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den Nußen aneignen: jedoch wird er hier noch nicht als der eigentliche Besizer der Staatsgewalt anzusehen sein, diese vielmehr nur einstweilen unter seiner Curatel, nach Art einer privatrechtlichen missio in bona debitoris stehen, mithin nach ihren früheren Principien und wesentlichen Formen fortzuüben sein, mit Vorbehalt der demnächstigen Rechenschaft oder Ausgleichung im Frieden 1).

Oder der Eroberer hat schon die Möglichkeit und die Absicht, das Eroberte zu behalten, beziehungsweise darüber für sich zu disponiren: dann ist die Einsehung einer provisorischen Verwaltung schon der Anfang der Usurpation, nur noch nicht in der vollendeten Form, wovon jedoch materiell dasselbe gilt, was zuvor von der Usurpation bemerkt wurde. Eine solche provisorische Verwaltung macht sich besonders dadurch bemerklich, daß die einzelnen Hoheitsrechte schon im Namen des Eroberers verwaltet werden 2).

Von selbst versteht sich übrigens, daß die unter der Autorität des Feindes handelnden Behörden eines von jenem für sich in Besitz genommenen Landes ihre Wirksamkeit auf die occupirten Grenzen beschränken müssen und, wenn nur ein Theil des Landes erobert ist, nicht auch ihr altes Ressortverhältniß über jene Grenzen hinaus fortsetzen können; es sei denn, daß der frühere Besizstand in dieser Hinsicht ungestört und unbeeinträchtigt durch den Feind fortgedauert hätte 3).

1) So entschied der Pariser Cassationshof am 22. Juni 1818, daß die Occupation eines Landes die dortigen Unterthanen ohne Reunionserklärung noch nicht zu Unterthanen des Siegers mache (Ortolan I, p. 315). Anders die Engl. Praxis. Halleck XXXIII, 7. Calvo § 991 f.

2) Dies geschah z. B. in Kurhessen, alsbald nachdem Napoleon dasselbe 1806 in Besitz genommen hatte. Schweikart, Napoleon und die Kürhessischen Staatsgl. S. 25 f. Aehnliche provisorische Verwaltungen und Gouvernements wurden von den Alliirten 1813 und 1814 eingeseßt. [G. Ebenso von Deutschland in Elsaß= Lothringen, welches es zu behalten entschlossen war.]

3) [G. Selbst wenn der Eroberer entschlossen ist, das Land zu behalten, und nicht der Fall der debellatio vorliegt, ist er nicht berechtigt zu verlangen, daß in seinem Namen Recht gesprochen werde. Nach dem Fall des Kaiserreichs 1870 forderte der deutsche Civil-Commissar in Nancy, daß die Gerichte erkennen sollten: ,,au nom des Hautes puissances occupant la Lorraine", weil Deutschland die Republik nicht anerkannt habe. Dies Verlangen war unberechtigt, denn wenn man jene Anerkennung weigerte, mußte eine neutrale Form, wie z. B. „Im Namen des Gefeßes", gewählt werden.]

III. Das Poftliminium 1).

187. Außerhalb eines Friedensschlusses können die durch Krieg gestörten Rechtsverhältnisse vermöge des Postliminium, d. i. nach factischer Befreiung von feindlicher Gewalt, in ihre vorigen Fugen zurücktreten, gleich als wären sic nie unterbrochen gewesen. Aber auch nur die Rechtsverhältnisse, nicht die Wirklichkeit des Genusses, nicht die vom Besize und Genusse abhängigen Rechte, so lange man sich nicht auch diese für die Zukunft wiederverschafft hat; und niemals mit Wiedererlangung des in der Zwischenzeit von dem Feinde thatsächlich Entzogenen2), wenn es dem Feinde nicht im Frieden oder doch während des Krieges durch Gewalt wieder abgezwungen wird.

Anwendbar ist der Grundsatz des Postliminium sowohl auf öffentliche wie auf Privatverhältnisse; er beruht darauf, daß wohlerworbene Rechte, außerhalb des Staatswillens in einem gemeinsamen Staatsverbande, durch keine einseitige Willkür, also auch durch keine feindliche Gewalt vernichtet werden können; er findet auch noch nach eingetretenem Frieden Anwendung, wenn in demselben keine entgegenstehende Verfügung ausdrücklich oder stillschweigend getroffen ist 3); er bedarf endlich keiner vorerstigen gesehlichen Anerkennung in den Einzelstaaten, sondern versteht sich von selbst und kann durch das Landesgeseß nur unterdrückt oder modificirt werden. Was das Römische Recht darüber enthält, bezicht sich fast lediglich auf die privatrechtliche Seite der Anwendung, bestätigt aber dabei mehrentheils das natürliche Princip und bietet nur Eigenthümliches dar aus dem antiken Standpunkte des Völkerrechtes, sowie aus den besonderen Rechtsverhältnissen des Römischen Bürgerthums. Daß die neuere Rechtssitte davon mehrfach und sehr entschieden abgewichen ist, daß sie sich an den obigen Grundsay in seiner ganzen Einfachheit und Bestimmtheit hält, ist längst erkannt worden *).

