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man die Prinzen nacheinander in die verdächtig geachteten Provinzen fandte. Diese Maßnahme, die beym ersten Anz blick einige Vortheile zu versprechen schien, indem dadurch die angeerbte Güte der regierenden Familie und die guten Eigen? schaften des Thronfolgers dem gesammten Königreich /kund werden konnten, vollendete jedoch in der That nur die Verwirrung. Sobald eine große Stadt oder ein Departement die besondere Aufmerksamkeit der Regierung zu erheischen schien, so wurden eine Reiseroute und Instruktionen entwor fen, und der Prinz, zum Voraus erfreut über das Gute, das er stiften würde, reiste alsbald ab, mit einem Herzen voll Liebe zu König und Vaterland, und voll Mißtrauen gegen die Beamten und Bediensteten der zu besuchenden Landschaft. Sein natürlicher Charakter oder der, welchen er von Perso nen seines Gefolges entlehnte, ward sein einziger Wegweiser. Unter den Blumen, mit denen man seinen Weg bestreute," verbargen Haß und Ränkesucht ihre Pfeile. Eine Menge widersprechender Berichte und falscher Angaben vergrößerten von Stadt zu Stadt eine ungeheure Sammlung unrichtiger oder unnüßer Resultate. Gunst und Geklatsch, die bey sol chen Anlässen nie ausbleiben, liessen den Zweck verfehlen. Belohnungen wurden Strafbaren zu Theil, und das miß: kannte oder gekränkte Verdienst erkaltete in seinem Eifer. Der Prinz kam mit der Ueberzeugung zurück, dem König und dem Staat wichtige Dienste geleistet zu haben, und während der Souverain über seine Berichte sich freute, und der Miz nister hingegen über die immer steigende Verwirrung jammerte, befestigten sich die Vertrauten des Prinzen in Stellen, die ein günstiger Zufall ihnen einzunehmen vergönnt hatte. Seine ersten Kammerherrn, seine wachehabenden Offiziers, nebst den Kabinets: und Geheimsekretårs errichteten Kanzleyen im Schlosse der Tuillerien, zu denen Ehrsucht und Ränkesucht sich um so viel lieber hindrångten, als die Kunst, in trübem Wasser zu fischen, überaus allgemein in

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Frankreich verbreitet ist. Madame selbst konnte für einen sehr mächtigen Minister gelten, und die vormaligen Fünfmånner, das Direktorium, schien durch und für die Bour: bonen wieder auferstanden. Was der Eine verweigert hatte, das erhielt man von dem Andern; der Minister und der Kö: nig selbst wussten oft nicht, wem sie Gehdr geben sollten; die Ernennungen freuzten und stießen sich, sie veranlassten die offenbarsten Ungerechtigkeiten und Auftritte, die unter allen Umständen unschicklich, dies vorzüglich in einer Zeit waren, wo nur Einheit der Macht und des Ansehens die so gebrechliche Maschine zusammenhalten konnte, und wo durch die vers einzelte Stellung, in welche sich jeder Minister willkürlich perfekt hatte, bald nicht nur alles Ansehen der königlichen Gewalt, sondern vollends auch jede Kraft des Gemeinwesens, durch die jene wieder hergestellt werden konnte, zu Grunde ging,

Eine der wichtigsten Regierung-Marimen besteht darin, daß man die gefeßliche Gewalt nur da anwende, wo man ihres Erfolgs versichert seyn kann. Versuche dürfen und sols len gemacht werden, wo es um Gegenstånde des Kunstfleisses, des Landbaues, des Handels, der Schifffahrt zu thun *ift, niemals aber im Fache der Gesezgebung und Polizey; wenn man aber diesen großen Fehler begangen hat, dann ist's besser, die Sache durchzusehen, als umzukehren. Das Erste kann einen Stoß herbeyführen, den man zum Voraus berechnen und sich dabey in Vortheil seßen kann; beym Leßtern ist sinken unvermeidlich, und weil dabey nur Zweifel oder Furcht zum Grunde liegen, so kann das Resultat auch nur Verlust der Achtung oder Schande seyn. Ich will als Be= weise hiefür an solche Ereignisse erinnern, die mir in sich selbst am merkwürdigsten und in ihren Folgen am verderblichften vorkamen.

Daß ein Monarch Religion habe, konnte nur Franzofen in Verwunderung seßen; daß er seine Religion öffentlich

zu Tage legte, wåre in jedem andern Lande für Staatsflugs heit gehalten worden, und daß er verlangte, es solle ihr öffentliche Achtung erwiesen werden, håtte man sonst überall für anders nichts, als für die Erfüllung einer heiligen Pflicht jedes Einzelnen angesehen. Ludwig XVIII., welcher noch eine zu gute Meinung von seinem Volk hatte, um sich von den Fortschritten der Irreligion bey demselben einen vollständigen Begriff zu machen, wollte die Kirchenaufsicht, die jeder redliche Monarch für Pflicht achtet, durch Herstellung der dem Gottesdienst gebührenden Ehrfurcht beginnen. Er selbst gab das Beyspiel, und fügte diesem Vorschriften hinzu, deren Beobachtung und Haltung verlangt ward; von einer Regierung, die sich noch weder mit Herstellung der Bisthus mer, noch mit Vollständigung der nüßlichen Landpfarrer be schäftigt hatte, und die nicht daran dachte, die Klöster herzustellen, war es wohl nicht zu viel gefordert, wenn sie wöchentlich eine Stunde aktiver oder passiver Andacht von dem Publikum verlangte. Paris hatte sich inzwischen an das anstdsfige Vorrecht gewöhnt, die einzige Stadt der Christenheit zu seyn, wo die Sonntagsfeyer keine Unterbrechung des Handels, der Geschäfte und der Vergnügungen macht; die ein zige, wo der Frömmigkeit keine gemeinsame Stunde ruhiger Gedankensammlung vergönnt ist, und wo der Irreligion im Gefolge des Lasters kein glücklicher Zufall Augenblicke der Ueberlegung und des Nachdenkens darbietet. Das Volk war erstaunt, und sah nicht ohne Vergnügen die Rückkehr einer Sitte, welche seiner Noth einige Ruhepunkte zur Pflicht machte. Die rechtschaffnen Bürger freuten sich über eine Maßnahme, die zum Theil wenigstens den Verbrechen, welche in den großen Städten zu Hause sind, durch jene Stille und unsichtbare Polizey vorzubeugen geeignet ist, die dem häuslichen Leben Sicherheit bringt, und die Ruhe der Familien in manchen Fällen einzig gewährleisten kann. Aber den Gelehrten (hommes de lettres), den Militårs, den

