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Er machte eine unwillkürliche Bewegung, um sie zurückzuhalten. Sie lächelte traurig. „Du meinst ich spring in den Rhein? Ach ich tät's gern. Da wär' ich gut aufgehobe. Da hätt' die Not ein End'. Aber du? Ich muß doch auch an dich denke. Wenn sie mich dann finde und ziehe mich 'raus dann weiß doch ein jedes, was gewesen is. Dann kommen sie über dich. Und wenn sie mich nicht finde und ich bleib' verschwunde, so meine sie, du hätt'st mich umgebracht, daß die Sach' aus der Welt kommt

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Er faßte ihre Hände. „Lästere nicht, Anna,“ sagte er heiser. Sie lächelte immer noch. „Ich wär' die erste nicht, die so ihren Lohn kriegt für ihre Sünd'. Ich wär froh. Ich tät ruhig stillhalte. Ich bitt' dich drück mir die Händ' nicht entzwei. Ich bin ja schon still davon. Ich sag' ja selbst, so geht's nicht. Nein hör': Ich hab' doch e Schwester in Amerika. Seit sechs Jahre is sie drübe und 's geht ihr gut. Wir habe uns auch als emal geschriebe. Zu der will ich hin.“

„Ja weiß sie denn schon?"

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„Nix weiß sie. Sonst tät' sie mir antworte: Mei' lieb' Anna Amerika is kei Findelhaus. Bleib du, wo du bist und mach' du dei' Sach allein aus. Aber wenn ich auf einmal vor ihr steh' sie hat ein gutes Herz. Sie wird mich schon nicht auf die Straße sebe. Und was sie sonst schilt und schännt liebe Zeit mir is jest alles auf der Welt gleich. Wenn ich nur erst drübe bin.

„Ja wie willst du denn hinkomme?“

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du

„Soviel Geld hab' ich. Das hab' ich gespart. Das trag' ich bei mir. Immer. Sonst stehle sie mir's doch emal aus mei'm Dachstübche. Und drunte der Blät - der Kaufmann der hat doch die Vertretung für die Leut' in Bremen die, wo einen 'rüberschaffen da hab' ich leßthin gehört, wie der gesagt hat, das sei gar nicht schwer. Da fährt man nach Bremen und von da geht jede Woch' ein Schiff und da sezt man sich halt hinein. Und weißt: man kann doch telegraphiere nach Amerika. Das tu' ich gerad' eh' das Schiff wegfährt, damit daß mei' Schwester mich drüben erwartet. Und hierher schick ich zu gleicher Zeit an die Tant' und an den Öttli einen Brief. Bloß: Ich wär' fort, weil ich den Öttli nie und nimmer heiraten wollt. Dann wisse die Leut', wo ich gebliebe bin. Dann sind ihne die Mäuler gestopft."

„Ach, Anna dann reden sie erst recht."

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"

Aber beweise könne sie dann nix. Dir nix. Und in e paar Jahr' da fragt kei' Mensch mehr danach, ob ich emal

auf der Welt war oder nicht und was ich drüben in Amerika mach'. Was liegt denn an mir? Ich bin e arms Ding. Aber du sollst dei Weg' gehe. Ich leb' ja nur für dich. Wenn ich weiß: du hast die Not hinter dir da will ich drübe Stein' klopfe und kei' Dach überm Kopf habe mir is alles recht." Der junge Kaplan hielt ihre Hände immer noch fest und schaute ihr in das bleiche, mühsam und tapfer lächelnde Gesichtchen. „Anna . . . . ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Tag kommt, wo wir uns nicht mehr sehe solle. Und daß morgen schon der Tag sein soll. Wenn ich daran denk' das reißt mir das Herz entzwei . . . .“

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"

Mir auch," sagte die Anna Treiber.

ich mein', meine Kraft langt nicht. Ich mein', ich schrei auf und lauf unter die Leut' und schrei als und als: Gebt mir die Anna wieder. Bloß die Anna muß ich haben. Sonst nichts auf der Welt."

„Glaubst, ich möcht nicht so schreie?" sprach die Anna mit

zuckenden Lippen. Glaubst, mir tut's nicht so weh.

"

Ach

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du

Und wenn is kei' Tag

ich hab' dich noch viel lieber gehabt, wie du mich. ich achtzig Jahr alt werd' - ich schwör's dirda gewese, wo ich nicht an dich gedacht hab'. Mei' Lebe das is ja jezt doch dahin da wird nir draus aber das, was gewese is zwischen uns — das nimmt mir keiner. Das gehört mir. Und wenn's jetzt wieder sechs Monate früher wär — verzeih' mir's unser Heiland und die Jungfrau Maria müßt's wieder tun. Ich müßt' halt. Und wenn's zehnmal e Todsünd' war. .

