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Da kommt er über Rebenblättern 69)

Muthig einher, wie Lhäus, 70) Zeus Sohn!

61. Mein Herze bebt mir.71) Stürmend und ungestüm
Zitterst du, Freude, durch mein Gebein dahin!72)
Evan mit deinem schweren Thyrsus, 73)
Schone mit deiner gefüllten Schale!

62. Dich deckt' als Jüngling eine Lyäerin,
Nicht Orpheus Feindin, weislich mit Reben zu!
Und dies war allen Wassertrinkern

Wundersam und die in Thälern wohnen,

63. Wo Wasserbäch und Brunnen die Fülle sind, Von Weingebirgeschatten unabgekühlt,

So schliefst du, sicher vor den Schwäßern,

Nicht ohne Götter, ein muth'ger Jüngling. 74)

ihn auch nicht, sondern läßt Eberten ihn besingen. Warum? Klopstoď kannte Hagedornen gar nicht persönlich, sondern nur durch Eberten und Giseken, die Landsleute und Freunde Hagedorns, welcher den beiden jungen Männern von ihrer Jugend auf ein Freund und Berather gewesen war. Ebert und Gisele liebten den wackern Hagedorn sehr, wie er es als Mensch und Dichter verdiente, und Klopstock verehrte ihn ebenfalls außerordentlich. 69) Bekanntlich war Hagedorn besonders ein Sänger des Weins und der Freude. Daher auch der Ausruf: „Evan,“ der bei den Bacchanalien immer ertönte.

70) Ein Beinahme des Bacchus.

71) Alles was hier Ebert singt, ist aus Horaz genommen, oder diesem nachgebildet. Hagedorn war nähmlich ein sehr großer Freund und Verehrer dieses Dichters, und Ebert begrüßt ihn hier mit Worten und Gedanken seines Lehrers, wie Hagedorn den Horaz nennt. Die ganze Strophe bezieht sich auf eine Stelle in der Horazischen Ode in Bacchum (II. 19.) Evoe! recenti mens trepidat metu,

Plenoque Bacchi pectore turbidum
Laetatur. Evoe! parce Liber,

Parce, gravi metuende thyrso.

Was hier Horaz dem Bacchus zuruft, den er gleichsam gegenwärtig fühlt, ruft hier Ebert Hagedornen zu; Bacchus war Spender der Freude; Hagedorn erweckt ebenfalls dieselbe.

72) Jm Wingolf heißen diese Zeilen:

Mein Herz erglühet! herrschend und ungestüm

Bebt mir die Freude durch mein Gebein dahin! Aber warum diese Veränderung, vermuthlich um die Form Herze wegzubringen, und dann weil zitterst ein Trochäus ist. Allein mit dem Herze ist auch das bebt mir verstoßen und bei weitem nicht durch dies entglüht ersetzt worden, und ,,Bebt mir die Freude" ist streng genommen kein andrer Rhythmus als „Zitterst du, Freude;" denn der Ton muß doch auf bebt liegen.

73) Der Stab, mit Weinlaub und Epheu umwunden, den Bacchus selbst und seine Jünger und Priester trugen.

74) Ebert erzählt hier eine erdichtete Begebenheit aus Hagedorns Jugendgeschichte. Er sei einst im Freien eingeschlafen, da habe ihn eine

64. Mit seinem Lorbeer hat dir auch Patareus 75)
Und mit gemischter Myrthe 76) das Haupt umkränzt!
Wie Pfeile von dem goldnen Köcher

Tönet dein Lied, wie des Jünglings Pfeile

65. Schnellrauschend klangen, da der Unsterbliche Nach Peneus Tochter 77) durch die Gefilde flog! Oft wie der Satyrn Hohngelächter,

Als sie den Wald noch nicht laut durchlachten. 78)

