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Weise schliesslich die nunmehrigen Artikel 89 und 90 der jetzt geltenden Bundesverfassung construirt, welche, mit dem übrigen etwas herabgemilderten Inhalte des zweiten Projects, am 19. April 1874 von 142 Cantonen und 340 199 gegen 198 013 Volksstimmen angenommen wurden. In wieweit bei diesem Resultate eine gewisse Ermüdung, beziehungsweise ein compromissartiges Verhandeln der Parteien über gegenseitig zu machende Conzessionen mit in Rechnung gebracht werden muss, wollen wir hier nicht untersuchen 60). Wesentlich für die politische Geschichte der Schweiz ist die zweifellose Thatsache, dass eine bedeutende Conzession an die Demokratie schliesslich als unausweichlich erschien und nun zum Theil selbst von Personen befürwortet wurde, die in einem früheren Stadium der Sache einer anderen Geistesrichtung gehuldigt hatten. Seit dieser Zeit ist die Eidgenossenschaft auf dem Wege zur reinen Democratie und wird sich, da eine Rückkehr zu dem repräsentativen Systeme nicht wahrscheinlich ist 1) mehr und mehr mit den Forderungen derselben in Einklang setzen müssen.

Allgemeine Schlussbemerkung zu dem geschichtlichen Theil: Die Geschichte des Referendums, namentlich bei den eigentlichen Referendumscantonen Graubünden und Wallis, näher in den einzelnen Jahrhunderten zu verfolgen, würde eine sehr dankbare Aufgabe für einen juristiseh gebildeten Forscher sein. Sie wird, sobald sie besser bekannt sein wird, die beste Empfehlung dieser Institution für ein tüchtiges, unverdorbenes, politisch beanlagtes Volk sein. Während eine genaue Geschichte der repräsentativen und aristokratischen Verfassungen, welche seit dem 16. und 17. Jahrhundert bis in unsere Tage hinein in dem grössten Theile der Schweiz

6o) Die Geschichte dieses Compromisses, dessen nächste Folge eine starke Herabdrückung des öffentlichen Geistes in der Eidgenossenschaft war und der ferner allerlei Halbheiten und Verzögerungen mit sich führte, die nie mehr ganz gut zu machen sind, ist noch nicht geschrieben und es ist auch noch nicht die Zeit gekommen, in der sie geschrieben werden kann.

61) Es ist zwar sehr gewagt, solche Ansichten mit aller Bestimmtheit zu äussern, weil die politischen Einrichtungen der Schweiz von ihren auswärtigen Beziehungen und öconomischen Zuständen stark beeinflusst werden können. Unter normalen Verhältnissen jedoch ist eine gänzliche Beseitigung des Referendums kaum anzunehmen. In etwas drastisch-populärer Weise drückte sich diesfalls ein Gegner der Einrichtung dahin aus, es sei leichter den Stier aus dem Stalle zu lassen, als ihn, einmal im Besitze der Freiheit wieder in denselben hineinzubringen.

die Völker theilnahmlos für ihre politischen Geschicke machten, je näher man sie kennen lernt, desto weniger zu ihrer Ehre ausfällt. Ohne die demokratischen Landsgemeindecantone, die immer daneben fortbestanden, hätte sich unseres Erachtens die alte Eidgenossenschaft überhaupt nicht erhalten. Allerdings sah, wenn man der Chronik HANS SALATS glauben darf, ein frommer Mann aus dem Sernftthal im Ct. Glarus im Jahre 1530 den Teufel selbst in eines grossen Mannes Gestalt anf der Glarner Landsgemeinde helfen gandten und mehren". So etwas ist aus keinem damaligen Rathssaale bekannt. Vielleicht liegt es aber daran, dass man ihn auch heutzutage in den demokratischen Staatseinrichtungen besser sieht, als in andern. Wir glaubten über das graubündnerische Referendum Urtheile in den jetzt bekannten Relationen fremder Gesandten bei der rhätischen Republik finden zu können, haben jedoch bisher namentlich in Padavino, nichts Werthvolles gefunden.

Ueber die „Kriegsgemeinde" (pag. 203) findet sich in HANS STOCKAR'S Tagebuch eine sehr ergözliche und für Deutschland interessante Beschreibung derjenigen, welche im März 1525 vor den Thoren von Stuttgart abgehalten wurde, an welcher der Herzog Ulrich von Württemberg und Onophrius Setzstab von Zürich gegen einander das Wort führten. Vgl. im Auszug HOTTINGER I 232.

