Page images
PDF
EPUB

70784

I5

Einleitung.

Unbemerkt in dem Trubel der großen Ereignisse auf der politischen Weltenbühne, in der der Weltkrieg ganz Europa jahrelang gebannt hielt, ist jenseits des Ozeans in der Neuen Welt ein Vertrag zustande gekommen, der vom politischen, wie vom volkswirtschaftlichen Standpunkte aus mehr Interesse und Beachtung verdient, als ihm bisher zugewendet worden ist, ein Vertrag, dessen große Bedeutung vielleicht erst in einigen Jahren voll und ganz in Erscheinung treten dürfte. Im August 1914 haben die Vereinigten Staaten von Amerika mit der Republik Nikaragua einen Vertrag abgeschlossen, der u. a. bestimmt, daß ein Gebietsstreifen dieses letzteren Landes zum Bau eines Kanals mit den dazu gehörigen Häfen am Atlantischen und Stillen Ozean in den Besitz der nordamerikanischen Union übergehen soll. Die Vereinigten Staaten erhalten durch dieses Abkommen ferner das unbeschränkte Verfügungsrecht über diesen Landstreifen und das alleinige Recht, durch dieses Gebiet einen Kanal zu bauen. Außerdem verpachtet Nikaragua der Union auf die Dauer von 99 Jahren mit dem Recht, den Pachtvertrag auf weitere 99 Jahre zu verlängern, die im Karibischen Meere gelegenen Inseln Great Corn und Little Corn, sowie eine noch auszuwählende Insel in der Fonseca-Bucht zur Errichtung einer Flottenbasis1).

Die Regierung in Washington hat demnach anscheinend das Projekt eines Kanals durch Nikaragua, das nach heftigem Hinund Herdebattieren im Kongreß und in der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten vor nunmehr 18 Jahren zugunsten des Panamakanals fallen gelassen worden war, wieder aufgenommen. Es dürfte daher vielleicht von allgemeinerem Interesse sein, der Entwicklung der Idee eines Nikaraguakanals nachzugehen und insbesondere die einzelnen Abschnitte in der Geschichte dieses großen Projektes von weltpolitischer Bedeutung näher darzulegen, zumal

1) Vgl. Prometheus". Illustrierte Wochenschrift über die Fortschritte in Gewerbe, Industrie und Wissenschaft. Jahrgang XXVII, 48. Beiblatt zu Nr. 1400.

575543

eine solche historische Betrachtung gleichzeitig einen Ausschnitt gibt aus der englisch-amerikanischen diplomatischen Geschichte, ein. Bild fünfzigjährigen diplomatischen Ringens um ein Kulturwerk, dessen Vollendung ein Staat dem anderen nicht gönnte, und dessen Ausführung durch diese Mißgunst um ein halbes Jahrhundert hinausgeschoben wurde.

Bereits wenige Jahrzehnte nach der Entdeckung der Neuen Welt finden wir Pläne und Versuche, den Isthmus zwischen der nördlichen und südlichen Hälfte des neuentdeckten Erdteils zu durchstechen, um auf diese Weise eine schnellere, bequemere und vor allem sicherere Verbindung mit dem Großen Ozean zu erlangen, an dessen Westküste reiche Länder die gold- und geldsüchtigen spanischen Eroberer anlockten, und um die Arbeit der Technik das zu vollbringen, was Mutter Natur nach Ansicht der Seefahrer und Ingenieure zu tun vergessen hat. Und schon gleich damals, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, taucht der Streit auf, ob Nikaragua oder die Landenge von Panama für den Bau eines Kanals der bessere und geeignetere Weg sei. So faßte bereits vor 1530 der Gouverneur von Nikaragua, der berüchtigte Pedrarias Arias de Avila, den Plan, kleine Kanäle zur Vermeidung der Stromschnellen des San-Juan-Flusses zu bauen und so zugleich einen Wasserweg zwischen dem Nord- und Südsee" herzustellen. Auf diese Weise hoffte er, den Durchgangshandel von Peru nach Europa, der bis dahin den Weg über Panama nahm, von dort abzulenken und die hiermit verbundenen großen Vorteile seinem Lande, bzw. seinem eigenen Geldbeutel zugute kommen zu lassen1). Wenige Jahre später nimmt sich die Regierung in der spanischen Heimat dieses Gedankens an, und eine Verfügung Karls V. vom Jahre 1534 beauftragt den Gouverneur von Costa-Firme dem heutigen Panama - Andagoya, den Chagres-Fluß bei Colon erforschen zu lassen, um festzustellen, ob der Bau eines Kanals an Stelle des beschwerlicheren und teuereren Landweges möglich und ratsam sei. Andagoya hatte jedoch wenig Lust zur Sache und erklärte, ohne sich besonders viel Mühe mit den Erforschungsarbeiten zu geben, das Unternehmen für ganz unmöglich. Andere Leute waren jedoch optimistischer und erklärten den Kanalbau für vollkommen durchführbar. Und so wurde im Jahre 1567 von

1) Vgl. Henderson: a. a. O. S. 65 ff.

Latané: a, a. O. S. 176.