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ich glaub'

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ich

„Ja wenn es eine Sünde war ." sagte Bonifaz Nüßle, der Kaplan, langsam und starrte mit demselben irren, zweifelnden Blick hinaus in die weite, im Sonnenschein prangende Gotteswelt, wie zuvor, als er mit seiner Schwester gesprochen. Anna Treiber erwiderte nichts. Um sie war es ganz still. Vor dem Fenster huschten die Schwalben zum Nest, die grünen Saaten schwankten im Frühlingswind, ein leiser Lerchenjubel zitterte hoch, unsichtbar im Himmelsblau ganz ferne, ferne waren die Klänge einer Mundharmonika und helles Mädchenlachen schläfrig zirpten die Grillen wandt: Vater im Himel verdorre dir zu Ehren?'

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Und wieder schaute das junge Weib neben ihm stumm, mit einem plößlichen Gefühl von Seligkeit, erlöst von der Last des Lebens, hinaus in Sonnengold und Sommernähe und ein Ahnen ging durch ihren armen, blassen Kopf: Und wenn unser Frühling zu Ende geht heute noch es war doch ein Frühling. Lang, reich und gesegnet wie je da draußen in der fröhlichen Pfalz. Und in unseren Herzen war nichts, was nicht auch da draußen ist in Gottes Garten - ein Grünen und Blühen und zum Lichte wollen und sich des Lebens freuen

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Aber die Türe zum Hinterzimmer stand offen. Von dort sah man auf den Kirchhof hinaus. Düster aufgereckt, schwarzge= strichen, eines neben dem andern, standen da die Grabkreuze und drohten stumm den beiden im Hause und predigten lautlos: Sünde! Sünde! Sünde! Und die beiden, der Priester und das Mädchen, wandten sich von dem Blick auf die weite Pfalz ab und glaubten wieder den Kreuzen und empfanden wieder in Angst und Reue: Wir sind Sünder. Und ein langes Leben liegt noch vor uns, damit wir Buße tun .

"

„Also heute nacht will ich weg," sagte Anna Treiber plößlich laut und ruhig. „Es darf mich keiner sehen. Sonst halte fie mich zurück. Ich kann mir auch nichts mitnehme. Ich muß mir schon unterwegs kaufe, was ich brauch'. Wenn ich nach zehn geh', bin ich vor Mitternacht in Weilheim auf der Station. Da fahr ich bis Mannheim. Von da geht morgen früh ein Zug nach Bremen der Blät hat's neulich gesagt und morge abend bin ich in Bremen und in ein paar Tagen vielleicht schon auf dem Meer . . . Aber auf der Landstraß' darf ich heute nicht gehe die is voller Leut' am Feiertag. Ich muß hinten 'rum durch die Weiden und den Rhein lang

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Erwart

mich am Kirchhof sonst fürcht' ich mich, da drüber zu laufe des Nachts- und dahinter sage wir uns dann Adje für das Lebe..."

Sie versuchte wieder zu lächeln aber ihre Augen standen voll Tränen. Und Bonifaz Nüßle schluchzte bitterlich, über ihre Hände, die ihn tröstend streicheln wollten, gebeugt. So blieben fie eine Weile. Nichts regte sich umher. Nur ihr Weinen klang durch die Stille.

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Dann hallte plößlich dumpf von fern ein Böllerschuß ein zweiter ein dritter. Sie machte sich frei. „Jest schieße sie doch,“ sagte sie halb lachend. „Und der Bürgermeister hat's doch so streng verbote. Aber der Öttli muß sei' Einzug habe. Jest

darf ich aber springe, daß ich wegkomm' und über Land, eh er herein is und mich sieht. Also um zehn hinter der Kirch'! Du bist da?“

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„Ich bin da,“ erwiderte er und Anna Treiber ging.

Wieder knallte dreimal das Geböller durch die Sommerstille. Es war wie ein Zeichen zum Anfang der Schlacht. Jest begann der Kampf gegen das unabwendbare Schicksal, das in Vincenz Öttlis Gestalt in das Dorf hereinfuhr. Der Kaplan verließ mit einem schnellen Entschluß die Pfarrwohnung und schritt hinter der Kirche, zwischen Scheuern und Obstgärten den Fußpfad entlang bis zu einem kleinen, verfallenen, ganz in Grün eingesponnenen Häuschen am Ende der Gemeinde Rietigheim.

