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Die Anfänge des deutschen Kolonialstaatsrechts.

Von

CONRAD BORNHAK.

Weniger wie jeder andere Gegenstand verträgt das Staatsrecht eine Behandlung nach aprioristischen Grundsätzen und philosophischen Folgerungen. Dieselbe hat sich lediglich den gegebenen politischen und socialen Verhältnissen, wie sie in Gesetzgebung und Verwaltungspraxis zum Ausdruck gelangt sind, anzubequemen. Nur bei dem Ausgehen von dieser konkreten Grundlage wird es der wissenschaftlichen Behandlung möglich sein, ihrerseits wiederum einen bestimmenden Einfluss auf Gesetzgebung und Verwaltung auszuüben und eine gegenseitige Durchdringung von Theorie und Praxis herbeizuführen. So lange die überseeischen Besitzungen Deutschlands sich noch auf den allerersten Stufen ihrer Entwicklung, ohne geordnete Verwaltung und Rechtsprechung, bestenfalls unter dem Schutze deutscher Kriegsschiffe befanden, konnte daher von einer wissenschaftlichen Bearbeitung des Kolonialstaatsrechts nicht die Rede sein. Dieselbe hätte sich höchstens auf dem Gebiete des sogenannten allgemeinen Staatsrechts bewegen können, welches bei der Verschiedenheit des Kolonialrechtes der einzelnen europäischen Staaten ohne jeden Werth gewesen wäre.

Erst jetzt nach Herstellung einer regelrechten Rechtsprechung und Verwaltung in der Mehrzahl der deutschen Schutzgebiete darf der Versuch unternommen werden, das deutsche Kolonialstaatsrecht wenigstens in seinen Grundzügen zu behandeln. hierbei zahlreiche Streitfragen, die in dem Kolonialrechte anderer Staaten, namentlich dem englischen, auftauchen, wie über Kriegs

hoheit, Besteuerungsrecht, Kirchenwesen, der deutschen kolonialen Entwicklung bisher noch fremd geblieben sind, so liegt dies in dem geringen Alter der deutschen überseeischen Besitzungen begründet. Dass derartige Fragen früher oder später auftauchen werden, haben z. B. die Verhandlungen über die katholische Missionsthätigkeit in Kamerun gezeigt. So lange sich jedoch in einzelnen Beziehungen eine Verwaltungspraxis nicht gebildet hat, kann das Staatsrecht nur die obersten Grundsätze klarstellen, ohne auf Einzelfragen einzugehen. Dass bei der Behandlung des deutschen Kolonialstaatsrechts das englische Recht mannigfach in Betracht gezogen wird, ist schon dadurch geboten, dass bei Regelung zahlreicher kolonialer Verhältnisse das englische Vorbild von bestimmendem Einflusse gewesen ist. Thatsächlich schliesst sich auch das deutsche Kolonialstaatsrecht am engsten an das englische an, während die übrigen, namentlich das französische Recht, auf die deutsche Entwicklung ohne jeden Einfluss geblieben sind. Es wird hier zunächst die rechtliche Stellung der Schutzgebiete im allgemeinen, d. h. vom völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Gesichtspunkte, demnächst ihr Verwaltungsrecht, soweit es bis jetzt feststeht, zur Erörterung gelangen.

Für die Erwerbung der Kolonie ist allein das Völkerrecht entscheidend. Dieses bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Gebiet derart als Besitz einer Macht gilt, dass dieser Besitz auch von anderen Mächten anerkannt werden muss. Als Erwerbsarten sind gegenwärtig völkerrechtlich drei allgemein in Geltung: Eroberung, Abtretung durch Vertrag und Besitzergreifung. Obgleich die jetzigen deutschen Schutzgebiete sämmtlich durch Besitzergreifung erworben sind, so haben doch auch die beiden ersten Erwerbsarten für uns Bedeutung.

Eroberung und Abtretung finden nur statt gegenüber einem Staate, der Subjekt des Völkerrechts ist. Die nach dem älteren Völkerrechte geltende Regel, dass nur christliche Staaten Subjekte des Völkerrechts sein können, ist jetzt aufgegeben. Einerseits sind zahlreiche muhamedanische und hinterasiatische Staaten gegenwärtig als Subjekte des Völkerrechts anerkannt, andererseits verschiedene, bereits christliche Stämme besonders in Südafrika und der Südsee davon ausgeschlossen. Es ist daher immer im einzelnen Falle zu entscheiden, ob ein Staatswesen in die europäische Völkerfamilie im weitesten Sinne aufgenommen ist oder nicht.

