Page images
PDF
EPUB

Rathe gezogen, und jede Angelegenheit zum Geschäfte der Parteyen gestempelt hat.

Es ist wirklich sonderbar, und nur aus diesem einseiti gen Anhängen an wandelbare Interessen, welche mit dem Blicke auf das Allgemeine gar nichts gemein haben, zu erz klåren, wie sehr in der Streitfache des Ädels in einer Reihe von wenigen Jahren die Gesichtspunkte und die Gegner ge= wechselt haben.

Als die französischen Revolution:Männer den Schwindel einer betrüglichen Freyheit durch Europa trugen, um ge= täuschte Völker desto leichter im Taumel überfallen zu können, glaubte der sogenannte dritte Stand in dem Adel nur einen Usurpator unerträglicher Privilegien, und ein Werkzeug der Unterdrückung zu erkennen; der Adel hinwieder sah in dem lodernden Aufstreben dieses Standes nur den gefährlichen Feind seiner Eristenz, die Mißgunst seiner wohlerworbenen Rechte, die Nichtachtung des geseßlich begründeten Eigenthums, und er meinte, sich und die öffentliche Ruhe durch ein engeres Anschließen an seinen Fürsten söüßen zu müssen; die Räthe der Fürsten glaubten, daß es mehr als je nöthig fey, den Adel, welchen man von jeher für die Stüße der Thronen gehalten hatte, mit allem Nachdruck gegen die Ans fälle des Zeitgeistes aufrecht zu erhalten, damit nicht die Ordnung der bürgerlichen Einrichtung und die Kronen selbst zu wanken begannen.

Kaum war der Schwindel beschwichtiget, indem die Nas tion, welche die Freyheit gepredigt hatte, unter den militå= rischen Befehl eines ihrer Generale sich beugte, und die bes trognen Völker Europas die Falle erkannten, welche man ih nen bereitet hatte, kaum zeigte der französische Scepter, daß die Gährung der Nationen nicht mehr zu fürchten sey, so stellte sich auch die Lage des Adels in einem ganz andern Lichte dar. Er, welcher kurz vorher für das Werkzeug der Unter drückung galt, wurde verdächtig, einen Geist der Freyheit zu

nåhren, welcher nicht mehr zu der neuen Ordnung der Dinge passte; die Völker, welche an einen neuen Geist der Regies rung sich zu gewöhnen hatten, sollten in der Gleichstellung des Adels ihre Beruhigung finden, auf deffen Privilegien sie nun nicht mehr eifersüchtig waren, weil ganz andre Erfah rungen sie beschäftigten; die Fürsten mussten die Vorrechte des Adels, welche ihn erst zur Stüße der Thronen gemacht haben, als unanständige, mit ihrer Würde unvereinbarliche, Eremtionen ihrer Herrschaft betrachten.

So entgegengesezte Wirkungen wollte und brachte der Hauch des französischen Geistes, welcher unter all' diesem Wechsel allein sich gleich geblieben, und mit dem keine andre Veränderung vorgegangen war, als die Wanderung seines Wohnfißes von Versailles nach St. Cloud.

Auch in diesem System war Deutschland nach der Eigens heit seiner Geschäfte mit der schulgerechten Mühe der Ausführung noch nicht zu Ende gekommen, als die eben entfal tete Kaiserwürde des Kabinettes von St. Cloud denselben ein neues Bedürfniß erzeugte, den Glanz seines Thrones mit den Strahlen eines neuen Adels zu umgeben, und ihm wieder Vorrechte zu verleihen, welche man unlångst dem alten entzogen hatte. Der April d. J. hat die Probe gegeben, wie sehr der Machthaber auf die Wirkungen seiner, mit den Gütern fremder Völker ausgespendeten, Munifizenz und aufden Schuß dieser neuen Leibwache zählen konnte.

Die Veränderungen folgten zu schnell aufeinander; Deutschland, welches wenigstens die Scham der Inkonse quenz hinderte, sein Vorbild so eilig zu erreichen, war noch bemüht, den wechselnden Kindern französischer Mode, wie immer, das Gewand eines Systems umzuhängen; so traten die Katastrophen von Moskau und Leipzig ein, und während Frankreich sich schon wieder mit einem neuen System beschäftigt, feinen alten Adel so viel möglich in den ehemaligen Fuß einzusehen, arbeiten wir noch an der Verdauung der Prife,

womit wir ihn hätten verschlingen sollen. Es war lange Zeit unsre Bestimmung, wie der fliehende Schatten die Stelle zu bezeichnen, welche das wandelnde Urbild son verlassen hatte, oder wie ein Landjunker noch hartnäckig an der Mode zu kle ben, welche in der Hauptstadt schon seit Jahren verlacht wird, und unsre Råthe, welche die flüssigen und leichten Pariser Ideen in Systeme gießen mussten, hatten die Stelle eines Schneiders, welcher immerfertig die fremden Damen erwar tet, um ihnen sogleich bey ihrer Ankunft die neuen Kleider anzumessen.

Es war wohl nicht zu wundern, daß, bey diesen bez ständigen Umkehrungen, der Bürger, welcher in denselben selbst so wenig Erleichterung empfand, gegen die Beschrånkung des Adels so gleichgültig wurde, als er ehedem eifers süchtig gegen seine Vorrechte war, daß er anfing, ihn mehr zu bedauern, als zu beneiden, ja daß er in diesen Stand, als den Arm des Despotism bezeichnet, nun durch gemeinschaftliche Erfahrungen verbunden, die Hoffnung seßte, in ihm einen freymuthigen Sachwalter der bürgerlichen Freyheit zu finden.

