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Der Gesandten rang.

Es ist bekannt, welche Rangstreitigkeiten früherhin zwischen Fürsten und 28 ihren Gesandten Statt gefunden haben und welche Wichtigkeit man denselben beigelegt hat1). Auch auf dem Wiener Congresse wurde eine Commission zur Erörterung der über den Rang gekrönter Häupter anzunehmenden Grundsäze niedergesezt, welche indessen später ihre Thätigkeit auf Feststellung des Ranges der diplomatischen Agenten derselben beschränkte. Das Resultat war das von den Abgeordneten der acht Mächte unterzeichnete Rangreglement vom 19. März 1815). Dasselbe nimmt drei Klassen diplomatischer Agenten an: 1) Ambassadeure, Legaten, Nuncien; 2) außerordentliche Gesandte, beglaubigt bei dem Souverain, 3) Beauftragte, die nur bei dem Minister der auswärtigen Mächte beglaubigt find. Die Agenten derselben Klasse rangiren unter einander nach der amtlichen Anzeige ihrer Ankunft; bei der Unterzeichnung von Urkunden seitens mehrerer Mächte wird die Reihenfolge zwischen Gesandten solcher Mächte, welche sich gegenseitig das Alternat gestatten, durch das Loos bestimmt. Dieses Reglement, welches durch das Aachener Protocoll vom 21. Novbr. 1818 in Betreff der MinisterResidenten) vervollständigt worden ist, bildet die Grundlage der jeßigen völkerrechtlichen Praris.

Die Jonischen Inseln. Die Schweiz.

Die Jonischen Inseln befanden sich seit dem dreizehnten Jahrhundert 29 in dem Besize Venedigs, nach dessen Untergange sie Frankreich (1797) einnahm. Eine russisch-türkische Flotte eroberte sie, und durch den Vertrag vom 21. März 1800 (M. VII., 41.) wurden sie zu einer Föderativrepublik unter türkischer Oberhoheit und dem Schuße Rußlands gestaltet. Lezteres überließ sie im Tilsiter Frieden (M. VIII., 637.) an Frankreich, das sie 1814 wieder verlor. Durch den zwischen den Alliirten am 5. October 1815 zu Paris geschlossenen Vertrag, dem die Türkei unterm 24. April 1819 (N. R. V., 387.) beigetreten ist, wurden die sieben Inseln zu einem freien unabhängigen Staate mit dem Namen „Vereinigte Staaten der Jonischen Inseln“ unter dem unmittelbaren und ausschließlichen Schuße Großbritanniens vereinigt3).

1) Martens Erzählungen merkwürdiger Fälle des neuern europäischen Völkerrechts. 2 Bde. Göttingen 1804. 4. enthalten derartige Fälle.

2) Frühere Beispiele solcher Festschungen: Receß zwischen den Kurfürsten wegen des Ranges ihrer Gesandten von 1671. Lünig deutsches Reichsarchiv P. spec. 1. Abth. S. 335, Receß mit Schweden wegen Titulatur und Reception der Ministrorum d. d. Cöln a. Spree 7. Jan. 1684. Lünig a. a. D. Cont. II. Fort. 1. S. 247.

3) Auch Beilage 17. der Wiener Congreßacte. Ausführlichere Mittheilungen bei Klüber, Acten VI.

4) Sie sind als Zwischenklasse zwischen die zweite und dritte eingeschoben. Heffter Br. §. 208.

5) Auch die italienischen Staaten erfuhren durch den Wiener Congreß ihre Negelung: die Artikel 85–104. der Congreßacte enthalten die näheren Festsetzungen. Art. 105-107, betreffen Portugal.

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Unterm 20. März 1815 erließen die acht Unterzeichner des Pariser ersten Friedens eine Erklärung über die Angelegenheiten der Schweiz, worin derselben nach Annahme gewisser Bedingungen ewige Neutralität verheißen wurde). Die Annahme erfolgte durch die Acte vom 27. Mai 18152), worauf seitens der fünf Großmächte die ewige Neutralität der Schweiz anerkannt und die Unverlegbarkeit ihres Gebietes garantirt wurde3).

