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Felsen aus dem Meere brausenden Menschendaseins empor, und, so oft das Meer sie auch hat hinwegspülen wollen, an ihnen aufbrandend und sie einen Augenblick verhüllend, immer hat es wieder machtlos zurücksinken müssen und da standen jene Felsen, nur noch heller und glänzender. »

Er hätte noch beifügen können, dass auch diese selbstverständliche, unfehlbare Strafe kein wirkliches Uebel, sondern vielmehr die einzige Wohlthat ist, die einem ausserhalb des Rechtsbodens Befindlichen noch erzeigt werden kann, ') in einer ganzen in Unrecht

Es gibt eben auch Leiden, die zur Läuterung des Charakters, zur Vermehrung der Einsicht, zur Prüfung der Kraft und zur Erhöhung jenes gesunden und ausdauernden, weil von aller Selbstüberhebung weit entfernten Muthes bestimmt sind, ohne den man nicht aufrecht durch's Leben kommt.

Aber den sichtbaren Beweis einer sittlichen Weltordnung, die vor allen Dingen wieder anerkannt werden muss und die sich ihre Anerkennung erzwingt, wo sie nicht freiwillig geschieht. bildet das von Bitzius angeführte und leicht zu beobachtende Gesetz allerdings.

Wollten wir das Alles in Einem kurzen Satze ausdrücken, was freilich immer seine Bedenken hat, so würden wir sagen: Die Tugend wird zwar in der Welt nicht immer belohnt (meistens ist sie auch, was die Besten am besten wissen, nicht einmal ganz dazu angethan); das Laster aber wird immer bestraft. Das liegt in seinem Wesen und ist unausweichbar.

Diese ganze Weltanschauung aber, die dem so allgemein verbreiteten Pessimismus unserer Tage allerdings direkt entgegensteht, ist immer nur ein Produkt eigener Lebenserfahrung. Denn:

« Swaz der mensche nit verstêt
Trage es ime in diu ôren gêt. »

1) Das ist wahrscheinlich auch der sonst schwer verständliche Sinu der berühmten Hölleninschrift in Dante's Inferno, Canto III, 4 und folgende :

verirrten Gesellschaft das Salz, das sie vor der völligen Verderbniss bewahrt.

In diesem Sinne wohl ist die Sichtungsperiode aufzufassen, in die das liberale Bürgerthum und der Protestantismus jetzt eingetreten sind. Das letzte Wort derselben wird sicher nicht mittelalterliche Theologie 1) und Staatssozialismus, mit einander vereinigt, heissen, sondern :

Wahrheit in der Kirche, Freiheit im Staat.

« Giustizia mosse il mio alto fattore,
Fecemi la divina potestate,

La somma sapienza e'l primo amore. »

1) Schon der grösste Zeitgenosse und wahrscheinlich einer der ersten Kenner des Thomas von Aquino, Dante, sieht die völlige Unfruchtbarkeit der scholastischen Theologie in seinen spätern Lebensjahren ein. Vgl. die Worte der Beatrice in Gesang 33 des Purgatorio, 85 u. ff.:

Perchè conoschi (disse) quella scuola
Ch' hai seguitata e veggi sua dottrina
Come può seguitar la mia parola;
E veggi vostra via dalla divina
Distar cotanto, quanto si discorda

Da terra il ciel, che più alto festina. »

Es kann daher auch nicht unter dem vielbesprochenen « dux » (Vers 43 dieses Gesanges), der einst die Kirche neu beleben wird, ein Haupt derselben gemeint sein, das selbst dieser Schule angehört.

Corrigenda :

Auf pag. 32, Anmerkung: Sinibald Fieschi (statt Freschi). Auf pag. 57, Zeile 11 von oben: Nachfolger (statt Erben)der Gracchen.

Die aristokratische Verfassung im alten Bern.