So haben in einer Reihe von wenigen Jahren in einer und derselben Sache Gesichtspunkte und Gegner sich einander abgelöst, und immer ihrem eigenen Beginnen entgegengear= beitet.

Indessen geht der deutsche Adel herum, abgezehrt und seiner Hülle entkleidet, daß man billig zweifeln muß, ob das Gesicht für einen lebendigen Leib, oder für das Gespenst eines schon Abgschiedenen zu halten sey, und man sucht, weil die Wirklichkeit so arm an Stoff ist, den Streit wenig stens über seine vormaligen Verdienste oder Verschuldungen fortzuführen. Noch sehen die Einen das Ueberbleibsel des deutschen Adels als ein Monument einstiger Größe, als ein Grabmal herrlichen Ritterthums an, während die Andern es wie die Trümmer zerstörter Raubschlösser betrachten.

in Bezug auf die Verfassung.

221

Auch hier Parteyliebe und Einseitigkeit. Wer wird widersprechen, daß der Adel es war, an dessen Vorbilde einst die heilige Flamme des deutschen Volksfinnes, der Freyheit und Ehre, der Biederkeit und Tapferkeit sich genährt hat; aber wer wird es vergessen, daß auch von diesem Stande nachher die eitle Sucht nach dem Undeutschen und Fremden, das Streben nach Scheinehre, das hösische Schranzenwesen und die weichliche Selbstsucht ausgegangen sey? Wer wird läugnen, daß der Bürger noch lange seine alte Schlichtheit und feine, treue Ehrlichkeit bewahrte, als der Adel schon von dem Einfluß des Fremden und der Höfe verdorben wurde, und die Höfe verderben half; aber wer wird es vergessen, mit welcher Emsigkeit und eitler Aefferey nachher der Bürger sich der ehrenhaften Eigenthümlichkeit seines bescheidnen Standes zu entwinden gesucht, wie er seiner würdigen Eingezogenheit und Bestimmung sich schamend nach dem Scheine der vers meintlichen höhern Kreise hinausgestrebt, und mit der Aneig nung ihrer Verkehrtheit, Lüfternheit und Selbstsucht seinen ursprünglichen Stand zu vermummen getrachtet hat. Es ist sonderbar, daß der Mensch die Schuld seiner Thorheiten so gern auf sein Vorbild schiebt, obwol gerade die Verirrung des Vorgängers dem Nachahmer zur Warnung gereichen follte. Viel Gutes und viel Schlimmes sagen uns die Annalen von der Geschichte des Adels, so daß man zweifeln möchte, ob man lieber das Erstere vermissen möchte, damit auch das Lezte nicht geschehen wäre, oder wohl gar das Schlimme, als noch Gewinn zu achten sey, um des Guten willen. Aber schlagen wir die Chroniken unsrer Städte und Länder auf, so finden wir so viele Beyspiele herrlicher Bürgertugend und Größe unter den übrigen Klassen, aber auch so viele Züge von Unrecht, Gewaltsamkeit und Ausgelassenheit, daß nach reiflicher Abwiegung wohl kein Stand den andern an Tugenden oder Fehlern überbieten dürfte. Aber das Lobenswür dige, wie die Flecken, werden an demjenigen, welcher höher

[ocr errors]

gestellt ist, leichter sichtbar, als an jenen, die sich unter der Menge und in dem verborgenern Kreise des häuslichen Lebens verlieren.

Es ist gerecht, daß die Nation an den Stand der Edlen, welchen sie Jahrhunderte durch mit solchen Vorzügen von Macht, Ansehen und Unabhängigkeit ausgestattet hat, auch mehr als gemeine Forderung für ihr allgemeines Intereffe macht, und die Sünden, welche er am deutschen Sinne begangen hat, mit strengem Richterblicke abwiegt; aber ver: gessen dürfen wir, wenn wir richten wollen, nicht, daß wir ihn durch diese Vorzüge selbst der Gefahr preisgegeben ha ben, von ihnen verführt und mißbraucht zu werden, indem wir ihm die Mittel genommen haben, sie nach seinem Berufe zu gebrauchen, indem wir eine Verfassung haben einschleichen Lassen, welche ihn zu einem můßigen, geschäftslosen Gliede der Nation gemacht hat, welchem nur der lockende Genuß, aber kein Beruf mehr übrig gelassen wurde, der ihn durch die Würde der Pflicht an die Würde seines nationellen Ver hältnisses hätte erinnern können. Vergessen dürfen wir als gerechte Richter eben so wenig, daß der Bürger, welcher die Masse des deutschen Mannes bildet, welcher durch seine Lebens-Verhältnisse auf die chrbare Zucht der Häuslichkeit be: schränkt, welcher der Verführung des eitlen Scheines und lockender Vorzüge minder ausgesezt ist, und durch eine weit unmittelbarere und vielfachere Berührung mit den Dingen und Verhältnissen des Lebens ein kräftlicheres deutlicheres Gefühl von ihrem Werthe und von dem wesentlichen und wah ren Bedürfnisse erhält, daß dieser Stand es eigentlich ist, welcher die Zucht und die Kraft des deutschen Volksthums zu bewahren gehabt hatte, und dieses anvertraute Kleinod der Nation nicht minder leichtfertig und lüftern für die Gaukeleyen des Tages und fremder Aeffereyen hingeworfen hat.

[ocr errors]

Wer will hier den Stein aufheben? Ein Adel, wel: cher, wie der deutsche, mit der Geschichte der Nation aufs

« PreviousContinue »