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heit ist, als Historiker, der neben der Entwicklung der rechtlichen, für den Ausbau der Verfassung wichtigen Fragen auch die allgemeinen politischen Zustände und die Bedeutung sowie den Charakter der leitenden Persönlichkeiten, ja selbst deren äussere Erscheinung zu schildern sich bemüht, während er dem gegenüber stellenweise etwas vermissen lässt, was in einer Verfassungsgeschichte sehr wohl hätte erwähnt werden können; allein es wäre ganz verfehlt, gegen ihn dieserhalb den Vorwurf der Unvollständigkeit zu erheben, da einwandlos zugegeben werden muss, dass er mit einer Genauigkeit und Umständlichkeit berichtet, an der sich stellenweise ohne Nachtheil für die Sache selbst hätte sparen lassen.

Unter den Einzelheiten, die mehr dem allgemein historischen als dem eigentlich verfassungsgeschichtlichen Gebiete angehören, muss, wie schon angedeutet, vornehmlich die Charakterisirung der hervorragenderen Staatsmänner erwähnt werden; die Bilder, welche er von den einzelnen Präsidenten entwirft, sind um so werthvoller, als sie den bisherigen Anschauungen vielfach, und zwar mit gutem Grunde, widersprechen; auch die Schilderung anderer Persönlichkeiten, wie insbesondere CALHOUN'S, HENRY CLAY'S und WEBSTER'S, zerstört manche Illusionen, die von pietätvollen Biographen theils geflissentlich, theils absichtslos genährt worden sind. Andererseits finden auch die auswärtigen Verwicklungen der Vereinigten Staaten eine oft sehr gründliche, auf reichhaltiges Quellenmaterial gestützte Darstellung; am wichtigsten aber wenigstens für hier müssen offenbar diejenigen seiner Ausführungen erscheinen, welche sich mit der Lehre von der Staatensouveränetät und der Geschichte der Sklaverei beschäftigen, da darin das verfassungsrechtliche Moment besonders scharf hervortritt.

Wer die Lehre von der Staatensouveränetät erörtern will, muss nothwendigerweise den fundamentalen Gegensatz berühren, welcher zwischen den Anschauungen über die rechtliche Konstruktion der Union und dem entsprechend über die rechtliche Stellung der Einzelstaaten herrscht und welcher in allen Staatswesen vom Charakter dieses Landes das hauptsächlichste Merkmal der politischen Kämpfe bilden wird; es handelt sich dabei um die Frage, ob die Union als solche ein einheitliches, sozusagen aprioristisches und in sich souveränes Ganze darstellt oder nur als entstanden zu denken ist durch eine freiwillige und darum

im Grunde auch willkürlich abzuändernde, ja selbst lösbare Verbindung der Einzelstaaten? In den Kongressdebatten wie in der amerikanischen Publizistik bemüht man sich nun selbstverständlich von jeder Seite her auf das eifrigste, aus der Entstehungsgeschichte der Union die Belege für die eine oder die andere Ansicht herzuleiten, allein die Art, in der dies geschieht, ist nicht zu billigen; man stützt sich dabei auf die einzelnen Phasen der Vorgeschichte, die einzelnen Aeusserungen der bei der Ausarbeitung der Konstitution thätigen und massgebendsten Staatsmänner, welche man als die Väter der Union zu bezeichnen pflegt, oder auch auf einzelne Wendungen der Verfassungsurkunde selbst; aber alles das bietet keinen für die Erledigung der Streitfrage genügenden Anhalt, denn das sind nur Einzelheiten, herausgerissen aus dem Gefüge der ganzen grossen historischen Entwicklung oder dem Gesammtinhalte der Konstitution, während die eine wie die andere im Gegensatze dazu, durchaus in ihrer Totalität aufgefasst sein wollen und nicht in eine Anzahl einzelner, oft einander widersprechender Momente zerpflückt werden dürfen. Treffend hat v. HOLST nachgewiesen, dass die Union nicht etwa, wie die Mehrzahl der amerikanischen Schriftsteller es darzustellen liebt, in allgemeiner Begeisterung durch einen freiwilligen Pakt der damals vorhandenen dreizehn selbständigen Kolonien gegründet, sondern denselben trotz des heftigsten Widerstandes durch die harte Nothwendigkeit abgerungen worden ist. Selbst die scharfsichtigsten Köpfe sind sich in jener Sturmund Drangperiode, welche der Unabhängigkeitserklärung folgte, kaum völlig darüber klar gewesen, wie man eine festere Union aus der bis dahin ausserordentlich losen Konföderation schaffen könne; nur das fühlte jeder heraus, dass sie fester gefügt sein müsse, und zum Heile des Volkes übte ein Mann, der mit merkwürdigem juristischem Scharfsinne ausgestattet war, den wesentlichsten Einfluss bei Abfassung der Konstitution, nämlich ALEXANDER HAMILTON; dieser aber arbeitete, mit vollem Verständnisse für die Unzulänglichkeit des Bestehenden, von vornherein darauf hin, die Union so zu gestalten, dass sie nicht beliebig auflösbar sein sollte; und in Wahrheit hätte sonst auch die ganze Konvention, die im Jahre 1786 für die Ausarbeitung eines neuen Verfassungsentwurfes nach Philadelphia berufen wurde, schlechterdings keinen vernünftigen Zweck gehabt. So ist denn die Union zum Vor