Philipp II. zu diesem Zwecke eine zweite Expedition unter Batista Antonella, diesmal nach Nikaragua entsandt, ohne daß es jedoch auch in diesem Falle zu einem praktischen Versuche gekommen ist.

Immer wieder treten von nun an in der Folgezeit neue Projekte für den Bau eines isthmischen Kanals auf; aber alle bleiben infolge der physischen oder technischen Schwierigkeiten, die sich auf diesem vulkanreichen Gebieten der damaligen Ingenieurkunst in den Weg stellten, oder aber auch infolge der pekuniären Frage 'nur fromme Wünsche. Nur wenn die Politik durch äußere Momente allzusehr in Anspruch genommen wird, tritt das Kanalprojekt in den Hintergrund, um sofort wieder aufzutauchen, sobald ruhigere Zeiten den Stürmen in der politischen Atmosphäre folgten. Alle Seemächte vergangener Jahrhunderte haben sich an diesen Kanalprojekten beteiligt, nachdem die spanische Seemacht im 17. Jahrhundert ihre führende Rolle auf dem Weltmeere an andere Nationen hatte abtreten müssen: die Niederlande, Frankreich, England und schließlich auch die Vereinigten Staaten von Amerika übernahmen mit der übrigen spanischen Erbschaft auch den Plan, den mittelamerikanischen Isthmus zu durchstechen und den Atlantischen mit dem Stillen Ozean zu verbinden. Aber alle diese Projekte, die mit vieler Mühe und großem Fleiße ausgearbeitet, und deren Ausarbeitung allein schon teilweise mit ungeheuren Kosten verbunden waren, blieben unausgeführt; sie lieferten nur, wie Henderson1) sich ausdrückt: "a history of failure and blighted hopes".

Bis ins 20. Jahrhundert sind es hauptsächlich sechs Routen2) gewesen, die für einen Kanal in Frage kamen und infolgedessen Gegenstand der Vorschläge und Erforschung bildeten:

1. Die San-Blas-Route

östlich der Panama-Route -, die vom Hafen San Blas am Atlantischen Ozean zur Rio-ChepoMündung führen sollte;

2. die Caledonian-Route, die unter Benutzung des Isthmus vom Darien Caledonian mit dem Golf von San Miguel verbinden sollte.

Diese beiden Projekte wurden jedoch bald fallen gelassen, als sich bei genaueren Untersuchungen zeigte, daß das Bergland

1) Vgl. Henderson: a. a. O. S. 66.

Latané: a. a. O. S. 177f. führt nur

9) Vgl. Henderson: a. a. O. S. 67. drei Routen an; er vergißt die unter 1., 2. und 3. genannten Wege.

einer Durchstechung unüberwindliche Schwierigkeiten entgegensetzen würde1).

3. Auch die Atrato-Route, unter Benutzung des AtratoFlusses in Südamerika, wurde bald als ungeeignet aufgegeben. 4. Nicht bessere Erfahrungen machte man mit der Tehuantepec-Route. Dieser Weg war bereits im Jahre 1550 von dem Portugiesen Galveo dem spanischen König Philipp II. als geeignet empfohlen worden. Auch Karl III. von Spanien hatte diesen Gedanken 200 Jahre später wieder aufgenommen; die ungünstige wirtschaftliche Lage seines Landes hinderte ihn jedoch an der Ausführung seines Vorhabens, und spätere, von anderen mit mehr technischen Kenntnissen unternommene Forschungen ergaben, daß auch dieser Weg nicht der richtige sein würde").

Weit heftiger und länger währte der Streit um die beiden letzten in Vorschlag gebrachten Wege, nämlich

5. die Panama-Route von Colon nach Panama, und

6. die Nikaragua-Route unter Benutzung des Nikaraguasees und seiner Abflüsse.

Bereits im Jahre 1735 hatte der französische Gelehrte La Condamine, der von der französischen Regierung mit einer Anzahl Ingenieure zu astronomischen Beobachtungen nach Südamerika entsandt worden war, den Nikaraguasee und seine Abflüsse untersucht und seiner Regierung den Bau eines Kanals an dieser Stelle nahegelegt. Aber Frankreich war damals nicht in der Lage, ein so großes und kostspieliges Unternehmen wirtschaftlicher Art durchführen zu können, zumal der schmähliche Bankrott der 1717 gegründeten Mississipi-Gesellschaft und seine traurigen finanziellen Folgen noch zu frisch in aller Gedächtnis war. Daß aber der von La Condamine in Vorschlag gebrachte Weg der richtige und vorteilhafteste war, geht am besten aus der Tatsache hervor, daß man in England stets den Wert dieser Linie erkannt und deshalb fast zwei Jahrhunderte hindurch sich ständig bemüht hat, in diesen Gebieten Land zu erwerben. Die erste wertvolle wissenschaftliche Beschreibung dieser Kanalroute stammt von keinem geringeren als Wilhelm v. Humboldt, der in seinem „Politischen Essay über Neu

1) Vgl. z. B. die Untersuchungen des Franzosen Michel Chevalier.

*) Vgl. die Untersuchungen des Generals Orbeyosco, Moros und des französischen Ingenieurs Gavella. Vgl. Napoléon III.: Oeuvres complètes", II, S. 477.

« PreviousContinue »