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I.

Ist die Freude einer christlichen Gemeinde über ihre Orgel eine fündliche, so ist sie ja gewiß nicht eine berechtigte. Die Sünde ist in Gottes und aller seiner lieben Kinder Augen ein Greuel über alle Greuel. Ein Christ erschricht von Herzen vor dem Gedanken, wissentlich und vorsäßlich eine Sünde zu begehen; lieber, als dies zu thun, wollte er den Augenblick sterben. Wer nicht so gesinnt ist, ist gar kein Christ. Aber weshalb sollte denn der Gebrauch einer Orgel bei unsern Gottesdiensten und damit zugleich die Freude an derselben sündlich sein? Vielleicht antwortet man uns hierauf: Weil Gott in seinem Worte den Gebrauch der Orgel nicht geboten hat." Eben wie die uns umgebenden Sekten uns das Halten unserer großen Feste und Feiertage aus gleichem Grunde zur Sünde machen wollen. Ist aber deshalb etwas eine Sünde, weil es in Gottes Wort nicht geboten ist, dann begehen diejenigen, die dies behaupten, täglich und stürdlich gar viele Sünden mit Wissen und Willen. Denn wo hat Gott ihnen geboten. daß sie Atem holen und schlafen sollen? Oder soll der Gebrauch ein fündlicher sein, weil ein Abkömmling des gottlosen Kain die ersten musikalischen Instrumente erfunden hat? oder weil die Instrumente von den Kindern des Unglaubens, von der Welt, aufs greulichste gemißbraucht werden? Dann müßten wir gar vieles verwerfen, was, wie z. B. Eisenbahnen und Telegraphen, doch so offenbar zur Ausbreitung des Reiches Gottes dient. Nein, nein, meine Lieben, das und nur das ist Sünde, was gegen Gottes Gebot ist, eine jegliche Abweichung von der Richtschnur des göttlichen Gesezes. Wir wissen, daß alle Kreatur Gottes gut und nichts verwerflich ist, so es nur mit Danksagung empfangen wird, und „Alles ist euer", ruft der Apostel uns Christen zu. So dürfen wir uns denn auch getrost unserer Drgel freuen.

Freilich, der Grund unserer höchsten Freude ist unsere Orgel uns noch lange nicht, sondern dieser ist der, daß, wie es in Vers 2 unseres Textes heißt, Gott unsere Stärke, daß er unser Gott ist. Daß es einen Gott giebt, wußten auch die alten Heiden gar wohl, wissen auch die heutigen Ungläubigen gut genug. Freuten sie sich denn aber darüber, oder erfreuen fie sich jetzt daran? Ach nein, sie wünschten und wünschen wohl weit eher, daß es keinen Gott gäbe, da sie als Übertreter seines Gesetzes ihn nur zu fürchten hatten und haben. Und wir? Sind wir nicht auch Sünder? Sind wir nicht allzumal Kinder des Zornes von Natur? Und, o! welche Berge von Sünden wollen sich bei einem auch nur etwas längeren Leben zwischen uns und unserm Gott auftürmen! Wir wissen es ja, wie auch wir nichts als Zorn und Strafe, ewige Strafe, verdient haben. Und doch sollen wir uns freuen? Ja, ja, meine Theuren! wir freuen uns gewißlich, wenn wir wissen, daß Gott unser ist, unser mit seiner ganzen, vollen Gnade. Unser ist aber Gott in Christo, seinem einigen, geliebten Sohne.

„Gott war in Christo und versöhnete die Welt mit ihm selber." In seiner ewigen, unergründlichen erbarmenden Liebe sprach der Vater zu seinem eingebornen Sohne:

„Fahr hin, meins Herzens werte Kron,

Und sei das Heil der Armen.“

Und was antwortete Er seinem himmlischen Vater hierauf?

„Ja, Vater, ja, von Herzensgrund,

Leg auf, ich will Dir's tragen;

Mein Wollen hängt an Deinem Mund,

Mein Wirken ist Dein Sagen.“

Wenn wir das recht erwägen, wie können wir da anders, als voll Jubel einstimmen in die Worte des Dichters:

„O Wunderlieb! o Liebesmacht!

Du kannst, was nie kein Mensch gedacht,
Gott seinen Sohn abzwingen.

Liebe! Liebe! Du bist stark!

Du streckest Den in Grab und Sarg,

Vor dem die Felsen springen.“

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Christus hat alle Gerechtigkeit mit Seinem vollkommenen Gehorsam erfüllt, daß sie uns zugerechnet werde. Gott warf unsere Sünde auf Ihn, auf daß wir Frieden hätten"; Er erduldete unsere Strafe; Er hat uns vollkömmlich erlöst von Sünde, Tod, Hölle und Teufel; durch Ihn ist Gott nun unser Gott, so daß Sein volles Wohlgefallen auf uns ruht. Das, das, meine Teuren, ist und bleibt unsere größte Freude. Und so ist nun auch der größte Schmuck unserer Kirchen nicht etwa eine Orgel oder irgend ein sonstiges äußeres Stück, sondern, das Gottes Wort, das Wort des reinen Evangeliums, durch welches der Glaube an Christum in uns gewirkt und erhalten wird; und daß die hochheiligen Sakramente, durch welche dieser versiegelt wird, darin im Schwange gehen. Darum, daß wir diese unsere höchste Freude genießen, singen wir nun auch getrost die lieblichen Lieder unserer Kirche zu unseres Gottes Lob mit hoher Freude.

