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Aftenstück

Nr. 6.

1851.

Mai.

Juni.

Der neue Gesandte Frankreichs, Marquis v. Lavalette, bringt die von
seinem Vorgänger nicht erledigte Sache wieder in Anregung.
Aali Pascha erklärt in einer Note an Hrn. v. Lavalette, daß die Pforte
die Capit. als in voller Kraft bestehend anerkenne.

Die Pforte ernennt eine gem. Commission zur Prüfung der Ansprüche.
Die gemischte Commission zeigt sich den franz. Ansprüchen günstig.
Hr. v. Lavalette erklärt sich zu einem Arrangement bereit, das für die
streitigen Heiligthümer den gemeinsamen Besit feststellt.

October. Hr. v. Lavalette und Aali Pascha verständigen sich vertraulich über ein
solches Arrangement.

Novbr.

Der russische Gesandte Hr. v. Titoff überreicht dem Sultan einen
Brief des Kaisers von Rußland, worin dieser die Erwartung aus-
spricht, daß nichts im status quo verändert werden würde.
Hr. v. Titoff kündigt für den Fall einer Veränderung officiell einen
förmlichen Protest an und läßt vertraulich die Pforte wissen, daß
eine solche Maßregel Seitens der Pforte den Abbruch der diplomat.
Beziehungen zur Folge haben würde.

Die Pforte zieht in Folge dessen ihre Zustimmung zu dem mit Hrn.
v. Lavalette vereinbarten Arrangement zurück.

Die Pforte schlägt vor: sämmtlichen christl. Confeffionen den gemeinsamen Genuß aller Heiligthümer zu gewähren; Hr. v. Titoff und Hr. v. Lavalette verwerfen beide den Vorschlag.

Die Pforte löst die gemischte Commission auf und theilt dem franz. Gesandten mit, daß sie die Angelegenheit einer neuen Commission von einigen türkischen Ministern und Ulemas übertragen habe. 14. Hr. v. Lavalette nimmt von diesem Schritt der Pforte Act, indem er erklärt, daß darin ein Abweichen von der in der Note der Pforte vom 29. Juni übernommenen Verpflichtung liege.

Dec. 17. Hr. v. Lavalette fordert von der Pforte Entscheidung in der betr. Angelegenheit in kürzester Frist mit der Bemerkung, daß eine für die Ehre und Würde Frankreichs verlegende Antwort den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zur Folge haben würde.

24. Der 24. Dec., als Termin der Antwort gejezt, geht, ohne daß solche erfolgt, vorüber.

1852.

Die türkische Commission stattet der Pforte ihren Bericht ab.

Hr. v. Lavalette schließt das Jahr mit der Ankündigung des Abbruchs der dipl. Beziehungen.

Januar. Die Entscheidung der türk. Commission wird vom Großen Rath gebilligt, vom Sultan sanctionirt; dem ruff. Gesandten soll für die den Lateinern bewilligten Rechte ein Äquivalent geboten werden. Der russische Gesandte zeigt unerwarteten Widerstand gegen das Arrangement.

Februar.

8.

Aali Pascha theilt dem franz. Gesandten die Entscheidung der Pforte über seine Reclamationen nach dem Beschluß der Commission mit. Darnach sollen das h. Grab, der Stein der Salbung, und die Hallen gemeinsam sein, ebenso die Gärten am fränk. Kloster. Zu den beiden Thüren der großen Kirche von Bethlehem soll je ein Schlüffel und zur Grotte der H. Krippe ein Schlüffel nach wie vor

1852.

in den Händen der Lateiner sein; am Grabe der h. Maria sollen die Katholiken ihren Gottesdienst feiern dürfen.

Hr. v. Lavalette wahrt in Erwiederung der Note v. 8. Februar seine Rechtsansprüche aus dem Vertrag vom 1840, erklärt aber zugleich, indem er das getroffene Arrangement acceptirt, daß das franz. Gouvernement für die nächsten Jahre nicht mehr daran denke, weitere Ansprüche geltend zu machen.

Zur Beschwichtigung des Hrn. v. Titoff läßt sich die Pforte von diefem bewegen, den Griechen einen ihre Rechte wahrenden Firman auszustellen, der dem ruff. Gesandten vor der Publication zur Durchficht und beliebigen Änderung vorgelegt wird.

