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fand in einiger Entfernung von Mohilew einen Übergangspunct und darauf zog er am jenseitigen Ufer über Mstislaw nach Smolensk zu 12).

Oudinot war am 15. Jul. bei Polozk an der Düna angekommen; ziemlich zu gleicher Zeit wurde Witepsk an der obern Dúna das Ziel der Bewegung beider Armeen. Kaiser Alexander hatte seine Armee im Lager von Drissa verlassen und sich nach Moskau gewandt; im Kriegsrathe Barclay de Tolly's, des nunmehrigen Chefs der ersten Westarmee, wurde gerechter Tadel gegen die Lagerung bei Drissa erhoben; zugleich stellte sich die Nothwendigkeit der Vereinigung mit der Armee Bagration's dar; diese konnte aber nur weiter oftwärts stattfinden; daher wurde Witepsk zum Plaße einer neuen Aufstellung, jene zu bewerkstelligen, erkoren 13). Die Russen brachen am 14. Jul. dahin auf; Wittgenstein blieb an der niedern Dúna, Dudinot gegenüber, zurück, um die Straße nach Petersburg zu decken. Nach Witepsk, nach dem „Thore Altrußlands", zu richtete auch Napoleon seinen Marsch; Moskau erschien ihm wichtiger als Petersburg; dieses, sagte er, sei Rußlands Kopf, Kiew dessen Fuß, aber Moskau das Herz 1). Daß die Russen den Plan hätten, die französische Armee in das Innere zu locken, um sie hier zu verderben, kam im Hauptquartier zur Sprache; Napoleon aber gab nichts darauf 15). Maret blieb mit Vollmacht für diplomatische und militärische Angelegenheiten in Wilna zurück. Es war 50 Meilen von Wilna nach Witepsk; die Märsche wurden immer anstrengender, der Lebensmittel immer weniger; von dem Geschütz hatten schon gegen 100 Stück aus Mangel an Bespannung zurückbleiben müssen; der Nachzügler waren an 30,000, die Ordnung durchaus nicht herzustellen, die Stimmung der Soldaten sehr ernst und unmuthig, die Ungunft der Umstände täglich augenfälliger, die Hige für die schwer

12) Chambray 1, 275 f. Bomsdorf 88 ff. 2, 41 ff.

13) Clausewit 35.

14) Soltyk 60.,

15) Dumas 3, 416.

bepackten und raftlos vorwärts getriebenen Soldaten unerträglich 16).

Barclay de Tolly war 23/24. Jul. in Witepsk eingezogen; am 25. Jul. kam es zum Gefechte bei. Ostrowno, einige Meilen westlich von Witepsk. Von der Armee Napoleon's war nur der Vortrab unter Murat zur Stelle; die beiderseitigen Streitkräfte waren beim ersten Zusammentreffen einander gleich gewogen, wo nicht ansehnlicher bei den Russen. Murat's Reiterei, nur von wenig Fußvolk unterstüßt, kämpfte den Tag über ohne Vortheil, eben so der nun herangekommene Eugen (26. Jul); am 27. Jul. kamen größere Massen von beiden Seiten zum Kampfe; es schien sich eine ordentliche Schlacht zu entwickeln; jedoch Napoleon vermochte nicht die Russen festzuhalten; Barclay, am 26. Jul. unterrichtet, daß Bagration seinen Marsch auf Smolensk richte, zog sich abermals zurück. Die große Armee rückte am 28 Jul. in Witepsk ein. Sie bedurfte nach einem wenig unterbrochenen Marsche von mehr als hundert Stunden der Erholung. Die nicht ungeräumige Stadt mit ihren zwanzig Klöstern und die fruchtbare Umgegend, die noch etwas Unterhalt darzubieten hatte, war passende Ståtte dazu; die Armee lagerte sich in ziemlich ausgedehntem Raume umher. Aus den Listen des 3. Aug. ergab sich, daß von der Hauptmasse der Armee, dem Centrum, ungerechnet die Verluste der Corps von Dudinot und S. Cyr, der auch gen Polozk gesandt war, nur noch 185,000 M., also fast ein Drittel weniger als vor sechs Wochen, unter den Waffen waren 18). Napoleon erwog ernstlich, ob die Verfolgung der Russen in diesem Feldzuge weiter fortzusehen sei, entwarf einen trefflichen Kriegsplan, ging aber, von Ungeduld und Kampflust übermannt, von diesem ab, vertraute seinem Tact ") und stürmte seinem Schicksal entgegen. Während der

16) Die Bulletins sagen zwei Male, es sei heißer als in Italien; Beteranen der ägyptischen Armee versicherten, so heiß wie in Ägypten. Labaume 88. Von der Maraude s. Chambray 1, 242.