1) Schriften s. außer den älteren Commentatoren zu dem Titel der Justinia= nischen Digesten: de captivis et postliminio reversis (49, 15) und des Codex: de postliminio reversis et redemptis (8, 51), vorzüglich: Henr. Cocceji, de jure postliminii, 1683, und de postliminio in pace et amnestia. 1752. (Exercit. cur. 1, n. 46. 78.) J. H. Boecler, de p. Argent. 1713. C. v. Bynkershoek, Quaest. iur. publ. I, 16. Hiernächst Groot III, 9. Vattel III, ch. 14. Phillimore III, 853. Calvo IV § 2977 ff. Hall p. 416 ff.

[G. Das jus postliminii war in Rom eine Fiction des Privatrechts, der gefangene Römer verlor seine politischen und bürgerlichen Rechte, die unmittelbar mit seiner Befreiung wieder auflebten (§ 189). Nach heutigem V. R. sind die Privatrechte des Gefangenen höchstens suspendirt, aber man wendet den Begriff auf öffentlich-rechtliche Beziehungen an. Wenn vom Feinde beseßtes Gebiet und seine Bewohner wieder in Besiß ihrer souveränen Staatsgewalt kommen, sei es während des Krieges, sei es durch den Frieden, so gilt, daß sie ihre nationalen Rechte keinen Augenblick verloren haben. Da die Autorität der feindlichen Macht nur auf dem siegreichen Besiß beruht, hört sie mit dem Verlust desselben vollständig auf und der zeitweilig verhindert gewesene Souverän tritt in alle seine Rechte wieder ein.]

2) [G. Dagegen kann das Postliminium niemals rückwirkend Verwaltungsacte denulliren, welche die feindliche Macht in dem Maße ihrer früher dargelegten Berechtigung vollzogen. § 188 Note 6 G.]

3) Die älteren Publicisten, verleitet zum Theil durch Eigenheiten des Römischen Rechts, nehmen den Saß nur als Ausnahme oder mit Beschränkungen an. S. indeß Vattel III, 214, womit § 216 nur scheinbar in Widerspruch steht.

4) S. schon Groot a. a. D. § 15 und 19.

Poftliminium der Völker und Staatsgewalten 1).

188. Hat ein Kriegführender das Territorium des Gegners ganz oder theilweis in Besitz genommen, jedoch denselben bereits vor oder in dem Friedensschlusse wieder aufgegeben, so tritt unbedenklich das frühere Staatsverhältniß wieder in Kraft, es mag nun der Feind sich an einer bloßen Occupation haben genügen lassen, oder sich eine factische Souveränetät angemaßt haben; er mag freiwillig sich zurückgezogen, oder der frühere Staat sich seiner mit Gewalt entledigt, oder endlich ein Bundesgenosse ihn davon befreit haben 2). Nur die Verdrängung des Feindes durch einen Dritten ohne eigenes Zuthun giebt wider dessen Willen nicht von selbst die frühere staatliche Existenz zurück 3).

Die einzelnen Wirkungen eines solchen Postliminium sind leicht zu bestimmen.

Hat nur eine Beschlagnahme oder Anmaßung von Regierungsrechten stattgefunden, so nimmt die bisherige Staatsgewalt alles noch Vorhandene zurück, was auch früher ihrem Rechte unterworfen war; sie kann sogar die vom Feinde veräußerten Sachen, und zwar selbst von Bundesgenossen und Neutralen, reclamiren, wenn nicht etwa nach allgemein angenommenen Grundsägen dem feindlichen Eroberer ein Verfügungsrecht darüber zustand 1). In wie fern der Erwerber sich gegen die Herausgabe durch gültige Einreden schüßen könne, ist lediglich von privatrechtlicher Regelung abhängig.

Ist es zu einer Zwischenherrschaft gekommen, so wird folgerichtig mit dem § 185 behauptet werden dürfen 5):

I. Jede während der Invasion vorgenommene Aenderung der Verfassung ist für die Zukunft unverbindlich. Ob aber die vorige Verfassung wiederhergestellt werden müsse, ob und wie viel von der Zwischenverfassung beibehalten werden mag, hängt von der staatsrechtlichen Ungebundenheit oder Gebundenheit des Souveräns und von den früheren Volksrechten ab.

II. Kein Regierungsact aus der Zeit der Zwischenherrschaft hat nach eingetretenem Postliminium Anspruch auf unbedingte Anerkennung und Fortdauer. Die wiederhergestellte Staatsgewalt kann die Gesetzgebung und Verwaltung, sowie deren Organe in den Zustand zurückversehen, worin sie sich vor der Invasion befanden. Nur die unter der Fremdherrschaft einmal begründeten Privatrechte, so wie richterliche Entscheidungen über Privatrechte, können nicht angefochten oder umgestoßen werden "), dafern sie mit der wiederhergestellten Verfassung vereinbarlich sind. Auch Verträge mit auswärtigen Staaten in rem eingegangen, bleiben gültig (§ 84), vorbehaltlich ihrer Aufhebung aus rechtmäßigen Gründen, z. B. wegen veränderter Umstände.

