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es ja für die Redakteure und Verleger von Zeitungen keinen geseßlichen Zwang gibt, diese Kleinigkeiten nachzudrucken; sie brauchten sie bloß ungedruckt zu lassen, dann wären sie gegen jede Honorarforderung und gegen jede Strafverfolgung auf Grund des neuen Urhebergesetzes geschüßt. Durch den Nachdruck aber der sogenannten „literarischen Kleinigkeiten" beweisen sie jedenfalls, daß sie sie für so wertvoll halten, um sie dem Inhalt ihrer Blätter einzuverleiben und sie als geistige Nahrung ihren Lesern darzubieten. Sie lassen sich zwar jede Einrückung im Anzeigenteil bezahlen, auch solche von den ärmsten Arbeitern, die eine Dienststelle oder Arbeit suchen; den geistigen Arbeitern aber wollen sie für das, was sie literarische Kleinigkeiten nennen, die Bezahlung vorenthalten.

Es ist übrigens nicht wahr, daß nur Kleinigkeiten von einem gewissen Teile der Provinzpresse aus den hauptstädtischen oder großen Provinzzeitungen nachgedruckt wird. Den klaren Bestimmungen des Gesetzes zuwider werden vielspaltige Feuilletons des verschiedensten Inhaltes einfach nachgedruckt, selbst solche Feuilletons, die durch zwei Nummern gehen und 6 und mehr Spalten umfassen. Ich selbst kann hierfür eine Anzahl von Belegen liefern. Ja selbst Novellen oder novellistische Skizzen, bei denen auch gesehesunkundige Redakteure und Verleger keine Entschuldigung anführen können, werden erfahrungsgemäß unter der Herrschaft des neuen Urhebergeseßes gemütlich nachgedruckt: man läßt es darauf ankommen, ob der Nachdruck entdeckt wird, denn der unentdeckte Nachdruck ist nicht strafbar.

Tritt nun ein Schriftsteller, der nicht von seinen Rittergütern, sondern ausschließlich von der Verwertung seiner geistigen Güter zu leben gezwungen ist, einem solchen Nachdrucker entgegen, so spielen der Verleger oder der Redakteur oder beide zusammen die beleidigte Leberwurst und finden wohl gar in der großen, anständigen, nicht vom Nachdruck lebenden Presse ge= legentlich einen Verteidiger, der den Schriftstellern ins Gewissen redet und sie bei ihrem „Idealismus“ packt. Dann werden solche Bemerkungen laut wie: ernsthafte Schriftsteller haben etwas Besseres zu tun, als Nachdruckshonorare einziehen zu lassen. Es hat sich nämlich eine Vereinigung von Schriftstellern unter dem Titel Allgemeiner deutscher Schriftstellerverband gebildet, deffen Leitung unter anderm auch die Einforderung und nötigenfalls Einklagung von Nachdruckshonoraren besorgt. Ich halte diese Einrichtung für unentbehrlich gerade aus dem von den Nach

druckern geltend gemachten Grunde: ernsthafte Schriftsteller haben wirklich Besseres zu tun, als auf Nachdrucke zu fahnden und sich in ärgerlichen Briefwechsel über die ihnen zustehende Entschädigung einzulassen. Nach dem Gesetz der Arbeitsteilung haben die ernsthaften Schriftsteller sich die wenig appetitliche Arbeit, sich mit Nachdruckern herumzuzanken, vom Leibe geschafft und sie einem Vereinsamt übertragen.

Die Erfahrungen nun, die bei der Einforderung von Nachdruckshonoraren gemacht werden, zeigen in dieser durch ein klares Geses geregelten Sache einen Zustand der Verwilderung, der billig Erstaunen erregen muß. Da schreibt der Verleger einer Provinzzeitung von einigem Ansehen, in der ein durch zwei Nummern laufendes wertvolles Feuilleton ohne Erlaubnis nachgedruckt wurde, an den Verfasser, der ihn auf diesem Nachdruck betroffen, zur Entschuldigung seines Redakteurs, eines akademisch gebildeten, sogar den Doktortitel führenden Herrn: sein Redakteur habe nur dieses „nur“ ist unbezahlbar -- aus Unkenntnis des neuen Urhebergesehes gehandelt. Das Feuilleton war übrigens auch nach dem früheren Urhebergeseß geschüßt; aber welche erquickend naiven Zustände enthüllt ein solcher Entschuldigungsversuch. Jahrelang war in allen deutschen Zeitungen die Rede von den Vorbereitungen zu dem neuen Urhebergeseß; jene nachdruckende Zeitung selbst hatte die tagelangen Reichstagsverhandlungen über das neue Gesetz mit großer Ausführlichkeit veröffentlicht, und nun hat der Herr Redakteur keine Ahnung von dem einzigen Gesetz, das er außer dem Preßgeseß für seinen besonderen Beruf überhaupt zu kennen gezwungen ist! Jeder Schweineschlächter ist verpflichtet, die besonderen Gefeße seines Berufes, z. B. das über die Fleischschau, genau zu kennen, wenn er sich nicht schwerer Bestrafung aussehen will; jeder Schloffer, jeder Schornsteinfeger kennt die gesehlichen oder polizeilichen Verordnungen für seinen verantwortlichen Beruf. Und der Redakteur einer nicht ganz unbedeutenden Provinzzeitung, der Tag für Tag die Leser mit seinen tiefgründigen Betrachtungen über jedes neue Reichsgeseß unterhält, kennt eines der beiden einzigen Geseße nicht, die für ihn besonders bestimmt sind. Welch ein Idyll enthüllt sich hier der Welt! Es kommt aber noch besser: dieser selbe Redakteur droht den Schriftstellern, die sich wegen Nachdrucks beschweren, und namentlich solchen, die ihre Forderungen durch die Vertretung ihres Standes eintreiben lassen: das Blatt werde „die Beziehungen zu allen solchen Schriftstellern abbrechen“. Fürchter

