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2. Ossian's Temora.

Dem Ossian'schen Fingal zunächst steht, in innerem und äusserem Zusammenhang damit, das zweite grössere Gedicht, Ossian's Temora, von Macpherson ein Jahr nach Fingal veröffentlicht (1763). Wie Fingal in 6 Gesängen mit zusammen 3278 Versen eine Handlung von 5 Tagen und 5 Nächten umfasst, so entrollt die Temora in 8 Gesängen mit 4100 Versen *) ein Drama, das sich in 4 Tagen und eben so viel Nächten abspielt, in der Weise, dass je zwei Gesänge abwechselnd je einen Tag und eine Nacht darstellen, und das Ganze mit dem Morgen des fünften Tages schliesst.

Wie in der Anlage, so sind auch in Ton und Charakter die beiden Gedichte ziemlich gleichartig, indem auch hier Schlachtscenen in buntem Wechsel sich mengen mit den Gesängen der Barden, mit den Reflexionen des Dichters und seiner Helden, mit zahlreichen Episoden endlich, in welchen das lyrische Element fast noch mehr vorherrscht als in Fingal.

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Und wie dort, durch das ganze Gedicht, den greisen Helden Fingal jung Agandecca's holde Erscheinung, aus dem Reiche der Geister, gleich einem Schutzengel, sanft und lieblich umschwebt so steht hier, in leibhafter Gestalt, dem jugendlichen Cathmor jung Sulmalla zur Seite, Sulmal, die, in heimlich stiller Liebe erglühend, dem Erkorenen ihres Herzens, als Jüngling verkleidet, hehlings in das Kriegslager nachzieht; nächtlicher Weile, in der Nähe des Feindes, wie ein schirmender Geist, über dem Haupte des Schlummernden wacht; dann, selbst wieder im Schlafe von dem Geliebten

*) Die hier verzeichneten Zahlen der Verse, sowie sämmtliche Citate Ossian'scher Stellen, beziehen sich auf die Uebersetzung von Ahlwardt, der sich besonders rühmt, Zahl der Verse sammt Sylbenmass dem sog. gälischen Original getreu nachgebildet zu haben. S. Vorrede Bd. I. p. 7 ff. Dazu: Anhang Nr. 5.

beobachtet und erkannt, beim Erwachen mit jungfräulicher Schamröthe ihre Liebe gesteht und ihn beschwört, sie nicht von sich zu weisen. Doch der Held, getragen von dem Ernste der Zeit, bekämpft mit männlicher Entschlossenheit die Leidenschaft im eigenen Herzen und lässt Sulmalla keine andere Wahl, als mit dem heroischen Jüngling in Entsagung zu wetteifern.

Während also dort, im Fingal, die Erinnerung an jung Agandecca's heldenmüthigen Opfertod noch in späten Jahren den Greisen Fingal mit süsser Wehmuth erfüllt, so ist es hier die mitten im Leben stehende, schwer geprüfte, sich selbst verläugnende Liebe Sulmalla's, die, mit Ossian'schem Zauber umgossen, dergestalt die Handlung des Gedichtes durchdringt, dass diese dem Liebesromane beinahe nur als Folie dient.

Was nun aber die Handlung selber betrifft, so schliesst sich Temora fast unmittelbar an Fingal an, indem zwischen den beiden Handlungen nur ein Zeitraum von drei Jahren liegt. *)

Auch hier, in der Temora, ist Fingal wieder der Retter des Thrones von Erin; nur gilt der Kampf diesmal nicht einem äussern, sondern dem innern Feinde. Die bereits erwähnten Häuptlinge der kriegerischen Bolgen **) im Westen der Insel, an ihrer Spitze Carbar, der Herrscher von Atha, in Connaught, der sich mit seinen Genossen schon früher gegen die Vorherrschaft der Machthaber von Ullin auf

*) Vrgl. Einleitung zu dem Gedichte: Cuchullin's Tod. Ahlwardt Bd. 3. p. 279.

**) Auch genannt Fir bolg, i. e. Bogenschützen, Abkömmlinge der Belgä, während die Bewohner des nördlichen Ireland, des eigentlichen Erin, gleichen Stammes waren mit den Kriegern von Selma, i. e. Scoten oder Gälen. Vrgl. Oswald in Herrig's Archiv. Bd. 22. p. 354. s. auch im 2. Theil dieser Abhandlung.

gelehnt hatte (Carbar ist es, der, nachdem Cuchullin, der Reichsverweser, im Kampfe gegen Torlath, den Führer der empörten Bolgen, durch einen Pfeilschuss gefallen) *) - den jungen König Cormac, Artho's Sohn, aus Trenmor's Geschlecht **), meuchlings aus dem Wege räumt und dadurch die Rache des blutsverwandten Königs von Morven heraufbeschwört.