Wenn wir zurückblicken auf die Veränderungen, welche die letzten hundert Jahre seit dem grossen Wendepunkt von 1789 in der innern Gestalt der Staaten gebracht haben, so kommen wir zu der auffallenden Beobachtung, dass die Umwälzung der politischen Begriffe und der politischen Zustände kaum irgendwo so gross, so gründlich und so vollständig ist, wie in unserer schweizerischen Republik. Frankreich hat seither alle denkbaren Wandlungen erlebt, mit allen möglichen Verfassungsformen sein Heil versucht, es ist heute eine Republik, aber eine Republik, welche wenigstens in den vom Mittelpunkte entfernten Theilen oft nur mit Mühe die monarchischen Einrichtungen verdeckt, und welche jeden Tag der Gefahr unterliegt, von Neuem einer Einzelherrschaft zu verfallen. Manches andere Land hat die absolute Monarchie nur mit einer mehr oder weniger parlamentarisch gemässigten vertauscht; die Schweiz einzig hat staatliche Institutionen, die vor hundert Jahren noch als legitim, ja beinahe als einzig möglich, angesehen wurden, in einer Weise beseitigt, dass deren Wiederherstellung absolut undenkbar ist. So natürlich es damals erschien, dass das Recht der aktiven Theilnahme am staatlichen Leben als erbliches Vorrecht einem enggeschlossenen

Kreise von Familien in die Hand gelegt sei, ebenso selbstverständlich fest steht heute der Begriff des Staatsbürgers, welcher bis in den äussersten Winkel des Landes durchaus das gleiche Recht wie jeder andere besitzt.

Als der eigentliche Typus und das wahre Vorbild einer ausgebildeten aristokratischen Staatsform, wie sie in scharfem Unterschied von den Ueberresten ehemaliger Aristokratie in monarchischen Staaten in unsern schweizerischen Städterepubliken sich entwickelt hatte, wurde schon damals das Regiment < Meiner Gnädigen Herren von Bern» angesehen, und es scheint uns, dass eine unbefangene Darlegung der politischen Einrichtungen, welche bis fast zum Ende des vorigen Jahrhunderts noch sozusagen unbestritten zu Recht bestanden haben, nicht ohne Nutzen sein sollte für das Verständniss und die Lösung der Aufgaben, welche die Gegenwart und die nächste Zukunft den Bürgern unseres Vaterlandes stellt.

Die Voraussetzung der Aristokratie.

Die Verfassung des alten aristokratischen Bern ist nicht die Verwirklichung konstitutioneller Denkarbeit oder staatsrechtlicher Kombinationen, wie etwa die Entwürfe eines Abbé Sieyès, sie ist ein durch und durch historisches Gewächs; sie ruht auf einer ganz bestimmten Voraussetzung, ohne welche dieselbe überhaupt nicht bestehen kann und mit deren Ueberwindung sie selbst zusammenfallen muss. Diese Voraussetzung ist keine geringere als die, dass die Bürgerschaft der Stadt Bern, als moralische oder juridische Person gefasst, die rechtmässige politische Eigenthümerin des Landes ist. Wir haben es

hier nicht mit den Ueberresten des feudalen, rittermässigen und erblichen Grossgrundbesitzes zu thun. wie er als sozial und oft auch politisch bevorrechteter Stand innerhalb der monarchischen Staatsform fortlebte und selbst im konstitutionellen Fürstenthum noch eine gewisse Bedeutung behalten konnte, sondern mit einer relativ neuen, aus dem Städtewesen erwachsenen Einrichtung, welche, im Gegensatz zu den eigentlichen mittelalterlichen Institutionen, den Feudaladel verdrängt und auf die Seite gestellt hat, in ganz ähnlicher Weise, wie diess in andern Ländern Europas, voran in Frankreich, durch einen ganz andern Faktor, nämlich durch das absolute Königthum geschehen ist. Sogar die Zeit, in welcher sich die Städtearistokratie ausgebildet hat, stimmt mit dieser Analogie überein: es ist die Periode des 16. und 17. Jahrhunderts. Die spätere Gleichstellung des städtischen Adels mit dem Lehensadel wurde in Bern dadurch begünstigt, dass ein Theil der patrizischen Familien zugleich als Grossgrundbesitzer ländliche Herrschaftsrechte ausübten; und sie hat. einmal angenommen, auf die Ausgestaltung der Verfassung Einfluss geübt; Ursprung aber und Prinzip beider sind so verschieden als möglich.

Die Voraussetzung eines Eigenthumsrechts der Stadt über das Land stützte sich auf die äussern Thatsachen der geschichtlichen Entwicklung. Im Jahre 1191 gegründet, besass die Stadtgemeinde Bern von Anbeginn an nur ein engbegrenztes Weichbild mit etwas Wald und Weide vor den Thoren. Im Jahr 1324 gelang es ihr zuerst, durch kluge Benützung der Zeitumstände ein Stück Reichsland zu erwerben, das der Kaiser verpfändet hatte, und das der Pfandbesitzer gegen Geldwerth wieder an die Stadt abzutreten sich entschloss. Ein Mitglied des Bernischen Rathes übernahm von da

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