bilde geworden eines zusammengesetzten Staates, dessen juristische Konstruktion ja bis auf den heutigen Tag in der mannigfachsten Weise beliebt wird, der aber jedenfalls, nach der übereinstimmenden Ansicht aller, im Gegensatze steht zu einem auf völkerrechtlicher Grundlage ruhenden Staatenbunde insofern, als die Centralregierung die ihr zustehende Souveränetät unmittelbar den Staatsbürgern gegenüber ausübt und innerhalb der ihr verfassungsmässig zugewiesenen Sphäre für die Rechtsbeständigkeit ihrer Akte keiner, sei es auch nur stillschweigenden oder rechtlich zu vermuthenden Ratihabition durch die Regierungen der Einzelstaaten bedarf, wie ich dies eingehender nachgewiesen habe in meiner Schrift über die Verfassung der nordamerikanischen Union Kap. 4, S. 54-61.

In der Entwicklung jedes auf solcher Grundlage ruhenden Staatswesens müssen sich nun ganz selbstverständlich zwei Hauptrichtungen geltend machen: eine centrifugale oder partikularistische und eine centripetale oder nationalisirende; und man kann hinzufügen: solange nicht die eine oder die andere völlig und ausschliesslich die Oberhand gewonnen hat, ist die Verfassungsgeschichte des betreffenden Landes nicht zum Abschluss gelangt. Ein zusammengesetzter Staat nach Art der Union ist ein juristisches Zwitterwesen und begrifflich stets anzusehen als das Ergebniss eines Uebergangsstadiums in dem politischen Bildungsgange seines Volkes; es mag in vielen Fällen geschehen, dass diese Zwitternatur nie gehoben wird, denn unberechenbare Thatsachen durchkreuzen oft die Pläne selbst des weitestsehenden Staatsmannes; aber grundsätzlich und der Theorie nach muss in jedem zusammengesetzten Staate der Keim völliger Einigung oder gänzlicher Auflösung gefunden werden; das zeigt sich, wie gesagt, in der Praxis, d. h. in der Geschichte jedes solchen Gebildes durchweg bestätigt."

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Der Partikularismus geht darauf aus, die Centralgewalt nur als Mandatar der Partikulargewalten anzusehen und ihr demgemäss die Möglichkeit zu jeder gegen das Partikularinteresse gerichteten Thätigkeit zu nehmen; die centralisirende Strömung ist dem gegenüber in zweierlei Richtungen denkbar: entweder sie beschränkt sich nur darauf, die unbedingte Selbständigkeit der Centralregierung in den ihr verfassungsmässig gezogenen Grenzen voll und ganz zu wahren oder aber sie geht noch darüber

hinaus und trachtet, diese Grenzen beständig zu erweitern und die Befugnisse der Partikulargewalten dem entsprechend einzuschränken.