Da wohnte das greise Schneiderlein Lukas Fliegauf, dessen Sohn seit Jahren als Missionar in Afrika tätig und jet eben in irgend einem Ordenshaus am Rhein zur Erholung war. Wo, das wollte er den Alten fragen und dann den Klosterbruder aus dem dunklen Erdteil um Auskunft bitten, auf welche Weise sich ein Priester dort möglichst rasch dem Dienst des Herrn unter den Heiden widmen könne. Als die Anna von ihrer Flucht übers Meer gesprochen, war es ihm plößlich klar geworden: Auch er wollte fort in einen fremden Erdteil wie sie und dort unter Mühen und Gefahren seine Schuld büßen.

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Lukas Fliegauf war uralt. Er sonnte sich im Lehnstuhl vor der Türe und unterhielt sich wie gewöhnlich mit zahnlosen Lippen mit längst verstorbenen Generationen der Gemeinde — mit Bürgermeistern und alten Holzweiblein, mit Wirten und Bauern, die man kaum mehr dem Namen nach kannte — und lächelte geistesabwesend dazu.

Er stand vor dem jungen Kaplan auf, nahm sein Käppchen ab und flüsterte auf dessen Erkundigung nach dem Missionar mit halberloschener Stimme, sein Sohn sei nicht mehr in Deutschland. Vor zwei Wochen sei er „ins Uganda hinnere" zurückgekehrt. Ein Brief dahin - das dauere ein halbes Jahr und länger. Enttäuscht und trübe kehrte Bonifaz Nüßle heim. Er hatte sich in den wenigen Minuten das alles schon so schön ausgemalt. Er hatte gehofft, der Pater würde ihn gleich mitnehmen nach Afrika, weit ins Innere. Dort hatte er bleiben wollen. Nie wieder nach Deutschland zurückkehren nie wieder die Heimat schauen die fröhliche Pfalz. Die wäre bald nur noch wie ein fernes Traumbild vor ihm gestanden, wenn er unter Palmen lagerte, von schwarzen Wilden umgeben, die tiefste Einsamkeit

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seine Freundin, die Erinnerung an das verlorne Paradies sein Trost und sein Elend zugleich im dunklen Afrika, wie für die Anna in Amerika drüben. Und zwischen ihnen beiden, den in fremde Erdteile verschlagenen Kindern der Pfalz, wogte das Weltmeer und trennte fie für immer in diesem Leben.

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Ob sie sich nach dem Tode drüben einmal wiedersahen? Das Ja das unbeirrbare Ja das hielt Bonifaz Nüßle von dem legten Gedanken zurück, mit der Anna Treiber gemeinsam hinaus ins Ungewisse zu fliehen. Er war ein kräftiger Bauernsohn. Er hätte sich in Amerika schon irgendwie durchgeschlagen durch diese Welt. Aber in jener? Das war das Grauen. Wie trat dann er, der reuelose Priester, vor Gottes Thron?

Über diesen furchtbaren Gedanken kam er nicht hinweg. Nein. Sein Leben hieß jest Buße und wieder Buße.

Er fuhr aus dem Sinnen in seiner einsamen Stube auf. Draußen rasselte ein Pritschenwagen heran, mit jungen Burschen dicht beseßt. Die meisten trugen die Hüte schief im Genick alle waren schon ein wenig angetrunken, lärmten laut und lachten, knallten mit der Peitsche und pfiffen zwischen den Fingern, um den Einzug ihres Freundes und Meisters, des Vincenz Öttli, möglichst festlich zu gestalten. Der saß gelassen, etwas blaß und ein wenig höhnisch und selbstbewußt lächelnd zwischen den Seinen. Er war ein auffallend hübscher, lang und sehnig geratener Mensch, in einen neuen, weißgrauen städtischen Frühlingsanzug gekleidet, wie ihn sonst kein Mensch im Dorf trug. Ein aufgedrehtes Schnurrbärtchen schmückte das verwegene, sommersprossige Gesicht. Auf seinen Zügen lag der verächtliche Hochmut eines Mannes, der in der kleinen Welt, die für ihn die Gemeinde bedeutete, seinesgleichen nicht kannte. Er war der erste. Weitaus der reichste Mann im Dorf, der stärkste, der ansehnlichste. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte er allein in Rietigheim zu befehlen gehabt. Und wenn einer nicht gehorchte, dann gab es ein Unglück.

Es hatte denn auch bei seinem maßlosen Jähzorn schon mehrfach Unglück mit dem Messer und darauf unfreiwillige Ruhe im Bruchsaler Gefängnis gegeben. Aber was half das bei einem wie dem Vincenz Öttli? Der hielt das für eine ehrenvolle Strafe, so wie bei den vornehmen Leuten die Festungshaft nach dem Zweikampf, und kam heim, wie er gegangen, allzeit mit einem un ruhigen, spielerisch suchenden Gefunkel in den blauen Augen, als warte er nur auf den Nächsten, der ihm zu nahe treten sollte.

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