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Auszug.

1.

Herr von Hengelmüller an Freiherrn von Haymerle.

London, 2. October 1880.

Ich begab mich gestern zu Lord Granville in der Absicht eine klare Ansicht darüber zu gewinnen, wie man hier die gegenwärtige Situation auffasse, wie man sich die für Sonntag versprochenen Concessionen Seiner Majestät des Sultans denke und ob namentlich für den Fall, dass der Sultan ein von den Begehren der Mächte hinsichtlich der montenegrinischen und griechischen Frage weit abweichendes und ungenügendes Compromiss anbieten sollte, in dem vorgestrigen Ministerconseil bestimmte Coercitivmassregeln ins Auge gefasst und hinsichtlich der den Mächten vorzulegenden Vorschläge bestimmte Beschlüsse getroffen worden sind.

Da mir der der Pforte gewährte Aufschub und Lord Granville's Ansicht, dass die jüngste Erklärung des Sultans die Möglichkeit biete, mit allen zwischen Ihm und den Mächten schwebenden Fragen auf einmal fertig zu werden, und dass die Action der Letzteren in Constantinopel auf dieses Ziel ausgedehnt werden sollte, bereits bekannt war, so begann ich die Conversation mit der Frage, wie sich Lord Granville die Antwort des Sultans vorstelle.

Antwort: Er wird uns die Uebergabe Dulcigno's mit einer neuen Modificirung der Grenzlinie, die Abtretung der für Griechenland verlangten Gebiete mit Ausnahme Janina's, Metzovo's und Larissa's anbieten und die Ausführung der Reformen in Armenien versprechen.

Auf die Frage, ob die Mächte und in erster Linie England hiemit zufrieden sein würden, erhielt ich keine bestimmte Antwort. Lord Granville meinte, dass die Anerbietungen der Pforte möglicherweise doch nicht ganz unbefriedigend sein würden, und dass es vor Allem darauf ankäme zu wissen, wie Euer Excellenz über die Sache dächten und wozu Hochdieselben bereit wären. Er sagte, Euer Excellenz haben zu Sir Henry Elliot von der weitern Pression der Mächte in Constantinopel gesprochen, aber wie stellten sich Euer Excellenz die Beschaffenheit dieser Pression vor. Sollte dieselbe blos auf Papier sich beschränken? Noten und Proteste seien genug geschrieben worden und würden. in Zukunft schwerlich mehr Eindruck als in der Vergangenheit machen. Er möchte wissen, ob Euer Excellenz auch zu Mehrerem, d. h. zur Anwendung wirklicher Gewalt gegen die Pforte, auch über den Rahmen der Flottendemonstration hinaus, bereit wären, und bat mich, ihn in dieser Beziehung, so weit ich könne, aufzuklären.

Ich erwiderte, ich könne seine Frage nur so verstehen, ob wir für den angenommenen Fall, dass die Pforte auf ihrem Widerstande beharren und am Sonntag ganz ungenügende Vorschläge machen sollte, bereit wären, uns eventuellen von England vorgeschlagenen Zwangsmassregeln anzuschliessen. Da hänge die Antwort nun davon ab, was diese Massregeln sein würden. Euer Excellenz hätten sich der auf die Befriedigung der montenegrinischen Ansprüche gerichteten Action angeschlossen und ich sei überzeugt, dass Euer Excellenz sich durch den bisherigen Widerstand von

der Erreichung dieses Zieles nicht abschrecken lassen wollten. Aber wir müssten die Ruhe nicht verlieren, und sollten uns nicht durch die Handlungsweise der Pforte zu unüberlegten Schritten, zu einem Kriege oder Kriegszustande gegen dieselbe hinreissen lassen. Wir wollten keinen Krieg, wir seien bereit dem Fürsten von Montenegro jene Unterstützung zu gewähren, die wir Ihm versprochen hätten, wollten Ihn aber nicht zu weiteren Erwartungen ermuntern. Ich bäte also Lord Granville mir zu sagen, welche Pressionsmassregeln er uns eventuell vorschlagen würde.

