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leicht übersichtlichen Kreisen die lehrreichste und förderlichste zu seyn scheint.

2. Haus und Wohnung des Volkes.

Das Wohnhaus des Volkes wird immer der erste sichtliche Ausdruck geordneter und in sich befriedigter Volkszustände seyn, und die Architektur wird auch in dieser auf ihrem Kunstgebiet gänzlich neu eintretenden Beziehung ihren wesentlich symbolischen Charakter zu entfalten haben, indem sie bauliche Einrichtungen schafft, welche die Wohnungsbedürfnisse des Volkes unter einem höheren Gesichtspunkte der Humanität, der Zweckmäßigkeit und der Schönheit aufnehmen, und darin der Arbeit und der Familie einen alle Interessen befriedigenden Raum ge= währen können. Die Architektur, die alle physischen, nationalen und geistigen Bedingungen einer Epoche am treuesten in sich abspiegelt, und gewissermaßen zu einem Gesammtbild vereinigt, wird auch für die Anforderungen, welche in unserer Zeit zum erstenmal die Wohnungsbedürfnisse des Volkes an sie richten, schöpferisch und bildsam auftreten können. Die Baukunft hat in verschiedenen Epochen der Kirche und dem Palast, und den Bedürfnissen der Bevorzugten und Reichen ihre Erfindungs- und Darstellungskraft gewidmet, und darin die Blüthe ihrer Schöpfun gen emporsteigen lassen. Nicht minder hat sie sich in neuerer Zeit den architektonischen Bedürfnissen der Industrie mit neuer bildsamer Kraft, und die Schönheit mit der Zweckmäßigkeit und Nothwendigkeit vermählend, angeschlossen, und dadurch die Bestätigung geliefert, daß die Architektur unter allen noch schaffenden Künsten die größte Zukunft offen habe, welche mit der Zukunft der modernen Völkerzustände überhaupt zusammenwächst. Eine ihrer wesentlichsten Zukunftsaufgaben wird aber immer die seyn, für das Volk zu bauen, dessen verwahrloste Zustände sich schon dadurch charakterisiren, daß es bisher noch mit seinen häuslichen und wohnlichen Bedürfnissen am allerwenigsten unter den architektonischen Gesichtspunkt fallen fonnte, sondern in seinen jämmerlich ausgefundenen Verstecken für Arbeit und Noth von der eigentlichen Idee des menschlichen Wohnhauses ausgeschlossen blieb.

Die Architektur hat in neuerer Zeit schon durch manche

Abänderungen der städtischen Baupläne angefangen, ein jociales Moment in ihren Hausbau aufzunehmen. Die Dachwohnungen, die sonst vorzugsweise den Arbeitern und Armen zum Aufenthalt dienten, sind mit ihren schrägen, Licht und Luft benehmenden Wänden und mit ihren niedrigen, feuchten, Körper und Geist zusammendrückenden Stubendecken an den Häuserreihen der modernen Städte mehr und mehr verschwunden. An ihre Stelle ist in den neueren Hausbauten in Norddeutschland der sorgfältigere Ausbau von Kellerwohnungen getreten, welche den untern Volksklassen das Fundament des Hauses zur Bewohnung anweisen, und, mit Ausnahme ungewöhnlicher Wasserstände, zum Theil einen gegen die Witterung geschüßteren Aufenthalt, auch wohl eine behaglichere Einrichtung in geradlinigen und geräumigen Wohnzimmern dargeboten haben. Bei den alle Klassen Klassen durchdringenden Fortschritten der Industrie sind aber auch die Erdgeschoßräume, wie dieß namentlich in Berlin eingetreten, mehr und mehr zu Verkaufs- und Geschäftslocalitäten mit angrenzenden beschränkten Wohnräumen geworden, und die gewöhnliche Arbeiterfamilie sieht sich auf die kleinen, dunkeln, nicht selten im Winkel belegenen und gegen Luft und Sonne versperrten Hofwohnungen angewiesen, die in den neueren Hausbauten allein für sie übrig geblieben zu seyn scheinen. Aber je mehr auch diese sich verbessern und in einen vornehmeren und behäbigeren Zuschnitt hinübergeführt werden, der sich mit den geringen Eristenzmitteln des Volkes nicht verträgt, desto mehr scheint es sich bei den Fortschritten der Wohnhausarchitektur um ein Ausquartieren der untern Volksklassen zu handeln. Nachdem ihnen Dach und Giebel verbaut worden, nachdem die Kellerräume des Hauses von dem industriellen Kleinkram und von dem zugleich ein offenes Geschäft auslegenden Handwerker besezt worden, und nachdem die Hofwohnungen theils mit den großen Vorderwohnungen des Hauses als Seitenflügel vereinigt, theils für bemitteltere Bewohner geräumiger und schöner ausgebaut worden, gibt es für den kleinen Mann und seine Familie kaum noch eine Stätte im Hause, die er bewohnen und bezahlen kann. Die Architektur der Städte ist socialer geworden, indem sie die alten finstern und dumpfen Unglückswinkel des Hauses zerstört, in denen das städtische Proletariat und der kleine gewerbsame Mann früher seine