Neben dieser höchsten Freude wollen wir nun aber auch uns der uns von Gott geschenkten Orgel von Herzen freuen. Wissen wir doch gar wohl, wie die Musik, diese edle Gabe Gottes, einen gar heilsamen Einfluß auf den Menschen ausüben kann. Ihr alle wißt es ja, wie David mit seinem Harfenspiele den bösen Geist Sauls vertrieb. Der Kirchenvater Augustin weinte vor Freuden, als er nach seiner Bekehrung zum ersten Male im Hause des HErrn war und hier die Lobgefänge der Gemeinde unter Begleitung musikalischer Instrumente erschallen hörte. Luther, der die Musik nächst der Theologie am höchsten schäßte, bekennt, daß ihn dieselbe oft ers weckt habe, so daß er neue Lust zum Predigen bekommen. Die eigene Erfahrung hat wohl manchen von uns gelehrt, wie die Musik dazu beiträgt, unsere Gottesdienste zu wahrhaft schönen Gottesdiensten zu gestalten und

uns in die rechte Stimmung zu verseßen für das Anhören des Wortes Gottes und zum Handeln der heiligen Sakramente.

Bei dem auserwählten Volke Gottes Alten Testamentes fanden allerlei Saitenspiel, Psalter, Harfen, Zimbeln, Posaunen und Trompeten reiche Verwendung zur Begleitung der viertausend im Tempel angestellten Sänger unter deren zweihundert und achtzig Sangeslehrern. Und das war nicht bloß „eine Weise in Israel“, aus eigenem Vornehmen unternommen, sondern ein Recht des Gottes Jakobs", wie unser Tert sagt; denn Gott hatte es ja also geordnet. Unser Text und die andern Stellen heiliger Schrift, die wir vorhin vom Altar aus gehört haben, und worin die Kinder Israel aufgefordert werden, Gott also mit Instrumenten zu loben, sind ja von Gott dem Heiligen Geiste selbst eingegeben. So singen denn nun auch wir, gewiß des göttlichen Wohlgefallens, unsere Lieder, getragen und durchtönt von unserer Orgel.

Die Orgel ist das größte und vollkommenste aller Instrumente; sie bietet uns zugleich Melodie und liebliche Harmonie; in ihrer Vielfältigkeit begreift sie gleichsam, je nach ihrer Größe, alle anderen Instrumente in sich. Mit Recht wird daher die Orgel genannt die Königin unter den Instrumenten". Die Orgel eignet sich, wie kein anderes Instrument, gerade für den kirchlichen Gebrauch in solchem Maße, daß jeder gleich urteilt, alle leichtfertige Musik müsse ihr fern bleiben. Darum, meine Teuren, freuet euch immerhin mit hohem Danke gegen Gott eurer Orgel. Ja,

Kommet zu Hauf,

Psalter und Harfe, wacht auf,

Lasset die Musikam hören!

II.

Unsere Freude an unserer Orgel soll aber nun nicht etwa nur eine solche sein, wie die der Kinder an einem ihnen geschenkten Spielzeug. Zu erst freuen sie sich desselben auch, aber gar bald werden sie seiner überdrüffig, zerbrechen es oder lassen es unbeachtet in der Ecke liegen. Sie soll auch nicht eine Freude sein, wie die, welche man an einem neuen Kleide hat. Dessen freut man sich wohl auch zuerst, aber bald gebraucht man es ohne sonderliche Freude daran. Unsere Freude an unserer Orgel soll eine bleibende und stets erhöhte sein.

Soll aber dies so sein, so muß zunächst der Organist in rechter Weise seines Amtes warten. Das Organistenamt ist ja, wie jedes Amt, das dazu dienen soll, die Predigt des heiligen göttlichen Wortes zu fördern, ein Zweigamt des heiligen Predigtamtes. Demgemäß verwandte man für den Organistendienst in früheren Zeiten gar oft Kandidaten der Theologie. Wie hoch unsere teure Synode das Amt des Organisten schäßt, geht daraus hervor, daß sie große Summen darauf verwendet hat und noch darauf verwendet, daß die künftigen Schuldiener auch zu möglichst tüchtigen Orga

