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gebietes vorbeisegeln oder in einen Hafen desselben einLaufen wollen;

sodann

wenn sie sich in fremdem Seegebiete befinden bei besonderen Gelegenheiten, auch wohl

bei Begegnungen auf offener See.

Es besteht in gewissen Ehrenbezeigungen, namentlich in dem sogenannten Schiffsgruße, worauf meistens eine Erwiderung erfolgt. Seine Arten sind:

das Flaggenstreichen durch Anziehen und Neigen der Flagge, jezt nur noch gebräuchlich unter Kriegsschiffen, selten, wo nicht gar verboten, ein gänzliches Abnehmen der Flagge, welches lettere das größte Zeichen der Unterthänigkeit und Unterwerfung ist 2);

der Kanonengruß mit einer bestimmten, gewöhnlich ungleichen Anzahl von Kanonenschüssen ), und zwar bei vorzüglicher Ehrenbezeigung mit scharfer Ladung;

das Flaggenaufstecken und Wehenlassen;

das Herablassen der Marssegel, besonders des großen, bis an den Fockmast, oder auch das Segelstreichen durch Herablassung der Flagge oder des Perroquetmastes oder des Wimpels auf einige Zeit;

der Gruß mit einer oder drei Kleingewehrsalven in Verbindung mit dem Kanonengruß;

das Beilegen und die Absendung eines oder einiger Officiere an Bord des anderen Schiffes;

endlich

der Vivatruf (le salut de la voix) bis zu einer ungleichen Zahl wiederholt.

In Betreff der Anwendung solcher Ceremonien können, abgesehen von einzelnen meist widersprochenen Forderungen gewisser Nationen und von den darüber bestehenden Verträgen, nur folgende Grundsäge als völkerrechtliche gemeine Regeln angesehen werden:

I. Jeder Staat kann in seinem eigenen Seegebiete die Art des Schiffsgrußes bestimmen ) und ihn zuerst fordern, nur nicht in einer für andere Nationen kränkenden Weise, wie z. B. das gänzliche Abnehmen der Flagge sein würde. Hierbei ist dann meistens üblich, daß auch fremde Kriegsschiffe beim Vorbeisegeln vor einer

Festung oder beim Einsegeln in einen Hafen, oder endlich bei dem Vorüberfahren an Kriegsschiffen im auswärtigen Seegebiete sowohl durch Kanonenschüsse wie durch Flaggenstreichen grüßen, worauf ihnen durch Kanonenschüsse in gleicher Zahl gedankt wird. Kauffahrteischiffe müssen auch wohl das Marssegel herablassen.

II. Auf offener See kann an und für sich keine Nation die Begrüßung von einer anderen Nation fordern 5). Dagegen auf sogenannten Eigenthumsmeeren hat der herrschende Staat Anspruch auf den ersten Gruß. Wird das Eigenthumsrecht von einer Nation nicht bestritten, so wird sie sich auch in lezteres fügen müssen, nicht aber eine andere.

III. Nur als übliche Höflichkeit, jedoch nicht als Recht und Verbindlichkeit, ist Folgendes anzuschen :

a. Begegnet ein Kriegsschiff einem fremden Kriegsgeschwader, so grüßt jenes zuerst mit Kanonenschüssen. Ebenso hält man es bei Vereinigung einzelner Schiffe mit einem fremden Geschwader. b. Eine Hilfsflotte grüßt das Geschwader der Hauptmacht

zuerst.

c. Bei Begegnungen einzelner Schiffe grüßt das dem Range nach geringere das höhere zuerst; bei Ranggleichheit das unter dem Winde befindliche. Admiralschiffe erhalten vor allen den ersten Gruß.

d. Kaper grüßen stets die Kriegsschiffe zuerst, ohne selbst Gegengruß zu empfangen.

e. Kauffahrer grüßen fremde Kriegsschiffe zuerst mit Segel und Flaggengruß, auch wohl mit Kanonen, wenn sie dergleichen führen; doch wird eins oder das andere erlassen, wenn das Schiff im vollen Laufe ist.

Die Höflichkeit bringt ferner noch mit sich, daß Festungen und Häfen, wenn sich ihnen fremde Regenten oder Stellvertreter der= selben nähern oder vorüberfahren, selbige zuerst mit Kanonen begrüßen.

Zu wünschen wäre, daß man sich endlich, mindestens auf offener See, wegen Unterlassung jedes Schiffsgrußes unter den Nationen vereinigte ). Unbefugt und unverantwortlich ist es, wegen der Unterlassung eines solchen Grußes, sogar wo er gefordert werden könnte, in Gewaltthätigkeiten überzugehen, anstatt sich mit bloßen Zurückweisungen zu begnügen, oder auf friedlichem Wege zuerst bei

der Regierung des zuwiderhandelnden Theiles auf Genugthuung anzutragen).

