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genossenschaft Festseßungen zu treffen, jede Staatsregierung befugt ist, wodurch die Cardinalfrage ihrer einseitigen Entscheidung unterliegt.

Diese Umstände haben zu der Abschließung sogenannter VagabundenConventionen geführt, durch welche die Grundsäge bestimmt werden, welche bei der Frage über die Staatsangehörigkeit beziehungsweise Aufnahme einzelner Individuen maßgebend sein sollen.

Conventionen mit deutschen Staaten.

Da der Gegenstand seitens der deutschen Bundesversammlung, in deren Bereiche er wohl gelegen hätte 1), nicht in Betracht gezogen wurde, so haben die meisten deutschen Staaten hierüber besondere Verträge und namentlich hat Preußen mit folgenden Regierungen Uebereinkünfte wegen gegenseitiger Uebernahme der Vagabunden und Ausgewiesenen getroffen : 1) AnhaltBernburg, 27. September/16. Oktober 1839; 2) Anhalt-Cöthen, 24. Juli 1839 und 15. Mai 1841; 3) Anhalt-Dessau, 21. Juni/24. Juli 1839; 4) Baiern, 21. Mai 1818, 10. April 1840; 5) Braunschweig, 4. Oktober 1839; 6) Hannover, 20. August/25. September 1839; 7) Hessen-Cassel, 11. Oktober 1820, 26. Mai 1840; 8) Hessen-Darmstadt, 30. April 1819, 19. Februar 1840; 9) Lippe-Detmold, 22. Mai/19. Juli 1839; 10) Mecklenburg-Schwerin, 14. November 1811, 28. Cktober 1817, 28. Februar 1831; 11) MecklenburgStrelig, 7. Mai 1819, 26. Januar 1824; 12) Nassau, 16. April 1819; 13) Oldenburg, 18. November 1840; 14) Reuß- Plauen ältere Linie, 5. Juni/9. Juli 1821, 16. Februar 1839; 15) Reuß- Plauen jüngere Linic 5. April 1821, 12. Juni 1839; [16) Königreich Sachsen, 5. Februar 1820, 12. November 1838] 3); 17) S.-Altenburg 13. September/17. December 1822,

1) Die Bestimmung des Artikels 18. der deutschen Bundesacte hätte wohl hinreichende Veranlassung zu einem allgemeinen deutschen Heimathsgeseze geben können. Angeregt wurde die Angelegenheit 1819 von S. Meiningen, Hildburghausen und Coburg, allein ohne Erfolg. Protocolle der deutschen B. V. Bd. VIII. S. 99. Nauwerd III. 51. Nach Zeitungsnachrichten ist nicht von dem Bundestage, sondern von Abgeordneten der deutschen Staaten in Gotha am 16. Juli dieses Jahres eine allgemeine deutsche Heimaths-Convention abgeschlossen worden. Gleichwohl behandeln wir hier dies Thema auf Grund der zeitherigen Conventionen ausführlicher, weil es für die Praxis sehr wichtig, die erwähnte allgemeine Convention noch nicht publicirt und dabei zweifelhaft ist, ob durch sie alle Fragen werden erledigt sein.

2) Diese Conventionen sind die alleinige Entscheidungsquelle für alle von Abschluß derselben an zwischen den beiderseitigen Staaten hinsichts der Uebernahme-Verbindlichkeit zur Contestation kommende Specialfälle, ohne Rücksicht darauf, ob das vertragsmäßig entscheidende Kriterien vor oder nach dem Abschlusse der Convention eingetreten ist. Ministerialblatt 41, 275.

3) Die mit dem Königreiche Sachsen getroffenen Verabredungen liegen einer Reihe späterer Conventionen mit andern Staaten zum Grunde: für Sachsen selbst aber ist an ihre Stelle der Vertrag vom 31. Dec. 1850 getreten. Diese, in formeller wie materieller Bezichung eingetretene Aenderung der zeitherigen Praris ist namentlich deshalb erfolgt, um den Abschluß einer allgemeinen deutschen Heimath-Convention anzubahnen. Durch das Zustandekommen der leßtern wird der Vertrag wohl wieder beseitigt werden. Bei dieser Zusammenstellung ist er nicht berücksichtigt; er ist aber in der zweiten Abtheilung unter Sachsen vollständig abgedruckt.