66. Zu Wein und Liedern 79) wähnen dich Priester 80) nur Allein geboren. Denn dem Unwissenden

-

Dame zur guten Vorbedeutung mit Weinlaub zugedeckt. Dies ist nachgebildet dem, was Horaz von sich erzählt (Lib. III. Od. 4. Stroph. 3-5. Me fabulosae Vulture in Appulo):,,er habe sich einst als Knabe ver laufen im Walde, da hätten ihn Tauben mit Laub zugedeckt, und mit Lorbeeren und Myrthen umwunden, habe er sicher vor Ottern und Bären geschlafen, und die ganze Umgegend habe des Wunders gestaunt." Eine Chäerin, nicht Orpheus Feindin, d. h. eine Freundin des Bacchus, des fröhlichmachenden Gottes, aber keine Freundin des rasendmachenden Gottes (des Weingottes), wie die waren, die den Orpheus zerrissen, die Mänaden, und die in den Thälern wohnen: man muß wiederholen: allen, die 2c. Eigentlich will er sagen: Du bist allen nüchternen Wassertrinkern ein Gräuel. Schwätern: hier den Ottern und Bären des Horaz gleichgestellt; Leute, die es hätten ausplaudern können, daß du trunken warest. Nicht ohne Götter 2c. Ganz das Horazische: Non sine Diis animosus infans; und nur durch diese Horazische Stelle enthält die unsrige Bedeutung. Es paßt sich aber hier nicht recht; Horaz nennt sich einen muthigen Knaben, weil er im Walde, bei wilden Thieren, eingeschlafen war.

75) Ein Beinahme des Apoll von der Stadt Patara in Lydien. Nicht nur Bacchus begeistert dich zu Gesängen, sondern auch Apoll; nicht nur Trinklieder und fröhliche Gesänge entströmen dir, sondern auch ernstere.

76) Sehr schön gesagt: Einen Kranz von Lorbeeren, mit Myrthen gemischt, hat dir Apoll aufgedrückt. Myrthe, das Sinnbild der Liebe. Auch der Sänger der Liebe war Hagedorn.

77) Daphne. Die Geschichte von Apoll und Daphne ist bekannt. Das Gleichnis scheint mir etwas weithergeholt und hat durchaus keine Anschaulichkeit. Hagedorns Lieder tönen, wie die Pfeile in Apolls Köcher, als er der Daphne nacheilte. Klopstock kann wohl damit nichts meinen, als: Deine Lieder bewegen sich rasch und leicht (im Gegensatz der steifen Lieder der Gottschedianer); oder zielt er mit den Pfeilen auf die Spißen, welche viele Lieder Hagedorns haben?

78) Hagedorn war ein feiner Satyriker. Mit Recht unterscheidet Klopstock zwei Arten von Satyrn: die ältern und die neuern. Die ältern Satyrn waren fröhliche Wesen, die gern lachten und sangen; die spätern waren unzüchtige, geile Halbmenschen.

79) Wein und Lieder ist hier zweierlei. Hagedorn war nicht nur Sänger des Weins, sondern auch Liebhaber desselben, und man machte ihm dies in Hamburg oft genug zum Vorwurf.

80) Besonders von den Geistlichen in Hamburg hatte Hagedorn manche Verfolgungen auszustehen. Als Ebert, Hagedorns Schüler, von Leipzig zurückkam, dichtete er zu einer Hochzeit eine Cantate, das Vergnügen,

Sind die Geschäfte großer Seelen
Unsichtbar stets und verdeckt gewesen.

67. Dir schlägt ein männlich Herz auch! 81) Dein Leben ist
Viel füßgestimmter als ein unsterblich Lied;
Du bist in unsokrat'schen 82) Zeiten

Wenigen Freunden ein theures Muster. 83)

VII.

68. Er sprach's. 84) Jett sah ich über den Altar her,
Auf Opferwolken, Schlegeln 85) mit dichtrischem
Geweihtem Lorbeerschatten kommen,

Und unerschöpflich, vertieft und ernsthaft
69. Um sich erschaffen. Werdet! 86) Da wurden ihm
Lieder. Die sah ich menschliche Bildungen
Annehmen. Ihnen haucht er schaffend

Leben und Geist ein und gieng betrachtend

70. Unter den Bildern, wie Berecynthia 87)

Durch den Olympus hoch im Triumphe geht,

die dann in einem öffentlichen Concert aufgeführt wurde. Die Geistlichen nahmen ihm dies so übel, daß er auf eine Predigerstelle in seiner Vaterstadt Verzicht leistete. Im Wingolf hat Klopstock die Priester verändert in Thoren.