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liche Aussicht: jenes Nachdrucksblatt wird also in Zukunft von solchen Schriftstellern nichts mehr nachdrucken, denn der Nachdruck war ja die einzige Beziehung, in der es zu den nachge= druckten Schriftstellern gestanden hatte. Und angesichts solcher grottesken Vorgänge gibt es Griesgrame, die da sagen, daß aller Spaß aus der Welt verschwindet.

Die Verteidigung, die von den nachdruckenden Zeitungen zur Begründung ihres unveräußerlichen Rechtes auf Nachdruck in neuester Zeit geltend gemacht wird, besteht darin, daß es sich nur um „wertlose“ literarische Kleinigkeiten handle. Tatsächlich machen die Gewohnheitsnachdrucker in der täglichen Übung so feine Unterscheidungen nicht: wer Kleinigkeiten maust, vergreift sich ja leicht auch an größeren Dingen, und die reiche Erfahrung der den Nachdruck beobachtenden schriftstellerischen Vertretungen bestätigt dies. Indessen Kleinigkeiten oder nicht, das sorgsam vorbereitete, wohlerwogene und unter starkem Einfluß aller beteiligten Kreise durchberatene Urhebergeset kennt Unterschiede des Umfanges für selbständige literarische Arbeiten nicht. Das entspricht auch durchaus den idealsten Anschauungen vom Wesen literarischer Arbeit. Wenn Gedichte einmal vor Nachdruck geschüßt sind und sie sind es natürlich durch das Gesetz -, so hebt die Kürze eines Gedichtes den Schuß nicht auf. Die 8 Zeilen des Goethischen Gedichtes Über allen Gipfeln ist Ruh, oder selbst die 4 Zeilen der Spruchdichtung Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah! verdienen den Schuh ebenso sehr wie Klopstocks Messiade. Das ist auch gerecht und weise: man denke sich nur einen lyrischen Dichter, der nichts anderes auf Erden machen könnte als solche kurzen Gedichte, soll man den für seinen Lebensunterhalt etwa auf den Idealismus der Nachdrucker verweisen, die aus freien Stücken ihm einen auskömmlichen jährlichen Ehrensold zahlen werden? Oder hebt etwa der Unterschied zwischen Prosa und Poesie den Schuß auf? Was wird dann aus den zahlreichen Schriftstellern, die beim besten Willen nichts anderes fertig bringen als ganz kurze, aber sehr gefällige Prosaarbeiten, so gefällig, daß die sorgsam auswählenden Redakteure der kleinen Nachdrucksblättchen sie eben der Ehre der Veröffentlichung würdigen? Die „Motive“ zum deutschen Urhebergeset sprechen es denn auch bei § 18 unzweideutig aus: „Die Fassung, daß aus Zeitungen und Zeitschriften vermischte Nachrichten tatsächlichen Inhalts und Tagesneuigkeiten ab= gedruckt werden dürfen, bringt zum Ausdruck, daß die Befugnis

sich nicht erstreckt auf Anekdoten, Aphorismen und sonstige kleine Artikel, die nach dem Sprachgebrauche zuweilen unter den vermischten Nachrichten einbegriffen werden, ohne doch rein tatsächlicher Natur zu sein." Der Gesetzgeber hat eben nur tatsächliche Mitteilungen dem Nachdruck preisgeben wollen, nicht aber solche selbst ganz kleine Beiträge, die eine selbständige literarische Arbeit und oft eine recht wertvolle darstellen. Die nachdruckenden Redakteure, die sich darüber lustig machen, daß der erste Erzähler einer guten Anekdote Nachdruckshonorar von ihnen verlangt, und die den literarischen Wert und die geistige Arbeit eines solchen Beitrages bestreiten, haben ja ein ausgezeichnetes Mittel, sich vor allen Honorarforderungen zu schüßen: sie brauchen sich ihre Anekdoten und sonstigen literarischen Kleinigkeiten nur selbst zu verfertigen, was ihnen bei der Höhe ihrer literarischen Anschauung und Bildung sicher eine Kleinigkeit sein wird.

