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Beiträge zum Budgetrecht und zur Lehre von den

formellen Gesetzen.

Von

Professor Dr. GEORG PRAZÁK in Prag.

I.

Es ist vielfach die Ansicht verbreitet, dass die in der neueren staatsrechtlichen Litteratur herrschende Lehrmeinung, welche zwischen Gesetzen im materiellen und im formellen Sinne unterscheidet, zum mindesten einen lediglich theoretischen Werth besitze, in der Praxis dagegen schon aus dem Grunde nicht verwerthet werden könne, weil die Giltigkeit auch der „bloss" formellen Gesetze nicht bezweifelt werde, es sohin für den Richter völlig irrelevant sei, ob die bezüglich ihrer Geltung unbestrittene Anordnung allen Anforderungen entspreche, welche die Theorie in Ansehung des nothwendigen Inhaltes eines Gesetzes im materiellen Sinne des Wortes aufzustellen sich veranlasst sah. Es sei uns daher gestattet, eine knappe Erörterung des angedeuteten Gegenstandes durch Mittheilung einiger praktischer Rechtsfälle einzuleiten, die im Verlaufe der letzten Jahre vor österreichischen Tribunalen zum Austrage gelangten, und die einerseits die eben. gedachte Ansicht zu widerlegen, andererseits Anknüpfungspunkte zur Hervorhebung einiger bisher vielleicht nicht genügend gewürdigter Momente zur Beurtheilung des Gegenstandes unserer Erwägungen zu bieten, geeignet erscheinen. Allerdings betrifft die Mehrzahl dieser Fälle nur eine Species der formellen Gesetze, nämlich den unter Zustimmung der Volksvertretung zu Stande gekommenen Staatsvoranschlag; es dürfte jedoch nicht schwer

fallen, die in Betreff des sog. Finanzgesetzes gewonnenen Resultate auch auf die übrigen formellen Gesetze anzuwenden, was wir am Schlusse unserer Darstellung versuchen wollen.

A. In Oesterreich bestehen

abgesehen von dem zur Schöpfung des Urtheils über eventuelle Ministeranklagen berufenen Staatsgerichtshofe zwei Gerichtshöfe zur Entscheidung von Streitsachen des öffentlichen Rechts, nämlich das Reichsgericht und der Verwaltungsgerichtshof. Die Competenz dieser beiden Gerichtshöfe ist in der Weise abgegrenzt, dass gewisse, im Gesetze taxativ aufgezählte Streitsachen dem Reichsgerichte vorbehalten sind; diese Angelegenheiten wurden im § 3 lit. b des Gesetzes. vom 22. Oktober 1875 aus dem Wirkungskreise des im Allgemeinen zuständigen Verwaltungsgerichtshofes ausgeschieden, so dass die Zuständigkeit eines dieser Gerichtshöfe die Zuständigkeit des anderen nothwendigerweise ausschliesst. Zu den dem Reichsgerichte vorbehaltenen Angelegenheiten gehört nach Art. 3 lit. a des bezüglichen Staatsgrundgesetzes auch die endgiltige Entscheidung über Ansprüche, welche von einzelnen Rechtssubjekten entweder gegen die Gesammtheit der im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder oder gegen eines derselben gestellt werden, wenn solche Ansprüche zur Austragung im ordentlichen Rechtswege nicht geeignet sind.

Einige Angestellte des galizischen Religionsfondes, die mit den ihnen angewiesenen Bezügen nicht zufrieden waren, brachten beim Reichsgerichte eine Klage wider das Ministerium für Cultus und Unterricht auf Anweisung des von ihnen angesprochenen höheren Gehaltes ein. Das beklagte Ministerium bestritt zwar nicht, dass nach österreichischem Rechte Ansprüche der gedachten Art zur Austragung im ordentlichen Rechtswege nicht geeignet seien, wendete jedoch die Incompetenz des angerufenen Reichsgerichtes aus dem Grunde ein, weil der Anspruch weder gegen den Reichsfiscus noch gegen das Land Galizien, sondern gegen den galizischen Religionsfond gerichtet sei, welcher eine eigene juristische Persönlichkeit repräsentire, wesshalb Art. 3 lit. a des Staatsgrundgesetzes über die Errichtung des Reichsgerichtes hier nicht zutreffe.

