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wird, daß die Regierung, ehe sie sich mit den Individuen bes schäftigen kann, erst den ganzen Staatsverein gesichert haben muß, und daß, wenn sie durch die Moral, welche nachge= ben, und die Religion, welche verzeihen lernt, nicht unterterstüßt wird, ihre Bemühungen und ihr Ansehen fruchtlos bleiben.

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Vergeblich versuchten einige Stimmen, an Wahrheiten zu erinnern, deren Würdigung den Franzosen so überaus wichs tig seyn musste, in Ermanglung der Moral und Religion doch wenigstens forgfältigere Berechnung der Umstände, in welchen sich Herrscher und Staat befanden, zu empfehlen, und den Großen begreiflich zu machen, daß, wenn sie auf ihr fchönstes Vorrecht, den Geringen in rühmlichem Beyspiel vor: auszugehen, verzichten, sie sich der Wuth einer drohenden Mehrheit preisgeben. Alles war umsonst, und nur Spott ward der Weisheit zum Lohne. Gesellschaftsåle und Familien hatten sich in Klubbs verwandelt, die, mehr und minder gefährlich, jedoch alle unvorsichtig und strafbar waren; es wurden hier die übertriebensten und unzeitigsten Klagen, und wechselsweise gleich übel berechnete Beschuldigungen und Vertheidigungen der Regierungen gehört; Damen vom ers ften Range, welche für geistreich gehalten wurden, und die seit einem halben Jahrhundert gewöhnt waren, im Gebiet ihres Lehnsessels ihre Urtheile geltend zu machen, führten laute Beschwerde über eine abscheuliche Verwaltung, welche ihnen nach Verfluß von drey Monaten die Rückzahlung alles feit dem tiers consolidé erlittenen Vermögens-Verlustes noch immer nicht geleistet hätte! Alle Schäße und alle Macht der Welt würden, wenn auch der König sie besaß, nicht auss gereicht haben, um eine Nation zu befriedigen und zu ges schweigen, die so eben noch ihr Blut und ihre Schäße ohne Murren hingab, die auch den brennendsten Schmerz stills schweigend ertrug, und einem fremden Tyrannen ohne Bes benken ungleich mehr bewilligte, als jezt die Religion von

ihr

ihr forderte, und ein rechtmäßiger König aus ihrer Mitte je zu verlangen versucht seyn konnte. Eine einzige Klasse fand fich, gemischter Art, 'aber vorzüglich aus dem Civilstand und. Provinziale Adel herrührend, und aus Leviten bestehend, die nicht ausgewandert waren, die weder von der Republik noch von dem Kaiser Wohlthaten angenommen, sondern sich an Entbehrungen aller Art gewöhnt hatten, welche sie durch ein Talent der Kunst oder des Vergnügens zu versüßen wussten, die, vom Volk und von der Menge geehrt und geachtet, bef= fer als die Regierer selbst wussten, wie man regieren sollte, diese Klaffe beeilte sich keineswegs, die Dachstuben, worauf ihre Dürftigkeit sie beschränkte, zu verlassen, und, indem fie zwar die Dienste, wozu Erfahrung und Eifer sie eigneten, anbot, verschmähte sie jedoch Zudringlichkeit und Intriguen. Mit Leuten aus dieser Klasse sollte sich die noch schwankende und unsichere Regierung umringen, und aus ihr, welche vorleuchtendes Beyspiel ächter Vaterlandsliebe seyn konnte, Beschüßer und Rathgeber wählen; aber der König verließ* Frankreich, ohne sie kennen gelernt, und seine Minister, des nen sie nicht unbekannt geblieben, entfernten sich, ohne sie angestellt zu haben.

Der König, durch das Uebermaß seiner Güte zwischen Unbesonnenheit und Tollkühnheit in der Mitte stehend, wählte keines der Mittel, die seine Würde befestigen konn= ten, und ward hingegen solche zu ergreifen verleitet, die diese vollends zernichten mussten. Beyde verdienen zur Lehre für. die Zukunft hier aufgezählt zu werden. Nur die von Thatz sachen ausgehenden Betrachtungen können Nugen bringen, und wo sich's um die Stellung einer Regierung und um das Glück eines Volks handelt, ist nichts der Aufmerksamkeit unwerth.

,,Gaben und Geschenke werde ich so lange nicht austhei ,,len, bis ich die Mittel besiße, um solche in angemessenem Verhältniß zu geben. Bewilligungen werde ich nicht machen, Europ. Annalen. 1stes Stück. 1816.

,,bis ich über jedes Verdienst gehörig unterrichtet bin. In„zwischen verlange ich, daß man auf mein Herz vertraue, ,,meine Hingebung nachahme, und für meine Würde die ge,,hörige Achtung trage. Der Tag meiner Salbung, welcher nicht eher stattfinden soll, bis die neuen Einrichtungen im „Königreich vollendet sind, wird der Tag seyn, an dem Je,,dem sein Recht zu Theil werden soll. Bis dahin wird man ,,die Ansprüche hören, Klagen aber werden vergeblich seyn, ,,und der Ungehorsam soll bestraft werden." Durch diese wenigen Worte, in denen der König fich gerecht, weise und kråftig aussprach; durch Verschiebung auf günstigere Zeiten, sowol der Herstellung des Schloffes von Versailles, als der so kostbaren Bildung seiner Leibwache, und des äußern Glanzes, womit einige Minister sich zu umgeben die Bewilligung und die Mittel empfingen; durch Entfernung_rånkesüchtiger Umtriebe; durch Bestrafung frechen Uebermuthes, und durch Zulassung von keinerley Ausnahmen, außer wo bewährtes Unglück solche begründen konnte, håtte der König seine Stellung und das öffentliche Zutrauen befestiget, und dies eins fachere und leichtere Verfahren håtte ihn vor vielen Nachtheis len desjenigen bewahrt, das er vorzog, und das seinen Untergang bereitete. Allein es war Bedürfniß für sein Herz, fich alle Herzen zu gewinnnen, und der strafbare Ehrgeiz`eis niger Personen, die nicht frühe genug Frankreich und Europa die Größe ihres Einflusses darthun konnten, benußte dies, um ihn in ein Labyrinth zu verwickeln, von welchem der eins zige Ausgang sich bald nur durch das seiner Residenz zunächst gelegene Thor des Königreichs fand.

