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Aus der Spruchpraxis des Bundesamts für

das Heimathwesen.

Mitgetheilt von dem

Geheimen Regierungsrath Dr. KRECH,

Mitglied des Bundesamts für das Heimathwesen.

1. Zur Auslegung der §§ 13 und 25 U.-W.-G.

Die §§ 13 u. 25 U.-W.-G. enthalten eine gesetzliche Definition der Begriffe ununterbrochener Aufenthalt" (§ 10) bezw. „ununterbrochene Abwesenheit" (§ 22). Es besteht weder eine Regel noch eine Präsumtion, dass die Entfernung von einem Orte als eine Unterbrechung des Aufenthalts an demselben, bzw. dass die Rückkehr an einen Ort als eine Unterbrechung der Abwesenheit von demselben anzusehen ist, es sei denn, dass Umstände dargethan werden, welche in speziellem Falle eine entgegengesetzte Auffassung begründen. Es ist vielmehr nach freier Beurtheilung der Sachlage im einzelnen Falle zu entscheiden, ob eine Entfernung bzw. Rückkehr im Sinne des Gesetzes eine Unterbrechung des Aufenthalts bezw. der Abwesenheit im Sinne des Gesetzes wirkt oder nicht wirkt.

Die Beweislast trifft denjenigen Armenverband, welcher aus der Unterbrechung bzw. Nichtunterbrechung des Aufenthalts oder der Abwesenheit die Passivlegitimation eines anderen Armenverbandes ableitet.

Diese Sätze sind in einer Anzahl neuerer Entscheidungen des Bundesamts auf Grund wiederholter Berathungen angenommen und festgehalten worden.

a. Ein Ortsarmenverband, welcher einen anderen Ortsarmenverband als Unterstützungs wohnsitz in Anspruch nimmt, muss beweisen, dass

«) eine innerhalb der zweijährigen Aufenthaltsfrist stattgefundene Entfernung in der Absicht erfolgte, den Aufenthalt beizubehalten (§ 13), 8) eine innerhalb der zweijährigen Abwesenheitsfrist erfolgte Rückkehr zu dauerndem Aufenthalt geschah. (§ 25).

So führte das Bundesamt in dem Urtheil vom 13. Februar 1886 in Sachen des Ortsarmenverbandes Dillenburg wider Sechshelden zu ɑ aus: „Nicht mit Unrecht hat der Vertreter des Klägers bei der mündlichen

Verhandlung vor dem Bundesamte geltend gemacht, der Vorderrichter gehe insofern von einer irrigen Auslegung des § 13 im Reichsgesetze vom 11. Juni 1870 aus, als er annehme, dass gesetzlich eine Vermuthung dafür streite, dass der Aufenthalt durch eine Entfernung habe unterbrochen werden sollen1). Eine solche Vermuthung stellt das Gesetz nicht auf; es giebt vielmehr im § 13 nur eine Erläuterung der Bestimmung des § 10, wonach der Unterstützungswohnsitz durch einen ununterbrochenen gewöhnlichen Aufenthalt von zwei Jahren erworben wird, indem es gesetzlich feststellt, was unter einem ununterbrochenen" Aufenthalt von 2 Jahren zu verstehen ist. Wenn als Unterbrechung des Aufenthalts eine freiwillige Entfernung nicht angesehen werden soll, sofern aus den Umständen, unter welchen sie erfolgt, die Absicht erhellt, den Aufenthalt beizubehalten, so spricht eine gesetzliche Vermuthung bei freiwilligen Entfernungen weder für noch gegen eine dadurch bewirkte Unterbrechung des Aufenthalts; entscheidend bleibt lediglich, ob aus den Umständen des einzelnen Falles die Absicht, den Aufenthalt beizubehalten, erhellt oder nicht, und diese Beurtheilung unterliegt nach allen Seiten der freien Würdigung durch die Spruchbehörde. Dagegen erscheint allerdings nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Kläger verpflichtet, den Beweis zu führen, dass der vom Beklagten bestrittene Unterstützungswohnsitz durch einen im Sinne des Gesetzes „ununterbrochenen zweijährigen gewöhnlichen Aufenthalt erworben ist. Haben also im Laufe der zwei Jahre Entfernungen stattgefunden, so muss der Kläger darthun, dass die Entfernung unter Umständen erfolgt ist, aus welchen die Absicht, den Aufenthalt beizubehalten, hervorgeht. Gelingt ihm dieser Nachweis nicht, so bleibt er beweisfällig und muss abgewiesen werden."