Das k. k. Reichsgericht hat jedoch mit der Entscheidung

vom 26. April 1877 Z. 93 (HYE Sammlung, III. Band No. 131, S. 600) diese Incompetenzeinwendung verworfen und zwar hauptsächlich aus dem Grunde :

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weil der galizische Religionsfond, aus welchem die eingeklagten Zahlungen eventuell zunächst zu leisten wären, sowie überhaupt alle Religionsfonde mit ihren sämmtlichen Erfordernissen und Bedeckungen in den Staatshaushalt und resp. in das jährliche Finanzgesetz der Staatseinnahmen und Ausgaben einbezogen erscheinen, weil alle nicht durch die speziellen Einkünfte jedes einzelnen oder provinzialen Religionsfondes bedeckten Ausgaben vom Staate getragen werden und weil daher jeder berechtigte Zahlungsanspruch an einen k. k. Religionsfond in Wahrheit ein Anspruch an das k. k. Staats ärar ist".

B. Am Hradschin zu Prag besteht seit langer Zeit ein Kloster der baarfüssigen Carmeliterinnen, welchem mit dem allerhöchsten Handschreiben Kaiser Ferdinand III. dto. Prag, den 22. September 1656 als eine beständige Fundation und Stiftung aus den Salz-, Wein- und Bier-Tax-Gefällen in Böhmen zum Unterhalte ein jährlicher Betrag von 3000 fl. angewiesen wurde. Unter Kaiser Josef II. wurde zwar im Jahre 1782 der Orden aufgehoben und lediglich den damals vorhandenen Conventualen, welche freiwillig in der ihnen angewiesenen Behausung vereint bleiben wollten, ein lebenslänglicher Sustentationsbetrag jährlicher 150 fl. gewährt, allein mit der zur Zeit des absoluten Regimes. erlassenen a.-h. Entschliessung vom 28. November 1820 wurde. Idem Orden abermals die Aufnahme von Novizen mit der Maassgabe gestattet, dass den mit Genehmigung der Regierung aufgenommenen Conventualen lebenslängliche Dotationen in ziffermässig bestimmter Höhe zugesichert wurden.

Die auf diese Weise zugesicherten Sustentationsbeträge wurden dem Ordensconvente bis zum Schlusse des Jahres 1876 anstandslos ausbezahlt.

Bei der verfassungsmässigen Feststellung des Etats für das Jahr 1877 wurden die ordentlichen Ausgaben des böhmischen Religionsfondes mit circa 20000 fl. ö. W. geringer eingestellt, als dies im Vorjahre geschehen war und es wurde im Verlaufe

der Berathungen dieser Abstrich unter Anderem auch damit motivirt, dass die aus dem böhmischen Religionsfonde dem Convente der baarfüssigen Carmeliterinnen zu Prag bisher geleisteten Zuschüsse sich weder als eine nothwendige, noch als eine zweckmässige Ausgabe darstellen, es daher im Jahre 1877 von denselben das Abkommen erhalten solle ').

In Folge dessen hat die böhmische Statthalterei die Auszahlung der erwähnten Sustentationsbeträge mit dem 1. Januar 1877 eingestellt, und es sahen sich so mit einem Male die mit Zustimmung der Regierung in das Kloster aufgenommenen Conventualen aller Subsistenzmittel entblösst.

Der vom Ordensconvente diesfalls an das Cultusministerium ergriffene Rekurs hatte keinen Erfolg. Der Convent führte sohin