preisgegebene Eristenz bewahrt. Aber sie hat damit zugleich diesem Volksbestandtheil der Gesellschaft die Wohnung überhaupt aufgekündigt, und ihn auf eine Weise an die Luft geseßt, die ihm das Mißverhältniß seiner Eristenzmittel zu dem Ganzen der Gesellschaft und zu allen ihren Genüssen und Bedürfnissen auf das Bitterste fühlbar machen muß.

Wie das Wohnhaus der eigentliche Mikrokosmos der Gesellschaft ist, in dem es sich gewissermaßen um die architektonische Gruppirung ihrer Gegenfäße und um die räumliche Unterbringung ihrer nebeneinander lebenden und miteinander kämpfenden Elemente handelt, so ist es auch in principieller Hinsicht charakteristisch für den Gesellschaftszustand, wenn das Haus in seinen baulichen Einrichtungen und Verwendungen nicht mehr den Raum hergeben will, um die kleinen ringenden Volkseristenzen in sich aufzunehmen. Die städtischen Wohnungsverhältnisse sind in neuerer Zeit, wenn auch nicht schöner und bequemer, doch vornehmer, anspruchsvoller, reichlicher, und auf den lururiösen Anschein, dem heut die ganze Eristenz verfällt, berechneter ge= worden. Es vollbringt sich darin die Nivellirung der heutigen Lebenszustände, welche in Genuß und Besiß nur noch durch die Geldverhältnisse abgestuft werden, und in der äußeren Darstellung der Eristenz ein Gleichgewicht der Wohlanständigkeit, Zierlichkeit und Schönheit erstreben, hinter denen alle sonstigen Unterschiede zurücktreten sollen. Die untern Volksklassen sind in diese Rivalität der Stände, welche die heutigen Bewegungen der Gesellschaft vorzugsweise charakterisirt, bereits tief genug hineingezogen. worden, um, wenn sie es irgend vermöchten, auch in ihren Wohnungsverhältnissen mit den bevorzugten Klassen zu wetteifern. Das Bedürfniß dazu hat sich hinlänglich in ihnen ausgebildet, und besonders reizt sie jezt der Lurus der Mittelklassen dazu an, der in den größeren deutschen Städten neuerdings durch Eredit und Schwindel einen unberechenbaren Gipfel erstiegen, und ein beispielloses Ueberschreiten aller durch Natur und Ueberlieferung gezogenen Standesgrenzen begonnen hat.

Die unaufhörlich weiterdringende Corrumpirung der Mittelklassen ist der eigentlich faule Fleck der heutigen Gesellschaft, und schlägt um so gefährlichere, auf den Bankerot des Ganzen abzielende Wendungen ein, als diese Verderbniß von innen heraus