Am Tag nach der Abreise des Hrn. v. Lavalette wird der Firman für die Griechen ausgefertigt. Der Firman ist an den Vezier, Cadi und die Mitglieder des Raths zu Jerusalem gerichtet. Er enthält die in der Note vom 8. Februar enthaltenen Entscheidungen der Pforte (auch in Betreff der Schlüssel zu den Thüren der Kirche von Bethlehem), aber in einer Weise, daß die weitern Ansprüche der Lateiner, d. i. Frankreichs, für unberechtigt und unbegründet erklärt werden. Im Firman wird die Registrirung desselben verordnet. Auf Hrn. v. Titoff's Drängen giebt die Pforte demselben einen Viziralbrief mit der Zusage, daß den Lateinern der Durchgang durch die große Thür zur Kirche von Bethlehem welchen ihnen die Note vom 8. Februar und selbst der Firman an die Griechen gewährt nicht zugestanden werden soll.

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Das getroffene Arrangement wird vom Sultan dem Kaiser Nicolaus brieflich angezeigt.

August. Hr. v. Lavalette, von seinem Urlaub aus Frankreich zurückgekehrt, reclamirt gegen den Firman der Pforte an die Griechen.

Septbr. Hr. Drouin de l'Huys erklärt dem Lord Cowley, daß er mit einer Versicherung der Pforte sich zufrieden geben würde, daß dem Firman keineswegs die Absicht zu Grunde liege, von den Frankreich gegebenen Versicherungen abzuweichen.

17. 23. Sir G. H. Seymour berichtet an die engl. Regierung, daß eine Änderung oder Interpretirung des den Griechen gegebenen Firmans zu Gunsten der Lateiner von der ruff. Regierung nicht zugelassen werden würde.

Oct. 3. Hr. v. Lavalette erklärt nach den von der Pforte gegebenen Erklärungen seine Beschwerde bezüglich des Firmans für erledigt.

Novbr.

Hr. Drouin de L'Huys spricht sich in gleichem Sinne zum engl. Gesandten aus.

24. Der Pfortencommissar in Jerusalem erklärt keinen Befehl zu haben, den Firman vom Febr. zu verlesen.

Hr. v. Titoff besteht auf der öffentlichen Verlesung des Firmans; wenn dies nicht geschehe, würde Rußland denselben als null und nichtig betrachten müssen und in diesem Verfahren einen Wortbruch der Pforte sehen.

Hr. v. Lavalette beruft sich auf eine von der Pforte gegebene Zusage, daß der Firman nicht verlesen werden soll, und besteht auf Erfüllung

A*

Aftenstüc

Nr. 7.

Nr. 8.

1852.

dieses Versprechens. Er droht, wenn die gegebenen Versprechen nicht gehalten würden, die Flotte herbeizurufen.

Die Pforte, von Rußland gedrängt, gesteht die öffentliche Verlesung zu. Die Pforte wendet sich an den engl. Gesandten und bittet, daß, um sie aus ihrer Verlegenheit und gefährlichen Stellung zwischen den drohenden Mächten zu reißen, England vermittelnd einschreiten möchte. Der engl. Geschäftsträger, Oberst Rose, erklärt den Gesandten Rußlands und Frankreichs, daß er die der Pforte wechselseitig gemachten Beschuldigungen des Wortbruchs und der Perfidie für ungerecht und unbegründet halte, da beide allein durch ihre Drohungen die Pforte zu ihren widersprechenden Entscheidungen wider ihren Willen und ihr Interesse gebracht hätten. Der engl. Gesandte hält dies Auftreten für nöthig, weil er hinter jener immer wieder gemachten Beschuldigung die Absicht vermuthet, darauf hin später noch einmal die Forderung einer besondern Genugthuung zu stellen. Fuad Effendi verwahrt sich auf des engl. Geschäftsträgers Rath in ähnlicher Weise gegen die Beschuldigungen der Gesandten.

Die beiden Gesandten mäßigen ihre Sprache.

Nr. 9. 10. Decembr. Während der franz. Gesandte förmlich erklärt, daß Frankreich keinen Anspruch auf ein Protectorat Frankreichs über die röm.-kath. Unterthanen der Pforte macht, nimmt der ruff. Gesandte officiell ein solches über die griech. Kirche in der Türkei auf Grund des Vertrags von Kutschuk-Kainardji in Anspruch.

Nr. 9.

Nr. 12.

Nr. 13.

Nr. 15.

Nr. 15.

Nr. 15.

Nr. 28.

Die Pforte ist über diesen Anspruch sehr ungehalten. Der engl. Geschäftsträger findet ihn völlig unbegründet.

Die Pforte ist entschlossen den Streit nicht länger fortgehen zu lassen
und eine endgültige Entscheidung zu treffen.

