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ihrer Mischung mit andern Elementen, richtiger bewahrt hat als das jetzige Gesammt - Deutschland, das übrigens wohl einmal später, wenn es seine äussern Verhältnisse gesichert weiss, auch auf diese verlassenen Bahnen zurückkehren wird. Uns genügt vorläufig die Einsicht: Wir müssen um jeden Preis diesen Charakter bewahren, ein eigener, eigenartiger und fest nach Aussen abgeschlossener Staat sein und bleiben. Das ist dermalen unsere Hauptaufgabe.

Damit hängt eng zusammen die Abwendung von dem seiner Natur nach kosmopolitischen Sozialismus, der in der letzten Periode unserer Geschichte, seit 1886 namentlich, eine Art geistiges Uebergewicht über alle andern Interessen. zu erlangen drohte, dergestalt, dass diese sozialen Fragen> nicht allein überall und übermässig betont wurden, sondern die Schweiz auf diesem Wege ebenfalls nur zu einer Provinz eines grösseren, vorerst allerdings bloss in der Idee bestehenden, aber schon jetzt über alle Landesgrenzen hinausreichenden Weltstaates geworden wäre. Diese Idee hatte, bei Weitem mehr als gut, selbst in Kreisen um sich gegriffen, die ihr hätten Widerstand leisten sollen. Nun hat der Druck von Aussen, verbunden mit einer eingetretenen Ueberlegung der gebildeten Klassen, es mit sich gebracht, dass die sozialen Fragen wieder mit Bestimmtheit unter, nicht neben, oder gar über die politischen gestellt werden und auf nationalem Boden gelöst werden müssen. Und wo noch eine Unklarheit darüber herrscht, wie z. B. im Grütli-Verein, da muss sich eine Trennung in nationale und kosmopolitische Elemente mit Nothwendigkeit in kurzer Zeit vollziehen. 1)

Unzweifelhaft enthält desshalb auch das Jahr 1889 trotz der nach Aussen gebotenen militärischen Zusammenfassung den gleichzeitigen leisen Anfang einer Gegenströmung gegen die Centralisation, wo immer sie unnöthige Ausdehnung gewinnen will, oder mit dem Grundgedanken des

1) Dieselbe wird nun im ganzen Schweizervolke viel schneller, als wir es bei dem Niederschreiben dieses Satzes dachten, durch das von der sozialistischen Partei betriebene Referendum gegen den Generalanwalt herbeigeführt. An dem Tage vollends, an dem eine solche Abstimmung stattfinden würde, würde diese spezielle Frage unfehlbar in die allgemeinere übergehen: Hie Eidgenossenschaft, hie Sozialistenstaat, rothweisse oder rothe Fahne.

Bundesstaates im Widerspruche steht. Die Idee tritt wieder in den Vordergrund, welche sich durch unsere ganze politische Geschichte, wie der vielgenannte rothe Faden hindurchzieht, die richtigen Grenzen zwischen Centralgewalt und kantonaler Selbständigkeit und wahrer Freiheit ernstlich zu suchen, welche weder in der Verfassung von 1874, noch in dem jetzigen staatlichen Leben verwirklicht sind.

Wir stehen im inneren Leben der Eidgenossenschaft unseres Erachtens jetzt auf einem Punkte, der sich mit dem Jabre 1841 einigermassen vergleichen lässt. Nach einem nun allgemein als misslungen anerkannten Bundesrevisions v e rsuche, der, mittelst eines unwahren Kompromisses zu Stande gebracht, niemals ein dauernd befriedigendes Werk sein konnte, treten die prinzipiellen Fragen von Neuem auf, und wir kommen zunächst auf den 12. Mai 1872 zurück, der das letzte wirkliche Datum unserer politischen Geschichte ist. Es wird sich dabei zeigen, ob das schweizerische Volk in diesen 18 Jahren, in denen eine neue Generation heranzuwachsen Zeit hatte, reifer und idealer geworden ist. Beides betrachten wir als identisch, und wenn es der Fall sein sollte. so wollen wir unsererseits bekennen, dass die Kompromittenten von 1874 nicht unpolitisch gehandelt haben, auch selbst, wenn sie jetzt, wie es vorkommt, zu den Beförderern von Grundsätzen gehören, die sie damals verwarfen. Wenn nicht, so wird die Geschichte sie zu denjenigen Staatsmännern zählen, die, wie ihre Vorgänger im Jahre 1832/33 nicht den Muth und die Kraft hatten, der Eidgenossenschaft einen Umweg von zwanzig Jahren und eine grössere Krisis. als sie nothwendig gewesen wäre, zu ersparen.

