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sehr baufällig, ja für die Benützenden gefährlich dargestellt (Arg. XIX).

Die Protokolle des Stiftskapitels 1505-1527 behandeln Vorbereitungen und Ausführung von Neubauten. Aber diese lauten nur auf Chor, Sakristeien, Lettner und sodann nachträglich auf zwei Kapellen. Das Langschiff wurde nicht berührt, es ist im Werkvertrag mit keinem Wort erwähnt. Aenderungen daran sind nicht mehr formbestimmend, sie berühren nur noch Einzelteile und sind viel späteren Datums (über diese späteren Bauereien verschiedener Art unterrichtet der Vortrag von E. Faller, wiedergegeben im Argovia XIX, 82-98, hier kann auf diese Arbeit verwiesen werden).

Es ist demnach wohl möglich, dass sich die Aeusserungen über den schlechten baulichen Zustand auf den nur dürftig wieder hergestellten Chor bezogen und die Jeremiade mehr den Zweck hatte, nach aussen zu wirken und mildtätige Hände zu öffnen.

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Mit 1514 beginnt diese Bauperiode. Der erwähnte Werkvertrag (Anz. 1891, S. 435 ff) gibt darüber eingehende Auskunft. Der Plan wurde, vermutlich vor 1513, von einem. Meister Steffan" erstellt. Der ausführende Steffan Ruotschmann", damaliger Schultheiss der Stadt Zofingen, ist aber nicht mit dem „Meister Steffan" identisch, der erstere war der Unternehmer. Ob letzterer jener Meister Steffan von Zürich. war, der 1506 als Experte betreffend den Bau des Münsterturms nach Bern berufen wurde (schw. Künstler Lex.), ist nicht sicher, aber naheliegend.

Schon 1513 wurde mit einem Meister Josen (resultatlos) wegen Uebernahme der Bauausführung verhandelt, diesen Verhandlungen hat unzweifelhaft schon der Bauplan zugrunde gelegen.

Steffan Ruotschmann hat seine Arbeit, den Neubau des Chors, der beiden Sakristeien und des Lettners, innert der vorgeschriebenen Zeit und zur Zufriedenheit des Bauherrn vollendet: 14. IX. 1514 Vertragsunterzeichnung, 22. IX. 1516 Bauabnahme; für den grossen und kunstreichen Bau eine noch heute anerkennenswerte Leistung. 1517 erhielt er noch den Auftrag zur Errichtung zweier Kapellen. Es sind dies,

wie Stil und Steinmetzzeichen beweisen, die im Nordarm des Querschiffes gelegenen beiden Kapellen, die in der Steinhauerarbeit wirklich den erfahrenen, sorgfältig arbeitenden Werkmeister dartun.

Für die künstlerische Gestaltung ist jener Meister Steffan verantwortlich. Er stund im Banne seiner Zeit. Die Spätgotik, die namentlich in der Lösung schwieriger Probleme der Stern- und Netzgewölbeformen Befriedigung suchte, kommt hier zum Ausdruck (Taf. III). Die Raum wirkung des 15,43 m hohen Chors ist gut und grosszügig, wenn auch die beiden hohen leeren Wände des vordern Chorteils nicht ganz verständlich sind. Ob wohl ein Chorgestühl für diesen Platz vorgesehen war? Das Masswerk an den dreiteiligen Fenstern und an den später anderswo verwendeten Resten der Lettnerbrüstung ist derb und hart, wie es der ersterbenden Gotik eigen ist.

Die Ansicht des Chors vom Schiff aus ist heute ganz anders, als sie vom Erbauer beabsichtigt war. Ein das ganze Querschiff begleitender Lettner, über sieben von schlanken Säulen getragenen rippengeschmückten Jochen gelagert und gegen das Schiff mit einer mit wechselndem Masswerk geschmückten Brüstung abgeschlossen, war dem Chorhaus vorgebaut (drei gut gezeichnete Bleistiftskizzen von A. Ringier 1852, im Besitz von Herrn Dr. F. Zimmerlin in Zofingen, geben hierüber sichere Anhaltspunkte). Der Chorboden war beträchtlich höher als jetzt, die Schwellen der Sakristei und der Lettnerstiege-Türen in den Seitenwänden der vorderen Chorhälfte lassen die ehemalige Lage feststellen. Eine breite hölzerne Treppe mit ca. 12 Stufen führte unter dem Lettner durch in den Chor. Links und rechts von der Treppe lassen die Bilder innert den Chorbogenpfeilern je eine durch Bogen abgeschlossene mit Balustrade geschützte Loggia erkennen (wohl spätere Zutat). Diese Bogenöffnungen aber als die Reste der zu Beginn dieser Bauperiode zugeschütteten Kryptaeingänge anzunehmen, ist irrig, denn diese sind tiefer und seitlicher gelegen.