Holland. Krakau.

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Die Ereignisse der Jahre 18'15 hatten zwei neue Staaten aus entgegengesezten Elementen geschaffen: durch Preußen, Oesterreich und Rußland wurde die alte Königsstadt Krakau zu einem Freistaate erklärt1), und durch die Unterzeichner der Schlußacte des Wiener Congresses wurde das souveraine Königreich der Niederlande aus den ehemaligen republikanischen und den früher österreichischen Niederlanden gebildet). Beide Schöpfungen haben sich nicht erhalten. Der Freistaat Krakau ist untergegangen durch den Ausspruch seiner Stifter: der Vertrag d. d. Wien, den 6. Novbr. 1846 hat denselben den österreichischen Staaten, wozu das Gebiet vor 1809 gehörte, wiederum einverleibt®). Die Julirevolution in Frankreich beschleunigte den Bruch der niederländischen Union: die Londoner Verträge der fünf Großmächte mit den Niederlanden und Belgien vom 19. April 18397), welchen der Vertrag der Großmächte vom 15. November 1831 (N. R. XI., 350.) voraufgegangen war, führten zur völkerrechtlichen Anerkennung des neuen Königreichs Belgien als eines unabhängigen und beständig neutralen Staatess).

Die Passage der Dardanellen.

Ein herrliches Land Europa's, die Wiege europäischer Cultur, steht unter der Botmäßigkeit eines nichtchristlichen, orientalischen Völkerstammes; die Türken sind Herren eines großen Theiles von Griechenlands classischem Boden. Einst gefürchtet von dem Abendlande, ist ihr Aufenthalt in Europa vielleicht durch das strenge Princip der Legitimität wie durch eine gewisse Eifersucht der Großmächte, oder wissenschaftlicher ausgedrückt, durch die Theorie vom politischen Gleichgewichte geschüßt. Hieraus entsteht eine fürsorgliche Betheiligung der Großmächte an den Angelegenheiten der hohen Pforte;

1) Von Wien aus datirt. Klüber, Acten V., 310.

2) Klüber, Acten V., 323.

3) Erklärung d. d. Paris, den 20. Novbr. 1815. Klüber, Acten V., 483. Wiener Congreßacte Art. 84.

4) Vertrag vom 3. Mat|21. April 1815, Beilage 3. der Wiener Congreßacte.

5) Die Grundlage bildet der Vertrag vom 31. Mai 1815. Wiener Congreßacte Art. 65-73.

6) Auf Krakau bezügliche Piecen bei Tussy V., 727–752.

7) Zu dem Abschlusse dieses Vertrages waren der preußische und österreichische Gesandte zugleich seitens des deutschen Bundes ermächtigt, der wegen Luremburg concurrirte; der Verlust am leßtern wurde durch Limburg dem deutschen Bundesgebiete erseßt.

8) Artikel VII. des Vertrags; enthält er nicht in sich einen Widerspruch?

ein Zeugniß davon giebt die Uebereinkunft derselben mit dem Sultan d. d. London, den 13. Juli 1841, wonach kein nichttürkisches Kriegsschiff die Meerengen der Dardanellen und des Bosporus fernerhin passiren soll, mit Ausnahme leichter unter Kriegsflagge segelnder Schiffe, welche zum Dienste der Gesandtschaften befreundeter Mächte bestimmt sind; doch bedürfen auch diese der besondern großherrlichen Genehmigung').

Die Abschaffung des Negerhandels.

