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an demjenigen Vermögen, was die Erben in dem fremden Staate zurückgelassen haben, können erst nach Verlauf einer zum Export vorgeschriebenen Zeit Forderungen geltend gemacht und realisirt werden.

Die Versiegelung der Effecten gilt dagegen allgemein als ein Act, welcher der Jurisdiction des fremden Staates entzogen ist, da es zunächst auf Sicherstellung der Interessen des absendenden Staates ankommt. Sie wird daher entweder von einer gesandtschaftlichen Person desselben Staates, oder in deren Ermangelung von dem Abgeordneten eines ihm befreundeten Staates vollzogen. Nur im äußersten Falle würde sich die auswärtige Staatsregierung auf eine der Achtung des fremden Staates entsprechende Weise der Versiegelung selbst zu unterziehen haben.

226. Wird ein Gesandter zurückberufen, so pflegt es wegen der Verabschiedung vom fremden Hose, bei dauernden freundschaftlichen Verhältnissen, in ähnlicher Weise gehalten zu werden, wie bei der Ankunft; Gesandte erster und zweiter Klasse, auch wohl Minister - Residenten, übergeben ihre Abberufungsschreiben in einer eigenen öffentlichen oder Privataudienz und empfangen hiernächst von dem fremden Souverän ein sogenanntes Recredentialschreiben zur Bestätigung des von ihnen beobachteten Verhaltens. Aus Höflichkeit fügt man außerdem wohl noch besondere Geschenke hinzu, ohne daß jedoch irgendwie ein rechtlicher Anspruch darauf begründet sein wird.

Eine Zurückhaltung des Gesandten, so wie der mit ihm befriedeten Personen und Sachen im fremden Territorium kann unter keinem Vorwande stattfinden, ausgenommen um eine Retaliation zu üben. So lange keine Frist zum Abzuge gesezt und abgelaufen ist, sind keine anderen gerichtlichen und außergerichtlichen Hoheitsacte gegen ihn für zulässig zu halten, als diejenigen, welche selbst schon während der Ausübung der gesandtschaftlichen Functionen zulässig waren. Insbesondere können auch jezt keine Schuldklagen förmlich eingeleitet, noch auch Arreste wider die befriedeten Personen und Sachen ausgebracht werden. Die fremde Staatsgewalt kann daher lediglich auf einem vermittelnden Wege für das Interesse ihrer Unterthanen hinsichtlich etwaiger Forderungen an den Gesandten und

dessen Begleiter sorgen, z. B. durch eine öffentliche Bekanntmachung des bevorstehenden Abganges und durch eine Intercession wegen Berichtigung oder Sicherstellung der etwa liquidirten Schulden; jedoch dürfen die Pässe deshalb nicht vorenthalten werden. Vindicationsklagen, selbst in Ansehung beweglicher Objecte, die sonst zu den befriedeten gehören würden, sind nicht ansgeschlossen, folglich auch nicht die vorläufige Beschlagnahme derselben, so weit sie ohne Antastung der persönlichen Unverlegbarkeit ausführbar ist 1).

Bleibt eine gesandtschaftliche Person nach gänzlicher Ablegung ihres völkerrechtlichen Charakters in dem auswärtigen Staate, so leben auch alle dadurch gehemmten Rechtsverfolgungen in Ansehung der Civilansprüche auf. Dagegen läßt sich in Betreff der etwaigen Verbrechen und Vergehen, welche sie während ihrer diplomatischen Mission begangen haben könnte, keine weitere Verantwortlichkeit annehmen, indem sie nach dem Princip der Exterritorialität von der gesetzgebenden Gewalt des fremden Staates unabhängig war. Civilansprüche sind durch das Völkerrecht selbst geschüßt.

1) [G. Das § 215 Note 2 erwähnte Arrêt entschied: "qu'aucune saisie ne pourra avoir lieu dans le pays de résidence d'un ministre étranger pour dettes contractées avant on pendant sa mission."]

Zweite Abtheilung.

Die diplomatische Kunst 1).

1) [G. Die sieben Paragraphen 227–233, welche H. diesem Abschnitt widmete, sind in dieser Ausgabe fortgelassen, weil sie mit der Aufgabe des Buches, das Völkerrecht darzustellen, nur in sehr mittelbarem Zusammenhang stehen und der Natur der Sache nach nur allgemeine Bemerkungen bieten. Wir können statt dessen verweisen auf das Chap. VIII Des devoirs et des fonctions de l'agent diplomatique in Martens-Geffcken, Guide diplomatique. Hoffmann, Conseils à de jeunes diplomates. 1841. Gracian, Oracolo manual y arte de prudencia, deutsch als Männerschule“ von Kölle. 1838. Castiglione, Il cortegiano. Mably, principes des négociations. 1737. Callières, de la manière de négocier avec les souverains. 1756.]