18. Januar/8. April 1839; 18) S.-Coburg-Gotha, 16. April 1839; 19) S.-Meiningen, 27. September 1839; 20) S.-Weimar, 12. Juni 1822, 12. Februar/4. März 1839; 21) Schwarzburg - Rudolstadt 21. Januar/5. Februar 1820, 4. Februar 1839; 22) Schwarzburg - Sondershausen, 26. December/23. Februar 1822, 18. Januar /6. Februar 1839; 23) Waldeck, 12. December 1839/6. März 1840; 24) Württemberg, 5. December 1845. Diese Conventionen enthalten nachfolgende Festsetungen 1).

Allgemeiner Grundsaz.

Kein Vagabunde oder Verbrecher darf in das Gebiet des anderen 104 Staates ausgewiesen werden, wenn derselbe nicht entweder ein Angehöriger desjenigen Staates ist, dem er zugewiesen werden soll, oder aber durch das Gebiet als ein Angehöriger eines rückwärts liegenden dritten Staates auf gerader Route nothwendig seinen Weg nehmen muß. In dem ersteren Falle genügen indessen die eigenen Angaben des betreffenden Individuums allein über seine Staatsangehörigkeit nicht, sondern es muß, wenn dieselbe nicht aus einem unverdächtigen Passe oder aus anderen völlig glaubhaften Urkunden hervorgeht, oder wenn die Angabe des Vagabunden nicht durch besondere Gründe und die Verhältnisse des vorliegenden Falles unzweifelhaft gemacht wird, von den Behörden die Wahrheit vorher ermittelt werden, nöthigenfalls durch Communication mit der angeblich zur Aufnahme verpflichteten Regierung. Ebenso müssen im anderen Falle die angegebenen Thatsachen urkundlich zur völligen Ueberzeugung nachgewiesen werden.

Nimmt der dritte Staat den ihm zugewiesenen Vagabunden nicht auf, so kann derselbe in denjenigen Staat, welcher ihn ausgewiesen hat, wiederum zurückgewiesen werden.

Erwerb der Staats-Angehörigkeit

a) durch Geburt; b) durch Aufnahme.

Als Staatsangehörige, deren Aufnahme gegenseitig nicht versagt werden 105 kann, werden angesehen: 1) alle diejenigen, deren Vater oder, wenn sie außer der Ehe gezeugt wurden, deren Mutter zur Zeit ihrer Geburt Unterthanen des Staates waren 2, so lange sie ein anderes Heimathsrecht nirgend erworben haben; 2) diejenigen, welche von heimathlosen Eltern zufällig innerhalb des Staatsgebietes geboren sind, so lange sie nicht in einem andern das Unterthanenrecht nach dessen Verfassung erworben haben; 3) diejenigen, welche ausdrücklich zu Unterthanen aufgenommen worden sind 3).

1) Von den verschiedenen Redactionen dieser Verträge ist je eine in der zweiten Abtheilung vollständig abgedruckt worden.

2) Die Frage über die Unterthanenschaft eines Individuums ist jedesmal nach der eigenen, innern Gefeßgebung des betreffenden Staates zu beurtheilen. Für Preußen bestimmt hierüber das Geseß über die Erwerbung und den Verlust der Eigenschaft als preusischer Unterthan vom 31. December 1842. G. S. 43, 15.

3) Die Aufnahme als Gemeindemitglied kann an sich der Aufnahme als Unterthan

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Hierbei, wie in allen übrigen Fällen, gilt der Grundsaß, daß, wenn ein Staatsgehöriger durch irgend eine Handlung der staatsbürgerlichen Rechte in seinem ursprünglichen Heimathsstaate sich verlustig gemacht hat, dieser gleichwohl die Beibehaltung oder Wiederannahme desselben nicht verweigern kann.

c) durch Verheirathung; d) durch zehnjährigen Aufenthalt.

4) Ferner diejenigen, welche zwar weder in dem Staatsgebiete geboren find, noch das Unterthanenrecht nach dessen Verfassung erworben haben, hingegen nach Aufgebung ihrer vorherigen staatsbürgerlichen Verhältnisse oder überhaupt als heimathlos dadurch in nähere Verbindung mit dem Staate getreten sind, daß sie sich daselbst unter Anlegung einer eigenen Wirthschaft 1) verheirathet haben 2). Der Begriff der eigenen Wirthschaft ist dahin näher bestimmt, daß solche auch dann schon vorhanden sei, wenn selbst nur einer der Eheleute auf eine andere Art als im herrschaftlichen Gesindedienst sich Beköstigung verschafft hat.

