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schweizerische Eidgenossenschaft werde diese Verhandlungsgegenstände des Pariser Kongresses und Turiner Vertrages noch nicht gänzlich in das Gebiet der Geschichte verweisen können.

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unter die Bekanntschaft und das Interesse ähnlicher Liebhaber verbesserter Landwirthschaft, unter Anderm die des Herzogs von Richelieu, damaligen Gouverneurs von Odessa, vermittelten. Daneben gründete er mit seinem Bruder M. A. Pictet im Jahre 1796 die Bibliothèque Britannique, eine litterarische und damals auch landwirthschaftliche Zeitschrift, die unter dem etwas veränderten Namen Bibliothèque universelle » noch heute besteht. Diese litterarische Thätigkeit, die ihn während der 17 Jahre des Stilllebens bekannt gemacht hatte, verschaffte ihm die Ehre, im Januar 1814 den Syndic Des Arts auf seiner Mission (mit Saladin) nach Basel zu den verbündeten Monarchen zu begleiten. Vor dieser Mission nach Basel, mit Des Arts und Saladin, hatte er zu den 22 Patrioten gehört, welche am 31. Dezember 1813 es wagten, als « Syndics et conseil provisoires », die Losreissung Genf's von Frankreich öffent lich zu erklären. In Basel wurde er mit dem berühmten deutschen Staatsmanne v. Stein bekannt, der ihm die Stelle eines Sekretärs in der « Administration der eroberten Länder» anbot, was er, um seinem Vaterlande nützlich zu sein, mit Zustimmung seiner Kollegen annahm und worauf er einen Theil des Feldzugs von 1814 im russischen Hauptquartier mitmachte. Seine Befähigung zu diplomatischen Geschäften, die namentlich in einem sehr gewinnenden Umgang, verbunden mit einem offenen, geraden, das Vertrauen des Gegners erweckenden Wesen, und einer ganz ausgezeichneten Gabe, verwickelte Geschäfte lucid zu behandeln, lag. veranlasste im selben Jahre seine scharfsichtigen Mitbürger, ihm die Vertretung der Interessen Genfs bei Anlass des ersten Pariser Friedens und (zugleich mit d'lvernois) beim Wiener Kongress anzuvertrauen, wo er sich neben den eidgenössischen Diplo maten so sehr auszeichnete, dass ihm nun auch die Eidgenossenschaft ihre Vertretung bei der Fortsetzung des Kongresses im Herbst 1815 in Paris auftrug, wo er namentlich die Anerkennung der schweizerischen Neutralität und die Verbesserung der Grenzen gegenüber Frankreich und Sardinien zu befürworten hatte. Während der hundert Tage hatte Pictet eine Art von militärischer Diktatur in Genf vermöge eines Patents vom 11. März 1815 inne

Die grösste Militärmacht der modernen Zeiten war bei Waterloo definitiv vernichtet worden, und das gegen sie vereinigte Europa fand sich nun neuerdings, diesmal in Paris, zusammen, um einestheils von Frankreich