Lord Granville sagte, er wolle den Krieg gegen die Pforte so wenig, wie wir. Wenn er ihn wollte, hätte er den casus belli fertig. Er wolle im Vereine mit den anderen Mächten handeln und stimme mit Euer Excellenz vollkommen in dem Wunsche nach Aufrechthaltung des europäischen Concertes und Vermeidung des Krieges überein. Aber wenn die Mächte sich zum Handeln entschliessen können, so sei England zur Uebernahme seines Theiles an der Action bereit. Er nehme an, dass die anderen Mächte mit ihm darin gleicher Ansicht wären, dass man sich nicht von der Pforte schachmatt setzen und lächerlich machen lassen könne. Auch könne man den Fürsten von Montenegro nicht in Stich lassen. Er habe allerdings kein Recht gehabt, den einen Tag seine Marschbereitschaft zu erklären, den nächsten sie von Erlangung ausgiebigerer Unterstützung, als der Flottendemonstration, abhängig zu machen. Aber im Grunde könne man Ihm Sein Zaudern, gegen die türkischen Truppen vorzugehen, nicht verdenken.

Weiters fuhr Lord Granville fort, Vorschläge hinsichtlich des gegen die Pforte eventuell aufzubietenden weiteren Zwanges könne er den Mächten heute keine machen, auch nicht sagen, ob und welche die englische Regierung in der nächsten Woche machen würde. Aber er wünsche sich mit Euer Excellenz hinsichtlich der sich darbietenden Massregeln zu concertiren, und sei bereit dieselben. mit mir vertraulich zu besprechen. In erster Linie befragte mich Seine Lordschaft, ob etwa eine Modalität ausfindig gemacht werden könnte, wonach Oesterreich-Ungarn die montenegrinische Grenze in ihrer Integrität garantiren würde, während diese Massnahme gleichzeitig durch Ausschiffung von See- oder selbst Landtruppen unterstützt zu werden hätte, deren Landung schon mit Hinblick auf die Wahl der Truppen jede Eifersucht der Mächte ausschliessen würde. Diese Garantie stellte er sich so vor, dass wir gewisse Punkte der montenegrinischen Grenze durch unsere Truppen besetzen und so die vor Dulcigno beschäftigten Montenegriner vor einem Einfalle der türkischen Truppen schützen sollten. Ich bemerkte, wie unpopulär diese und jegliche Idee, die unsere Truppen der Gefahr eines Conflictes mit den türkischen Soldaten aussetzen könnte, in der Monarchie sein würde. Ich könne die Kosten und Schwierigkeiten einer derartigen militärischen Expedition nicht beurtheilen, glaube aber nicht, dass wir Lust hätten eine solche in's Werk zu setzen.

Lord Granville meinte, dass die Gefahr eines bewaffneten Conflictes kaum vorhanden wäre, denn die Pforte würde doch nicht so von aller Klugheit verlassen sein, um unsere Truppen anzugreifen. Ein anderes und ohne Zweifel das wirksamste Mittel böte zwar die Uebertragung der Flottendemonstration von Dulcigno auf Constantinopel dar. Nach der bereits eingeholten Ansicht sachverständiger Militärs sei die Sache auch leicht ausführbar, das Erscheinen der europäischen Flotte vor Constantinopel würde auf die Pforte gewiss am meisten Eindruck machen. Es wäre jedoch die Gefahr damit verbunden, dass eine auf Constantinopel ausgedehnte Demonstration in ihren weiteren Consequenzen für den Bestand des türkischen Reiches verhängnissvoll werden könnte.