Elegants und den Vielbeschäftigten kam das Zusammentreffen der Stunde des Gottesdiensis mit jener ihres Frühstücks oder ihrer ersten Toilette lästig vor; alte große Herren, die sich auf ihren zweydeutigen Ruf geistreicher. Köpfe im Andenken einiger mit Voltaire, Helvetius, Laharve (vor seis ner Bekehrung) und andern Häuptern des Unglaubens eingenommener Abendmahlzeiten nicht wenig zu gut thaten, fingen zu schreyen an, nicht gegen den König, dies wagten sie noch nicht, aber gegen den wackern Minister, dem die Aufsicht über die Sitten anvertraut war, und der ihnen gern fo bald möglich ihre sicherste Stüße verschaffen wollte. Die Protestanten, welche durch die von ihnen wesentlich beförderte Revolution zu einem Ansehen gelangten, worauf sie stolz waren, seßten ihren bittern Spottreden und Klagen keine Schranken; Junge und Alte endlich, Leute aller Stände und von der verschiedensten Denkart, verkündigten in die Wette die nahe Rückkehr des Fanatismus, und predigten die Nothwendigkeit, sich ohne Såumniß seinen Verfolgungen zu widersehen. Der König musste, in seiner dreyfachen Eigens schaft, als Handhaber der Geseße, als Christ und als ver. ständiger Mann eine in seinem Namen erlassene Verordnung behaupten. Die Verfassung-Urkunde berechtigte ihn, gegen diejenigen Strenge zu üben, die ein Gesez herabwürdigten und verlegten, das an der Spize aller bekannten Geseßbücher steht; er hatte darüberhin das, auch dem geringsten Bürger zustehende, Recht, seine Thüre Jedem, der sich allgegemeinen Polizey: Maßnahmen nicht fügen will, zu verschlief= sen, und er durfte nicht erst daran erinnert werden, daß ein Monarch, welcher der Religion nicht Achtung zu verschaffen weiß, freywillig auf das sicherste Mittel, sich selbst Achtung zu verschaffen, verzichtet. Seine Råthe waren andrer Meinung. Die Verordnung ward nicht aufgehoben, aber man beschloß, ihre Befolgung dem Gewissenstrieb derer zu überLassen, für die sie gemacht war; den Minister überließ man

dem Schimpf und allen Widerwärtigkeiten einer Stelle ohne Ansehen. Zwey an sich selbst höchst verschiedne, in ihren Fole gen jedoch ähnliche, Ereignisse mussten bald hernach sogar den Verblendetesten die Augen öffnen, und auch bey den Unerschrockensten Besorgnisse erregen; ich meine die Todtenfeyer Ludwig XVI. und das Leichenbegångniß der Demoiselle Rancour.

Die Versehung der Leiche des königlichen Märtyrers, und jener der Königinn, seiner Gemahlinn, nach St. Denis, war eine so einfache, natürliche und anständige Handlung, daß auch der geringste Bürger keinen Anstand nehmen, noch feine Nachbarn in Zweifel lassen konnte, über ein solches Zeichen frommer Liebe für seine Familie. Der Rath des Kd: nigs und die Kabinetter waren jedoch für und wider getheilt, und in Paris wurden für den Sieg der einen oder der andern Meinung Wetten' geschlossen. Man konnte wenigstens auf die Neugier der Einwohner rechnen, daß sie die Feyer ungestört lassen würde, aber die Mehrheit der Stimmen bez fürchtete böswillige Störung, und einflußreiche Personen fanden, das Beste, was man thun könne, wåre, den König und Madame nach Trianon zu bringen, wo sie im Stillen den Tod und die Hinrichtung, ich sage nicht ihres Bruders, Vaters und Königs, sondern des redlichsten der Menschen, beweinen konnten, dessen erhabene und friedfertige Erinne-, rung allen denen, die sich von der Pflicht, seine Asche zu ehz ren, durchdrungen fühlten, ein schrankenloses Feld öffnete. Dringende und geheime Mahnungen oder vielmehr das Gewissen und der Takt des Königs bewahrten ihn und die ksnigliche Familie von der langen und tiefen Nachreue, welche die Unterlassung der frommen und rührenden Feyerlichkeit zur Folge gehabt hätte, so wie vor dem schåndenden Vorwurfe, nicht in Paris selbst eine Pflicht erfüllt zu haben, die zur gleichen Stunde alle in Wien versammelten Souverains zu erfüllen sich beeiferten. Durch das lange Schwanken gingen

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