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eine Stellung faffen könnten, da der Mangel an Manns zucht alle unsre Eroberungen in eine Wüste verwandelt und bie Unvorsichtigkeit unsers Führers nichts geschont hatte, um unsre Rückkehr zu erleichtern. Genug, um die Schilderung unsrer hülflosen Lage, mitten bey unsrer anscheinenden Siega haftigkeit, vollständig zu machen, reiche es hin, zu sagen, daß die ganze Armee muthlos und des Marschierens müde, und die Reiterei dem Verderben nahe war, so wie auch die durch schlechte Nahrung erschöpften Artilleriepferde die Stücke kaum mehr ziehen konnten. Obschon die kläglichen Opfer der Verbrennung Moskau's, können wir uns doch nicht ent halten, diese hochherzige Hingebung zu bewundern, und den Einwohnern dieser Stadt Gerechtigkeit widerfahren zu lass fen, indem sie sich, gleich den Spaniern, durch ihren Muth und ihre Ausdauer zu dem hohen Grad von Ruhm geschwuns gen haben, der die Größe eines Volks bezeichnet.

Erinnert man sich der Beschwerlichkeiten, die wir ausa gestanden hatten, und des Verlusts, den uns nur die Ermus bung allein verursachte, ehe wir Moskau erreichten, und zwar dies in einer Jahrszeit, wo die Erde, mit ihren Erf jeugnissen bedeckt, uns reichliche Hülfmittel darbot, so ist es shwer zu begreifen, wie Napoleon verblendet und starrs finnig genug seyn konnte, Rußland nicht zu verlassen; besons ders sobald er sah, daß die Hauptstadt, auf die er gezählt hatte, vernichtet war, und daß der Winter nahte. Um sich einer solchen Augenscheinlichkeit zu entziehen, muß ihn der Himmel, um ihn wegen seines Uebermuths zu bestrafen, mit Thorheit befangen haben, sonst håtte er sich nicht vorstellen kön nen, daß dieselben Männer, die den Muth gehabt hatten, ihr Vaterland zu zerstören, gleich darauf die Schwachheit haben

zählte. Die 15te Division, die bey Eröffnung des Feldzugs
sich auf 13,000 Mann belief, war auf 4000 gebracht.
Anm. d. Verf.

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würden, seine harten Vorschläge anzunehmen, und den Frie den auf den rauchenden Trümmern ihrer Hauptstadt zu uns. terzeichnen. Auch fingen die Kurzsichtigsten an, unser Unglück vorherzusagen, und ging man bey den Mauern des Kremlins vorbey, so war es, als hörte man die prophetischen Worte, die eine himmlische Stimme Nebukadnezar mitten in seis nem Glücksschwindel zurief: „Dein Königreich wird dir gez ,,nommen werden, man wird dich vor den Leuten verstoßen,

du wirst in der Verbannung und Erniedrigung leben, das ,,mit du erkenneft, daß der Höchste Gewalt hat über der Menschen Königreiche, und giebt sie, wem er will."

Am Tage unsers Einmarsches in Moskau zogen sich die Russen auf der Heerstraße von Wladimir zurück, dann aber tehrte der größte Theil ihrer Arniee um, und folgte dem Laufe der Moskwa, um nach Kolomná zu rücken, wo er Långs dem Fluffe eine Stellung fafste. Man erzählt 'hiers über, daß diese Armee und hinter ihr eine ganze flüchtige Bevölkerung, zwey Tage nach unsrer Ankunft, unter den Mauern von Moskau, während die Stadt noch in Flammen stund, vorüberzog; der Glanz des Brande leuchtete ihr; ja, da der Wind mit Heftigkeit blies, trieb er Trümmer des in Afche serwandelten Vaterlandes bis in ihre Reihen, und vers kündete den Einwohnern, daß sie keine Wohnstätte mehr hätten. Ungeachtet so ungeheurer Unglücksfälle unterhielten Diese Truppen die größte Ordnung, und beobachteten ein ties fes Schweigen. Eine solche Hingebung beym Anblick eines To schmerzlichen Schauspiels gab diesem Marsche ein ehrwürs diges, wirklich religioses, Ansehen.

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Während dem viertägigen Aufenthalt (am 17. 18. 19. und 20. Septbr.), den wir in der Nähe des nur eine Vierz telstunde von Moskau entfernten kaiserlichen Schlosses Pe terskoe machten, auerte der Brand der Stadt unaufhörlich fort. Unterbeffen fiel der Regen in Strömen; da sich nun nur wenige Häuser in der Nachbarschaft des Schlosses,

im Berhältniß der großen hier gelagerten Menge, befanden, war es äußerst fäwierig, ein Obdach zu finden. Menschen, Pferde und Wagen mussten daher mitten auf dem Felde biz reuacquiren. Die Stabs Offiziere, die sich um die Schläffer her aufhielten, die ihre Generale inne hatten, besesten die englischen Garten, und nahmen ihre Wohnung in den Grot ten, den Sommerhäuschen, den Kiosks oder in den Gartens lauben, während die an den Akazien oder Linden angebunde nen Pferde durd Laubgånge oder Rabatten abgesondert was ren. Dieses wirklich mahlerische Lager ward es noch mehr. burch das neue Kostüm, das sich die Soldaten beylegten. Die Meisten, um sich vor der übeln Witterung zu bewahren, hatten die nämlichen Kleidungen über sich gezogen, die man nech kürzlich in Moskau sah, und die in dem Basar dieser Etadt die anziehendste Mannich faltigkeit hervorbrachten. So sah man in unserm Lager einige Soldaten in tartarischer Kleidung, andere in kosakischer, wieder andere in chinesis fiber herumwandeln; dieser trug die volnische Mühe, jener die hohe perfifche, andre die der Baskiren, der Kalmuken u. s. m. Mit einem Worte, unsre Armee ftellte das les bendige Bild des Karnevals dar, ein Umstand, der nachher zu sagen veranlasste, daß unser Rückzug mit einer Mas, kerade angefangen, aber mit einem Leichenbegångniß geendis get habe.