als eine rein sittliche sich vollbringt und nicht bloß aus den Motiven der Gefall- und Genußsucht, sondern zugleich aus der unfruchtbarsten und bedenklichsten aller Leidenschaften, nämlich aus der, mehr zu scheinen als man ist, hervorgetrieben wird. Die aus der industriellen Entwicklung der Epoche entfließenden Vortheile haben diesen Hang der Mittelklassen, sich in einen aristokratischen Schein und einen geheuchelten Reichthum hinaufzukünfteln, begünstigt und erleichtert. Es ist dadurch in dieser Sphäre der Gesellschaft ein Drängen und Haschen entstanden, mit sich selbst einen Glanzeffect zu machen und seine neue Bedeutung in prahlerischer und kostbarer Form sehen zu lassen, wie fich dieß die Aristokratie auch in ihren verderbtesten und am meisten in Anklageftand gezogenen Perioden nicht übler hat zu Schulden kommen lassen. Diese heutige Ausdehnung der Mittelflassen über alle ihre Dimensionen hinaus hat mehr als alles andere die Gesellschaftszustände zu verrücken angefangen, und während man in Frankreich noch unter Louis Philipp auf die Rechtlichkeit, Natürlichkeit und Gesundheit der Mittelklassen eine starke Regierung gründen zu können glaubte, ist in den lezten Jahren in feinem Lande so sehr als in Deutschland diese Basis durch Eitelkeit, Neid, Rivalität und Genußsucht dieser Klassen hinweggefressen worden. Wenn die deutschen Gesellschaftszustände einmal einen unheilbaren Bankerot erleiden, so erleiden sie ihn durch die deutschen Mittelklassen, die in Prunksucht und inhaltslojem Schein einen Lebensschwindel ohne Gleichen zu betreiben. angefangen, ohne ferner ein Gegengewicht in dem zu suchen, was sonst vorzugsweise als ein physischer und sittlicher Halt der Gesellschaft von diesem Stande ausfloß, nämlich in einfachem und tüchtigem Bürgersinn, in Achtung vor den geistigen Mächten des Daseyns, und in der Bestrebung, Wissenschaft, Idee und Talent mit der fortschreitenden Entwicklung des dritten Standes zu identificiren.

Nichts beweist mehr diese auf den äußeren Schein begründete Herrschaft der heutigen Mittelklassen, als die Art und Weise, wie sich die Bewohnung und Einrichtung der Häuser besonders in den größeren Städten zu gestalten angefangen. Die vornehmeren Bedürfnisse der Mittelklassen haben überwiegend alle Einrichtungen der Wohnhäuser nach ihrem Niveau bedingt und den

Raum aufgefogen, der sonst auch für den Mann der untern Volksklassen in denselben vorhanden war. Der kleine Handwerkerstand, die Arbeiterfamilie und der Proletarier aller Stände und Klassen werden dadurch nicht nur aus der in manchem Betracht ihnen ersprießlichen und nüzlichen Hausgenossenschaft des wohlhabenden Bürgerthums hinweggedrängt, sondern damit zugleich aus denjenigen besseren Theilen der Stadt entfernt, in deren Mitte ihr kleiner Erwerb und Betrieb sich seine günstigsten Vortheile aneignen konnte. Je mehr die kleinen Wohnungen in den Häusern der großen Städte verschwinden, um so empfindlicher wächst die Verlegenheit heran, den Hausstand dieser Volksklassen in der Stadtgenossenschaft unterzubringen und ihm zunächst das räumliche Terrain zu ersehen, welches ihm durch das erclusive Vordringen der Mittelklassen auf den Hauptpunkten des städtischen Verkehrs streitig gemacht worden. In den schlechteren Vorstädten, in den kleineren Winkelgassen oder draußen vor den Thoren in den entlegeneren Gegenden, wo sich die Landhäuser der Reichen nicht mehr hinziehen, fern von Markt, Schule, Kirche und gewerblichem Verkehr, bleiben dann nur noch Woh-nungsräume für die hinweggedrängten Volksklassen übrig, und es entstehen dadurch auf bestimmten Punkten Concentrationen solcher unglücklichen Volksbestandtheile, die sich in ihrer engen Massenanhäufung stets von polizeilicher und gesundheitlicher Gefährlichkeit für große Städte erwiesen haben. Ein Proletariat, welches außerhalb des Weichbildes der Stadtgenossenschaft niedergesezt wird, gewinnt dadurch zugleich, wenn auch zuerst nur dem Gefühl nach, eine Angriffsposition gegen die Gesammtheit der Gesellschaft, in der dieser Volksbestandtheil freilich auch die Ausübung seiner unveräußerlichen Rechte verliert, wenn ihm nur die Verbannung aus der menschlich erhebenden und ernährenden Gemeinschaft der Mitbürger übrig gelassen wird.

Es wird allerdings planmäßiger Bestrebungen und eines starken Zusammenwirkens vereinter Kräfte bedürfen, um jenen Klassen der Bevölkerung, welche durch die socialen und baulichen Verhältnisse der großen Städte mehr und mehr wohnungslos geworden sind, wieder den richtig und menschlich bemessenen Raum in der Mitte der menschlichen Stadtgenossenschaft zu gewähren und sie dadurch in alle Lebensberechtigungen zu verseßen,

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