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Es ist ein bekannter Kunstgriff derer, die sich den Teufel etwas aus dem Idealismus machen, sich bei einer Einschränkung ihrer sehr wenig idealistischen Triebe auf den Idealismus der andern zu berufen, in diesem Falle also die Nachdrucker auf den Idealismus der Schriftsteller. Wie wäre es, wenn die Nachdrucker selbst nicht durch einen besonderen Idealismus, aber durch eine vornehme Geschäftsgebahrung: nämlich alles von ihnen Gedruckte zu bezahlen, den Schriftstellern eine kleine Aufmunterung und ein Vorbild für ihren Idealismus gäben? Indessen ich brauche Kennern deutscher Literaturgeschichte nicht ins Gedächtnis zu rufen, daß unsere größten und edelsten Dichter und Schriftsteller ihren höchftfliegenden Idealismus durchaus zu vereinigen gewußt haben mit der Wahrnehmung ihrer irdischen Eigentumsrechte. Goethe und Schiller haben sich nicht nur über den zu ihren Zeiten herrschenden Nachdruck mindestens ebenso scharf ausgesprochen, wie die heutigen Schriftsteller über die noch immer nicht ausgerottete widerrechtliche Ausbeutung ihrer geistigen Arbeit; sondern sie haben auch, wie in zahlreichen Briefen von Goethe und von Schiller zu lesen steht, mit lobenswertem Sinn für den Wert schriftstellerischer Unabhängigkeit möglichst hohe Honorare von den Verlegern, auch von den Zeitungsverlegern, zu erlangen gesucht und verstanden. Es ist durchaus keine Schande für die heutigen Schriftsteller, selbst für die kleinsten, mit ihren literarischen Arbeiten recht viel Geld verdienen zu wollen: sie befinden sich dabei in der allerbesten, klassischsten Gesellschaft. Inmitten meines Nachdenkens über den Entrüstungsrummel der Nachdruckpresse blättere

ich zufällig in meinem Lessing, und wie das Glück es fügt, stoße ich da auf folgenden Saß, der den Nachdruckern höchst unidealistisch erscheinen wird: „Wie? Es sollte dem Schriftsteller zu verdenken sein, wenn er sich die Geburten seines Kopfes so einträglich zu machen sucht als nur irgend möglich? Weil er mit den edelsten Kräften arbeitet, soll er die Befriedigung nicht genießen, die sich der gröbste Handlanger zu verschaffen weiß, seinen Unterhalt seinem Fleiße zu verdanken?“

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Lessing ist noch höflich. Nun höre man aber den größten Helden des deutschen Idealismus, den Doktor Martin Luther! In seiner Auslegung der Episteln und Evangelien von Advent bis Ostern heißt es: „Eine Vermahnung an die Drucker. Gnade und Friede! Was soll doch das sein, meine lieben Druckerherrn, daß einer dem andern so öffentlich raubt und stiehlt das Seine? Seid ihr nun Straßenräuber und Diebe worden? Oder meint ihr, daß Gott euch segnen und ernähren wird durch solche böse Tücke und Stücke?

Wohlan, Gott wird's finden, was du dran gewinnst, da schnüre die Schuh mit; du bist ein Dieb und vor Gott schuldig die Wiedererstattung. Es ist ein ungleich Ding, daß wir Arbeiten und Kost sollen drauf wenden, und andere sollen den Genuß und wir den Schaden haben. Derhalben seid gewarnet, meine lieben Drucker, die ihr so stehlet und raubet. Denn ihr wisset, was Sankt Paulus sagt zu den Thessalonichern: Niemand vervorteile seinen Nächsten im Handeln, denn Gott ist Rächer über solches alles. Dieser Spruch wird euch auch einmal treffen. Auch so werdet ihr solcher Räuberei nicht reicher, wie Salomo spricht: Im Hause des Gottlosen ist eitel Verschleißen; aber des Gerechten Haus wird gesegnet. Soll aber je gegeizt sein und wir Deutschen doch Bestien sein wollen, so geizt und tobet immerhin, nicht in Gottesnamen, das Gericht wird sich wohl finden, Gott gebe Besserung in der Zeit. Amen.“

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