In der Geschichte der Vereinigten Staaten ist bisher die letztgedachte Tendenz wenig hervorgetreten: eine grundsätzliche Erweiterung der durch die Konstitution von 1789 der Bundesregierung zugewiesenen Kompetenz ist bisher kaum jemals versucht oder erreicht worden, wenn man eine solche nicht etwa in den drei letzten Artikeln des Amendements sehen will; dagegen ist allerdings das Partikularinteresse ohne alle Bedenken bis zu den äussersten Schlussfolgerungen aus seiner Promisse vorgeschritten: diese Schlussfolge findet ihren Ausdruck in dem beständig beanspruchten Rechte der „Nullifikation und „Secession“, d. h. in der für die Einzelstaaten geforderten Befugniss, die Akte der Bundesregierung als eines Mandatars aufzuheben, zu nullifiziren, wenn dieselben nicht die Billigung des Mandanten erhalten, und weiter noch - sobald dies thatsächlich nicht angehen sollte - die Verbindung mit der Union für aufgelöst zu erklären und aus derselben zu „sezediren". Sehr richtig sagt v. HOLST, dem hier vorgetragenen, aus der Theorie hergeleiteten Grundgedanken entsprechend, im ersten Bande am Ende des zweiten Kapitels, in welches er sein treffendes Urtheil über die bei den Amerikanern allgemein beliebte Kanonisirung" der Konstitution zusammengefasst hat: Die Frage der Nullifikation und Sezession ist nicht erst von CALHOUN und seinen Schülern geschaffen worden, sie ist so alt wie die Konstitution selbst und sie ist stets eine lebendige, wenngleich nicht immer brennende gewesen, ihre Wurzeln lagen in den gegebenen thatsächlichen Verhältnissen und die Konstitution war der lebendige Ausdruck dieser gegebenen thatsächlichen Verhältnisse."

Was nun die einzelnen Phasen des hier angedeuteten Entwicklungsganges betrifft, so sind dies für die von v. HOLST bisher behandelte Zeit die folgenden: In den Jahren 1798/99 passirten die Legislaturen der Staaten Virginia und Kentucky anlässlich der kurz vorher von dem Unionskongresse zur Verhütung innerer Unruhen beschlossenen sogen. Fremden- und Aufruhrgesetze“ Resolutionen, welche zunächst darauf berechnet waren, der Unzufriedenheit der gedachten Legislaturen mit jenen Gesetzen Ausdruck zu geben, dann aber auch noch einen Schritt weiter gingen

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und sich zu erheblichen Drohungen verstiegen. In der VirginiaResolution heisst es: dass die Staaten, welche die Parten des der Union zu Grunde liegenden Vertrages bilden, das Recht haben und in Pflicht gehalten sind, sich in's Mittel zu legen (to interpose), um die Befugnisse, Rechte und Freiheiten aufrecht zu erhalten, welche ihnen zustehen, d. h. nämlich, sobald sie glauben, dass durch ein Unionsgesetz diese Befugnisse u. s. f. verletzt worden seien; in den Kentucky-Resolutionen aber wird die Sache noch bedeutend thatkräftiger angefasst und gesagt: dass die verschiedenen Staaten, da sie souverän und unabhängig sind, das unbestreitbare Recht haben, über Verfassungsverletzungen zu richten und dass eine „Nullifikation" der angeblich in Gemässheit der Konstitution vollzogenen, unautorisirten Akte durch diese souveränen Gewalten das rechtmässige Abhilfsmittel ist. Das Merkwürdigste an diesen Vorgängen aber ist, dass die Urheber dieser Beschlüsse zwei Männer waren, die hauptsächlich an dem Entwurfe der Konstitution mitgearbeitet haben und dann auch Präsidenten der Vereinigten Staaten gewesen sind, nämlich MADISON und JEFFERSON. V. HOLST macht nun daraufhin diesen beiden und namentlich dem letzteren, der sich überhaupt nicht seiner besonderen Gunst erfreut, den Vorwurf, durch die Resolutionen die Auflöslichkeit der Union klar und deutlich, wenigstens im Prinzip, anerkannt zu haben, und bringt noch weiterhin ein Schriftstück bei, das, von JEFFERSON herrührend, sogar die Sezession allerdings nur in dem äussersten Nothfalle als grundsätzlich zulässiges Restriktionsmittel bezeichnet. Wie dem immer auch sein mag, jedenfalls hat weder MADISON noch JEFFERSON die thatsächliche Möglichkeit so weitgehender Schritte ernstlich in's Auge gefasst, und ihre Aeusserungen, wie sie in jene Resolutionen übergegangen sind, verfolgten offenbar mehr den Zweck, durch Hinweis auf die gedachte Möglichkeit den Bestand der Union zu sichern, indem sie es für ihre Pflicht erachteten, die Unionsregierung vor der Usurpation solcher Kompetenzen zu warnen, welche derselben nach einer allerdings vielleicht ziemlich engherzigen Auslegung der Konstitution nicht zuzurechnen sind als in Wahrheit eine Zerstörung des eben erst und nicht zum mindesten durch ihre eigenen Anstrengungen geschaffenen Werkes anzubahnen. In der That lässt sich doch auch die Dinge nach der Konstitution nun einmal liegen

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wie

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