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sei, so hat sie Priester von auswärts berufen zur Abhaltung einer sogenannten Mission in München, wie es ja auch sonst und anderwärts geschah. Gut, wir wollen über all dies nicht richten. Warum aber mußten diese Missionäre gerade Jesuiten sein, deren Orden oder Gesellschaft in Bayern nicht rezipiert ist? Mußten es durchaus Ordensmänner sein, so gab es ja in den verschiedenen in Bayern aufgenommenen, rezipierten Orden ganz sicher tüchtige Männer in hinreichender Anzahl, welchen die Abhaltung der Mission mit gutem Gewissen anvertraut werden konnte. Warum also wurden gerade Jesuiten berufen, die in Bayern staatsgeseßlich nicht zugelassen sind? Wir wollen und dürfen nicht annehmen, daß der geistliche Oberhirte oder „Kirchenfürst“ dies getan habe etwa den Staatsgesehen und der Regierung zum Troß und um einen neuen Schritt zu tun in Betätigung der Machtvollkommenheit und Unabhängigkeit der geistlichen Gewalt gegenüber der weltlichen. Es läßt sich allerdings nicht verkennen, daß die geistliche Oberbehörde durch diesen gelungenen Schritt sich neue Befestigung geben, mit neuer Zuversicht stärken konnte zu weiteren Schritten gegenüber der Staatsregierung. Wenn auch die von der Staatsgewalt gewährte Erlaubnis zur Abhaltung der Mission durch die Jesuiten wesentlich nur aus liberaler Inspiration hervorging, der zufolge man von Maßregeln des früheren Polizeistaates Umgang nehmen wollte gegenüber der Kirche, immerhin läßt sich diese endlich gewährte Erlaubnis in betreff der Jesuiten halb und halb wie ein Eingeständnis früheren Unrechtes gegen dieselben darstellen. Überhaupt ist der moderne Staat, je liberaler und weniger absolutistisch er ist, umsomehr in eigentümlicher und mißlicher Stellung gegenüber der ganz unliberalen und absolutistischen katholischen Kirche (resp. dem Papsttum). Diese, welche allen Liberalismus verdammt und auf Leben und Tod bekämpft, verlangt gleichwohl vom Staate im Namen dieses Liberalismus Zugeständnisse und Aufhebung früherer Schußmaßregeln gegenüber der Kirchengewalt. Dadurch erhält diese natürlich große Vorteile jenem gegenüber und kann ihre Machtvollkommenheit, wenn auch nicht gerade der Staatsgewalt, doch jedenfalls dem Volke gegenüber mehr und mehr erweitern und befestigen. Wer aber das Volk in seiner Gewalt hat, dem kann auch die Staatsgewalt nicht für die Dauer widerstehen. So wird der Liberalismus von der ultramontanen Partei und der absolutistischen Kirchengewalt ausgebeutet, um ihn und den Staat zugleich zu bekämpfen, zu beherrschen und den kirchlichen Absolutismus mehr und mehr zu befestigen. Wir

behaupten indes nicht, daß der Erzbischof in München bei Berufung der Jesuitenmission an derlei Dinge gedacht habe. Nein, derselbe hat nicht aus Eigensinn und der Regierung und dem Liberalismus zum Troß gerade Jesuiten zur Mission berufen, oder um seine kirchlich-hierarchische Allgewalt zu prüfen und zu betätigen, auch nicht, um durch geschickte, gewandte Prediger das Volk zu bearbeiten und für hierarchische Machtvollkommenheit günstig zu stimmen und zu gewinnen. Wir halten vielmehr dafür, daß der „Kirchenfürst“ dabei wirklich einzig und allein die Zwecke eines Apostels im Auge hatte, den Glauben, die Sittlichkeit, das Seelenheil der anvertrauten Herde, und daß er bei der Berufung der Jesuiten von der sicheren Überzeugung ausging, daß gerade diese allein oder wenigstens vorzugsweise geeignet seien, die genannten Zwecke zu erreichen, und daß ihm eben damit sein Verfahren hinreichend gerechtfertigt erscheint.

Dies seht aber die Annahme voraus, daß sich gerade die Jesuiten im katholischen Klerus durch Tüchtigkeit für den genannten Zweck, also durch wissenschaftliche Kenntnisse, durch Glaubenseifer, durch reine Sittenlehre, durch kirchlichen Geist und hervorragendes Geschick in der Seelenführung hervortun, so daß gerade durch sie die Vernunft der Gläubigen am besten gebildet und erleuchtet, der Glauben belebt und gestärkt, die Moralität verbessert und das kirchliche Leben gehoben wird. Ob dies wirklich so sei und alle diese Zwecke am sichersten gerade durch die Jesuiten erreicht werden und ob also die Jesuitenmission sich damit vollkommen rechtfertige, möchten wir im folgenden prüfen und entscheiden. Es ist dies keine angenehme und dankbare Aufgabe, allein falscher Schein und Anspruch fordert Prüfung und wahrhaftes Zeugnis heraus und umsomehr, wenn hierdurch nicht bloß die Wahrheit überhaupt ans Tageslicht gefördert wird und Zeugnis erhält gegenüber der Täuschung und dem Irrtum, sondern auch von anderen, nämlich von dem übrigen katholischen Klerus ein Unrecht abgewehrt wird, nämlich die falsche Meinung, das Vorurteil, als stünde er tief unter den Jesuiten an Tüchtigkeit und vermöge nicht das gleiche, geschweige denn Besseres als jene zu leisten.