Ad pag. 202 kann noch beigefügt werden, dass auch noch in einem anderen zugewandten Orte der Eidgenossenschaft, nämlich der Stadt Genf, eine Art von Landsgemeinde bestand, nämlich der „conseil général des citoyens et bourgeois", der sich des Jahres zweimal regelmässig zu Wahlen, sonst aber ausserordentlich zu wichtigen Geschäften versammelte, wenn es der Kleine und Grosse Rath für nöthig erachtete, „so aber gar selten geschiehet", wie JOSIAS SIMLER in seinem „Regiment der Eydgenossenschaft“ berichtet. Ausgenommen, wenn die Regierung irgendwelche unbequeme Zumuthungen ablehnen oder wenigstens auf die lange Bank schieben wollte. Auf diesen historischen conseil général berief sich bis zu diesem Jahre immerfort die radicale Partei von Genf mit der Forderung, dass die Volksabstimmungen und Wahlen nicht in, den jetzigen politischen Verhältnissen besser entsprechenden Wahlkreisen, sondern an Einem Puncte, in der Stadt, stattfinden sollen, womit der städtischen Bevölkerung ein factisches Uebergewicht zukam.

Ad pag. 199. Dass der unglückliche Kappeler-Krieg ohne vorherige Berathung des Landes angefangen worden war, bildet einen Hauptbeschwerdepunct der sogenannten Meilener-Artikel vom 28. November 1531, in denen die Klagen des Volkes formulirt wurden. Ihnen gegenüber bittet ein Rathsbeschluss vom 9. Dezember „das Vergangene in Gütigkeit aufzuheben“. Ad pag. 212. Eine Art von facultativem Referendum führten 1867 auch Obwalden (neben der Landsgemeindeeinrichtung) und 1869 Luzern ein. (Der zweite Theil der Abhandlung folgt im nächsten Heft.)

Die beiden Weltvereine
für den Post- und Telegraphenverkehr.

Von

Legationsrath Dr. GESSNER.

Die bedeutendste Aufgabe, welche in neuerer Zeit durch internationale Verbindungen gelöst worden ist, besteht in der Begründung zweier Weltvereine, von denen Europa und die Vereinigten Staaten mit einander und mit dem grössten Theile der übrigen Welt verbunden werden. Es sind kaum zwei Jahrzehnte erforderlich gewesen, um aus Vereinigungen, welche den internationalen Telegraphen- und Postverkehr regeln sollten, zwei Weltvereine zu bilden, welche in Erfolg und Bedeutung immer noch in der Zunahme begriffen sind. Nachdem für die Begründung eines internationalen Postverkehrs durch Errichtung des deutschösterreichischen Postvereins vom 6. April 1850 der Anfang gemacht worden war, legte Preussen durch einen mit Oesterreich, Baiern und Sachsen am 25. Juli 1850 abgeschlossenen Vertrag die Grundlage zur Bildung eines internationalen Telegraphenvereins. Dem preussisch-österreichischen Telegraphen-Vertrage schlossen sich in der nächsten Jahren die sämmtlichen deutschen Staaten mit selbstständiger Telegraphen Verwaltung und die Niederlande an. Frankreich folgte nach, welches durch einen mit Belgien, Sardinien, der Schweiz und Spanien am 25. Dezember 1855 geschlossenen Vertrag, Vereinbarungen über die Ausführung der internationalen Telegraphie traf. Ebenso hatte Preussen durch ein am 4. October 1862 Namens des deutsch-österreichischen Telegraphenvereins zu Paris mit Frankreich und Belgien geschlos

senes Uebereinkommen eine internationale Telegraphenvereinigung eingeleitet.