Er wolle die Catastrophe in Constantinopel durchaus nicht beschleunigen und erwähne der Flottendemonstration vor der türkischen Hauptstadt eben nur als einer der verschiedenen möglichen Massnahmen. Eine andere gelindere, aber vielleicht nicht unwirksame Massregel wäre die Transferirung der verstärkten Flotten an die Küsten der an Griechenland abzutretenden oder anderer türkischer Gebiete, wo bequeme und geschützte Hafenplätze vorhanden wären. Hiemit könnte man eine Beschlagnahme solcher der Türkei wichtiger Häfen und Seeplätze verbinden, aus denen die Pforte beträchtliche Einkünfte zöge.

Lord Granville schloss mit der Bemerkung, dass seine Mittheilungen keine Vorschläge des englischen Cabinets an die k. und k. Regierung, sondern vertrauliche Anwürfe wären, hinsichtlich deren

er mit Euer Excellenz in einen Gedankenaustausch zu treten wünsche. Die Hauptsache aber bliebe zu wissen, ob Hochdieselben überhaupt zu einer Cooperation, welche eine weitere Gewaltanwendung gegen die Türkei in sich schlösse, bereit wären.

Trotz des vorgestrigen Ministerconseils hat die englische Regierung bis jetzt noch keinen Beschluss gefasst weder darüber, welcherlei bevorstehenden Vorschlägen der Pforte sie zuzustimmen bereit ist, noch darüber, ob und welche Zwangsmassregeln sie im Falle der Nichtannahme vorzuschlagen und zu ergreifen gesonnen ist.

2.

Freiherr von Haymerle an Herrn von Hengelmüller in London.

Wien, 3. October 1880.

Lord Granville sieht, laut einer Mittheilung Sir Henry Elliot's, die Fruchtlosigkeit von Noten und Depeschen voraus und frägt, wie ich mir die Pression auf Pforte vorstelle, von der wir gesprochen? Nach Granville's Meinung müsste die Frage von der localen Action in Dulcigno auf ein weiteres Feld übertragen und Coercitivmassnahmen umfassenderer Natur in's Auge gefasst werden.

Ich erwiderte Sir Henry Elliot, es sei schwer, über so allgemein gestellte Fragen sich auszusprechen. Da jeder Schritt zu noch weitergehenden führe, so müsse der erste am reiflichsten erwogen werden. Da unsere öffentliche Meinung schon durch die Flottendemonstration sehr beunruhigt sei, so erheische eine Initiative zu Vorschlägen meinerseits eine besondere Vorsicht.

Später erhielt ich Ihre denselben Gegenstand betreffenden Mittheilungen. Es ist mir unmöglich Ihnen bis morgen über Fragen von so weittragender Bedeutung auch nur behufs academischer Besprechung Instruction zu geben. Wollen Sie Lord Granville sagen, dass wir für das Vertrauen, das seine Eröffnung bekundet, dankbar sind.

Wir werden mit England und den anderen Mächten solange als möglich vereint bleiben, und das Ziel, die Pforte zur Erfüllung aller Punkte des Berliner Vertrages zu verhalten, nicht aufgeben. Meritorische Aeusserung über die angeregten Fragen erfordere eingehende und ruhige Erwägung, sowie Kenntniss der neuen Vorschläge des Sultans.

Ich erwarte übrigens Ihren schriftlichen Bericht, um über concrete Bedeutung der localen Action mit Flottendemonstration und der österreichisch-ungarischen Garantie der montenegrinischen Grenze klar zu werden.

3.

Freiherr von Thommel an Freiherrn von Haymerle.

Cetinje, 3. October 1880.

1. J., die türkischen Rüstungen in Albanien betreffend,

Ich habe die Ehre Euere Excellenz eine den fremden Vertretern überreichte Verbalnote der 20. September montenegrinischen Regierung vom 2. October

zu unterbreiten.

Genehmigen u. s. w.

(Beilage.)

Monsieur Radonich au Baron de Thommel.

Cettigné, le

20 septembre 1880.