Es ist ziemlich klar, dass aus diesen Gesichtspunkten. sobald sie sich noch durch den Ernst der Zeit und den Trieb der Selbsterhaltung etwas mehr abklären und verfestigen. die allgemeine, entschlossene Stimmung hervor gehen muss, die. über alle bisherigen Parteiverhältnisse weit hinausgehend, allein die Eidgenossenschaft in der nun kommenden Prüfungsperiode erhalten kann. Denn der « schöne Mensch mit seinem Palmenzweige» 1), den Schiller schon an der Neige des vorigen Jahrhunderts erblickte (gerade als die damaligen grossen Kriege begannen), ist noch heute. zu

1) Vgl. das Gedicht «Die Künstler.»

Ende des folgenden, nicht erschienen und es ist uns zweifelhaft, ob er überhaupt so bald erscheinen werde.

Jedenfalls tritt die «furchtbar herrliche Urania » nicht zuerst als Schönheit auf dieser Erde auf; das ist eine grosse Täuschung aller sogenannten « Kulturperioden», sondern das Schöne, oder mit deutlicheren Worten: die Bildung und Kultur der Völker kann nur aus dem Boden der sittlichen und politischen Wahrheit hervorwachsen; das ist der Gedanke, der auch unserem Geschlechte wieder mit einer eisernen Konsequenz klar gemacht werden wird.

In der auswärtigen Politik brachte das neue Jahr leider eine neue Störung des guten Verhältnisses zu Deutschland, abermals auf Grund der unglücklichen Praxis, die einige moderne Regierungen angenommen haben, ihre eigenen Angehörigen auf fremdem Boden durch bezahlte Spione überwachen zu wollen, welche dann gelegentlich, mit oder ohne Auftrag, die Rolle von «agents provocateurs», oder, wie ein neuerfundener, nicht ganz zutreffender Ausdruck lautet, Lockspitzeln1) übernehmen und geradezu mit dem Gelde ihrer Regierungen zu den Dingen aufmuntern, welche dieselben bekämpfen wollen. Einer der plumpsten und ungeschicktesten dieser Hetzer, ein Polizeiinspektor August Wohlgemuth aus Mülhausen, wurde am Ostersonntag durch einen aargauischen Bezirksbeamten in Rheinfelden verhaftet und es fanden sich unter Anderem folgende schwer belastende (von ihm anerkannte) Briefe an einen in Basel niedergelassenen Schneider Lutz aus Bayern vor, aus deren Schlinge er sich trotz der später auf Amtseid abgegebenen Aussagen nicht loszuwinden vermochte. Dieselben lauteten:

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1) Das Wort «locken» drückt die volle Gefährlichkeit und ganze moralische Verwerflichkeit dieses Gewerbes nicht aus, das wesentlich darin besteht, die Unruhen selbst anzustiften, welche dann, wenn diess gelingt, der Schweiz zur Last geschrieben und den Regierungen des Auslandes verzeigt werden, um sie zu Reklamationen zu veranlassen. « Hetzspion »>, oder << agent provo

cateur ist der sachlichere Ausdruck.

Erster Brief.

(Poststempel Uehlingen, Baden, 26. Februar 1889.) Herrn B. Lutz, Schneidermeister in Basel, Weissegasse 18.