Als Kennzeichen gilt ein regelmässiger diplomatischer Verkehr mit dem betreffenden Staatswesen.

Durch Eroberung (debellatio) kann nun eine Kolonie entweder in der Weise erworben werden, dass das Mutterland erobert wird sammt seinen Kolonien, oder dass ein bisher selbstständiger Staat, der Subjekt des Völkerrechts war, durch Eroberung zu einer Kolonie gemacht wird. Beispiele für letzteren Vorgang sind namentlich die Erwerbung von Tunis durch Frankreich und von Transvaal durch England. Durch Eroberung kann dagegen nicht unter die Souveränetät eines anderen Staates gelangen die Kolonie einer europäischen Macht, so lange das Mutterland nicht selbst durch Eroberung mit dem erobernden Staate vereinigt wird oder die Kolonie förmlich abtritt. Es vermochte daher England im Anfange dieses Jahrhunderts durch Besetzung der französischen und niederländischen Kolonien wohl deren Besitz, nicht aber das völkerrechtliche Eigenthum, die Staatshoheit über dieselben, sich anzueignen.

Durch Abtretung kann als Kolonie nur erworben werden das Gebiet einer Macht, die Subjekt des Völkerrechts ist. Die Macht, welche bisher die Staatshoheit über das abzutretende Gebiet ausübte, muss dasselbe an die andere Macht abtreten. Wohl zu unterscheiden von diesem Vorgange ist es, wenn eine Macht schon von ihr in Besitz genommenes Gebiet wieder aufgibt und sich der anderen Macht gegenüber verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Grenze keine neuen Erwerbungen zu machen. In einem solchen Falle erwirbt die andere Macht nicht durch Abtretung, sondern durch Besitzergreifung das durch Aufgabe des Besitzes seitens der ersten Macht wieder herrenlos gewordene Gebiet. Dieser Art sind die Verträge Deutschlands mit Frankreich und England, durch welche die Grenzen zwischen den Kolonien dieser Mächte bestimmt wurden. Deutschland hat auch die bis dahin englischen und französischen Gebietstheile, in deren Besitz es durch jene Verträge gelangte, nicht auf Grund einer Abtretung, sondern durch Besitzergreifung erworben.

Von praktischer Bedeutung für die öffentlichrechtliche Stellung der Kolonien werden die verschiedenen Erwerbsarten insofern, als bei dem Erwerbe durch Eroberung und Abtretung anders als bei dem Erwerbe durch Besitzergreifung der bisherige Rechtszustand der Kolonie nach allgemeinen völkerrechtlichen Grund

sätzen unverändert bleibt, bis und soweit die neue Staatsgewalt eine Aenderung eintreten lässt. Ausgenommen bleiben nur diejenigen für das erworbene Gebiet bisher geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmungen, die mit der Einverleibung in das neue Staatswesen unvereinbar sind und daher mit der Eroberung oder Abtretung von selbst ausser Kraft treten. Die staatsrechtlichen Streitfragen, die sich aus diesen völkerrechtlichen Grundsätzen für die Kolonien im einzelnen ergeben, sind dem deutschen Staatsrechte bisher fremd, da Deutschland noch keine Kolonien durch Eroberung oder Abtretung erworben hat 1).

