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Klassen wetteifernden Aufwand im Essen und Trinken, als im Besit einer häusliches Behagen darbietenden Wohnung. Der deutsche Familiensinn, der selbst den Proletarier der untersten Stufe noch zu beleben und anzuspornen vermag, findet einen Trost für den Schiffbruch der ganzen Eristenz in einem eingefriedigten Raume, den er ausschließlich sein zu nennen vermag, den er auch gern mit allem Schmuck, dessen die Armuth nur fähig ist, mit einigen Blumentöpfen, schneeweiß gewaschenen Bettdecken und dem weißen Streusand auf der Diele, sich ausstattet, und der ihm die Kärglichkeit seiner Nahrung durch den stillen Genuß des Hausfriedens erseßt. An diesen Haussinn der untern Volksklassen in Deutschland läßt sich die Reform und Veredlung aller ihrer socialen und sittlichen Zustände am wirksamsten anknüpfen, während schon darum die englischen und französischen Arbeiterklassen stets schwerer zu handhaben und in einem harmonischen Verhältniß mit den übrigen Gesellschaftszuständen zu erhalten waren, weil das Bedürfniß nach häuslicher Niederlassung bei ihnen am geringsten ausgebildet ist und sie in ihrer Eristenz, die nur zwischen der Werkstätte, der Straße und dem Wirthshaus getheilt ist, beständig außerhalb der Gesellschaft und in einer dieselbe herausfordernden gefährlichen Position zu verweilen scheinen. Die höhlenartigen Wohnungen der arbeitenden Klassen in England und Frankreich liefern den grauenerregendsten Beleg dafür, daß sich hier eine Menschenklasse einpferchen läßt, die nirgend zu Hause ist und die in niedrigen, oft nur zehn Quadratfuß großen Kellerlöchern, von Schmuß, Gestank und Pestdünsten eingehüllt, ihre Schlafstätten sucht, um dieselben am Morgen, weniger erquickt als mit Krankheitsstoffen. erfüllt, wieder zu verlassen und der Arbeit nachzugehen. Die Arbeiterwohnungen in Liverpool, die meist in engen luftlosen Hinterhöfen und unter der Erde in dumpfen, morastigen, fensterlosen Kellern liegen, in welche man wie in einen Brunnen auf Leitern hinabsteigt, sind in dieser Beziehung oft als das Beispiel der äußersten Menschenverwahrlosung angeführt worden. Wie sehr es hier die Architektur ist, welche zur socialen Reform herangezogen werden muß, haben auch selbst die englischen Parlamentsgeseße anerkannt, indem das Gefeß, welches das englische Parlament im Jahre 1842 zur Verbesserung der Luft in Liverpool

erließ, vornehmlich darauf berechnet war, einen städtischen Umbau im Interesse der auf eine unmenschliche Weise einquartierten Volksklassen vorzubereiten. Die philanthropischen Bemühungen in England, und die in das Programm der neuen im perialistischen Politik aufgenommenen Bestrebungen des Kaisers Louis Napoleon zur Hebung der französischen Arbeiterverhältnisse haben in den leßten Jahren schon manches gebessert. Aber eine burchgreifende, bestimmten und umfassenden Zielen entgegenschreis tende Reform kann hier eben nur auf einem Wege eröffnet werden, auf dem Architektur und Gesetzgebung nach einem gemeinschaftlichen Plone arbeiten und auf dem das Bauwesen der Städte eine Neugestaltung gewinnt, in der die menschlichen und die ständischen Interessen sich nicht mehr als unvereinbar ausschließen, sondern in einem berechtigten Nebeneinanderstehen und in natürlicher Ergänzung sich entwickeln. England ist hier gerade als dasjenige Land anzuführen, in dem die Architekten selbst eine Art von Initiative zu ergreifen gesucht, um den Fort- und Umbau der Städte in eine neue Entwicklung hinüberzuleiten und dazu auch den Gesezen selbst Anregung und Richtung zu geben.