Der Anblick des Ganzen war unzweifelhaft malerischer und geschlossener als jetzt; als Chorabschluss muss unter dem Lettner ein Gitterwerk angenommen werden. Freilich

war der Zweck vor der Reformation, die ja schon wenige Jahre nach dem Bau einsetzte, ein anderer.

Es ist anzunehmen, dass die ganze Ausstattung des Chores gar nicht mehr zur Vollendung kam. Das Raumbedürfnis der grossen reformierten Gemeinde hat andere Bedingungen gestellt und das Innere nach und nach umgestaltet. So wurde, um noch mehr Raum zu gewinnen, 1742 senkrecht zum alten Lettner stehend und tiefer als dieser gelegen in der Breite des nördlichen Querschiffes ein weiterer hölzerner Lettner, der sog. Ringierlettner, als Stiftung dieser Familie, errichtet, nachdem schon 1604 an der Westseite des Langschiffes übereinander zwei solche Lettner waren. eingebaut worden.

Die Entfernung des Chorlettners behufs Platzgewinnung wurde schon 1855 vom sog. obern reformierten Kapitel bei der Regierung des Staates Aargau erbeten.

Folge geleistet wurde dem Begehren aber erst am 23. VII. 1860, möglicherweise in Hinsicht auf ein eidg. Musikfest, das in der Kirche abgehalteu wurde (Notiz auf einer der Ringier'schen Skizzen).

Der Vollständigkeit halber muss noch beigefügt werden, dass die drei hintern Fenster des Chores bei der Verputzerneuerung ehemals 1,3 m tiefer liegende Fensterbänke zutage treten liessen.

Die Sakristeien und die zwei Kapellen im Nordquerschiffarm, deren Masswerkfenster und Gewölbenetzwerk den Stilcharakter des Chors aufweisen, sind erhalten geblieben. In der nördlichen Sakristei ist noch ein grösseres Wandgemälde, mit dem Göldlinwappen, datiert 1519, zu erwähnen, das unsymmetrisch die Westwand dieses Raumes ziert. Es ist ziemlich gut erhalten, jetzt trefflich restauriert, und stellt den Gekreuzigten in freier Landschaft mit einer Burg auf Felsenzinue im Hintergrunde dar. Der Maler, ein tüchtiger Kleinkünstler, ist unbekannt.

An Stelle des, wie es scheint, inzwischen sehr schadhaft gewordenen Turmes wurde 1646-1649 ein neuer, der jetzt noch besteht, gebaut. Seiner Beschreibung in Argovia XIX 97/98 ist nur beizufügen die Erwähnung einer kleinen in Stein gemeisselten Inschrifttafel, die vielleicht zur Bau

geschichte des Turmes beitragen kann. Sie zeigt einen viergeteilten Wappenschild, kreuzweise Schachbrettfeld und Schlange (?) enthaltend. Der Schild ist beidseitig begleitet von den Buchstaben H Fund K H und der Jahrzahl 16- 55. Noch ungelöst ist die Bestimmung der links und rechts neben dem Turm liegenden, vor der Westfront des Langschiffes vorspringenden Fundamentmauern. Sie liegen unter dem jetzigen Pflaster und stimmen in den Seitenlinien mit den Seitenschifffluchten nicht überein.

In weitern Einzelheiten dieses Baues und deren Entstehung hier einzutreten, dürfte für Fernerstehende zu weit führen. Es ist aber zu hoffen, dass Zufall oder Forschung über noch ungelöste wesentliche Fragen der früheren Bauperioden später Klarheit bringen werden.

Der Bund Mülhausens mit Basel.')
Von Albert Matzinger.

Unter den selbständigen Gemeinwesen, die im Laufe des 15. und teilweise noch im 16. Jahrhundert sich gegen österreichische Uebermacht wehren mussten, steht Mülhausen im Elsass an erster Stelle. Das Resultat eines ungefähr siebzig Jahre lang dauernden Kampfes war im Jahre 1506 der Anschluss Mülhausens an Basel, den ihm am nächsten liegenden eidgenössischen Ort, was einige Jahre später zur bleibenden Verbindung Mülhausens mit der dreizehnörtigen Eidgenossenschaft führte. Die vorliegende Arbeit bezweckt nun, die erste Phase dieses Bundesschlusses mit der Eidgenossenschaft, d. h. die sich bekämpfenden Werbungen Oesterreichs und Basels um Mülhausen und den endlichen Bundesschluss mit Basel klarzulegen.

Bekanntlich ist es nicht das erste Mal, dass Mülhausen bei eidgenössischen Orten Hilfe sucht. Ein Blick auf die territorialen Verhältnisse des Ober-Elsasses im 15. Jahrhundert genügt, um uns das Verhalten der Stadt vollauf zu erklären. Wie eine kleine Insel im weiten Ozean stand die Reichsstadt im ringsum mächtig sich ausdehnenden 1) Verzeichnis der Abkürzungen.

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