Zu 3) ist das in Sachen des Ortsarmenverbandes Unterliederbach, Beklagten und Berufungsklägers wider den Ortsarmenverband Wiesbaden, Kläger und Berufungsbeklagten ergangene Urtheil vom 3. April 1886 von Bedeutung. Dasselbe lautet:

„Die Entscheidung des Rechtsstreites hängt lediglich davon ab, ob durch die Rückkehr der Unterstützten, Wittwe W., nach Unterliederbach im Dezember 1882 der Lauf der mit dem September 1881 begonnenen Abwesenheitsfrist unterbrochen wurde, und ob die Wittwe W. sonach beim Beginn ihrer Unterstützung durch den klagenden Ortsarmenverband am 8. Februar 1884 den Unterstützungswohnsitz in Unterliederbach noch besass. Der erste Richter geht bei der Beurtheilung dieser Frage von der Ansicht aus, dass die Rückkehr eines Hilfsbedürftigen regelmässig die Abwesen

1) Diese Auffassung wird besonders in der Literatur vertreten von EGER, Komment., S. 65. ROCHOLL, Deutsch. Armenpflegerecht, S. 88. (Vgl. auch Entsch. des Bundesamts, VI. 8). Auch SEYDEL in Hirth's Annalen 1877, S. 578 sagt: In keinem Falle wird er (nämlich der Wille der Rückkehr) vermuthet; es gilt also die Entfernung als Unterbrechung des Aufenthalts, wenn die Absicht der Rückkehr nicht ausser Zweifel gestellt wird.

heit unterbreche, und dass nur ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 25 des Reichsgesetzes vom 6. Juni 1870 diese Folge nicht eintrete). Er leitet daraus den Satz ab, dass die eine Rückkehr anrufende Partei nicht zu beweisen brauche, dass die Rückkehr in der Absicht, den Aufenthalt dauernd fortzusetzen, erfolgt sei; und verurtheilt den Beklagten nach dem Klagantrage zur Erstattung der Pflegekosten, weil nach Lage der Sache anzunehmen sei, dass die Wittwe W. bei ihrer Rückkehr eine bestimmte Absicht bezüglich der Dauer ihres Aufenthalts überhaupt nicht hatte, oder die Absicht, bis auf Weiteres zu bleiben.

Dieser Entscheidung hat weder in ihrer theoretischen Begründung beigestimmt, noch hat sie in ihrem Resultate aufrecht erhalten werden können, nachdem in zweiter Instanz eine Zeugenvernehmung stattgefunden hat.

Aus dem Zusammenhange der §§ 10 und 13 einerseits und der §§ 22 und 25 a. a. O. andererseits ist zu entnehmen, dass nicht jede Entfernung eine Unterbrechung des gewöhnlichen Aufenthalts, nicht jede Rückkehr eine Unterbrechung der Abwesenheit zu Folge hat, sowie dass für die Anwendung des Gesetzes der gemeinsprachliche Begriff der „Ununterbrochenheit" nicht maassgebend ist, sondern derjenige gesetzliche Begriff des Wortes, welcher durch die §§ 13 und 25 a. a. O. gegeben ist). Es ist daher nicht zutreffend, dass § 25 bestimme, in welchen Fällen ausnahmsweise eine Rückkehr die Unterbrechung des Aufenthalts nicht wirke.

Das Gesetz kennt weder eine Regel noch eine Vermuthung dahin, dass durch eine Rückkehr die Abwesenheit im rechtlichen Sinne des Wortes unterbrochen werde'). Es erklärt vielmehr, dass alles auf die Um

2) Das Bundesamt hat in früheren Entscheidungen ebenfalls wiederholt (vgl. WOHLERS, Entsch. VIII. 4, X. 8, XI. 13, XV. 13, XVII. 19) diesen Standpunkt eingenommen, aber denselben nicht konsequent festgehalten (vgl. a. a. Ó. IV. 7, 17, 18, XIV. 17, XV. 5, 6, 10).

3) Für diese Auslegung sprechen auch die Materialien, in denen mit klaren Worten der gewöhnliche Begriff der Unterbrechung des Aufenthaltes für dieses Gesetz verworfen wird. Es heisst in den Motiven:

„Jede Entfernung . . . . unterbricht an sich den Aufenthalt. Das folgt begriffsmässig aus dem § 7 (jetzt § 10). Nicht jede freiwillige Entfernung aber darf diese Wirkung haben."