England gebührt das Verdienst, daß es zuerst und in der umfassendsten 32 Weise die Abschaffung des Negerhandels betrieben hat2). Bereits vor dem Jahre 1814 hat es sich dieselbe von einzelnen Staaten versprechen lassen; auf dem Congresse zu Wien brachte es die Angelegenheit gleichfalls in Anregung, und erließen unterm 8. Februar 1815 von Wien aus die Bevollmächtigten der Unterzeichner des ersten Pariser Friedens die in edler, warmer Sprache abgefaßte Erklärung in Bezug auf die Abschaffung des Negerhandels. Nachdem auch spätere Congresse und Conferenzen sich mit der Angelegenheit beschäftigt hatten1), wurde endlich den 20. December 1841 zu London von den Bevollmächtigten der fünf Großmächte ein Vertrag zur Unterdrückung des Negerhandels unterzeichnet, worin dieser dem Seeraube gleichgestellt und zu seiner Hinderung ein ausgedehntes Durchsuchungsrecht etablirt wird. Der letztere Umstand namentlich hinderte die Ratification des Vertrags seitens Frankreichs; von den übrigen Großmächten erfolgte sie unterm 19. Februar 1842). In weiterer Folge dieses Vertrags ist in Preußen die Verordnung "wegen Bestrafung des Negerhandels erlassen worden.)

1) Hier ist noch des Vertrags der Großmächte mit der Türkei wegen Ordnung der Angelegenheiten in der Levante Streit mit Mehemed Ali vom 15. Juli 1840

ju gedenken.

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2) Ob allein aus Rücksichten der Humanität, bleibe dahin gestellt. Oppenheim Br. . 334. ff.

3) Klübers Acten IV., 531. auch Beilage 15. der Wiener Congreßaete. Bei den bezüglichen Verhandlungen erklärte der portugiesische Gesandte: quo la question de la traite des nègres n'intéressant que les puissances qui ont des colonies, en ce qu'elle regardait un objet de législation intérieure, il ne lui paraissait pas convenable, de la remettre à une commission générale. En conséquence il a proposé de n'admettre à la discussion que les plénipotentiaires de la Grande-Bretagne, de la France, de l'Espagne et du Portugal, sauf à inviter des puissances continentales à y intervenir par leurs offices. Dagegen erklärte sich der englische Gesandte, weil die Frage nicht dies oder jenes locale Interesse, nicht die Particulargeseßgebung dieses oder jenes Staates betreffe, sondern weil dabei wesentlich die ganze Menschheit — l'humanité entière betheiligt sei — Klüber a. a. O. VIII., 98. 4) Auch im Additional-Artikel zum zweiten Pariser Frieden wird der Frage gedacht. Vergl. außerdem N. S. III.. 48. 87. Congresse zu Aachen, Verona.

5) Eine Uebersicht des gegenwärtigen Standes der Angelegenheit giebt Cussy V., 436. 6) G. S. 1844. S. 399.

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III. Garantien.

Actio- und Paffivgarantien.

Wie bei dem Zustandebringen politischer Verhandlungen oft eine dritte Macht das Amt des Vermittlers übernimmt, so kommen zur Aufrechthaltung von geschlossenen Verträgen dritte Mächte als Garants vor, welche die Verpflichtung übernehmen, auch ihrerseits für die Erfüllung der getroffenen Abredungen mit ihrer Macht zu wirken. Diese übernommene Verpflichtung wird in mächtiger Hand leicht Berechtigung), und ist daher ihr Zulassen nicht immer ohne Bedenken, namentlich seitens minder mächtiger Staaten mächtigern gegenüber 2).

Der Garantievertrag ist seiner Natur nach accessorisch); in Beziehung auf einen bestimmten Staat kann man active und passive Garantien unterscheiden: erstere sind die, wo der Staat als Garant auftritt, wo er garantirt, während bei den leztern ihm eine dritte Macht Garant ist, ihm garantirt wird. Die Betheiligung mehrerer Mächte bei verschiedenen Positionen eines Vertrages macht es möglich, daß für denselben Staat dabei gleichzeitig eine Activ- und Passivgarantie Statt findet1).