1) S. hierüber Bynkershoek, Quaest. jur. publ. II, 21. de Real V, p. 993. J. J. Moser, Vermischte Abhandlungen aus dem Völkerrecht II, Nr. 6, Für heutige Verhältnisse am besten behandelt von Perels, Internat. öffentl. Seerecht. Abschn. VII. Ortolan I, 349. Phillimore II, 45. Halleck V, 16. Calvo § 317 ff. G. Wie Perels (§ 76) bemerkt, hatte das Seeceremonial früher eine ganz andere Wichtigfeit als jezt, wo es sich um herkömmliche Bezeugungen von Höflichkeit handelt. Es handelte sich damals um die äußere Bezeugung und Anerkennung der Eigentumsansprüche, die Staaten über gewisse Meere üben wollten. Der Salut der Kriegsschiffe hat heftige Auseinanderseßungen zwischen England, Holland und Frankreich veranlaßt, zwischen den beiden ersteren sogar 1652 ein Seegefecht mitten im Frieden, was zum Kriege führte.]

2) [G. England sezte dies gegen Holland in dem Frieden von Westminster und sogar noch 1734 durch. Frankreich erzwang es 1744 gegen englische Kriegsschiffe, jezt ist vollkommene Gleichheit aller souveränen Staaten die Regel, die Bedeutung der Ehrenbezeugungen rein ceremoniell, die jedoch ohne Mißzachtung nicht unterlassen werden darf.]

3) Als die höchste Zahl nimmt man meist 21 Schüsse an. Doch bleibt die Observanz der einzelnen Staaten nicht schlechterdings dabei stehen.

4) Die Seegejeße der einzelnen größeren Seestaaten enthalten derartige Bestimmungen. Vgl. wegen Großbritannien Laws of the admirality T. II, p. 303, Phillimore II, § 303; wegen Frankreich Ordonnance v. 31. Oct. 1827 und v. 1. Juli 1831 (de Martens et Murhard, Nouv. rec. X, 380. 381) Cérémonial officiel, p. 162, 55; wegen Nordamerika Halleck V, 27. Oesterr. Verordnung v. 20. Mai 1866 § 9.

5) v. Martens § 155. Dennoch verlangen noch in neuerer Zeit Admiralschiffe einen Ersten Gruß. Ortolan p. 371. Und nach Twiss I, 268 sollen Kriegsschiffe auf offener See überhaupt aus Sicherheitsgründen wenigstens die Aufhissung der Flagge von anderen Schiffen verlangen dürfen. Dies ist jedoch kein ceremonialrechtlicher Punkt.

6) Dergleichen Vereinigungen bestehen bereits unter einzelnen Nationen. Moser, Kleine Schriften XII, 22. Klüber, Völkerr. § 121. Nau § 143. Ortolan p. 366 sqq.

7) [G. Selbstverständlich haben Kriegsschiffe in fremden Hoheitsgewässern Alles zu vermeiden, was die betr. Regierung oder Nation als verleßend anzusehen berechtigt wäre.]

Zweiter Abschnitt.

Der diplomatische Verkehr der Staaten.

198. Die auswärtigen Interessen der Einzelstaaten können ihrer Natur nach allein von den Souveränen und den ihnen oder auch ihren Nationen selbst verfassungsmäßig verantwortlichen Drganen ihres Willens wahrgenommen und besorgt werden. Seit

langer Zeit hat die Politik der Staaten diesem Gegenstande ihres Wirkens die größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt gewidmet; denn die Schicksale der Völker erhalten dadurch wenigstens ihre förmliche Gestaltung, wenn sie auch nicht allein dadurch geändert und gemacht werden können. Alles, was sich darauf bezieht oder damit wesentlich beschäftigt ist, bezeichnet die neuere Europäische Sprache durch ,,diplomatisch", hindeutend damit theils auf die urkundlichen Grundlagen der Staatsinteressen, theils auf die zu ihrer Sicherstellung dienende und nicht wohl zu entbehrende urkundliche Form der Verhandlungen und Resultate; bisweilen freilich in einer etwas auffälligen Ausdehnung auf fremdartige Dinge 1). Der Nimbus, womit sich vormals die Diplomatie umhüllte, hat manchen publicistischen Schriftsteller angeregt, vornehmlich ihre Aeußerlichkeiten mit einer gewissen Coquetterie und Devotion zu behandeln und auszuschmücken. Wir wollen im Folgenden hauptsächlich nur die leitenden Grundsäße aufsuchen und zuerst von den besonderen diplomatischen Organen, sodann von der diplomatischen Kunst, endlich von den Formen ihres Wirkens einfach nach unserer Weise handeln. Die Diplomatie geht selbst nicht mehr so gespreizt und blasirt einher, wie vormals. Sie ist einfacher und, wenn auch nicht öffentlich ge= worden, wie sie es in der alten Welt war, wenigstens erkennbarer und zugänglicher 2).