15. Die Pforte giebt folgende Entscheidung: der Firman soll verlesen wer-
den; der Schlüssel zur großen Thür wird den Lateinern gewährt.
Hr. v. Lavalette giebt sich mit dem ersten Punkt zufrieden.
31. Graf Neffelrøde erklärt dem engl. Gesandten, daß die Angelegenheit
der h. Stätten eine sehr üble sei. Der Kaiser könne das Geschehene
nicht dulden.

1853. Januar.

Die franz. Regierung erklärt sich zur Verhandlung mit Rußland erbötig, um unter einander über die streitigen Punkte in der Frage der H. Stätten sich zu verständigen, und sendet dahin lautende Instructionen an ihren Gesandten in St. Petersburg.

Rußland fängt an zu rüsten und sendet Truppen nach der türk. Grenze. 4. Oberst Rose meldet, daß die Angelegenheit der h. Stätten der Erledigung entgegensehe.

Graf Nesselrode spricht die Hoffnung aus, daß die Frage durch Unter-
handlung werde erledigt werden, hält aber für nothwendig, daß die
Diplomatie Rußlands durch eine Demonstration der bewaffneten
Macht unterstüßt werde.

Die franz. Regierung ruft Hrn. v. Lavalette aus Constantinopel ab. 9. Unterhaltung des Kaiser Nicolaus mit dem engl. Gesandten. Der Kaiser sagt: beide Regierungen müßten einig sein; was andere dächten oder thäten sei im Grunde von wenig Wichtigkeit. — Die

1853.

Türkei sei in einem kritischen Zustand, und drohe eine Ruine zu
werden. Für diesen Fall sei Einverständniß zwischen England und
Rußland dringend nothwendig. „Wir haben einen kranken Menschen
auf den Armen, einen schwer kranken Menschen. Es wäre ein großes
Unglück, wenn er uns eines Tages entfallen sollte, ehe alle nöthigen
Vorkehrungen getroffen wären.

Aftenstück

Jan. 14. Note des Grafen Neffelrode an Baron Brunnow, zur Mittheilung an Nr. 17.
die engl. Regierung. Ausführliche Darlegung der Absichteu Ruß-
lands. Rußland will Genugthunng für die verleßten Rechte der
Kirche und den Bruch des dem Kaiser gegebenen Worts. Es wird
ein Arrangement in Constantinopel vorschlagen, das die Riten
auf gleichen Fnß seßen und gegen ähnliche Eventualitäten Sicherheit
bieten soll. Die Rüstungen seien nur Vorsichtsmaßregeln als Gegen-
gewicht gegen die drohende Sprache des franz. Gesandten. Graf
Nesselrode hofft, das die englische Regierung sich nicht durch Ge-
rüchte über Rußlands Absichten täuschen lassen, sondern vielmehr in
Paris und Constantinopel dahin wirken wird, Frankreich zur Mäßi-
gung zurückzuführen.

14. Unterhaltung des Kaiser Nicolaus mit dem engl. Gesandten in Con- Nr. 29.
stantinopel über die Lage der Türkei. Der Kaiser erklärt Visionen
oder Absichten Catharina's nicht geerbt zu haben. Die Türkei sei ein
Kranker, der plötzlich unter den Händen sterben könne. Wenn unter-
gegangen, sei sie nicht wieder aufzurichten. Für diesen Fall Wunsch
fich mit England zu verständigen. Kaiser wird nicht dulden, daß Eng-
Land sich in Constantinopel festsett; ebenso er selbst nicht, wenigstens
nicht als Eigenthümer, als Depositar sei nicht damit gesagt. Er wolle
sich mit England verständigen, die Anderen ihm gleichgültig, wie
er schon früher mit dem Herzog v. Wellington in ähnlicher Weise Nr. 27.
sich zu vereinen gesucht hatte.

15. Das franz. Gouvernement erklärt, daß es durchaus seine Absicht nicht Nr. 21.
sei mit Rußland um den Einfluß in Constantinopel zu ringen; ein
trauriges Schauspiel würde es sein, zwei große christliche Mächte
unter den Augen des Islam um eine religiöse Vorrangsfrage kämpfen
zu sehen; es hoffe, daß Rußland die von Frankreich bewiesene Mäßi-
gung anerkennen werde.

28. Oberst Rose meldet seiner Regierung, daß er allen Grund habe, die Nr. 18.
gefährliche und sehr schwierige Frage der h. Statten für erledigt
zu halten.