17) Clausewit 102.

18) Chambray 1, 297,

19) S. Cyr 3, 50.

vierzehn Tage, die er in Witepsk rastete, die Armee aber zum Theil weiter vorwärts zog, kam Barclay de Tolly am 2. und Bagration am 4. Aug. nach Smolensk. Der bedächtige Barclay wurde von dem ungestümen Bagration, der die Stimme des Heeres für sich hatte, zum Angriffe getrieben 2o). Beide russische Armeen zogen den Franzosen entgegen gen Rudnia. Der Versuch der Russen, den bei Inkowo (oder Kusplia) gelagerten französischen Vortrab am 8. Aug. zu überfallen, gelang; Sebastiani erlitt bedeutenden Verlust. Größerer ward nur durch die preußischen Lanzenreiter abgewandt 2b). Doch ließ Barclay nun von weiterem Angriffe ab. Die Mahnung, daß die Kampfluft bei den Russen im Zunehmen sei, konnte Napolen bei seiner Ungeduld zu schlagen nur willkom, men sein. Napoleon verließ Witepsk am 13. Aug. Die Armée zog den Russen nach auf Smolensk zu; Napoleon begehrte hinfort übermäßige Anstrengungen und vermochte doch nicht, diese gutzumachen; die Vertheilung der Lebensmittel blieb kårglich und unregelmäßig; bei Witepsk erhielt der Soldat Mehl statt Brod 20); daher die Zahl der ermatteten, erschöpften jungen Soldaten in schreckbarem Zunehmen, und die Hospitåler überfüllt, in diesen aber Mangel an Verband und Arznei. Doch die Streitkräfte waren, ungeachtet der Entsendung Dudinot's und S. Cyr's nach der Düna, Reynier's nach dem füdlichen Litthauen, noch immer ansehnlich genug, um Siege zu erfechten wenn es nur bald zur Schlacht kam. Davoust, Poniatowski und Junot, der jegt die Westphalen commandirte, waren, von der mislungenen Unternehmung gegen Bagration zurückkehrend, nur noch durch den Dnepr von der Hauptmasse getrennt, Latour- Maubourg's Reiterei im Anzuge den Onepr herauf. Napoleon faßte den Plan, aufs linke Ufer des Dnepr überzugehen, dort sich mit Davoust 2c. zu verbinden, rasch auf der dortigen Straße gen Smolensk vorzudringen, den Russen, die am rechten Ufer zogen, voraus zu kommen und durch Besehung dieses wichtigen Plates sie von ihrer Rückzugslinie

20) Chambray 1, 291. Clausewiß 60, 110. 112.

20) Labaume 89.

20) Clausewit 95.