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Daher die Aufnahme des § 13 (Vgl. bei ARNOLD, Freizügigkeit und Unterstützungswohnsitz, S. 202). Auch EGER (Unterstützungswohnsitz, S. 63 und 108) und ROCHOLL (Deutsches Armenpflegerecht, S. 87) sehen in den §§ 13, 25 gesetzliche Definitionen.

4) Die Entstehungsgeschichte des § 25 beweist, dass man die Aufstellung einer Präsumtion abgelehnt hat.

In dem ersten nur im Bundesrathe vorgelegten Entwurf folgte auf den mit dem jetzigen § 25 U.-W.-G. wörtlich übereinstimmenden ersten Absatz ein zweites Alinea.

„Die Absicht den Aufenthalt dauernd fortzusetzen, ist, ohne Zulassung des Gegenbeweis es, dann anzunehmen, wenn der Zurückgekehrte nach der Rückkehr einen Arbeitsverdienst oder sonstigen Nahrungserwerb an seinem bisherigen Aufenthaltsorte gehabt hat."

stände im Einzelfalle ankomme, und dass aus diesen zu entnehmen sei, ob bei der Rückkehr die Absicht dahin ging, den Aufenthalt nicht dauernd fortzusetzen (Nichtunterbrechung der Abwesenheit) oder als dauernden wieder aufzunehmen (Unterbrechung der Abwesenheit). Daraus folgt, dass der Kläger, welcher zu beweisen hat, dass die Wittwe W. trotz ihrer Abwesenheit seit dem September 1881 den Unterstützungswohnsitz in Unterliederbach zur Zeit ihrer Unterstützung noch hatte, die Beweislast dafür trifft, dass die Rückkehr derselben im Dezember 1882 geeignet war, die Abwesenheit zu unterbrechen, dass sie also unter Umständen erfolgte, aus denen die Absicht der Wittwe W. erhellte, in Unterliederbach wieder ihren gewöhnlichen Aufenthalt) zu nehmen, und dass daher, wenn die Umstände die Absicht nur vorübergehenden Aufenthalts nicht ausschliessen, die Klage abgewiesen werden muss.

Es wird dann ausgeführt, dass nach den thatsächlichen Verhältnissen der Schluss nicht gerechtfertigt sei, sie habe in Unterliederbach wieder ihren gewöhnlichen Aufenthalt nehmen wollen.

b. Wird ein Landarmenverband in Anspruch genommen, so hat der klagende Ortsarmenverband zu beweisen:

dass, sofern es sich um den Nichterwerb des Unterstützungswohnsitzes an einem Orte handelt, die in den zweijährigen Zeitraum

Hiernach sollte beim Vorhandensein der hervorgehobenen Umstände sogar eine praesumtio juris et de jure begründet sein. In der dem Reichstage gemachten Vorlage war denselben Umständen zwar nicht diese Bedeutung beigelegt, aber, indem in jenem Alinea nur die Worte „ohne Zulassung des Gegenbeweises" durch das Wort „insbesondere" ersetzt wurden, immerhin eine praesumtio juris für die Absicht dauernder Aufenthaltsnahme aufgestellt. Die Kommission des Reichstags strich den Absatz ganz. Eine solche Kasuistik sei hier" - ebenso wie bei § 13, in welchem die in der Regierungsvorlage enthaltenen Worte: „oder aus der Kürze ihrer Dauer" gestrichen wurden überflüssig, denn nach der Regel des Absatz 1 (d. h. dem jetzt einzigen Satze des § 25) werde bei der Entscheidung der Frage an sich zur Erörterung kommen, ob und inwieweit das Aufsuchen eines Arbeitsverdienstes u. s. w. als ein Umstand anzusehen sei, aus welchem die Absicht erhelle, dorthin wiederum den Schwerpunkt der wirthschaftlichen Thätigkeit zurückzuverlegen." Die Vertreter des Bundesraths legten auf die Beibehaltung des Alinea 2 keinen Werth. (Vgl. bei ARNOLD a. a. O., S. 243.)

