4 ein solches Mittel zu benußen, als. Ludwig XVIII., und keine Nation konnte dazu hinwieder leichter benußt werden, als die franzosische, durch ihre Liebenswurdigkeit, ihren eis genthumlichen Geist und ihre Standhaftigkeit. Ein zuverläss figeres Mittel ließ sich nicht ausfindig machen, um die schwere Beschuldigung schnell zu beseitigen, es såhe der König nur durch die Augen eines einzigen Ministers, der in gänzlicher Unwissenheit über Frankreich und die Franzosen, sich selbst zu unterrichten, kein andres Mittel als Untergeordnete und Jutriganten kannte, und der, um den König zu beherrschen, nur ihn zu isoliren wusste. Jedermann war es bekannt, daß der Franzose, dem Intrigue Bedürfniß und Gewohnheit ist, sich vor einem ersten Minister biegt, und vermige einer ziems lich allgemein herrschenden Mischung von Galanterie und Immoralität sich einer Maitresse zu Füßen wirft, hingegen nie sich an Gunstlinge gewohnen konnte. Alles musste demnach dem König darthun, daß, nachdem er einmal nur konstitus tionell zu regieren eingewilligt hatte, er am sichersten und besten zur Herrschaft dadurch gelangen könne, wenn er so ges schwind als möglich sich der ministeriellen Vormundschaft ent: ziehe, welche aufrührerischen Unternehmungen als Ursache oder Vorwand dient. Ludwig XVIII. konnte, wie Karl V., zugenannt der Weise, unter seinen Vorgängern vielleicht der gewandteste, sein Kinigreich allein aus seinem Lehnstuhl oder von seinem Katheder (de sa chaire), wie man ehemals sagte, regieren, die Herzen gewinnen und die Geister beherrschen. Die vereinte Unwandelbarkeit seines Charakters, seiner Einsichten und seiner Grundsätze hätten die seiner Stellung erforderliche Majestät und Ansehen vollendet. Die Ankunft eines Eilboten, welcher unter andern Umstånden und bey einem andern Volk der Regierung nur eine Veranlassung geworden wäre, zu zeigen, daß sie für Alles gesorgt habe, dem Publikum aber einen erwunschten Unterz i haltungstoff Lebracht hatte, diese Ankunft hatte auf die kons stitutionelle Monarchie von Frankreich die Wirkung des Haus ches auf ein Kartenhaus. Ich will hier nicht erzählen, was in den wenigen Tagen vorging, deren Bonaparte für seine Reise von Cannes nach Paris bedurfte, und eben so wenig will ich die Besturzung der Minister schildern, die, man michte sagen, auf der That ihrer Unwissenheit und ihres Eigensinns ergriffen wurden, der jene der Höflinge, denen ihr Stolz unnük geworden war, oder endlich der Günstlinge, die mehr bekummert waren, ihre Schäße und Familien in Sicherheit zu bringen, als zu überlegen, was für den K8nig und für den Staat noch zu thun übrig bleibe. Der Köz nig hatte sich, wie man behauptet, für den edelsten Entschluß erklärt, der jederzeit auch der sicherste ist... Er musste Herr seyn, ihn auszuführen, und Personen, die keine besondere Verbindlichkeit gegen ihn hatten, wurden sich alsdann um ihn versammelt haben, denn es übt der Anblick eines recht: måßigen, guten und unglucklichen Königs eine große Macht auf redliche Gemüther aus... Aber ich wunschte Titians Pinsel oder den Griffel des Tacitus zu besiken, um mit unauslischbaren Zügen das Benehmen der franzosischen Naz tion in so entscheidendem, des Blickes der Nachwelt so würs digem, Augenblick darstellen zu konnen; jenes geschwåkige Erstaunen, das mit einfältiger Betäubung abwechselte; die neben der allgemeinen Apathie sich aussprechende Selbstsucht; jenes Schwanken aller Stånde und Klassen, das den völligen Mangel aller Grundsäke verrieth; die wilde Freude beym Annähern des entscheidenden Moments für den Untergang von Religion und Sittlichkeit neben dem Ausdruck eines ges meinen und unedlen Schmerzes, der weder zu jener seine Zuflucht nehmen, noch auf diese vertrauen mag; die unver= tilgbare Eitelkeit, welche, von allen Seiten Gefahrerblis ekend, das schåndliche und furchtbare Joch eines Korsen, eis nes Tiberius, der einfachen Dazwischenkunft einer frem= : 1 den Macht, zum Vortheil der rechtmäßigen Gewalt und der National Unabhängigkeit, vorzog; die Menge der, beym Anblick des Wagens, womit die Pfånder des Friedens sich entfernen, in Thränen schwimmenden Augen, mit all' den unbeweglich die Ketten erwartenden Armen.. Mein Herz ist gepresst, die Feder entfällt meiner Hand; mir ist, als såhe ich das, der Menschheit zur Schande gereichende, Ereigniß, dessen Erinnerung keine Zeit zu schwächen vermag, noch vor mir .. ار : II. Ueber die lekten Unruhen in Nismes. Das Publikum kennt bisher über die Unruhen von Nisz mes und dem ganzen Gard-Departement keine andre Nach= richten, als die verschiednen Auszüge aus dem Zeitungblatt l'Aristarque français vom 31. Jul. dieses Jahrs, und aus einer kleinen Denkschrift, betitelt: Défense des protestans du Bas-Languedoc, Die Verfasser dieser Auszuge scheinen die in obigen Akten enthaltenen Angaben für reine Wahrheit angenommen zu haben, obwol beyde neben einigen interes santen Thatsachen meist nichts als ein Gewebe von Lügen, Uebertreibungen und schåndlichen Verläumdungen enthalten. Was besonders die sogenannte Schuhschrift der Protestanten des untern Languedok anbelangt, so trågt sie das Gepråge eines Werks der Finsterniß; sie erschien ohne Namen des Verfassers, des Druckers und Herausgebers; ja sie gibt ✓ nicht einmal die Stadt an, wo sie gedruckt worden ist. Es ist jedoch so ziemlich gewiß, daß sie in Paris verfasst worden ist, und daß man sie mit großem Eifer im verwichenen Auz 1 gust und September in den Cevennen und der Gardonnenque unentgeldlich verbreitet hat. Der Verfasser gegenwärtigen Aufsakes kennt die nähern Umstände von den blutigen Auftritten in Nismes durch seinen Briefwechsel mit einer dortis gen angesehenen Familie, die eben so viele protestantische als katholische Mitglieder unter sich zählt, und die eben so große Beweise von ruhrender Treue gegen den rechtmäßigen König, als von Duldunggeist in Religionsachen gegeben hat. Er besikt die Originalbeschlusse und Proklamationen der istreichis schen Generale, so wie die des jezigen königlichen Präfekten im Gard-Departement, Marquis von Arbaud-Gouques, und außerdem noch die wichtigsten Schriften, die in Nismes selbst über diese traurige Geschichte, alle mit dem Namen des Verlegers, mehrere mit dem Namen des Verfassers, ers schienen sind, wovon er hier nur einige anführt, nämlich das Journal officiel du Gard; les causes véritables des troubles arrivés à Nismes en Juillet 1815; le Recueil des faits en réponse aux faussetés et aux calomnies insérées dans divers journaux sur les derniers évènemens de Nismes; l'Adresse au Roi de la garde Nationale du département des Basses-Alpes; l'Histoire impartiale des évènemens arrivés à Nismes en 1790 jusqu'à 1815 par le Vicomte de Verrossel, - Er ist somit im Stand, dem Leser die reine Wahrheit unparteyisch vorzulegen. Wer in dieser ungluckseligen Fehde die meiste Schuld hat lasse sich leicht bestimmen; aber weder die eine noch die andre der streitenden Parteyen ist schuldlos; und dieser Umstand ist es eben, der den Menschenfreund am meisten in Trauer verseht! Eben so traurig, aber eben so richtig ist die Bemerkung, die der Leser zu machen sich gendthigt sehen wird, daß in Nismes und dem Gard-Departement, mit einigen wenigen Ausnahmen, die Benennungen Royalist und Katholik, so wie Bonapartist und Protestant, ungefähr einerley sind; daß sich folglld, in einem Theil wenigstens von Frankreich, zu den übrigen leidenschaftlichen Umtrieben, welche dessen Bewohner von einander trennen, auch der religidse Fanatismus gesellt. Die nähere Veranlassung zu allem diesem Jammer gab freylich die Ruckkehr des Usurpators nach Frankreich; dadurch bekamen alle Leidenschaften offenen Spielraum; allein die feindlichen Elemente waren früher vorhanden. Die royaliz stisch katholischen franzdsischen Schriftsteller kehren bis in's Jahr 1790 zuruck, um die erste Veranlassung zur Feindschaft zu suchen, welche die Gemüther der Bewohner des Gard bis zu dem Augenblick in steter Spannung erhielt, wo sie endlich ausbrechen konnte. Die Billigkeit will, daß wir weiter zuz rúckgehen. - Durch die Widerrufung des Edikts von Nantes im Jahr 1685 legte Ludwig XIV. in der That den Grund zu dem tödtlichen Hasse, der die Franzosen der mittåglichen Provinzen in neuern Zeiten entzweyte. Wer kennt nicht die Wuth, mit der von jenem unseligen Zeitpunkt an die Protez stanten in den südlichen Provinzen verfolgt wurden; die Dras gonaden, Strafgeseke und sonstigen gehässigen Maßregeln, deren man sich gegen dieselben bediente? Ludwig XVI. machte diesem Unwesen ein Ende; aus freyem Antriebe set= nes wohlwollenden, reinen Herzens gab er seinen protestana tischen Unterthanen einen Theil der natürlichen, unveräußers lichen Rechte wieder, die sein Elternater ihnen widerrechtlich geraubt hatte, Sein Toleranz-Edikt erschien im Jahr 1787, nur zwey Jahre vor dem Ausbruche der franzosischen Revolution; kaum waren die Protestanten in den Besik der ihnon vom Könige wiedergeschenkten Rechte und Freyheiten getres ten; so schenkte ihnen die Revolution noch viel ausgedehntere und größere Rechte; dadurch wurde der wohlthätige Eindruck verlischt, den dasselbe Edikt, wäre es einige Jahre früher erschienen, in den Protestanten hervorgebracht hätte. Sie segneten nun die Revolution und ihre Urheber für das theure Geschenk der Gewissens- und Religion-Freyheit, und vergas sen den Dank, den sie dem edeln Könige schuldig waren. |