Der Weg, welcher einzuschlagen ist, um das Ziel einer wohnlichern, gesünderen und edleren Niederlassung der unteren Volksklassen in der Gemeinschaft der übrigen Stände zu gewinnen, kann principiell eben nur als ein solcher bezeichnet werden, auf dem die verhältnißmäßige Gemeinschaft aller Klassen der Gesellschaft, worin der eigentliche Begriff der städtischen Gemeinde sich ausdrückt, erhalten und gewahrt, oder, wo sie bereits zerstört worden, wiederhergestellt werden kann. Die Gemeinschaft großer und kleiner Wohnungen, wie großer und kleiner Leute, in dems selben Wohnhause muß, als förderlich nicht nur für die allgemeinen Zwecke der Gesellschaft, sondern auch für die sittliche, geistige und materielle Wohlfahrt der unteren Stände, hier als das eigentliche Ziel alles Strebens und aller Unternehmungen vorzugsweise zu verwirklichen gesucht werden. Um das Bauwesen namentlich der großen Städte in dieser Bahn zu erhalten oder von Neuem in dieselbe hineinzuführen, scheint es vor allem nothwendig, daß das Bauen nicht bloß der Speculation und dem Zufall überlassen bleibe, sondern auch nach einer bestimmten

Richtung hin von den städtischen Behörden, von Vereinen und zu diesem Zweck gebildeten Associationen in die Hand genommen werde und Unterstüßung und Beförderung empfange. Es wird sich dieß als eine um so unabweislichere Bedingung zeigen, als das durch die gesellschaftlichen Verhältnisse aufgedrungene Princip, das Nebeneinanderbestehen kleiner und großer Wohnungen in demselben Hause aufzuheben und den Raum fast ausschließlich für die wohlhabenderen Klassen einzurichten, zugleich mit den Interessen und Bedürfnissen der Speculation und Häuserindustrie sich begegnet.

Der Werth der Grundstücke und die Kosten der Bauausführungen haben sich allerdings in den großen Städten so bedeutend gesteigert, daß schon aus diesem Grunde die Verzinsung des Anlagekapitals, welche auf die Wohnungsmiethen vertheilt wird, immer stärkere Säße herausstellt und Anforderungen der Rentabilität bedingt, die gerade in den kleineren Wohnungen sich am wenigsten erfüllen können. Nimmt man an, daß eine kleine Wohnung, die aber noch geräumig genug ist, um eine Arbeiterfamilie mit einigen Kindern aufzunehmen und zugleich eine Arbeitsstätte für den Mann und vielleicht noch einen Ges hülfen zu gewähren, sich auf 900 Quadratfuß ausdehnen darf, was einen derartigen Wohnungsbedarf (Stube, zwei Kammern, Küche) schon in einer ziemlich auskömmlichen und anständigen Gestalt darstellt, so würde dafür in Berlin, wenn die Wohnung nur einigermaßen noch den belebteren Theilen der Stadt nahe liegt, ein jährlicher Miethspreis von 65 Thlr. gezahlt werden. Dieß würde 2% Silbergroschen pro Quadratfuß ergeben, was, bei der Annahme, daß 1 Quadratfuß zu bauen in Berlin durchschnittlich 2 Thlr. kostet (900 × 2 Thlr. = 1800 Thlr.) eine Verzinsung dieser 1800 Thlr. zu 65 Thlr. oder zu 3% Procent ergeben würde. 1 Es ist dieß aber ein Ergebniß, das mit den Anforderungen, welche in den größeren Städten an die Ertrag fähigkeit einer Bauunternehmung gerichtet werden, in keinem Verhältniß steht, da die Verwerthung der Häuser durch die

Diese Aufstellung entnehmen wir einem Aufsatz von E. Knoblauch: „Ueber die kleineren und mittleren Wohnungen in Berlin,“ in den „Mittheilungen des Centralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen." Neue Folge. 1. Heft. E. 248. (Berlin 1853.)