Der Ueberfluß, dessen die Armee genoß, ließ jeßt die Strapazen vergessen. Man tröstete sich, den Regen auf dem Rücken, und die Füße im Koth zu haben, durch die gute Kest und durch den Gewinn, den Jeder aus dem Schachern mit den aus Moskau gebrachten Gegenständen zog. Denn wiewol es verboten war, in die Stadt hineinzugehen, vers lezten die Soldaten, durch den Gewinn angelockt, den Be: fehl, und kamen beständig mit Lebensmitteln und Waaren bes laden zurück. Unter dem Vorwand, auf's Marodiren aus zugehen, begaben sie sich in die Gegend des Kremlins, wo

fie die Brandstätten durchsuchten, und häufig unverlekte Maz gazine mit Waaren aller Art der Fülle vorfanden. Unser Lager glich daher nicht mehr dem einer Armee, sondern einer großen Messe, wo jeder Soldat, in einen Kaufmann verwan delt, um einen Spottpreis die kostbarsten Sachen verkaufte ;; auch, wiewol in freyem Felde gelagert und allem Ungestümm der Witterung blosgestellt, aßen sie, zum sonderbaren Abstich,. von Porzellan-Tellern, tranken aus silbernen Gefäßen, und besaßen Alles, was der Lurus Kostbarstes und Geschmackvollftes zur Bequemlichkeit des Lebens erdacht hat.

Da der Aufenthalt, von Peterskoe und seiner Garten eben so ungefund als unbequem war, kehrte Napoleon in den nicht abgebrannten Kremlin zurück, worauf auch die Garde und gesammter Generalstab-Befehl erhielt, wieder in bie Stadt zu kommen (20. und 21. Septbr.). Nach der Aufnahme, die die Geograph: Ingenieure anfertigten, war ein Zehntheil der Häuser übrig geblieben, die Quartierweis unter die verschiednen Korps der großen Armee vertheilt wurz ben. Wir erhielten daffelbe, das wir Anfangs inne hatten, nämlich die Petersburger Vorstadt.

Diesesmal waren wir nicht in Berlegenheit über die Wahl unsrer Wohnungen. So wie wir den Fuß wieder in die Stadt festen, fühlten wir eine Herzbeklemmung, keine Spur der Prunkgebäude wieder zu finden, die wir Anfangs befeht hatten. Alle waren dem Boden gleich. Ihren noch rauchenden Trümmern entfliegen, den Horizont wie Wolken: überziehende, Dünste, die die Sonne verdunkelten, und uns thre Scheibe roth und blutfarb zeigten. Man konnte die Richtung der Straßen nicht mehr erkennen, nur die steinernen Palåste behielten noch Spuren ihres vorigen Wesens. Zwischen Kohlen und Aschenhaufen hervor glichen diese durch den Brand geschwärzten Ueberbleibseln einer modernen Stadt, Ruinen aus dem Alterthum.

Jeder suchte eine Wohnung, aber selten fand man einige

bereinanderstehende Häuser, so daß, um ein Paar Kompas gnien unterzubringen, man eine weite Strecke besehen mussa te, die nur hie und da ein Gebäude darbot. Da die Kirchen, als weniger verbrennlich noch einiges Dachwerk behalten hats ten, wurden sie in Kasernen und Ställe verwandelt. Also traten das Gewieher der Pferde und die schrecklichen Flüche der Soldaten an die Stelle der gottgeweihten Gesänge, die kürzlich neh diese Hallen erfüllten,

Begierig zu sehen, in welchem Zustand sich das Haus befände, in dem ich gewohnt hatte, båtte ich es vergeblich gez sucht, wenn nicht eine benachbarte, noch vorhandene, Kirche mich geleitet hätte. So wie es zugerichtet war, konnte ich es kaum erkennen, ganz verbrannt blieben nur noch die vier, überall durch die Heftigkeit des Feuers zerspaltenen, Mauern. Jó betrachtete mit Entsehen diese Verwüstung, da kamen die unglücklichen Bedienten aus der Tiefe eines Kellers hervor; abgemergelt, durch Ruß entstellt, schienen es Gespenster. Ungleich somerzlicher aber war mein Gefühl, da ich meinen gewesenen Hauswirth unter diesen Aermsten erkannte, in Lumpen gehüllt, die ihm seine Bedienten geliehen hattenz er lebte jest wie sie, das Unglück hatte die Stände ausge glichen! Bey meinem Anblick konnte er sich der Thrdz nen nicht enthalten, .besonders da er mir seine halbnakten, vor Hunger sterbenden, Kinder vorzeigte. Sein stummer Schmerz prägte sich tief in meine Seele. Durch Zeichen gab mir der Unglückliche zu verstehen, daß, nachdem die Soldas ten sein brennendes Haus ausgeplündert, sie ihm auch die Kleider vom Leibe gerissen hatten. Ich war innig von seiz nem Schicksal ergriffen, suchte seine Leiden zu mildern, aber befürchtete, ihm nur leeren Trost anbieten zu können; aber derselbe Mann, der mich einige Tage vorher mit einem glån zenden Mahle bewirthet hatte, nahm jest mit Dankbarkeit ein Stück Brot von mir an.

Wiewol die Bevölkerung von Moskau eigentlich ganz

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