81) Du bist mir nicht nur als Dichter lieb, sondern auch als Mensch. 82) In Zeiten, wo man die Liebe zur Geselligkeit für etwas verdammenswerthes hält. Bekanntlich war Sokrates ein großer Freund der Geselligkeit und der Tafel. Eben so Klopstock, dem es später in Zürich eben so gieng, indem Bodmer es sehr übel aufnahm, daß der Sänger des Messias so gern in fröhlichen Gesellschaften verweilte.

83) Du bist uns ein Muster, wie man Fröhlichkeit mit Anmuth verbinden soll.

84) So sprach Ebert.

85) Wer in der Geschichte der deutschen Litteratur nur einigermaßen bewandert ist, wird hier an Joh. Elias Schlegel (geb. 1718) denken, der 1749 als Professor der Ritterakademie zu Soroe in Dänemark starb. Dieser war ein wirklich genialischer Dichter, und wäre er nicht so jung gestorben, so würde er für die dramatische Poesie das Zeitalter, welches später durch Schiller für dieselbe aufblühte, früher herbeigeführt haben. Allein in einer Anmerkung zur Leipziger Ausgabe von 1798 sagt Klopstock selbst, daß hier Joh. Adolph Schlegel, der Bruder des genannten, gemeint sei, welcher 1746 Leipzig verlassen hatte und als Hauslehrer in Strehla, einem kleinen Städtchen zwischen Dresden und Leipzig, lebte. Dieser Schlegel war auch Dichter und Mitarbeiter an den Beiträgen, und Klopstock hat hier vermuthlich deffen großes Lehrgedicht,,der Unzufriedene" im Auge.

86) Schlegel spricht dieses.

87) Berecynthia, wieder ein Beinahme der Kybele, von dem Gebirge Berecynthos in Phrygien, wo sie hauptsächlich verehrt wurde. Kybele steht hier als die Mutter der Götter. Die ganze Strophe ist Ueberseßung einer Stelle in Virgils Aeneis, Ges. IV. V. 785—788.

Wenn um sie ihre Kinder alle

Ringsum versammelt sind, lauter Götter.

71. Noch eins nur fehlt dir. Werd' uns auch Despreaux, 88) Daß, wenn sie etwa zu uns vom Himmel kommt, Die goldne Zeit, der Musen Hügel

Leer von undichtrischem Pöbel dasteh'!

VIII.

72. Komm, goldne Zeit, komm, die du den Sterblichen Selten besuchst, komm, laß dich, o Schöpferin, 89) Laß, bestes Kind der Ewigkeiten, 9o)

Dich über uns mit verklärtem Flügel!

73. Tief voll Gedanken, voller Entzückungen
Geht die Natur dir, Gottes Nachahmerin, 91)
Schaffend zur Seite, große Geister,
Wenige Götter der Welt 92) zu bilden.

So fährt durch die phrygischen Städte

Thurmbekrönt auf dem Wagen die berecynthische Mutter,
Selig der Göttersöhn', und hundert Enkel umarmend,

Himmelsbürger sie all' und olympischer Höhen Bewohner. Klopstock hat die Strophen 69 und 70 später theils verändert, theils ganz gestrichen; entweder weil ihm manches zu großartig für das Geschäft des fterblichen Dichters schien, oder weil er andrer Meinung über Schlegels Dichterehre geworden war.

88) Nicolaus Boileau Despreaux, geb. 1636, gest. 1711, bekannt als Kritiker und Dichter, besonders als satyrischer Dichter. Klopstock wünscht also, Schlegel folle Kritiker werden und den Parnaß von dem Pöbel, der darauf hause, reinigen. Der undichterische Pöbel: entweder schlechte Dichter, oder Leute, die für Poesie nicht empfänglich sind; vermuthlich jenes. Schlegel soll also den Weg bahnen für die kommende goldne Zeit. Er soll den Parnaß säubern, damit die goldne Zeit der Dichtkunst bald erscheint; diese goldne Zeit ruft und wünscht er nun herbei und sieht sie mit seinen geistigen Augen schon voraus.