gehabt, das ihn autorisirte, alle Streitkräfte des Kantons nach seinem Ermessen und mit Hülfe von Offizieren seiner eigenen Wahl zu organisiren und für die sonstigen geeigneten Vertheidigungsmittel Vorsorge zu treffen. In Folge dieser militärischen Stellung führt er auch den Titel Oberst. Im folgenden Jahre 1816 schloss er Namens der Eidgenossenschaft mit Sardinien den Turiner Vertrag, die günstige Ergänzung der Pariser Stipulationen, und zog sich dann unter allgemeiner, warmer Anerkennung seiner diplomatischen Thätigkeit (die sich seitens der Eidgenossenschaft mittelst einer Dankadresse vom 18. Juli 1816 in einem goldenen Kästchen ausdrückte) in das Privatleben zurück. Aus dieser spätern Zeit ist von ihm besonders bemerkenswerth eine anonyme Schrift über den Werth der schweizerischen Neutralität für Europa, die unter dem Titel « La Suisse dans l'intérêt de l'Europe », als Antwort auf eine Rede des Generals Sebastiani in der französischen Deputirtenkammer erschien und grosses Aufsehen machte, sowie seine lebhafte Betheiligung in Kommissionen an der Entfestigung von Genf, die er (neben der Vertheidigung der Jurapässe) als ein besonderes Gebot militärischer Klugheit ansah, um einem jeden Feind den Wunsch zu benehmen, einen solchen festen Punkt für sich zu besetzen. Er starb, infolge einer Operation, ziemlich plötzlich am 29. Dezember 1824, vielfach betrauert als einer der geschicktesten Diplomaten, welche die Schweiz jemals besessen hat. Von seinen litterarischen Werken sind ausser den bereits genannten noch zu bemerken ein zweibändiges Werk über Amerika. «Tableau des Etats-Unis d'Amérique, Paris 1795 ». Aus der « Bibliothèque universelle » sind von dauerndem Interesse Uebersetzungen aus den Werken Lord Byron's, Kritiken der Werke des berühmten Strategen Jomini und erst posthum erschienene Reflexionen über die nationalökonomischen Ideen von Ricardo, deren Neuauflage in unserer Zeit nicht ohne Werth sein würde. Die Landwirthschaft verdankt ihm, ausser der obgenannten Einführung feinerer Schafe, ein System der Wechselwirthschaft, verschiedene Verbesserungen landwirthschaftlicher Geräthschaften, besonders der Pflüge, und die lebhafte Anregung

noch bessere Garantieen, als im ersten Pariser Frieden und am Wiener Kongress, gegen eine abermalige Ruhestörung zu fordern, andrerseits aber das bisherige Kongresswerk überhaupt in manchen Punkten zu ver

von Musterwirthschaften, « fermes modèles et expérimentales », (von denen er selber eine in Lancy einrichtete), sowie von landwirthschaftlichen Schulen, in dem als Beilage zur « Bibliothèque universelle » erscheinenden «Journal d'Agriculture ». Auch aus dem Gebiete der Theologie ist von ihm eine Uebersetzung der natürlichen Theologie» von Paley vorhanden, in deren Vorrede von 1794 er sich zu dem Christenthum, als zu einer auch durch die aufmerksame Betrachtung der Natur bestätigten Wahrheit bekennt.

Ueber die diplomatischen Verhandlungen Pictets existiren ausser den bereits in dem Werke Die beiden Bürgermeister v. Wyss » publizirten Korrespondenzen (II, 277-373) noch eine bedeutende Anzahl von ganz vertraulichen, theilweise chiffrirten Briefen an Staatspersonen der Genfer Republik, welche, wie daraus ersichtlich ist, mitunter durch eigene Kouriere abgesandt wurden und die in der That die wichtigsten Aufschlüsse über den speziellen Verlauf dieser Negoziationen enthalten, die ihren Einfluss bis in unsere Tage hinein erstrecken. Einzelne dieser Briefe wurden auftragsgemäss auch dem Tagsatzungspräsidenten zur Kenntnissnahme mitgetheilt, der grössere Theil ist heute noch unbekannt, wird aber wohl binnen Kurzem alle Freunde aktenmässiger Geschichte erfreuen. Was diesen Briefwechsel ganz besonders auszeichnet, ist eine unübertreffliche Klarheit in der Auffassung und Schilderung verwickelter Situationen und massgebender Persönlichkeiten. Mit oft sehr wenigen Worten werden diese wichtigen Konferenzen so beschrieben, dass der Leser beinahe glaubt, die handelnden Personen zu hören und einen so vollkommenen Einblick in die jeweilige Sachlage bekommt, wie er uns wenigstens nicht zum andern Male in dieser Art vorgekommen ist. Der Gesammteindruck ist der, dass der damalige Gesandte Genf's und zugleich der Schweiz bei weitem der fähigste unserer Diplomaten und den damaligen europäischer Meistern dieser Kunst vollkommen gewachsen war, und dass er nur eine kräftigere Eidgenossenschaft hätte hinter sich haber müssen, um ein grösseres thatsächliches Resultat seiner Thätig