5) Dies genügt. „Unter dauerndem Aufenthalt im Sinne des § 25 ist keineswegs ein für immer, für die ganze Lebenszeit fortzusetzender zu verstehen." So hat das Bundesamt in dem Urtheile vom 4. Sept. 1886 (in Uebereinstimmung mit früheren Entscheidungen, vgl. WOHLERS, Entsch. VIII, S. 5) in der Rückkehr eines bereits zweimal wegen Landstreichens und Bettelns bestraften, zur Zeit stellenlosen jungen Menschen in sein Vaterhans eine Unterbrechung der Abwesenheit gefunden, obwohl derselbe von vornherein die Absicht hatte, sich nur zeitweise, bis er eine neue Stelle gefunden haben werde, dort aufzuhalten. Um nicht wieder wegen Landstreichens bestraft zu werden, und von seinem gesicherten Aufenthaltsorte aus, in Ruhe sich um eine Stelle bemühen zu können, kehrte er in das Vaterhaus zurück, in der Absicht dort heimisch zu sein und zu bleiben, bis seine Bemühungen Erfolg gehabt haben würden."

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fallende Entfernung in der Absicht geschah, den gewöhnlichen Aufenthalt daselbst aufzugeben (§ 13), sofern aber der Verlust des Unterstützungswohnsitzes an einem Orte in Frage kommt, dass eine stattgehabte Rückkehr die Unterbrechung der Abwesenheit nicht bewirkte, weil sie nur zu vorübergehendem Aufenthalte erfolgte.

Diese Grundsätze sind in dem Urtheil v. 17. April 1886 in Sachen des Ortsarmenverbandes Grimmen gegen den Landarmenverband Pommern zur Anwendung gebracht.

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Der Kuhknecht W. besass im März 1880, als er von Grimmen aus nach Holthof in Dienst zog, den Unterstützungswohnsitz an ersterem Orte, an welchem auch seine Ehefrau wohnhaft blieb. Von März 1880 bis zu seinem Tode im April 1883 hat sich W. mit Ausnahme eines achttägigen Zeitraums im November 1881 ununterbrochen in Holthof aufgehalten. Im Dezember 1883 wurde seine Wittwe hülfsbedürftig und von Grimmen unterstützt. Grimmen nahm zunächst den Gesammtarmenverband Grimmen-Land, zu welchem Holthof gehört, wegen Erstattung in Anspruch; wurde jedoch in erster Instanz abgewiesen, weil der erste Richter für erwiesen erachtete, dass W. in Holthof seines Dienstes definitiv und ohne Aussicht auf spätere Wiederaufnahme entlassen sei, und hieraus folgerte, dass W. sich in der Absicht von Holthof entfernt habe, seinen gewöhnlichen Aufenthalt daselbst aufzugeben. Die von Grimmen gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung musste als verspätet verworfen werden. Grimmen richtete nunmehr seine Klage gegen den Landarmenverband der Provinz Pommern. Durch die rechtskräftige Vorentscheidung sei festgestellt, dass W. in Holthof einen Unterstützungswohnsitz nicht erworben habe. Seine Rückkehr nach Grimmen im November 1881 sei aber nur zu vorübergehendem Aufenthalt erfolgt, und demnach nicht geeignet gewesen, den Verlust des Unterstützungswohnsitzes durch Abwesenheit zu verhindern. Der erste Richter hat auf Grund der Vorentscheidung und der derselben zu Grunde liegenden Beweisaufnahme nicht für erwiesen erachtet, dass W. bei seiner Rückkehr nach Grimmen, die Absicht gehabt habe, seinen Aufenthalt daselbst nicht dauernd fortzusetzen (§ 25). Demgemäss ist die Klage abgewiesen. Dagegen führte Grimmen in der Berufungsinstanz aus, dass W. ausdrücklich seine Absicht ausgesprochen habe, nicht dauernd, sondern nur für einige Tage in Grimmen bleiben und dann nach Holthof zurückkehren zu wollen, wo ihm bei seiner Entlassung die Wiederaufnahme in den Dienst zugesagt sei, nachdem er einige Tage in Grimmen gearbeitet habe.

Das Bundesamt hat das erste Urtheil bestätigt, indem es ausführte:

„Der Kläger hat zu beweisen, dass W. an seinem Todestage landarm war, dass er also den im März 1880 in Grimmen besessenen Unterstützungswohnsitz verloren und seine Rückkehr dorthin eine Unterbrechung der Abwesenheit im Sinne des Gesetzes nicht bewirkt hatte (§ 25); sowie ferner, dass er auch in Holthof den Unterstützungswohnsitz nicht erworben hatte, weil seine Entfernung von dort

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