1) Der Hergang war folgender: Der Budgetausschuss des Abgeordnetenhauses minderte entgegen der Regierungsvorlage das ordentliche Erforderniss der Religionsfonds um 20,607 fl. ö. W. herab und begründete dies u. A. (Nr. 572 der Beil. zum sten. Protokolle) damit, „dass die Position von 4008 A. für die Carmeliterinnen in Prag dermalen und auch weiterhin nicht bewilligt werde, weil eine rechtliche Verpflichtung des Staates zu dieser Leistung nicht bestehe, der Orden ein rein beschaulicher, ascetischer sei, und es nicht gerechtfertigt erscheine, dass Staatsmittel dazu verwendet werden, diesen Orden zu erhalten". Bei der Berathung im Plenum des Abgeordnetenhauses beantragte Abg. Greuter (sten. Prot. S. 7431) die Einstellung von 4000 fl. für das erwähnte Kloster, indem er behauptete, dass dem Staate eine rechtliche Verpflichtung zu dieser Leistung obliege. Dagegen bemerkte der Spezialberichterstatter Dr. Rodler (Sten. Prot. S. 7438): „Das Haus hätte es gar nicht nöthig, für den Abstrich Rechtsgründe anzugeben, es hat das Recht zu Bewilligungen und zu Abstrichen, und indem das Haus dieses Recht ausübt, schafft es rechtlich bestehende Zustände, welche anerkannt werden müssen“. Im offenbaren Widerspruche hiermit sagte er aber bald darauf: „Wenn wir heute einen Privatrechtstitel des Conventes nicht anerkennen, so ist ich betone es - den davon Betroffenen der Rechtsweg nicht abgeschnitten. Gebührt ihnen diese Leistung, so wird der Staat seinen Verpflichtungen gewiss nachkommen, und das Abgeordnetenhaus wird die Sache anders auffassen, als es heute sie aufzufassen in der Lage ist". Der Generalberichterstatter Wolfrum beschränkte sich auf die Bemerkung, dass bereits der Vorredner sämmtliche Einwendungen „gründlich widerlegt habe und empfahl die Annahme des Ausschussantrages. Bei der hierauf folgenden Abstimmung wurde der Antrag des Abg. Greuter mit 100 gegen 63 Stimmen abgelehnt und der Antrag des Budgetauschusses angenommen.

Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshofe, gegen welche von Seiten des beklagten Ministeriums eingewendet wurde, dass die Einstellung der fraglichen Zuschüsse auf dem in verfassungsmässiger Weise zu Stande gekommenen und im Reichsgesetzblatt für das Jahr 1876 sub Nr. 141 ordnungsgemäss publizirten Finanzgesetze für das Jahr 1877 beruhe, dieselbe daher schon aus dem Grunde jeder weiteren Anfechtung entrückt sei, weil nach Art. 7 des Staatsgrundgesetzes über die richterliche Gewalt vom 21. Dezember 1867 den Gerichten die Prüfung der Giltigkeit gehörig kundgemachter Gesetze nicht zustehe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch mit Entscheidung vom 19. Juni 1878 Z. 989 (BUDWINSKI, Sammlung Band II, S. 328) nicht nur im Gegensatze zu der im Erkenntniss A vom Reichsgerichte ausgesprochenen Ansicht seine eigene Competenz in dieser, einen Anspruch an einen Religionsfond betreffenden Streitsache anerkannt, sondern auch in der Sache selbst der Beschwerde stattgegeben und die angefochtene Ministerialentscheidung als im Gesetze nicht begründet aufgehoben.

Aus der umfangreichen Begründung dieses Erkenntnisses interessirt uns hier nur jener Passus, in welchem die vorgedachte, auf Art. 7 des Staatsgrundgesetzes über die richterliche Gewalt gestützte Einwendung des Ministeriums ihre Widerlegung findet. Der betreffende Abschnitt der Entscheidungsgründe lautet folgendermaassen:

In dem Gesetze vom 29. Dezember 1876 Nr. 141 R.-G.-Bl., enthaltend das Finanzgesetz pro 1877, findet sich keine Stelle, welche besagen würde, dass die bis Ende des Jahres 1876 dem Convente der Carmeliterinnen am Hradschin aus dem böhmischen Religionsfonde oder aus dem Staatsschatze zugeflossenen Bezüge für die Zukunft, beziehungsweise für das Jahr 1877 nicht mehr zu verabfolgen seien. Die im Schoosse der Regierung sowie der beiden Häuser des Reichsrathes in diesem Gegenstande stattgehabten Verhandlungen haben nicht die Kraft eines Gesetzes. Es ist auch regelmässig nicht Aufgabe der Gesetzgebung, über Rechtsansprüche und der Bestand solcher war vom Convente behauptet zu entscheiden, da viel

Archiv für öffentiiches Recht II. 3. 4.

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