Abermals landet Fingal mit Fillan und Ossian, seinen Söhnen (Ryno ruht ja im Schlummer des Todes), mit Oscar, dem Enkel, und den andern Helden Alba's an der Küste von Ullin, während der Thronräuber Carbar sich der Königsstadt Temora bemächtigt. ***)

Carbar, der finstere, rothhaarige Fürst mit grimmer Brau, von Fingals' Heranzug unterrichtet, ladet dessen Enkel Oscar zu sich in's Lager, zum Mahle, fängt arglistiger Weise Streit mit ihm an, nöthigt ihn zum Zweikampf, und beide fallen, einer vom Schwerte des andern. Die Klagen Fingal's und Ossian's, ihr Abschiednehmen von dem sterbenden Sohn und Enkel, sowie die Anordnungen zur Verbringung der Leiche nach Selma füllen den Rest des Tages, und liefern auch reichlichen Stoff für die folgende Nacht, die in mancherlei Zwiegesprächen und Erzählungen verbracht wird.

Dies der Inhalt der beiden ersten Gesänge. Im dritten Gesang erscheint auf dem Blachfeld es ist dieselbe Haide von Lena am Lubar, dem blauen Strome voll Binsen, als Carbar's Rächer, dessen unähnlicher Bruder, der bereits genannte Cathmor, welcher, von einer Expedition nach Innishuna, d. i. der grünen Insel (wahrscheinlich die heutige Insel Man)†),

*) s. Ahlwardt's Einleitung zum 1. Gesang der Temora und die oben citirte Einleitung zu Cuchullin's Tod. **) s. Ahlwardt's Einleitung zu Fingal Ges. 1. und den Stammbaum pag. 31.

***) Ueber die Lage Temora's s. oben pag. 16.

†) Vrgl. Ahlwardt's Anmerkung zu Temora 2, 269.

plötzlich zurückgerufen, sich an die Spitze der Bolgen stellt, um des Bruders selbstverschuldeten Tod, wie's die Blutrache will, an dem Feinde zu sühnen: derselbe Cathmor, dem von eben dorther, aus der Fremde, Sulmalla, die Tochter des Königs von Innishuna, heimlicher Weise in Mannskleidern gefolgt war.

Wir haben Cathmor soeben Carbar's unähnlichen Bruder genannt; denn, während jener immer nur als wilder, finsterer Tyrann, als Wüthrich, als Rothhaar geschildert wird, der im Unmuth über den Barden Carull (ähnlich wie in des Sängers Fluch), diesen und sämmtliche Barden am Hofe von Temora eins punden lässt, auf dass sie schmachten im finstern Verliess heisst Cathmor stets nur der Edle, der Fremdlinge Hort, ,,dem sonnig strahlet die Seele, der hasset den ,,Streit bei dem Mahl, dem Himmelslicht wohnt in der ,,Brust" *) er, in dessen Abwesenheit allein Carbar es gewagt hatte, jene Frevelthat an Oscar zu begehen er,,,der auch löste die Fesseln der Barden und sie dem Lichte, der Freiheit zurückgab“ **)

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der aber bei aller Sanftmuth und Friedfertigkeit sich doch verpflichtet glaubte, den Tod des Rothhaars zu rächen. Ja, so ächt, so innig ist seine Pietät, dass er bei nächtlicher Begegnung mit Ossian, der dem Bruder Fillan Gesellschaft leistet auf der Wache, ihn, den feindlichen Barden, den Vater des von Carbar getödteten Oscar, darum angeht, dem gleichfalls gebliebenen Carbar doch den Grabgesang nicht zu versagen, den willfährigen Sänger aber mit seinem Schwerte beschenkt. ***)

So steht Cathmor, der jugendliche, von Sulmalla heissgeliebte Cathmor, dem Helden Fingal ,,greisen Gelocks", in der Feldschlacht gegenüber.

*) Tem. 1, 174 ff. 161 ff.

**) Ibid. 1, 655-687.

***) Ibid. 2, 420-480

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