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J. M. Frhr. v. Liechtenstern, Die Diplomatie als Wissenschaft. Altenburg 1820. Kölle, Betrachtungen über Diplomatie. Stuttgart und Tübingen 1838. Diplomatenbrevier. Wien 1874.

Dritte Abtheilung.

Die Form der Staatenverhandlungen.

234. Die Verhandlungen der Staaten werden entweder mündlich oder schriftlich unter ihren Repräsentanten geführt, und zwar bald unter den Souveränen selbst, bald durch die diplomatischen Agenten, zuweilen selbst nur einseitig vor dem Publikum. Die Art und Weise dieses Verkehres ist ein Theil der Staatspraxis, und daher sowohl in den allgemeinen auf leztere Bezug habenden Schriften, als auch in ihrer Besonderheit von praktischen Schriftstellern dargestellt worden.

Sprache der Verhandlungen überhaupt.

235. Die Sprache ist das Recht jeder Nation, wie sie überhaupt zum Menschen gehört. Ohne Zweifel kann nun jeder Staat oder Souverän auch eine bestimmte Sprache wählen, worin er seinen Willen erklärt und deren sich seine Organe in den öffentlichen Verhandlungen zu bedienen haben. Er kann dagegen aber nicht verlangen, daß auswärtige Staaten mit ihm in derselben Sprache verkehren; er muß ihnen gleichfalls ihre eigene Erklärungsweise zugestehen, und jeder Theil kann erwarten, daß, wenn von ihm eine Erklärung gewünscht wird, der Anlaß dazu auf eine ihm verständliche Art gegeben oder verdolmetscht werde.

Die Unbequemlichkeit, welche mit dem Gebrauche verschiedener Zungen verbunden ist, erzeugt indessen, abgesehen von dem vorausgestellten unleugbaren Princip, das Bedürfniß von Mittheilungen in allgemeinen und für jeden Theil gleich verständlichen Sprachweisen. So kann denn wenigstens unter einzelnen Staaten oder vorübergehend für gewisse Verhandlungen eine gewisse Sprache als diplomatische beliebt werden, wovon sich wieder die Hofsprache unterscheiden läßt, d. i. die Sprache einzelner Höfe in der Privatconversation.

Der Gebrauch der Staaten und Höfe hat in beiderlei Hinsicht öfters gewechselt, ohne jedoch von dem obigen Princip selbst abge= wichen zu sein.

Sprache der diplomatischen Verhandlungen und Urkunden war

noch bis in das vorige Jahrhundert hinein meistentheils die lateinische 1); Hofsprache war früherhin gewöhnlich die Landessprache; so lange jedoch König Philipp II. von Spanien lebte, hatte die spanische Sprache bei einer großen Zahl europäischer Höfe starken Eingang gefunden. Seit Ludwig XIV. überwog dann fast allgemein die französische Sprache; sie wurde damit bald auch die Sprache der diplomatischen Verhandlungen, ein Umstand, worin die französische Politik keinen geringen Bundesgenossen gefunden hat 2). Niemals ist gleichwohl durch ein allgemeines Völkergesetz oder durch ein auf der Idee der Nothwendigkeit beruhendes Herkommen die französische Sprache als gemeinsame Staatensprache wirklich recipirt 3), sondern, wie oft sie auch in neuerer Zeit gebraucht worden ist, man hat sich meistens von Seiten anderer Staaten gegen etwaige Consequenzen ausdrücklich verwahrt *), wenn nicht die französische Sprache selbst auch die hergebrachte Landessprache des anderen Staates ist.

Mehrere Mächte bestehen fortwährend auf dem Grundsaße, daß ihnen jede officielle Communication in ihrer Sprache gemacht oder wenigstens mit einem Translat begleitet werde. So verlangte es auch der Deutsche Bund durch Beschluß vom 12. Juni 1817. Andrerseits bedienen sich Gesandte an fremden Höfen mit Recht ihrer eigenen Sprache, aber, wie sich von selbst versteht, mit der Verpflichtung zu einem Translat, wenn es sich um Förderung eigener Interessen handelt 5).