Hr. v. Lavalette und Hr. v. Ozeroff erklären sich beide für befriedigt.
28. Depesche Lord John Ruffels an den Gesandten in Paris. Indem er Nr. 19.
constatirt, daß Frankreich zuerst mit Gewalt gedroht hat, Rußland
diesem bösen Beispiel gefolgt ist, spricht er über diese Haltung der
beiden Mächte sein Bedauern aus. Die engl. Regierung wird sich eines
Urtheils über die Materie der Sache enthalten, mißbilligt jede Dro-
hung, erklärt beiden Parteien, daß sie, wenn sie es mit der Aufrecht-
haltung der Integrität der Pforte ernst meinen, nicht zu Gewalt-
mitteln greifen dürfen.

28. Depesche Lord John Ruffels an Oberst Rose. Die engl. Regierung nr. 20. mischt sich nicht in die Frage ein; glaubt, Pforte könne jedes ihr von

1853.

Nr. 22.

der ruff. und franz. Regierung gemeinsam empfohlene Arrangement annehmen, das nicht mit den Rechten des Sultans als Territorialherrn unvereinbar.

Aftenstück Febr. 4. Graf Neffelrode theilt dem engl. Gesandten mit, daß Fürst Menschikoff nach Constantinopel gehe. Er würde friedliche Instructionen erhalten; seine Sendung betreffe die Montenegriner und die heiligen Stätten-Frage.

Nr. 23.

Nr. 25.

Nr. 31.

Nr. 24.

Nr. 26.

Nr. 32..

Nr. 33.

9. Graf Neffelrode bezeichnet die Instructionen für Fürst Menschikoff als
gemäßigt, wiewohl sie nothwendiger Weise etwas unbestimmt sein
müßten. Ziel: Äquivalent für jedes von den Griech. verlorne Privileg.
8. Depesche des Grafen Neffelrode an Hrn. v. Kisseleff in Paris. Eine
Darstellung des ganzen Streites: das Hauptgewicht auf Lavalette's
Auftreten im Sommer 1852 gelegt, durch das die zu aller Be-
friedigung erledigte Frage wieder aufgerührt worden wäre. Ruß-
land will hoffen, daß Frankreich seine Prätenfionen fallen läßt.
Zugleich werden neue und energische Schritte in Constantinopel an-
gekündigt, zur Sicherung der Rechte der Griechen.

9. Lord John Russel lehnt in Betreff der vom Kaiser von Rußland an-
geregten Frage ab, für die Eventualität des Untergangs der Türkei
Verabredung zu treffen, da dies dazu beitragen müsse, ein solches
Ereigniß zu befördern, welches zu verhindern die engl. Regierung
bestrebt ist. England will Constantinopel nicht, zugleich Versicherung,
daß für die besagte Eventualität die engl. Regierung kein Arran-
gement ohne Mittheilung an Rußland treffen wird. Milde und
Langmuth der Türkei gegenüber angerathen. Die engl. Regierung
wird beim Sultan auf die Emancipation der Christen hinwirken.
12. Das franz. Cabinet kann die Gegenvorschläge Rußlands nicht accep=
tiren; es sucht dem engl. Cabinet klar zu machen, daß es Alles ge-
than hat, um den Streit zu gütlicher Lösung zu bringen, und hofft
daher für fernere Verwicklungen, welche die Sendung des Fürsten
Menschikoff nach sich ziehen könnte, auf die Unparteilichkeit der an-
deren Mächte rechnen zu dürfen. Sein Recht identificire sich jest
mit der Würde und Unabhängigkeit der Pforte selbst.
19. Lord John Russel instruirt Oberst Rose: dahin zu wirken, daß die Frage
auf den Stand vom Febr. 1852 zurückgeführt wird in nicht em-
pfindlicher Weise für Frankreich; wenn Rußland Fuad Effendi's
Entlassung fordert, sich gar nicht einzumischen; wenn russ. Truppen
über die Grenze gehen, Nachricht zu geben.

20. Unterhaltung des Kaiser Nicolaus mit dem engl. Gesandten. Kaiser
erklärt: England glaubt fälschlich noch an Elemente des Lebens in
der Türkei. Der kranke Mann ist im Sterben. Ein Einverständniß,
ein allgemeines, nicht nöthig, daß Vertrag oder Protocoll — muß
zwischen England und Rußland für diese Eventualität erreicht werden.
21. Uuterhaltung des Kaiser Nicolaus mit dem engl. Gesandten. Der
Kaiser wünscht vor allem Erklärung der engl. Regierung über das,
was sie für den bezeichneten Fall nicht gestatten will. Er selbst wird
nicht zulaffen: daß Constantinopel in den Händen Englands, Frank-
reichs oder einer großen Nation sei; kein Wiederaufleben eines byzan-
tinischen Reichs oder Ausdehnung Griechenlands zum mächtigen

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