Unsere Prüfung wird sich übrigens nicht etwa an die 126 Missionspredigten halten, welche jest in den Kirchen Münchens zu hören sind. Wir wußten im voraus, daß sich diese Jesuiten als geschulte, gewandte Redner bewähren und eine große Zuhörerschaft anziehen, daß sie auch mit Vorsicht auftreten und hinwiederum in betreff des Inhalts ihrer Predigten über das Gewöhn=

liche nicht hinauskommen würden. In Bezug auf die Form und Erscheinung aber haben sie eben alle Vorteile wohlgeschulter Virtuosen für sich, die sich auf einige Stücke beschränken und vor dem Publikum in Gastrollen erscheinend, die Erwartung und Neugierde desselben erregen. Die Grundsäße, die Bestrebungen und Ziele der Gesellschaft Jesu (das, was man den Jesuitismus nennt), treten selbstverständlich in diesen öffentlichen Reden nicht klar hervor und können jedenfalls vom großen Publikum nicht daraus erkannt werden, wenn auch die Eingeweihteren sie da und dort anklingen hören. Unsere Untersuchung hält sich an die Geschichte der Gesellschaft Iesu, ihrer Wirksamkeit und ihrer Erfolge, um die oben genannten Fragen in betreff derselben zu beantworten. Man erwarte aber nichts über die Lehre vom „Königsmord“, nichts über die „lare Moral", nicht einmal etwas über den berüchtigten Grundsah: „Der Zweck heiligt die Mittel" und dergl. Wir haben es mit dem zu tun, was unseres Erachtens wichtiger ist und zuverlässiger und ernsthafter zur Charakterisierung der Bedeutung und Wirkung des Ordens zu dienen vermag.

Die erste Frage, die hier wenigstens eine kurze Beantwortung finden soll, lautet: Ragen die Jesuiten wirklich an Wissenschaft über alle anderen Kleriker in der katholischen Kirche so sehr hervor, daß da, wo es gilt, Vernunft und Einsicht der Gläubigen zu bilden, vor allen die Jesuiten am Plaze sein müssen? Diese Frage ist umsomehr am Orte, da sie selbst in ihren Predigten erklären, sich vorzugsweise auf den Standpunkt der „Vernunft“ zu stellen bei Begründung der religiösen Lehren und sich vor allem an den Verstand, nicht an das Gefühl der Zuhörer zu wenden, damit ihre Mission nicht etwa nur einem Strohfeuer gleiche, ohne Nachhaltigkeit und bleibenden Gewinn verlaufe. Was nun die wissenschaftlichen Leistungen der Jesuiten vor der Aufhebung ihres Ordens betrifft, so ist längst anerkannt, daß es ihnen wesentlich an produktiver, eigentlich schöpferischer Macht gefehlt habe, daß sie nur Werke der Gelehrsamkeit und logischen Dressur zustande gebracht haben, mit nur wenigen Ausnahmen nur in scholastischen Kommentaren, die eben der verfallenden Scholastik angehören, in Kasuistik von zweideutigem Verdienst und in konfessioneller Polemik stark waren. Die wahrhaft fruchtbare historische, naturwissenschaftliche und philosophische Forschung fand durch sie so viel wie keine Förderung (mit verhältnismäßig ganz geringen Ausnahmen, die auch nicht aus dem Geiste des Ordens hervorgingen). Seit der Wiederherstellung des Ordens aber haben sie auf keinem