Was den mündlichen förmlichen Verkehr betrifft, z. B. in feierlichen Audienzen, so gilt auch hier ein gleiches Princip; der fremde Gesandte redet oder kann wenigstens in seiner eigenen Sprache reden, während ein Dolmetscher die Uebertragung unternimmt. Der Souverän antwortet in der seinigen. Das Umständliche eines solchen Verkehres führt indessen von selbst zu häufiger Umgehung des Princips. Der dem Range nach Geringere giebt hier meist dem Verbindlicheren den Vorzug; oder man verständigt sich überhaupt, eine beiden Theilen geläufige Sprache anzuwenden, wie zur Zeit besonders das Französische dazu dient.

1) Noch die Quadrupel-Allianz zu London von 1718 ist in lateinischer Sprache abgefaßt. Einzelne Mächte, mit Ausnahme der päpstlichen Curie, bedienen sich in ihren völkerrechtlichen Urkunden höchst selten noch derselben Sprache.

2) Ein Beispiel liefert die Fassung des pyrenäischen Friedens, worüber die Memoiren von Brienne nachzusehen sind. (Schiller, allgem. Samml. histor. Mem. Abth. II, Bd. 17, S. 143.)

3) [G. Die Generalstaaten verkehrten mit den fremden Gesandten in holländischer Sprache, legten aber eine französische Ueberseßung bei. Auf dem deutschen Reichstage legten auswärtige Gesandte ihren Mitheilungen lateinische Uebersetzungen bei. Auf dem Rastatter Congreß (1797—99) schrieb die deutsche Reichsdeputation an die französische Gesandtschaft deutsch und diese an jene französisch, beide ohne beigefügte Uebersetzung. Der Vertrag von Luneville (1801) wurde französisch abgefaßt, die Ratification des Kaisers aber war lateinisch.]

4) Einen sehr allgemeinen Vorbehalt enthielt in dieser Beziehung die Wiener Congreßacte Art. 120 mit den Worten: „La langue française ayant été exclusivement employée dans toutes les copies du présent traité il est reconnu par les puissances qui ont concouru à cet acte, que l'emploi de cette langue ne tirera point à conséquence pour l'avenir; de sorte que chaque puissance se réserve d'adopter, dans les négociations et conventions futures, la langue dont elle s'est servie jusqu'ici dans ses relations diplomatiques, sans que le traité actuel puisse être cité comme exemple contraire aux usages établis." So schon früher z. B. Vertrag zw. Oesterr. u. Frankr. v. 1756. Wenck, Cod. iur. gent. III, p. 201.

5) [G. England suchte seit Anfang d. Jahrh. sich vom Gebrauch des Französischen zu emancipiren, Lord Castlereagh schrieb, als er sich im Hauptquartier der verbündeten Mächte befand, an die fremden Souveräne und Minister englisch. Canning als Minister (1823-26) wies die britischen Gesandten an, englisch an die Regierungen zu schreiben, bei denen sie beglaubigt waren, gestattete aber eine Uebersebung beizulegen; die leßtere Ermächtigung wurde 1851 zurückgenommen, da die fremden Regierungen sich dann auf den Wortlaut der Ueberseßung berufen würden, die Actenstücke aber dem Parlament vorgelegt werden müßten und daher in der Sprache abzufassen seien, in der sie diesem mitgetheilt würden. Die Diplomatie der Verein. Staaten schreibt ebenfalls ausschließlich englisch, die Curie schreibt noch lateinisch. Die Pforte communicirt in arabischer Sprache, gewöhnlich aber mit lateinischem, jezt auch wohl französischem Translat. Sie hält keinen Tractat für verbindlich, der nicht auch in ihrer Sprache abgefaßt worden.

In allen Verträgen von mehr als zwei Staaten wird in der Gegenwart durchgängig die französische Sprache gebraucht, z. B. der Pariser Friede von 1856, der Berliner von 1878, die Weltpost-Vereins-Verträge von 1874 und 1878, die CongoAfte von 1885.]

Diplomatischer Stil.

236. Ist der Stil, wie man gesagt hat, der Mensch, der sich darin seinen Ideen gemäß ausspricht, so muß auch gleicher Maßen der Stil, wenn der Staat redet, seinem Wesen entsprechen, mithin das ihn vertretende Organ sich seiner Individualität entäußern und eine Form wählen, welche die Bedeutung des Staates als eines Gliedes der Staatenfamilie erkennen läßt. Muß irgend eine Ausdrucksweise sich von allem Niedrigen entfernt halten, so ist solches ganz besonders von der diplomatischen zu erwarten und zu fordern. Freilich kann sie sich von dem Menschlichen nicht lossagen, sie kann keine Sprache höherer Sphären sein; aber sie hat den Gedanken flar und in reiner edler Form darzustellen, gemessen und ernst, fern von Pathos und ohne Wortpuz. Sie muß die reine Objectivität

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