Hierdurch erlaube ich mir die diskrete Anfrage, ob Sie geneigt sind, gegen angemessene Bezahlung mir über die politischen Verhältnisse der dortigen Vereine Auskunft zu geben. Bejahendenfalls ersuche ich Sie, mir unter Benutzung des beifolgenden Couverts mitzutheilen, wann und zu welcher Stunde ich Sie am badischen Bahnhofe in Basel, oder in Leopoldshöhe treffen kann. Sie werden mich an einem weissen Nastuch in der rechten Hand erkennen. Ich bin dort unbekannt. Strengste Verschwiegenheit und Schonung Ihrer Person verspreche ich Ihnen im voraus.

Ich rechne darauf, in den nächsten acht Tagen unter beiliegendem Couvert eine Antwort von Ihnen zu erhalten. Ich werde Ihnen diesen Brief wieder zurückgeben. Sie brauchen denselben nicht mit ihrem Namen zu unterzeichnen.

Theilen Sie mir vertrauensvoll Ihre Vorschläge mit, und seien Sie versichert, dass Ihnen keine Falle gelegt werden soll. Ergebenst

J. Ka mm.

Zweiter Brief.

(Poststempel Basel, 20. März 1888.)

Herrn Lutz in Basel.

Auf Ihr Schreiben theile ich Ihnen mit, dass ich Sie am nächsten Sonntag den 24. d. Mts. Nachmittags zwischen 3 und 5 Uhr am Bahnhof zu Rheinfelden, in der Restauration oder im Wartezimmer 1. Klasse erwarte. Ich trage weissen Zettel am braunen Hut. 10 Fr. Reisegeld folgt per Mandat bei.

Falls Sie nicht kommen können, bitte ich bis Freitag den 22. d. Mts. Nachricht postlagernd Dornach, Kreis Mülhausen, Elsass.

Ergebenst

J. Kam m.

Dritter Brief.

(Poststempel Dornach (Elsass) und Basel, 23. März 1889.) Herrn Lutz, Schneidermeister in Basel.

Sie werden meinen in Basel am 20. d. Mts. aufgegebenen Brief nebst Postmandat über 10 Fr. Reisegeld erhalten haben und sehe ich daher Ihrem Eintreffen am Bahnhofe Rheinfelden morgen, als Sonntag Nachmittag, zwischen 3 und 5 Uhr entgegen. Ich rechne darauf, dass Sie allein kommen. Sie werden mich am weissen Zettel am Hut erkennen. J. Ka m m.

Diese drei Briefe sind augenscheinlich nicht von der Hand Wohlgemuths geschrieben, wohl aber die folgenden: dagegen hat W. vor Bezirksamt Rheinfelden ausdrücklich zu Protokoll erklärt, dass die ersten drei Briefe von ihm veranlasst, d. h. diktirt worden sind.

Vierter Brief.

(Poststempel Mülhausen. 29. März 1889.)

Lieber Herr Lutz!

In der Anlage erhalten Sie Couverts zur Benützung. Später sende ich Ihnen Deckadressen. Ich hoffe, Sie werden mir jede Woche einen Bericht schicken, an Stoff wird es bei Ihrer umfassenden Kenntniss der Verhältnisse nicht fehlen. Schreiben Sie alle Vorgänge in der hiesigen und dortigen, bezw. badischen Partei, Organisation. Leitung, Agitation und Verbreitung von Schriften etc., wie wir zusammen gesprochen. Schonung Ihrer Person liegt am nächsten in meinem Interesse. Die Belohnung erfolgt nach den Leistungen in der Weise, dass Sie zufrieden sein werden. Ergebenst

Fünfter Brief.

X.

Mülhausen, 5. April 1889.

Geehrter Herr Lutz!

Im anliegenden Couvert erhalten Sie die erbetenen 200 Mark, über deren Empfang, sowie auch über die erhaltenen

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