1) [G. Die Bezeichnung „Diplomatie“ als Wissenschaft und Kunst völkerrechtlicher Vertretung und internationalen Verkehrs der Staaten, im Unterschied von Diplomatik, der wissenschaftlichen Behandlung von Urkunden, gehört erst dem 18. Jahrh. an; um die Mitte desselben kam nach Ränke zuerst in Wien für die Gesammtheit der bei einer Regierung beglaubigten Gesandten und ihres Personals der Name des ,,corps diplomatique" in Gebrauch. (Brief des preußischen Gesandten v. Fürst an Friedrich II. Vehse, Geschichte des österreichischen Hofes VIII, S. 113.) Das diplomatische oder Gesandtschaftsrecht ist derjenige Theil des V. R's., der die Regeln für den Verkehr der Regierungen mit einander durch die speciell dafür bestimmten Organe feststellt. Nur Staatsgeschäfte fallen in diesen Bereich. Personen, welche mit der Wahrnehmung der Privatangelegenheiten ihres Souveräns betraut werden, sind keine Gesandten im völkerrechtl. Sinne; so nannten sich schon in ältester Zeit die römischen Gesandten „nuntii populi Romani". Das Bedürfniß solcher natio naler Mandatare ist so unabweislich für jedes Gemeinwesen, welches aus der Barbarei herausgetreten ist, daß wir dieselben und Regeln über ihre Geschäftsführung auch da finden, wo sonst die Jsolirung Grundsaß ist und die Völker wesentlich nur im Kriege zusammentreffen.]

2) [G. Vielleicht oft nur äußerlich, die Oeffentlichkeit der ostensibeln Diplomatie führt oft zur doppelten Buchhaltung.]

Erste Abtheilung.

Die Organe des diplomatischen Verkehres 1).

Geschichte und natürliches Princip.

199. Schon die alte Welt hatte ihre diplomatischen Verbindungen, jedoch keine dauernden, sondern vorübergehende. Die Völker verhandelten mit einander durch abgesandte Staatsmänner und Redekundige (oεoßeis, legati, oratores) über die sich gerade darbietenden Interessen); die Diplomatie war eine offene Kunst; nur die Päpste unterhielten schon früh am Konstantinopolitanischen Hofe und in den fränkischen Reichen bleibende Apokrisiarier und Responsales ). Seit dem fünfzehnten Jahrhundert entwickelte sich indeß auch an anderen Höfen gleichzeitig mit der neueren Geheimpolitik (S. 27) und mit den stehenden Heeren das System stehender Gesandtschaften zum Zweck wechselseitiger Beaufsichtigung, wie zur dauernden Erhaltung eines guten Vernehmens, endlich zur sofortigen Beförderung specieller internationaler Interessen 4). So haben sich bei den Höfen diplomatische Corps gebildet, und man würde sich vom europäischen Staatensysteme ausschließen, wollte man eine derartige Verbindung mit den übrigen dazu gehörigen Staaten völlig aufheben oder zurückweisen.

1) Die wichtigeren unter den zahllosen Schriften über diesen Gegenstand sind im Allgemeinen: Alberici Gentilis, de legationib. libr. III. London 1583. 1585. Hannov. 1594 (oder 1596), 1607, 1612. Abr. de Wicquefort, l'Ambassadeur et ses fonctions, La Haye 1680. 81, II, und öfter, ein Buch an sich von sehr geringem Werthe, abstrahirt von seinem compilatorischen Inhalte. Bynkershoek, Quaest. jur. publ. II, 3-9. Derselbe de foro legatorum libri III. Franz Xav. v. Moshamm, Europ. Gesandtschaftsrecht. Landsh. 1806. Merlin, Répert. univ. de la Jurispr. m. „Ministre publ.“ J. J. Moser, Versuch Th. 3 und Beiträge zu dem neuesten europäischen Völkerrecht Th. 3. Charles Bar. de Martens, Guide diplomatique. Paris et Leipzig, jezt 5 ème éd. entièrement refondue par Geffcken. E. C. Grenville Murray, Droits et devoirs des envoyés diplomatiques. Lond. 1853. L. Alt, Hdb. des Gesandtschaftsrechts. Berlin 1870. Pradier-Fodéré, Cours de droit diplomatique. 2 vol. 2. éd. 1881. Geffcken in v. Holzend. Handb. III. 23. Stück. Das Gesandtschaftsrecht und die diplomatischen Verkehrsformen. 1887. Außerdem Vattel, 1. IV ch. 5. Wheaton ed. Dana III ch. 1. Halleck, ch. VIII. Hall, ch. 9. Phillimore II, part. VI. Calvo 1. VII sect. 1 u. 2. Buntschli III, 2. F. v. Martens II, 1. Abth. Kap. 2.

2) [G. Hälschner, De jure gentium apud populos Orientis. 1842. MüllerJochmus, Geschichte des V. R's. im Altertum. 1848. Löhren, Beiträge zur Geschichte des gesandtschaftlichen Verkehrs im Mittelalter. E. Nys, Les origines de la diplomatie et le droit d'ambassade jusqu'à Grotius. Krauske, Die Entwickelung der ständigen Diplomatie vom 15. Jahrh. bis 1815. 1885. Geffcken 1. c. I.

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