III. Die restaurirte Staatsgewalt kann sich ihrerseits in Beziehung auf die unter der Zwischenherrschaft abgelaufene Regierungsperiode zu keiner retroactiven Ausübung ihrer Regierungsrechte gegen ihre Unterthanen oder Dritte berechtigt halten, in so fern es sich von Verhältnissen handelt, welche jener Periode angehörten und darin zu reguliren waren. Es findet z. B. keine Nachforderung von Steuern oder Diensten nach der alten Verfassung für die Zwischenperiode statt, worin die alte Staatsgewalt außer Wirksamkeit gesezt war. Dahingegen succedirt dieselbe in alle noch nicht realisirte Rechte und Verbindlichkeiten, welche dem Staate in der Zwischenzeit zugefallen sind, gleichwie diese Zwischenregierung in die Rechte und Verbindlichkeiten des alten Staates einzutreten hatte (§ 23). Es können daher z. B. Abgabenrückstände und Acquisitionen, welche die Fremdherrschaft während ihres Bestehens für den Staat gemacht hat, auch von der restaurirten Regierung eingezogen werden.

IV. Hat die Zwischenregierung Staatscigenthum, Domänen, Staatskapitalien, Renten und dergl., welche nicht Privateigenthum

des Souveräns oder der Familie desselben sind, veräußert 7), jo kann die zurückgekehrte Regierung die Veräußerung wohl um deswillen nicht anfechten, weil der Staat, mithin auch das ihm Zugehörige, während der Zwischenzeit nur in der Abhängigkeit von dem Usurpator fortbestand, von ihm also auch rechtsgültig repräsentirt wurde; in keinem Falle würde dasjenige, was unter lästigem Titel ohne Ausschließung der Evictionsleistung veräußert worden ist, vindicirt werden dürfen, weil hier den Erwerber dieselbe Billigkeit schüßen muß, welche auch im Civilrecht die exceptio rei venditae ac traditae erzeugt hat. Denn die restaurirte Regierung muß unbedenklich bei Wiedernahme des alten Staates auch die Verbindlichkeiten der Zwischenregierung vertreten. Wäre endlich der alte Staat ganz aufgelöst worden, so konnten auch seine Activen als herrenlos von der Staatsgewalt, die sich darüber gestellt hatte, an sich gezogen werden.

Alles Postliminium eines unterdrückten Staates fällt übrigens dann weg, wenn er sich in seiner Gesammtheit dem Eroberer ergeben und damit jedem Anspruche auf Wiederherstellung ausdrücklich oder stillschweigend entsagt hatte. Nur eine Selbstrevolution oder das Geschenk eines Dritten kann ihn wieder daraus befreien, nicht aber das bloße Factum einer Wiederaufhebung der früheren feindlichen Staatsgewalt ).

1) Franc. Hotomannus, an civitas bello capta, si in libertatem vindicetur, iure quoque suo pristina omnia recuperet? (Quaest. illust. n. 5.)

2) Groot II, 4, 14. III, 9 § 9 und 12. Dazu H. Cocceji. Vattel III, § 213. Halleck XXXV, 10, 11.

3) Als billig oder human wird die Restitution gefordert von Vattel § 203. Allein ein obligatorischer Rechtsanspruch besteht nicht, wenn nicht nißliche Geschäftsführung oder Mandat vorhanden war, Verhandlungen über die Frage im Britischen Parlament s. in Wheaton, Histoire (II, p. 173 éd. 2). Auch _am_Wiener Con= greß kam dieselbe in einer weiteren Form zur Sprache ohne ausdrückliche Entscheidung. Klüber, Acten des Wiener Congresses V, 10. 29-33. Ein Vindicationsrecht Seitens des am Kriege unbetheiligt gebliebenen, zur Souveränetät berechtigten Dritten wird allerdings nach neuerer Rechtsansicht (§ 184 a) nicht zu bestreiten sein. Dem Souveränetätsbesizer wird jedoch die Prüfung des Anspruches zustehen; ferner die Gegenrechnung des Kriegsaufwandes und die Geltendmachung seines eigenen Interesses, welches ihn zum Kriege geführt hat. Die Sache kann hier unmöglich blos nach privatrechtlichen Grundsäßen mit gänzlicher Beiseitestellung politischer Pflichten beurtheilt werden. Derartige Gesichtspunkte hat auch das Wieding'sche Rechtsgutachten, betreffend die Prätensionen auf Schleswig - Holstein, Greifswald 1865, gefaßt. S. besonders S. 459. Wäre (nach Vattel) die Restitution nur eine sittliche Pflicht des Siegers, so hat er dagegen auch die Pflichten gegen den eigenen Staat in Anschlag zu bringen. Hall, p. 420. Calvo IV, § 2985.

4) Vgl. H. Cocceji zu Groot III, 9, tom. IV, p. 125. Wheaton, Intern.

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