Gnadenertheilungen wurden schon in den ersten Monas ten ohne Ziel und Maß verschwendet. Ordensbånder, Beförderungen, Ehrenstellen, nichts ward gespart; da war Keis ner, wenn er auch nicht einen Schuß Pulver abfeuern sah, oder seit 25 Jahren in Ruhe gelebt hatte, der nicht die Stelle verlangte und erhielt, welche er ohne die Revolution vielleicht

erlangt håtte; von diesem Augenblick an hatten die Erstern in den Augen derer, welche sie verdient hatten, weiter keis nen Werth mehr, und diese verlangten und erhielten nun Stellen, auf die sie Ansprüche zu machen noch nicht berechtigt · waren; so daß mit Ausnahme der Marschalle, denen nur noch die Aussicht auf den Rang der Connetable, der noch nicht ertheilt werden konnte, übrig. blieb, alle Stufen der milita rischen Hierarchie dem Verhältniß der geleisteten Dienste vols. lig entrückt waren. Gleichmäßig verhielt sich's mit den Kreuz zen der Ehrenlegion und des St. Ludwig Ordens. Jente wur den an Kinder sogar, und diese an Personen des Civilstandes ertheilt, und jede Beschwerde über dem, einen oder andern der beyden Orden angeblich eingeräumten, Vorzug gebar neue, fcheffelweise aus den Ministerial-Bureaur hervorgehende, Des korationen, um die Beförderungen auszugleichen. Als Je dermann sie empfangen hatte, da zeigte sich der National: Charakter in seinem ganzen Leichtsinn; die Verachtung der empfangnen Gunst folgte alsbald der langen Sehnsucht. Die alten Royalisten gaben sich das Ansehen, als ob sie das Le= gionkreuz, und die neuen Militårs, als ob sie das Ludwigskreuz nur aus Gehorsam annehmen, und solche zu tragen der Mühe nicht werth achteten. Mit jeder andern Hofgunst verhielt es sich gleichmäßig. Damen vom alten Regime, die sich übrigens auf die ununterbrochene Reinheit ihrer Meinungen viel zu gut thaten, suchten die Umstände zu benugen, um vormalige Unterscheidungen abzuschaffen, welche sie nicht genossen, und die ihnen darum stets mißfallen hatten; die Damen der neuen Ordnung wollten aaf gleicher Reihe mit allen übrigen stehen, und der König, um alle mögliche Ansprüche in Masse zu erdrücken, ließ die Thüren des Heilig thums Allen öffnen, die sich zum Eintritt berechtigt glaubten, indem er diese dem Anschein nach so nichtigen, in der That aber da, wo Alles das Mißvergnügen vermehren hilft, doch fehr ernsthaften Fragen der Galanterie, den Vorurtheilen

and dem launigten Ungestům einiger Höflinge, die begierig darnach griffen, überließ.

Das Klagen und die Unzufriedenheit vermehrten sich. In Paris fanden sie sich, zwar nicht unterdrückt, aber doch gemildert durch die entgegengesezten Aeußerungen, welche der tägliche Anblick eines Königs veranlasste, der persönlich geliebt war. Seine schöne Gestalt, das Vertrauen, welches er zu Tage legte, seine glanzvollen Spazierfahrten, von de nen alle jene Vorsicht-Maßnahmen entfernt blieben, womit sich Bonaparte die Majeståt des Souverains befleckt hatte, die Neigung einiger guter Bürger, das zu lieben, was Chr furcht gebot, die französische Beweglichkeit, die jedem lauten Rufe folgt, alles dies vereinte sich, um den Monarchen in den Augenblicken zu täuschen, wo er glaubte, durch eigne Ans sicht die Wirkung seiner guten Absichten beurtheilen zu können; aber in den Provinzen verhielt es sich anders, und seine Minister sollten ihn darüber in Kenntniß seßen. Die Präfekten, welche durch die Militär:Behörden entweder nicht gehörig unterstüßt, oder getäuscht und denen mitgespielt wurde, vermoch ten theils kaum den Ausbrüchen gespannter Gemüther vorzus beugen, theils wurden sie ohne Hülfe und Weisung gelassen, wenn sie sich an Minister wandten, welche, auf ihre Macht und Einsicht vertrauend, die erhaltnen Anzeigen gewöhnlich nur als unnüße Beweise eines übertriebnen Diensteifers an= fahen. Die Sorglosigkeit ging hierin so weit, daß zur Zeit der Abreise des Königs noch über vierhundert Maires nicht zur Eidleistung hatten angehalten werden können, und daß in verschiednen Departements der Minister konstitutionwidrig und aus eigner Gewalt durch die Präfekten eingeleitete Proz zesse wegen Majestät-Verbrechen aufgehoben hatten. Was bey Bonaparte's Rückkehr geschah, hat nur allzusehr die Besorgnisse bestätigt, welche eine solche Regierung erre gen musste; aber damals bewirkten sie weiter nichts, als daß

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