Durch Besitzergreifung können nur erworben werden bisher herrenlose Gebiete. Diese Erwerbsart wird bereits von HUGO GROTIUS) anerkannt: „Okkupation oder Besitzergreifung dessen, was bisher niemand gehörte, ist die einzige natürliche und ursprüngliche Erwerbsart, d. h. die einzige Erwerbsart nach Naturrecht ohne Ableitung eines Titels von einer andern Person." Es fragt sich nur, welches Gebiet herrenlos ist. Das ältere Völkerrecht, welches privatrechtliche und völkerrechtliche Gesichtspunkte vermengte, verstand unter herrenlos nur vollständig unbewohnte Gebiete, in denen also kein privatrechtliches Eigenthum bestehen konnte. Schon sehr früh gab man aber wenigstens praktisch den privatrechtlichen Gesichtspunkt auf und sah als herrenlos an alle die Gebiete, die noch nicht von einem christlichen Volke oder Fürsten in Besitz genommen waren. So ermächtigte König Heinrich III. von England Cabot, unter englischer Flagge nach Osten, Westen oder Norden zu segeln und in des Königs Namen von allen durch ihn entdeckten Ländern Besitz zu ergreifen, die noch nicht durch die Unterthanen eines christlichen Herrschers in Besitz genommen waren. Daraus, dass Cabot auch der Handel mit den Ureinwohnern gestattet war, ergibt sich, dass es sich nicht nur um völlig unbewohnte Gegenden handelte. Ebenso gab Königin Elisabeth von England Sir Humphrey Gilbert Vollmacht, von allen entfernten und barbarischen Gegenden Besitz zu ergreifen, soweit dies nicht schon durch einen christlichen Fürsten

1) Ueber das englische Recht vgl. in dieser Beziehung E. CREASY, The imperial and colonial constitutions of the Britannic Empire, London 1872, S. 220 ff., wo namentlich die Rechtsprechung der obersten englischen Reichsgerichte berücksichtigt ist.

2) H. GROTIUS, De jure belli ac pacis, lib. 2, c. 3, sect. 4.

oder ein christliches Volk geschehen war 3). Dass gegenwärtig nicht nur christliche Staatswesen und andererseits nicht alle christlichen Staatswesen Subjekte des Völkerrechts sind, ist bereits bemerkt worden. Als herrenlos im völkerrechtlichen Sinne gilt daher jedes Gebiet, in dem die Staatsgewalt eines völkerrechtlich anerkannten Rechtssubjekts nicht besteht1).

Der Besitzergreifung geht jetzt gewöhnlich vorher ein Vertrag mit den eingeborenen Machthabern, durch welchen diese sich der Gewalt des erwerbenden Staates unterwerfen. Erforderlich sind jedoch derartige Verträge in keiner Hinsicht, wie solche z. B. auch bei der deutschen Besitzergreifung des nordöstlichen Neu-Guinea und des Bismarckarchipels nicht abgeschlossen sind. Der Vertrag gibt auch, wenn die förmliche Besitzergreifung unterbleibt, dem vertragschliessenden Staate kein Recht, andere Staaten von der Besitzergreifung auszuschliessen. Es kann höchstens als eine unter den civilisirten Staaten übliche Kourtoisie angesehen werden, dass, wenn ein Staat mit den Machthabern eines bisher völkerrechtlich herrenlosen Gebietes einen Unterwerfungsvertrag geschlossen hat, andere Mächte die Besitzergreifung eines solchen Gebietes unterlassen. Die Erwerbung selbst vollzieht sich mit der Besitzergreifung, die als eine symbolische Handlung, gewöhnlith durch Aufhissen der Flagge, Aufrichten von Grenzpfählen und dergleichen vor sich geht.

Nach den Beschlüssen der sog. Kongokonferenz 5) soll, sofern es sich um afrikanische Küsten handelt, die Thatsache der Besitzergreifung von einer Anzeige an die anderen Kongressmächte begleitet werden, um dieselben in den Stand zu setzen, entweder die Besitzergreifung thatsächlich anzuerkennen oder gegebenen Falls ihre Einwendungen geltend zu machen. Der Erwerb der Staatshoheit ist jedoch durch diese Anzeige nicht bedingt. Die

3) CREASY, a. a. O. S. 66.

*) Die ältere Auffassung, die praktisch längst nicht mehr im Gebrauch ist, wird u. a. noch vertreten bei HEFFTER, Das europäische Völkerrecht, 7. Aufl., herausgegeben von H. GEFFCKEN. Berlin 1882, S. 155. HEFFTER will die Besitzergreifung nur zulassen bei unbewohnten, nicht schon vollständig von anderen in Besitz genommenen Gegenden und verlangt in anderen Fällen Unterwerfung oder Krieg.

5) Vgl. Generalakte der Berliner Konferenz, Art. 34 u. 35, R.G.BI. 1885, S. 215 ff.

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