vollständigen und, wo möglich, die geeigneten Schranken gegen die Wiederkehr solcher aggressiven, auf höchster Ausbildung der Militärgewalt beruhenden Staaten zu finden. ) Dass unter solchen Umständen die Eidgenossenschaft sich ebenfalls bei dieser Schlussabrechnung einfinden musste, sowohl um die in den Erklärungen vom 20. und 29. März 1815 ihr bereits zugesagten Vortheile bestätigen und der Ausführung näher bringen zu lassen, als um, wenn thunlich, einige mangelhafte Partien des Wiener Kongresswerkes zu verbessern, lag auf der Hand, und es handelte sich wesentlich nur darum, die richtige Person für diese Aufgabe zu finden.

Die Tagsatzung hatte am 12. August 1815 der diplomatischen Kommission die Vollmacht ertheilt, für eine solche Vertretung zu sorgen und die Wahl derselben fiel auf Charles Pictet, welchem höchst wahrscheinlich auch bei der Wahl eines andern eidgenös

keit zu erreichen. Wenn er, dessenungeachtet, in heutiger Zeit einem grössern Publikum weniger bekannt ist, als manche andere Zeitgenossen, ja sogar in einzelnen Geschichtsdarstellungen eine zu wenig günstige Beurtheilung erfährt, so liegt diess eben zum Theil in der Natur seiner Beschäftigung, die sich einer allgemeinen und genauern Kenntnissnahme entzieht. Staatsmänner und Diplomaten gleichen vielfach Virtuosen. So lange sie leben, sind sie in Aller Munde. Sind sie aber einmal todt, so bilden ihre (mitunter auch sehr vergänglichen) Werke nicht immer und auf alle Zeiten hinaus so deutliche Zeugnisse und Spuren ihres Geistes, wie diejenigen der Schriftsteller und Künstler, deren Ruf oft umgekehrt erst mit ihrem Tode beginnt.

In diesem Falle aber wird eine jede neue Behandlung der gleichen Fragen, die uns vielleicht bevorstehen mag, mit einer erneuerten Werthschätzung und Anerkennung dieses Gesandten verbunden sein.

1) Die nämliche Aufgabe dürfte, nach Ablauf eines Jahrhunderts, einem künftigen Kongresse wieder vorbehalten sein.

sischen Abgeordneten die Aufgabe erwachsen wäre, die speziellen Interessen seines Heimatkantons Gent neuerdings zu vertreten und in dessen diplomatische Geschicklichkeit namentlich der Präsident der Tagsatzung, Bürgermeister v. Wyss, ein wohlbegründetes Vertrauen setzte. Dieses Vertrauen gründete sich wahrscheinlich nicht allein auf seine in Wien, neben d'Ivernois, bewiesene Gewandtheit und auf die natürliche Erwägung, dass diese Fortsetzung und allfällige Revision der Wiener Verhandlungen nur einer in diesen Fragen schon völlig versirten Person anvertraut werden könne, sondern auch auf eine Reflexion, welche wir einer im Jahre 1825 in der « Bibliothèque universelle » erschienenen kurzen Biographie Pictet's entnehmen. Der betreffende Passus lautet: «Tout devient difficile en diplomatie à ceux, qui ne sont pas connus déjà de réputation par ceux avec qui ils doivent traiter; un nom nouveau qui n'annonce ni le talent ni le caractère d'un nouveau personnage, rallentit toutes les communications et repousse la confiance; de là vient que les gouvernements dans leurs ambassades, faute d'hommes célèbres, emploient tout au moins des hommes titrés. >>

Pictet war in Wien in nähere Beziehungen zu einzelnen Vertretern der Grossmächte, ganz besonders zu dem Russen Capo d'Istria und dem Oesterreicher Wessenberg getreten, er erfreute sich der Zuneigung. ja beinahe Freundschaft der beiden österreichischen Erzherzoge Johann und Karl und des bayrischen Fürsten Wrede und wurde selbst von dem Fürsten Metternich mit so viel Wohlwollen und Freundlichkeit ausgezeichnet, als diess die eigensüchtige Politik und die légèreté » eines Diplomaten erlaubte, der diese Eigenschaft für ein unfehlbares Merkmal von Genia

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