2 octobre

Le Gouvernement Princier vient d'apprendre que le Gouvernement ottoman continue toujours à augmenter le corps de troupes régulières qui a été réuni en dernier lieu dans le sandjak de Scutari sous prétexte qu'il devait contribuer à la solution pacifique des difficultés pendantes. En même temps les armes et les munitions sont envoyées en grande quantité en Albanie.

Encore ces jours derniers, le 16/28 de ce mois, le bateau à vapeur du Lloyd autrichien a débarqué à S. Giovanni di Medua, en venant de Corfou, 200 hommes de nizams, 100 caisses de fusils. et 500 caisses de biscuits.

Les Grandes Puissances sont aujourd'hui convaincues que l'armée régulière turque concentrée dans le sandjak de Scutari est loin de servir les buts pacifiques. Elle est non seulement un encouragement et un appui direct à l'agitation des musulmans de l'Albanie, mais elle est aussi la cause des attermoiements et des résistances que la Porte oppose aux demandes et aux sommations de l'Europe. Sous le voile des négociations, sous le prétexte de l'agitation nationale albanaise débordant soidisant l'action des autorités, les Turcs n'avaient jusqu'à présent qu'un seul objectif, c'est celui de ortifier leur position en Albanie et de rendre ainsi plus que difficile une attaque éventuelle par nos troupes, alors que les négociations n'auraient abouti à aucun résultat.

En considérant ce qui précède et vu surtout les derniers incidents survenus dans nos relations avec la Turquie, le Monténégro considère cette augmentation de troupes comme un véritable danger pour la Principauté et espère que les Grandes Puissances conviendront aussi que cette augmentation des troupes du Gouvernement ottoman, convaincues d'être de mauvaise foi, ne présage rien de rassurant pour l'avenir des questions pendantes.

Prévoyant les résultats du double jeu de la Porte, le Gouvernement Princier a déjà à plusieurs reprises signalé les dangers qui devaient résulter des envois antérieurs des troupes à Scutari.

Le Monténégro s'empresse encore une fois de protester contre la réunion sur nos frontières de l'armée turque, inutile pour la paix et dangereuse en cas d'un conflit, qui peut devenir inévitable. Il proteste d'autant plus que ce ne sont pas les bandes des indigènes qui nous obligent d'avoir presque toute notre armée réunie sur la frontière, mais bien ces mêmes troupes régulières, dont le chef vient de déclarer d'une manière si péremptoire qu'il ne peut pas séparer la cause du Gouvernement de celle des bandes réunies autour de Dulcigno.

C'est au moyen de ces mêmes troupes que la Porte cherche aussi à frustrer le Monténégro des territoires qui lui incombent de l'autre côté du lac en vertu des derniers arrangements.

C'est en réunissant une force imposante en Albanie qu'elle croit pouvoir arracher de nouvelles concessions. Le moyen est simple -elle fera toujours miroiter la possibilité d'une solution pacifique, en cas de la condescendance de l'Europe, tout en lui faisant présenter la perspective de désastres sans nombre, en cas contraire. La Turquie a besoin de ces troupes pour rendre vraie et palpable la perspective de ees désastres et elle espère que le sentiment d'humanité en Europe reculera devant l'imminence d'une grande effusion de sang et lui laissera enfin le champ libre.

Aussi le Gouvernement de Son Altesse le Prince de Monténégro prie instamment les Grandes Puissances qui ont si généreusement pris sa cause en main et qui désirent une prompte solution des difficultés pendantes sur nos frontières, de vouer leur attention aux faits qu'il vient de signaler, de ne pas permettre à la Porte d'aggraver encore la situation actuelle par l'augmentation de ses troupes et le débarquement en Albanie d'armes, de munitions et de vivres qui alimentent la résistance, et enfin de prendre des mesures qu'elles croiront nécessaires et possibles pour couper court à ces préparatifs de la part de la Porte qui peuvent, le cas échéant, changer les difficultés actuelles en une véritable guerre.

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