Miethserträge gewöhnlich auf 6 Procent der Anlagekosten berechnet wird. Ein Procentsaz dieser Art würde aber die kleineren Wohnungen zu einem für ihre Bewohner unerschwing lichen Miethswerth hinauftreiben, wie sie auch schon bei einer mäßigeren Anrechnung des auf sie entfallenden Zinsfußes für den Benuzer zu theuer ausfallen, ohne für den Vermiether ers tragsfähiger zu werden. Die größeren Wohnungen eines Hauses vereinigen dagegen leichter durch eine umfassendere Einrichtung, die auf einem beträchtlicheren und zusammenhängenderen Raum zugleich mit einer vortheilhafteren Dekonomisirung desselben sich verbinden kann, diese sich entgegenstehenden Interessen des Vermiethers und Benußers. Drei größere Wohnungen in einem Hause nußen den baulichen Zustand desselben bei weitem nicht so stark ab, als neun kleinere, welche zusammen denselben Raum einnehmen, aber sowohl durch die verhältnißmäßige Mehrzahl ihrer Insassen als auch durch die Gewohnheiten und Bedürfnisse derselben das Haus ungleich mehr in Anspruch nehmen und dadurch fortlaufende, von den Procenten des Gesammtertrages noch abzurechnende Reparaturkosten bedingen. Eine Wohnung, die dreimal so groß ist als eine Arbeiterwohnung von 900 Quadratfuß, würde aber in ihrem Gesammtcompler leicht den vierfachen Miethswerth darstellen können und dadurch die Ertragsfähigkeit bedeutend gesteigert zeigen, ohne für die bequemere und annehmlichere Einrichtung, welche sie dem Benußer darbietet, zu theuer zu erscheinen. Unter diesen Verhält nissen werden daher immer die wohlhabenderen Leute verhältnißmäßig nicht nur beffer und billiger wohnen als die unbemittelten, sondern auch dem Hause selbst zu größerem Vortheil gereichen, während die kleinen Leute schlecht und theuer niedergelassen sind und außerdem durch ihre stärkere Abnuzung des Hauses für den Eigenthümer desselben um vieles kostspieliger werden.

Dieses Mißverhältniß könnte finanziell dadurch einigermaßen ausgeglichen werden, daß, durch eine verschiedene Vertheilung der Procenterträge auf die großen und kleinen Wohnungen, die ersteren noch theurer und die andern billiger gestellt werden könnten, indem die großen wohleingerichteten und in den besten Stockwerken gelegenen Wohnungen mit 6 bis 8 Procent der

durchschnittlichen Anlagekosten, die kleineren und schlechter belegenen Wohnungen aber mit 3 bis 5 Procent derselben berechnet würden. Es würde aber auch dann noch wenig Anreiz und Vortheil für den Hausbesizer entstehen, um ihn zu einer den Bedürfnissen der Gesellschaft entsprechenderen Vertheilung seiner Räume auf große und kleine Wohnungen zugleich zu bewegen. Das Interesse der Gesellschaft erfordert, daß weder für die Wohlhabenden noch für die Armen ausschließlich gebaut werde, sondern daß in den für den allgemeinen Gebrauch bestimmten Wohnhäusern der größeren Städte Raum und Einrichtung ermöglicht werde, um die verschiedenen Klassen der Bevölkerung wenigstens so, daß sie sich nicht mehr räumlich ausschließen, und dadurch auch principiell bekämpfen, neben einander aufzunehmen. Die nachbarliche Gemeinschaft der verschiedenen Klassen der Gesellschaft kann unbeschadet der individuellen Trennung, in der ihre Haushalte und Familien sich gegeneinander abgrenzen wollen, in den verschiedenen Abtheilungen und Stockwerken des Hauses wenigstens ihre räumliche Entwicklung finden. Diese nachbarliche Gemeinschaft verstattet den untern und ärmern Volksklaffen zugleich den Aufenthalt in der Mitte der lebendigeren und vortheilhafteren Stadttheile, aus denen sie, durch den Ausschluß von der Hausgemeinschaft, sich ebenfalls entfernt sehen müssen. Auf der andern Seite ist es für die wohlhabenden und begünstigten Stände eine schon vom humanen Gesichtspunkt nicht abzuweisende Anregung, wenn sie durch den täglichen Anblick des Lebens und Treibens ihrer unbegünstigteren und stets gefährdeten Mitbürger der elementaren Spaltungen der heutigen Gesellschaft inne werden und zur Heilung derselben auch ihrerseits die besten Entschließungen fassen oder auch schon Handlungen versuchen.

Dem armen Hausgenossen erwachsen an den reichen und begüterten durch diese nachbarliche Gemeinschaft keine Ansprüche irgend einer Art, welche ihm der letztere nicht von selbst bewilligen will. Denn die realen Zustände der Gesellschaft sind weit entfernt davon, eine socialistische Construction des Wohnhauses und der Hausgemeinschaft auch nur im Sinne eines für gewisse Fälle auf Gegenseitigkeit gestellten Associationsvorhältnisses zus zulassen.

Es sind zwar manche Elemente zur Entwicklung

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