5) Ebenso erwerben diejenigen die Staatsangehörigkeit, welche während eines Zeitraumes von zehn Jahren 3) ohne Unterbrechung sich in dem Staatsgebiete aufgehalten haben 1), wobei es dann auf Constituirung eines Domicils, Verheirathung oder sonstige Rechtsverhältnisse nicht weiter ankommt3). Nur Handlungsdiener, Handwerksgesellen oder Dienstboten, sowie Schäfer und Dorfhirten 6), welche, ohne eine selbstständige Wirthschaft zu haben 7) in Diensten stehen, ingleichen Zöglinge und Studirende, welche der Erziehung und des Unterrichts wegen irgendwo verweilen, erwerben durch diesen Aufenthalt, wenn derselbe auch länger als zehn Jahre dauern sollte, kein Heimathsrecht ®).

Zeitpächter werden den genannten Individuen nur dann gleich geachtet, wenn sie nicht für ihre Person, noch mit ihrem Hausstande und Vermögen sich an den Ort der Pachtung hinbegeben haben.

nicht gleichgestellt werden. Ministerialbl. 41, 275., wohl aber die Leistung des Bürgereides, ebend. 41, 10.

1) Die Wirthschaftsanlegung muß mit der Verheirathung zusammentreffen, oder doch der leztern unmittelbar folgen. Ministerialbl. 45, 313.

2) Die Vollziehung der Ehe muß in demselben Staate erfolgen, in welchem die Niederlassung stattfindet, wenn diese die Staatsangehörigkeit begründen soll. Ministerialbl. 41, 112. 116.; 42, 259.

3) Die Erfüllung dieser Frist ist nöthig, selbst wenn das Domicil ftillschweigend oder ausdrücklich genehmigt worden ist. Ministerialbl. 41, 274.

4) Der bloße Aufenthalt entscheidet. Ministerialbl. 40, 10.

5) Gleichgültig ist es auch, ob das betreffende Individuum sein Heimathsverhältniß aufgegeben hat oder nicht. Ministerialbl. 40, 109.

6) Dagegen gehören in diese Kategorie nicht: Dekonomie - Verwalter, Ministerialbl. 47, 48., Lohnhuren, Ministerialbl. 41, 10.

7) Dies ist die Bedingung der ausnahmsweisen Stellung der Handwerksburschen 2c. Ministerialbl. 41, 11.; 44, 63.

8) Ministerialbl. 42, 9.

Collision der Merkmale.

Wenn ein Vagabund in dem einen Staate zufällig geboren ist, in dem 107 anderen aber das Unterthanenrecht ausdrücklich erworben, oder mit Anlegung einer Wirthschaft sich verheirathet oder durch zehnjährigen Aufenthalt sich einheimisch gemacht hat, so ist der leztere Staat vorzugsweise 1) ihn aufzunehmen verbunden. Trifft das ausdrücklich erworbene Unterthanenrecht in dem einen Staate mit der Verheirathung oder dem zehnjährigen Wohnen in dem anderen Staate zusammen, so ist das erstere Verhältniß entscheidend. Ist ein Heimathloser in dem einen Staate in die Ehe getreten, in dem andern aber nach seiner Verheirathung während eines Zeitraums von zehn Jahren geduldet worden, so muß er in dem leßtern beibehalten werden 2).

Sind auf einen Fall keine der angegebenen Criterien anwendbar, so muß derjenige Staat, in welchem sich der Vagabund befindet, ihn vorläufig behalten.

Ehefrauen. Witwen. Geschiedene. Kinder.

Ehefrauen sind dem Staate zuzuweisen, welchem ihr Ehemann zugehört; 108 Witwen sind eben so zu behandeln, es wäre denn, daß während ihres Witwenstandes eine Veränderung eingetreten ist, durch welche sie nach den oben entwickelten Grundsägen dem andern Staate zufallen. Auch ist verwitweten, geschiedenen oder von ihren Ehemännern verlassenen Frauen die Rückkehr in den Staat, dem sie vor der Verheirathung angehörten, vorbehalten, wenn die Ehe innerhalb der ersten fünf Jahre nach deren Schließung wieder getrennt worden und kinderlos geblieben ist.

Befinden sich unter einer heimathlosen Familie Kinder unter vierzehn Jahren oder welche sonst wegen des Unterhaltes, den sie von den Eltern genießen, von diesen nicht getrennt werden können, so find solche ohne Rücksicht auf ihren zufälligen Geburtsort in denjenigen Staat zu verweisen, welchem bei ehelichen Kindern der Vater, bei unehelichen die Mutter zugehört. Ist aber die Mutter unehelicher Kinder nicht mehr am Leben und sind diese bei ihrem Vater befindlich, so werden sie von dem Staate übernommen, welchem der Vater angehört.