Auf Anregung Frankreichs traten 1865 die Vertreter der europäischen Telegraphen-Verwaltungen, mit Ausnahme derjenigen Grossbritanniens, wo diese Verwaltung damals noch in den Händen von Privatpersonen ruhte, zu einer Conferenz in Paris zusammen, welche durch den am 17. Mai 1865 abgeschlossenen Vertrag den noch jetzt bestehenden, und inzwischen vielfach erweiterten internationalen Telegraphenverein begründet hat. Dieser Vertrag ordnet den internationalen Dienstbetrieb, enthält die Bestimmungen über Annahme und Beförderung der telegraphischen Depeschen, über die Höhe und die Theilung der Gebühren, sowie über die zu verwendenden Apparate und Leitungen. Für die Weiterbildung des Vereins wurde eine periodische Wiederkehr von Conferenzen vertragsmässig festgestellt. Eine kleine Schrift, welche unter dem Titel „die Telegraphie und das Völkerrecht" von dem Direktor des Reichspostamtes FISCHER 1876 zu Leipzig veröffentlicht worden ist, enthält über die Entwicklung und die heutigen Grundlagen des internationalen Telegraphenvereins interessante Mittheilungen. Die erste dieser Conferenzen fand 1868 zu Wien statt. Damals traten Serbien, Rumänien und Luxemburg, sowie England für seine ostindischen Besitzungen bei. Die Conferenz, welche 1870 zu Rom tagte, hat sich ein besonderes Verdienst dadurch erworben, dass sie eine Regelung der überaus schwierigen Verhältnisse herbeiführte, welche zwischen dem internationalen Verein und den telegraphischen Privatgesellschaften bestanden, die sich im Besitze sämmtlicher submariner Kabel und eines grossen Theiles der internationalen Telegraphie zu Lande befanden. An den Sitzungen zu Rom betheiligte sich auch bereits ein Bevollmächtigter Japans.

Einen vorläufigen Abschluss haben diese internationalen Bestrebungen für eine telegraphische Weltverbindung durch den am 22. Juli 1875 zu St. Petersburg abgeschlossenen Vertrag, welcher seit dem 1. Januar 1876 in Kraft getreten ist, und durch die diesem Vertrage beigegebene Ausführungs-Uebereinkunft für den internationalen Verkehr erhalten, welche zu

London am 29. Juli 1879 revidirt ist. Die in den früheren Verträgen enthaltenen Vorschriften über die Details des Dienstes sind aus diesem Vertrage fortgeblieben und in das demselben beigegebene Reglement verwiesen. Es ist dies insofern ein erheblicher Fortschritt als der Vertrag jezt wesentlich nur grundlegende Bestimmungen enthält, welche nicht, wie die gedachten dienstlichen Instructionen, einer häufigen Veränderung bedürfen. Die 65 Artikel des Vertrages von Rom sind in dem Vertrag von St. Petersburg auf 21 zusammengeschmolzen.

Die 3 ersten Artikel enthalten die Bestimmung, dass es Jedermann gestattet ist, von dem internationalen Telegraphen Gebrauch zu machen, dass die Verpflichtung übernommen wird, das Geheimniss der Telegramme zu wahren und deren gute Beförderung zu sichern, dass aber hierfür keinerlei Verantwortlichkeit übernommen werden. Was das Depeschengeheimniss betrifft, so erinnert Dr. FISCHER, der eine leitende Stellung in dem Reichspostamte einnimmt, in seiner erwähnten Schrift mit Recht daran, dass zwischen diesem und dem Briefgeheimniss ein wichtiger Unterschied bestehe. Die Post erhalte die ihr zur Beförderung übergebene Correspondenz in der Regel verschlossen und sei dadurch der Verpflichtung überhoben, sich um den Inhalt zu bekümmern. Die Telegraphie befördere aber die Depeschen nicht blos, sondern schreibe sie auch selbst, könne also nicht umhin, von dem Inhalt derselben Kenntniss zu nehmen. Desshalb sei von den Landesgesetzen, und völkerrechtlich lässt sich hiergegen nichts einwenden, den Telegraphenbeamten eine Art Controlle zugestanden worden, welche ihnen die Pflicht auferlege, die Beförderung von Mittheilungen zurückzuweisen, welche direct die Landesgesetze verletzen, die Sicherheit des Staates gefährden oder gegen die öffentliche Ordnung und die Sittlichkeit verstossen. Dagegen erfordert der Umstand, dass die Eigenthümlichkeit des Telegraphenbetriebes den Beamten mit dem Inhalt der Depeschen bekannt macht, auch wieder einen besonderen Schutz gegen willkürliche und rechtswidrige Mittheilungen, Die Telegraphie hat daher ihre Verpflichtung richtig dadurch erkannt, dass die Verpflichtung zur Geheimhaltung in dem völkerrechtlichen Vertrage von

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