abzuschneiden. Das Gelingen des Planes war nicht unwahrscheinlich; er war nichts weniger als abenteuerlich 2od); aber bei der Ausführung trafen die Franzosen auf unerwarteten Widerstand. Newerowsky, mit etwa 7000 M. zur Deckung der Straße bei Krasnoi aufgestellt, kämpfte hier am 15. Aug. gegen den andrångenden Murat mit seiner nicht zahlreichen Schar, obschon zurückgedrängt und unter großem Verluste, so heldenmüthig, daß Bagration, der näher als Barclay an Smolensk herangekommen und schnell unterrichtet worden war, Zeit gewann, das Corps von Rajewsky nach Smolensk zu senden "). Napoleon's Plan, den Russen in Besegung von Emolensk zuvorzukommen, war vereitelt. Auch Barclay kam eilends heran. Smolensk, mit alten dicken Mauern und Thurmen umgeben, war durch etwa 16,000 Russen gegen einen Handstreich sichergestellt; die Angriffe der Franzosen auf die Vorstädte waren am 16. Aug. ohne Erfolg. Indessen stellten sich die beiden russischen Armeen Barclay's und Bagration's jenseits des Dnepr so auf, daß ihnen die Straße nach Moskau blieb. Um 17. Aug. wurde den ganzen Tag über zwischen den Russen, die Smolensk beseßt hielten, und den Franzosen gekämpft; den Hauptangriff machten Davoust, Ney und Poniatowski; mit Unbruch der Nacht gerieth die Stadt in Brand, die Russen zogen sich in der Nacht aus ihr zurück. Uls Napoleon folgenden Tags Meister der Stadt war, stand nur noch die Hälfte ihrer Gebäude: das Übrige war eine mit Blut gedingte Brandståtte. An 12,000 M. der großen Armee waren getödtet oder verwundet 22).

Murat eilte den Russen nach auf der Straße nach Moskau; bei Balutina-Gora hielt am 19. Aug. der russische Nachtrab Stand; es entspann sich ein heftiges Treffen; von beiden Seiten wurden die Kämpfenden durch Nachsendung frischer Truppen unterstüßt; die Streitmassen mehrten sich; Barclay kam selbst; Ney kämpfte in Verbindung mit Murat.

20) Napoleon rühmt ihn freilich wol zu sehr. Nap. Mél. 2, 74; nicht anders die franz. Geschichtschreiber.

21) Chambray 1, 302.

22) Ders. 1, 309 f.

Daß diese troß der heldenmüthigsten Anstrengung keinen Vortheil gewannen, ward im Bulletin als die Schuld Junot's bezeichnet, der in der That, starrfinnig auf einer frühern Weifung Napoleon's beharrend und durch einen Sumpf gehindert, sich weigerte, auf Murat's Aufforderung an dem Kampfe Theil zu nehmen. Die Schuld traf aber auch Napoleon selbst, der nahe genug war, Junot von seiner Verkehrtheit abzubringen 23). Der Verlust der Franzosen betrug an 7000 M.; unter den Getödteten war der wackere General Gudin; die Russen vermochten, als die Nacht das Treffen endete, Geschütz, Gepäck und Verwundete mit sich fortzunehmen. Die Verluste bei Smolensk und Valutina - Gora, die 'zunehmende Erbitterung der Russen beim Kampfe, die unverkennbaren Anzeichen eines Nationalkrieges von ihrer Seite, graufige Verödung der Landstriche, die sie verließen, Entfernung der Behörden und der Bevölkerung selbst, Heimtücke oder blinde Wuth der wenigen zurückgebliebenen Ortsbewohner, gänzlicher Mangel an Kundschaftern, dies Alles machte das weitere Vordringen sehr bedenklich. Die französischen Streitmassen betrugen jeht nur noch 155,000 M. 24), die russischen waren im Zunehmen; die unvermeidliche Entwickelung aller Nachtheile, welche ein tief in Rußland eingedrungenes Heer treffen mußten, wenn es den Russen bitterer Ernst mit ihrer Kriegsführung war, konnte nicht verkannt werden. Dazu gaben endlich die schlimmen Nachrichten von den beiden Flügeln Napoleon reichlichen Stoff in Smolensk nachzudenken.

Die beiden Flügel verhielten sich zu dem Centrum wie rückwärts festgehaltene Arme zu der weit vorgestreckten Brust; eine lange, schmale Linie verband sie mit der Hauptmasse der Armee; gegenseitige Unterstüßung war von den Puncten aus, die jene und diese inne hatten, kaum zu bewerkstelligen. Am äußersten linken Flügel hatten die Preußen unter Grawert am 19. Jul. bei Eckau`sich tapfer geschlagen und die Russen gen Riga zurückgedrängt, aber die Belagerung dieses bedeutenden Plazes fand ungemeine Schwierigkeiten. Zahlreicher

23) Bullet. 14, 66. Chambray, 1, 324, 328.

24) Chambray 2, 17.

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