Gebiete noch irgend etwas Bedeutendes, Originales geleistet. Nichts in der geschichtlichen Forschung, nichts in der Naturwissenschaft, ebensowenig in der Philosophie und endlich selbst in der Theologie. Allerdings haben sie sich in den letzten Jahrzehnten mit Theologie und fast noch mehr mit Philosophie beschäftigt, aber ihre Leistungen auf beiden Gebieten bestehen wesentlich nur darin, daß sie die alten Scholastiker, insbesondere Thomas von Aquino, wieder hervorgezogen haben und ausschließlich zur Geltung bringen wollen. Als historisches Studium könnte man sich dies noch gefallen lassen, allein dies ist nicht der Sinn und die Meinung bei ihrem Wiederhervorziehen der Scholastiker, sie wollen vielmehr die Scholastik, insbesondere Thomas an die Stelle der neueren Philosophie seßen und zu unbedingter Geltung in Philosophie wie Theologie bringen. Der Papst, das „höchste Orakel", wie sie ihn in ihrer Zeitschrift Civiltà cattolicà nennen, mußte ihnen dabei an die Hand gehen und alle Kritik der scholastischen Wissenschaft den katholischen Gelehrten verbieten und dieselbe in jeder Beziehung, sogar auch in Beziehung auf wissenschaftliche Methode approbieren, was er denn auch zu wiederholten Malen redlich getan hat. Die Theologie und Philosophie ist also hiernach wesentlich fertig; die lehtere ist die Magd der Theologie und muß ihre Dienste in der Vorhalle der christlichen Kirche verrichten und die Leute bis zur Türe des Heiligtums hinführen, selbst hineingehen kann und darf sie nicht. So haben die Scholastiker die Sache aufgefaßt und festgestellt und so muß es auch bleiben, denn so ist es einzig kirchlich und christlich. Die Widersprüche, die Unfruchtbarkeit dieser Wissenschaften, wenn sie nach dieser alten Schablone behandelt werden, be= merkt oder beachtet man nicht. Wenn auch die Beweise der Scholastiker nicht mehr stichhaltig sind und also nichts mehr beweisen, so tut das nichts, sie müssen doch beibehalten und als Beweise geltend gemacht werden, und unkirchlich, unchristlich ist jeder, der sie nicht will gelten lassen. Die wissenschaftlichen Beweise, welche den Glauben begründen sollen, müssen eben selbst geglaubt werden, wie man den Leuten auch vorsagt, der christliche Glaube sei begründet durch die Wunder, und dann hinwiederum auch ohne weiteres die Forderung stellt, daß die Wunder selbst ihrerseits zu glauben, also ohne strengen Beweis und Begründung anzunehmen seien. Es ist dies freilich ein ziemlich allgemein üblicher theologischer Zirkel; man sieht nicht ein, daß dies in unserer Zeit so viel heißt als den leichteren Glauben durch den schweren Glauben begründen wollen.

Dieser alten Schablone gemäß hält man auch noch immer daran fest, daß die Philosophie, die natürliche Vernunft, zuerst das Dasein Gottes beweisen müsse und dann erst die Erkenntnis der geschichtlichen Offenbarung und Menschwerdung Gottes in Christus möglich sei. Man sieht nicht ein, wie töricht es ist, aus der unklaren Offenbarung Gottes in der Natur die klare Offenbarung in der Geschichte erkennen und begründen zu wollen und die Wissenschaft von Gott auf die Betrachtung der dunklen, für ungöttlich gehaltenen Natur zu stellen, während man die be= hauptete Offenbarung und persönliche Erscheinung Gottes in der Geschichte für unbrauchbar und unstatthaft zum Behufe wissenschaftlicher philosophischer Gotteserkenntnis erklärt. Erst soll das Dasein Gottes aus der finnlichen Natur, der Bewegung, den Naturerscheinungen bewiesen werden, dann erst soll es möglich sein, die Offenbarung Gottes in der Geschichte und in Christus insbesondere zu erkennen. Die unklare Offenbarung soll da als Mittel dienen, die klare Offenbarung zu erkennen, die dunkle Offenbarung Gottes soll für die menschliche Vernunft erkennbar und zugänglich, die klare Offenbarung oder gar persönliche Erscheinung Gottes in der Geschichte soll für die menschliche Vernunft unerkennbar und unzugänglich sein! Die philosophische oder Ver= nunft-Forschung soll daher vom Gebiete des spezifischen Christentums ausgeschlossen sein. Jedes klare, gesunde Denken muß anerkennen, daß, wenn wirklich in Christus die höchste, vollendetste Offenbarung Gottes an die Menschen stattfand, dann jedenfalls darauf auch am ehesten, sichersten der Beweis für Gottes Dasein und Wesen sich müsse gründen lassen, daher allenfalls durch Erforschung dieser geschichtlichen Erscheinung jemand zur Überzeugung vom Dasein Gottes kommen könnte, wenn auch alles andere ihm als unbrauchbar zu solchem Beweise erschiene; so daß Christus der höchste und wichtigste Gegenstand gerade der philosophischen Forschung sein kann_und_muß.*) Allein das paßt nicht zur alten

*) Ein unbefangener Leser wird es freilich kaum glaublich finden, daß man nach jesuitisch-scholastischen Grundsäßen zwar beispielsweise vom stofflichen Dasein, von den Pflanzen, Insekten u. s. w. ausgehen dürfe, um durch deren Betrachtung das Dasein und Wesen Gottes philosophisch zu erkennen und zu begründen, nicht aber von der Person und Wirksamkeit Christi, um darauf vor allem die gewisseste Erkenntnis vom Dasein und wahren Wesen Gottes auch philosophisch zu gründen. Und doch ist es so. Wer Christus selbst zum Gegenstand philosophischer Forschung machen und so eine Art christlicher Philosophie gewinnen will, wird als Rationalist bezeichnet und für unchristlich resp. unkirchlich gehalten!

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