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Europäische Annalen

I a hr gang 1 8 16

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1.

Frankreich und die Bourbons im Jahr 1814.

Aus des in Lausanne privatisirenden russischen Grafen von Gos Towfin Considérations sur la Constitution morale de la France, à Genève chez Paschoud 1815. 131. S. 8°.

Das erste Resultat der fiegreichen Koalition, durch die das Jahr 1814 in den Jahrbüchern der Geschichte so große Auszeichnung erhielt, war die Aufstellung eines Staatsrechts, tas auch die überspannteste Phantasie zu begreifen Mühe. hatte, das die Moral und Religion vollends zu Grunde richten musste, und das sogar von denen, die dabey am meisten interessirt schienen, nur wenige Tage bewundert ward. Die fürstlichen Sieger wollten das besiegte Volk über die ihm ans gemessenste Regierung zu Rathe ziehen. Sie fühlten es also nicht, diese Fürsten, welche so weit her, mit so viel Mühe, Aufwand und Ruhm, die ihre Völker theuer bezahlt hatten, gekommen waren,

fie fühlten es nicht, daß fie, in einem Feldlager versammelt, gleichsam einen Bund aller fouverainen Gewalt bilden, und daß sie für die Erhaltung eben dieser, dem Glück der Welt so nothwendigen, Souve rainetåt gekämpft, und mit des Himmels Gunst den Sieg errungen hatten! Sie vergaßen, daß die Nation, der fie auf solche Weise das unnüge und gefährliche Opfer ihrer persönlichen Würde und ihres Kriegsruhms brachten, die nåmliche war, aus der seit 25 Jahren die Werkzeuge hervorgins gen, welche mit fanatischem Eifer den Umsturz der Thronen und das Verderben aller Völker bereiteten, daß eine der Weisheit und der Tugend höchft felten nur dargebrachte Huldigung, ohne Verlegung der Gerechtigkeit, der Klugheit Europ, Annalen. 1stes Stúďk. 1816.

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und alles Wohlstandes, unmöglich einer Rotte, die so große Verbrechen verübt hatte, dargeboten werden durfte. Sie sahen also nicht vor, daß durch solche Sanktion des Aufruhrs und der Verbrechen unter einem fremden Volke sie dieselben in ihren eignen Staaten gleichsam patentirten, und daß das, von Langem her an den Mißbrauch des Sieges géwähnte, Volk in den Opfern, die der Sieger brachte, nur entweder den Rückgedanken der Furcht, oder die VorsichtMaßnahmen aufgeschobener Falschheit erkennen konnte.

Wenn in dem ewig denkwürdigen Kampfe, wo sich's um die höchsten Interessen der politischen und moralischen Welt ́handelte, die verbündeten Monarchen sich nur als Krieger betrachtet hätten, die für ihren Ruhm in's Feld zogen, dann ja freylich waren sie ohne Zweifel vollkommen berechtigt, nach Gutdünken über das Eroberte zu verfügen; sie konnten es bes halten, unter sich theilen oder zurückgeben. Es hing dies einzig von ihrem Belieben ab, zumal das Recht des Siegers unter allen Rechten das älteste und am sichersten begründete ist; wenn sie hingegen, wie die in allen ihren Verhältnissen ge= Frånkte, in allen ihren Angelegenheiten verrathene, Menfchheit es hoffte, nur als Vertheidiger des Throns und des Staats die Waffen ergriffen hatten, welches Schmerzgefühl musste jene ergreifen, als sie mit einer zügellosen Kriegerschaar, mit Verbrechern, auf denen untilgbare Blutschuld haftete, und mit einem leichtsinnigen Volke unterhandeln sah, das für folch' romantische Redlichkeit ihnen weder Reue des Verbre chens, noch Schaam erlittener Niederlage, noch Besorgniß bevorstehenden Unglücks, noch Dankbarkeit für unverhoffte Rettung darbot. Wenn es in den Plan ihres edeln und großherzigen Unternehmens gehörte, dreyßig Millionen Mens schen unter die Herrschaft religiöser und sittlicher Geseße zus rückzuführen, wie konnten sie diesen Gesehen ihr Ansehen wiederzugeben glauben, indem sie das auf zehn Jahrhunderte ansteigende Ansehen der Fürsten in Frage sehen; mussten sie

fich nicht als ihre von Gott selbst berufene Vertheidiger anse hen? Konnten sie glauben, während sie ihnen nur eine ent weihte Krone zurückgaben, den so lange mißkannten Rechten einen Glanz zurückzustellen, dessen konventionelle Dinge nies mals entbehren mögen? Sollten die durch sie wieder einge festen Könige nicht früh oder spät über die Anwendung ihres Sieges von ihnen Rechnung fordern können, und konnte eine, unter grausamen Verhältnissen der Nothwendigkeit ge schlossene, Verbindung durch Zeichen der Verachtung, welche jede gewöhnliche Freundschaft zu Grunde richten mussten, sich fester knüpfen? Doch ich halte hier inne. Der Fragstyl, in den ich unwillkürlich gerathen bin, mißfällt mir selbst, indem er Dinge zu verleßen scheint, für die ich die höchste Achtung zu tragen gewohnt bin; ich würde mich auch ganz unbedingt tadeln, wenn beym Nachdenken über die mannichfaltigen Interessen, von denen die künftigen Schicksale der Welt abhängen, der Geist auf andre Weise sich Aufklärung, und das Gemüth auf anderm Wege sich Beruhigung verschaffen könnten, wenn beym Anblick so viel befremdlicher und bes forglicher Resultate, so viel seltsamer oder drohender Wir kungen, man sich ihren Ursachen und Beweggründen nachzuforschen enthalten könnte. Bisweilen ist es hårter und verdrießlicher, die Wahrheit nachzuspüren, und sie auszusprechen, als sie anzuhören; ich fühle dies gerade jeßt. Aber wo sich's um Erhaltung der gesellschaftlichen Ordnung handelt, da soll man, im Einen wie im Andern, seiner Pflicht Genüge zu leisten wissen. Wir wollen aber jest den Faden der Freig nisse auffassen, vielleicht daß er manche Aufgabe zu lösen geeignet ist.

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Frankreich, das vor der gerechten Rache Europa's zit tern musste, sah sich plößlich in den Fall gesezt, statt dessen nur die Großmuth der Sieger zu preisen. Ihr Einzug in Paris war ein Triumph der Gnade, der Güte, der Mäßtgung, der Bescheidenheit; aber vergebens und umsonst war

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