In neuerer Zeit hat man diesen Zweck auch dadurch erreicht, daß man Verträge einzelner Staaten für Theile von Verträgen, die unter dritten Staaten geschlossen worden sind, erklärt, oder aber sie geradezu in dieselben aufgenommen hat. Das bedeutendste Beispiel dieser Art ist die Wiener Congrefacte vom 9. Juni 1815, auf welche wir verweisen, da sie überhaupt die hier in Betracht zu ziehenden Verhältnisse umfaßt 5).

1) Namentlich giebt die Garantie den Titel zur Intervention.

2) Die Politik einiger größerer Staaten läßt, wie es scheint, die Garantie dritter Staaten nicht zu, wie sie sich auch gegen Vermittler sträubt.

3) Es giebt aber auch einen selbstständigen Garantievertrag, der die Natur eines Schuzbündnisses hat, z. B. Erhaltung eines bestimmten Länderbestandes.

4) In Bezug auf deutsche Fürsten übernahm solche Garantien öfter das deutsche Reich, z. B. wurde der Dresdener Friede von ihm garantirt, Schmauß 1515.

5) Belgiens ist schon oben unter 30. gedacht.

Zweiter Abschnitt.

Verträge über einzelne Gegenstände des staatlichen Verkehrs.

I. Verträge über den Länderbestand.

Einleitung.

Aus den verschiedenartigsten Titeln hat die Krone Preußen den gegen- 34 wärtigen Länderbestand erworben: Beleihung, Kauf, Tausch, Erbschaft, Occupation, Eroberung. Die Geschichte der Bildung des Staates nennt sie bei den einzelnen Landestheilen '), die historische Erläuterung des königlichen Wappens 2) und Titels zählt sie auf, die Uebersicht der Provinzialrechte weist darauf hin. Hier genüge es die geschichtlichen Hauptmomente des Anwachsens der preußischen Monarchie unter dem Hause Hohenzollern hervorzuheben.

Seit dem ersten hohenzollernschen Kurfürsten hat fast jeder seiner Nachfolger den territorialen Umfang des Staates erweitert. Die erheblichsten Vergrößerungen erfolgten durch Johann Sigismund, den großen Kurfürsten, Friedrich Wilhelm I., Friedrich den Großen, Friedrich Wilhelm II.; unter Friedrich Wilhelm III. erfuhr das Staatsgebiet eine Vergrößerung und wesentliche Umgestaltung.

Historische Uebersicht bis zum ersten Könige.

Bereits Kurfürst Friedrich II., Eisenzahn, vermehrte den Besißstand 35 durch die Einlösung der Neumark und den Erwerb von Cottbus, Peiß,

1) v. Lancizolle, Geschichte der Bildung des preußischen Staates. I. Theil, 1. und 2. Abtheilung. Berlin und Stettin 1828. Leider scheint dies ausgezeichnete Werk, das bis 1608 reicht und auf drei Theile berechnet ist, nicht vollendet zu werden. v. Raumer, Nachlese zu dem Werke des Professors v. Lancizolle 2. Berlin 1830. Möller, Versuch einer Territorialgeschichte des preußischen Staates. Hamm und Münster 1822. v. Ohnesorge, Geschichte des Entwickelungsganges der Brandenburgisch - Preußischen Monarchie. Leipzig 1841. v. Grabowski, Territorialgeschichte des preuß. Staates.

Berlin 1845.

2) Zuleßt bestimmt durch die Verordnung wegen des königlichen Titels und Wappens vom 9. Januar 1817. 6. S. 17. S. 17. ff. Der Titel hat seit dem Erwerbe von Hohenzollern einen Zusaß erhalten, Patent vom 12. März 1850. G. S. 50. S. 295. Baron Stillfried-Rattoniß Friedrich Wilhelm III., König von Preußen, das Wappen seines Hauses und die Stammburg seiner Väter. Eine kurzgefaßte biographisch-genealogisch-historische Darstellung. Berlin 1835. 4.

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