89) Der Dichter sieht also die goldne Zeit als Hervorbringerin großer Männer an, nicht umgekehrt als Werk großer Männer. Er hat auch gewissermaßen recht; wenigstens stehen hier die großen Männer und die große Zeit immer in Wechselwirkung; eins bringt das andre hervor. Schöpferin kann man die goldne Zeit der Kunst in jedem Falle nennen, insofern man die Dichter selbst mit darunter versteht und dann meint: diese Zeit bringt große Kunstwerke hervor.

90) Die verschiedenen Zeitalter und Zeitabschnitte sind Kinder der Ewigkeit; die goldne Zeit ist natürlich das beste.

91) Gottes Nachahmerin bezieht sich auf Natur. Der Sinn ist:,,Wenn die goldne Zeit da ist, so hilft ihr die Natur in ihrem Werke und bringt große Geister hervor, Götter der Welt" (eine starke Hyperbel). Bei Hervorbringung dieser Geister ist die Natur gedankenvoller und im voraus entzückt über ihr entstehendes Geschöpf. Sie wendet gleichsam smehr Kräfte auf als gewöhnlich.

92) Der Welt ist doch wohl der Dativ: große Geister, wenige Götter für die Welt.

74. Natur, dich hör' ich im Unermeßlichen Wandeln, so wie mit sphärischem Silberton Gestirne, Dichtern nur vernommen, 93)

Niedrigen Geistern unhörbar, wandeln. 75. Aus allen goldnen Altern begleiten dich, Natur, die großen Dichter des Alterthums, Die großen neuern Dichter! Segnend

Seh' ich ihr heilig Geschlecht hervorgehn.

93) Der Dichter hört im voraus die Natur, wie sie die goldne Zeit beschleunigt; er sieht ihren großen Gang, nur wahrnehmbar durch die Phantasie.

2. An Gieseke. *)
(Leipzig 1747.)

Geh! ich reiße mich los, obgleich die männliche Tugend 1)

Nicht die Thräne verbeut;

Geh! ich weine nicht, Freund. Ich müßte mein Leben durchweinen, Weint' ich dir, Giseke, nach !2)

Denn so werden sie alle dahin gehn, jeder den andern

Trauernd, verlassen, und fliehn.

Also trennet der Tod gewählte Gatten! der Mann kam3)
Seufzend im Ozean um,

5

*) In allen Ausgaben der Klopstock'schen Oden ist diese Elegie in's Jahr 1747 gesetzt. Betterlein in seinem Commentar sucht zu beweisen, daß sie in's Jahr 1748 falle und später entstanden sei als die Elegie an Ebert, indem Giseke Leipzig erst Ostern 1748 verlassen habe. Die Sache ist sehr unwichtig; Vetterleins Grund beweist aber nichts; daraus daß Giseke erst 1748 von Leipzig abgegangen ist, folgt durchaus nicht als unumstößlich gewiß, daß die Elegie um diese Zeit entstanden sei. Es kann ja sein, daß Gisele schon im vorhergehenden Jahre Leipzig hat verlassen wollen.

Ueber Giseke s. die Anmerkungen zur vorigen Ode; eben so über Klopstocks Verhältnis zu Hagedorn. Giseke war mit Ebert ein Jünger und Schüler des ältern Hageborn.

1) Hier Tugend des Mannes im Gegensaße der weiblichen Tugend. In der ersten Gestalt heißt diese Stelle:

Obgleich der männlichen Tugend
Thränen zu weiblich nicht sind.

"

2) Klopstocks Herz hatte immer viel Freunde nöthig; einer oder zwei waren ihm nie genug. Wollte ich dir, Giseke, nachweinen, so müßte ich auch den andern Freunden nachweinen, die sich in der Zukunft von mir trennen werden, und so müßte ich mein ganzes Leben durchweinen.“

3) Es ist eine Eigenthümlichkeit der Bilder und Gleichnisse bei Klopstock, daß er gern alles als geschehen angiebt, auf einen bestimmten Fall zurückführt. So schon in der vorigen Ode Str. 3-5. Doch spielt hier Klop

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