächlich auf die traditionelle romanistische Lehre von der Unbedingtheit der occupatio bellica bezogen; auf das vermeintlich darin begründete Confiscationsrecht, unter welchem Titel auch in vielen früheren Kriegen die Einzichung ausstehender feindlicher Forderungen betrieben worden ist. Man hat sich auf verschiedene Friedensschlüsse berufen, worin dergleichen sogenannte Confiscationen bestätigt worden sind 3); man hat sogar eine vermeintliche Entscheidung der Amphiktyonen in Beziehung auf ein Schuldverhältniß der Thessalier gegen Theben in Bezug genommen, wonach die Schuldforderung der Thebaner an die Thessalier durch eine Schenkung aufgehoben worden sei, welche Alexander den lezteren bei der Zerstörung Thebens mit der Schuldverschreibung gemacht habe 4).

Dennoch aber muß diese Theorie und Praxis aus dem Standpunkte des Rechtes bestritten, wenigstens modificirt werden. Wird doch von vornherein zugegeben, daß durch Zahlung des Schuldners an einen Anderen außer dem wahren Gläubiger, oder durch eine sonstige Liberation von Seiten eines Dritten das Recht des wahren Gläubigers streng juristisch nicht aufgehoben werde!

Näher tretend hat man von den unkörperlichen Sachen diejenigen abzusondern, welche in dinglichen Rechten und nicht als bloße Accessorien persönlicher Forderungen bestehen; jene haben die Natur des unbeweglichen Eigenthumes, mit welchen sie auch vielfach zusammenhängen, wie z. B. Servituten, und theilen daher auch das Schicksal des unbeweglichen Eigenthumes im Kriege, wovon zuvor gehandelt worden ist. Unter den persönlichen Forderungen giebt es sodann einige, welche das Surrogat von Eigenthumsnußungen sind, wie z. B. Pachtgelder. Bei diesen mag nicht bestritten werden, daß sie dem Feinde verfallen, welcher sich der fruchttragenden Sache bemächtigt hat, weil es nur allein von ihm abhängt, ob er die Pacht oder Miethe ferner gestatten wolle, und durch die factische Fortbelassung derselben ein eigener Pacht- oder Miethsvertrag zwischen dem Feinde und dem bisherigen Gebrauchsberechtigten ge= schlossen wird 3). Dagegen widerstreitet cs der Natur aller anderen persönlichen Forderungen durchaus, sich dieselben als Gegenstand einer thatsächlichen Besizergreifung, wie doch die occupatio bellica an sich ist, zu denken; selbst der zufällige Besiß der Schuldverschrei

bungen giebt, wie man allgemein einverstanden ist und sein muß, kein Recht auf Einziehung der Schuld ®); eine persönliche Forderung ist eben etwas Unkörperliches, besteht eben nur in einem rechtlichen Bande zwischen Gläubiger und Schuldner; das Recht des ersteren kann auf einen Dritten nur mit seinem Willen oder durch eine legitime rechtliche Gewalt übertragen werden, wofür, wenigstens so lange der Krieg mit seinen wandelbaren Schicksalen schwebt, eine feindliche Gewalt nicht zu halten ist. Nöthigt sie den Schuldner zu zahlen, so ist dies ein ihn treffendes Unglück 7); aber es kann ihm daraus höchstens eine Einrede oder eine Forderung wegen nüßlicher Verwendung aus Billigkeit gegen den wahren Gläubiger oder einen Dritten zustehen, der dadurch selbst von einer Zahlung an den Feind befreit worden ist. Ein Anderes wird sich nur im Falle einer Debellation oder vermöge ausdrücklicher friedensgeschlicher Bestimmungen behaupten lassen; namentlich wenn die Schuldner unter der Botmäßigkeit des occupirenden Feindes stehen, der jedoch dritten Mächten keine desfallsige Verbindlichkeit auferlegen kann 3).

Unbedenklich darf dagegen den Forderungen feindlicher Unterthanen an diesseitige Unterthanen und Anstalten die Klagbarkeit im Wege der Repressalien oder Retorsion versagt werden, wenn nicht etwa hierauf vertragsmäßig verzichtet ist 9).

1) Specielle Abhandlungen über diesen Gegenstand: Chr. Gottlieb Schwartz, de iure victoris in res divictor. incorporales. Alt. 1720. B. W. Pfeiffer, Das Recht der Kriegseroberung in Beziehung auf Staatskapitalien. 1823. Ferd. Carl Schweikart, Napoleon und die Curhessischen Kapitalschuldner. Königsberg 1833. [G. Nicht hierher gehört, wie Hall (p. 397) bemerkt, die Sache des Schlesischen Anlehens von 1753, denn Friedrich II. war nicht im Kriege mit England, sondern befahl die Beschlagnahme als Repressalie. § 110 Note 6.]

2) So auch noch Wildman II, 11, blos mit der gescheuten Ausnahme von Forderungen einer Privatperson an den Staat!

3) Eine große Reihe von Friedensschlüssen s. bei Schweikart S. 74, besonders von S. 82 an. S. auch Bynkershoek, Quaest. iur. publ. 1, 7 p. 177. Es sind dies aber eben ausdrückliche conventionelle Bestimmungen für einzelne Fälle, wodurch noch keine Regel zu begründen ist.

*) Diese Geschichte steht allein bei Quintilian, Inst. or. V, 10, 111 f. Die Publicisten haben mit Liebhaberei dieselbe besprochen. S. die Schriften bei Schweikart S. 53 f. Das Amphiktyonenurtheil darüber ist wahrscheinlich nur eine Fabel. Saint-Croix, des anciens gouv. fédérat. p. 52. Fr. W. Tittmann, Ueber den Bund der Amphikt. 1812. S. 135. Man erfährt nicht einmal, wie es gelautet habe; aus Quintilian construirt man sich den Inhalt nach Belieben.

5) Ziegler, de iurib. maiestat. I, 33, § ult.

6) [G. Der Fall der Fortzahlung der Zinsen des Russisch- Holländischen Anlehens während des Krimkrieges durch England gehört nicht hierher, da leßteres sich

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