nisten ausgebildet werden. Will nun aber der Organist sein Amt gebührend führen, so daß die Freude an der Orgel eine bleibende und stets erhöhte sei, so muß er es in der Furcht Gottes führen. Bei seiner Ausrichtung desselben muß sein einiges Absehen darauf gehen, Gottes Lob zu erhöhen und die christliche Gemeinde zu erbauen. Zur Zeit des Rationalismus oder des sogenannten Vernunftglaubens mochte es wohl manchen ganz ge= eignet erscheinen, wenn zu der Predigt rein menschlicher, vermeintlicher Weisheit und zu den kraft- und saftlosen Liedern mit ihren schläfrigen Melodieen, die zum Schlafe förmlich einluden, Märsche, Konzert- und Tanzmusik, ja gar Sauflieder auf der Orgel vorgeführt wurden. Wo aber der große HErr vom Himmel redet, wie, Gott sei gedankt, es geschieht von unsern Kanzeln, da darf die Orgel nimmermehr der Leichtfertigkeit und Eitelkeit dienen. Jetzt soll das Spiel derselben angemessen sein der bes treffenden Festzeit und dem Charakter eines jeden Gottesdienstes und eines jeden Liedes. Hiezu muß der Organist trachten immer tüchtiger zu werden, dazu muß er sich stets gewissenhaft vorbereiten, wozu denn freilich auch nötig ist, daß der Pastor ihm die jeweiligen Lieder für die Gottesdienste bei Zeiten gebe.

Und die Gemeinde? Was hat sie zu thun, damit ihre Freude an der Orgel eine bleibende und stets erhöhte sei? In unserer teuren evangelisch-lutherischen Kirche ist ja die Gemeinde nicht eine bloß hörende, es wird ihr reichlich Gelegenheit in den Gottesdiensten gegeben, das geistliche Priesteramt zu pflegen und selbst mündlich zu verkündigen die Tugenden Des, der uns berufen hat von der Finsternis zu Seinem wunderbaren Lichte. Sie läßt sich nicht nur vertreten, wie dies bei den Römischen und den Sekten vielfach der Fall ist, durch einen ausgewählten Singchor, nein, sie ist selbst mit thätig durch Singen der Lieder sowie der Antworten bei der Liturgie. Hierbei soll sie nun in rechter Weise die Orgel sich dienen lassen. Da gilt es nicht bloß, sich hie und da einmal durch die Orgel rühren oder erschüttern zu lassen, sondern mit Herzen, die durch das Wort Gottes bußfertig und gläubig geworden sind, in von der Orgel getragenen und durchtönten Liedern solche Herzensgesinnung zum Ausdruck kommen zu lassen. Wer das nicht erkennt, der wundere sich nur nicht, wenn ihm der HErr zuruft: Thue nur weg von mir das Geplärre deiner Lieder; denn ich mag deines Psalterspiels nicht hören." Gesang und Orgelspiel sind so zu ge= brauchen, daß sie der Predigt den Weg zum Herzen bereiten und das Bekenntnis des Mundes zu einem wahren machen helfen. So, und nur so kann eure Freude an eurer Orgel eine bleibende und stets erhöhte werden. So lassen wir uns denn auch durch die Orgel weisen dahin, wo die Morgensterne loben und jauchzen alle Kinder Gottes, wo die Cherubim und Seraphim ihr Dreimal-heilig ohne Unterlaß singen, wo die Auserwählten Gottes von Adam her unter Harfenklang singen das Lied Mosis und des Lammes:

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Ja, ja!

Da wird man hören klingen
Die rechten Saitenspiel,
Die Musikkunst wird bringen

In Gott der Freuden viel.

Wenn dann zuletzt ich angelanget bin

Ins schöne Paradeis,

Von höchster Freud erfüllet wird der Sinn,

Der Mund von Lob und Preis;

Das Halleluja reine

Singt man in Heiligkeit,

Das Hosianna feine

Ohn End in Ewigkeit.

Mit Jubelklang, mit Instrumenten schön,

Auf Chören ohne Zahl,

Daß von dem Klang und von dem süßen Ton

Erbebt der Freudensaal,

Mit hunderttausend Zungen,

Mit Stimmen noch viel mehr,

Wie von Anfang gesungen

Das himmelische Heer.

Dahin, dahin will ich! Mein Gott helfe mir doch dazu durch meinen HErrn JEsum Christum! Und wer von euch will nun mit, um dort mit einzustimmen in den ewigen Jubelklang? Oder wer wollte wohl lieber ewig hören das Wutgeheul der Teufel und mit einstimmen in das Jammergeschrei der Verdammten? O, so versäume denn euer keiner die Zeit des Heils! Laßt vor allem durch das Wort unsres Gottes und durch die heiligen Sakramente euch immermehr in die Arme eures Heilandes führen, und sodann euch, neben dem Gebet, auch durch den Gesang unter den Tönen eurer Orgel je länger desto mehr gründen, stärken und vollbereiten zu der Freude des ewigen, seligen Lebens, dort eurem Gott ohne Ende zu singen Preis, Lob und Dank für alle Seine Gnade in Christo JEsu. Amen.

Geschichtliches über den Streit der Zifferisten mit den Anhängern der Notentabulatur.

Vortrag, gehalten in der Allgem. Lehrerversammlung zu Frankfurt a. M.
am 29. November 1884 vom Rektor B. Widman.

Veranlassung zum heutigen Thema gab mir ein Kampf, der schon seit 2 bis 3 Jahren von den Gesanglehrern der Rheinprovinz und Westfalens mit großer Heftigkeit und Ausdauer geführt wird über die Frage: Ob Ziffern oder Noten als Tonschrift in der Volksschule angewandt werden sollen?

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