Kinder.

Unselbstständige d. h. aus der elterlichen Gewalt noch nicht entlassene 109 Kinder werden schon durch die Handlungen ihrer Eltern an und für sich und ohne daß es einer eigenen Thätigkeit oder eines besonders begründeten

1) Amtliche Ueberseßung von principaliter.

2) Das einfachste und richtigste Princip scheint das zu sein, daß das jüngste Critorium das entscheidende sei. Im ersten und dritten Falle ist es, wie es scheint, unbewußt zur Geltung gekommen, im zweiten kann es verlegt werden.

3) Dieser Ausbruck soll nicht den juristischen Begriff der väterlichen Gewalt bezeichnen, sondern nur das natürliche Abhängigkeitsverhältniß andeuten, in welchem sich eheliche Kinder zu ihrem Vater, uneheliche Kinder zu ihrer Mutter befinden, so lange sie ihren Unterhalt noch nicht selbftständig erwerben. Ministerialbl. 42, 260, 336.

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Rechts der Kinder bedarf, derjenigen Staatsangehörigkeit theilhaftig, welche die Eltern während der Unselbstständigkeit der Kinder erwerben ').

Auf die Staatsangehörigkeit unselbstständiger ehelicher Kinder2) find Veränderungen, welche nach dem Tode des Vaters in die Staatsangehörigkeit der Mutter eintreten, ohne Einfluß; vielmehr entscheidet über ihre Staatsangehörigkeit lediglich die Condition des Vaters, und eine Veränderung derselben kann nur unter Zustimmung ihrer vormundschaftlichen Behörde erfolgen.

Verfahren.

Die Provinzial- Regierungsbehörden sind ermächtigt, gegenseitig die nähern Verabredungen wegen der Richtung der Transporte und der Uebernahmeorte zu treffen. Die Ueberweisung geschieht je nach der Natur des Auszuliefernden vermittelst Transportes oder Zwangspasses, doch sollen nie mehr als drei Personen zugleich auf den Transport gesezt werden, es sei denn, daß sie zu Einer Familie gehören und daher nicht wohl getrennt werden können.

Einigen die betheiligten Staatsbehörden in einem einzelnen Falle sich nicht und ist die Differenz auch auf dem diplomatischen Wege nicht zu beseitigen, so kommt der Streitfall zur kompromissarischen Entscheidung eines dritten deutschen Bundesstaates, welcher sich mit beiden Staaten wegen gegenseitiger Uebernahme der Ausgewiesenen in denselben Vertragsverhältnissen befindet. Die Wahl der Bundesregierung bleibt dem Theile überlassen, der zur Uebernahme des Ausgewiesenen verpflichtet werden soll. An diese dritte Regierung hat jede der betheiligten Regierungen nur eine Darlegung der Sachlage, wovon der andern Regierung eine Abschrift nachrichtlich mitzutheilen ist, in kürzester Frist einzureichen. Bis die schiedsrichterliche Entscheidung, gegen deren Inhalt keinem Theile eine weitere Einwendung zusteht, erfolgt, hat derjenige Staat, in dessen Gebiete das auszuweisende Individuum beim Entstehen der Differenz sich befunden, die Verpflichtung, dasselbe in seinem Gebiete zu behalten.

Kosten.

Da die Ausweisung der Vagabunden nicht auf Requisition des zur Annahme verpflichteten Staates geschieht und dadurch zunächst nur der eigene Vortheil des ausweisenden Staates bezweckt wird, so wird für den Transport und die Verpflegung der Vagabunden von dem übernehmenden Staate keine Entschädigung gewährt. Wird ein nach einem dritten rückwärts liegenden Staate Ausgewiesener von diesem nicht angenommen und deshalb

1) Dieser Grundsay gilt auch für diejenigen Fälle, in denen die Frage wegen der Staatsangehörigkeit der Kinder nicht während der Dauer ihrer Unselbstständigkeit, sondern erst dann zur Sprache kommt, wenn dieselben der elterlichen Gewalt entlassen und selbstständig geworden sind. Ministerialbl. 43, 189.

2) Uneheliche Kinder dagegen erwerben und verlieren mit der Mutter die Staatsangehörigkeit. Annalen 1838, 274.

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