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Folge der gleichpflichtigen Theilnahme, welche jedem wehrhaften Manne an der grössten Staatsangelegenheit zukam. Damit trat der elementare Begriff der Staatsbürgerschaft reformirend in das Völkerrechtsleben und in die Völkerrechtsliteratur und zog zugleich die scharfe Grenze, die das XIX. Jahrhundert in beiden von seinen Vorgängern trennt.

3. Während der Krieg der absoluten Monarchie das Wirken einer lebendigen Kraft auf eine willenlose Masse ist, und daher den subjektiven Charakter feindseligen Gefühls in die feindselige Absicht trägt, vollzieht die staatsbürgerliche Gliederung der Gesellschaft die Ausscheidung jenes persönlichen Momentes 12). In ihr erscheint er als das steigerungsfähige Ergebniss der staatlichen Leistungsfähigkeit, als Aeusserung einer Seite des Gesammtkönnens von mindestens gleicher Wichtigkeit, wie jene der Finanz- oder Industriekraft des Staates. Unabhängig von der persönlichen Tapferkeit des Einzelnen zur Sache des ganzen Staatsvolkes geworden, nahm er eine wesentlich verschiedene Natur an, vielmehr er hat sich seiner wahren Natur, seiner absoluten Vollkommenheit sehr genähert. Maass seiner Wirksamkeit ist der Werth seiner Ergebnisse für das Individuum, das heisst, sein politischer Zweck, indem wir ihn uns in Einwirkung auf die Massen der Betheiligten denken, von denen er ausgeht und die er bewegen soll. Damit ändern sich auch grundsätzlich Wesen und Auffassung des Krieges und seiner Folgen in der Völkerrechtswissenschaft. Dies zeigt

12) La guerre sans haine ni injure, entre deux nations généreuses pour une question d'Etat inévitable et de toute autre manière insoluble . . voilà ce qui me semble à moi l'idéal de la vertu humaine. PROUDHON.La Guerre et la Paix. S. 235 fg.

sich namentlich in Ansehung des Friedensvertrages, welcher fortan nicht mehr blos als Formulirung der aus entgegengesetzten Kraftentwicklungen sich ergebenden Mittelwirkung, sondern vornehmlich als Verfassungsbestandtheil zweier oder mehrerer Staaten in Betracht kommt. Allem voran tritt jedoch die Nothwendigkeit dieses Friedensinstrumentes mit aller Schärfe hervor. Es ist nach Lage der geschichtlichen Entwicklung ganz unrichtig, wenn Autoren noch immer als feststehenden Grundsatz des Völkerrechts annehmen, dass die äusserste Gewaltentfaltung zweier Staaten, der Krieg, auch heute noch auf andere Weise als in Form des Friedensvertrages, etwa durch stillschweigende beiderseitige Einstellung der Feindseligkeiten und darauf folgende Herstellung eines freundstaatlichen Verkehrs beendigt werden könne 13). So gestaltlos, jedes Ausdruckes entbehrend kann die gewaltsame Action des seines Willens bewusst gewordenen Staates nicht ablaufen, und die Geschichte des constitutionellen Staatenlebens zeigt auch kein wahres Beispiel für ein solches Verrinnen im Sande. Offenbar zählt das oft citirte Einstellen der Feindseligkeiten zwischen Polen und Schweden i. J. 1716 hier nicht mit; aber auch das von SCHULZE 14) u. A. angeführte Curiosum des zwischen Preussen und Liechtenstein bestehenden

13) S. HEFFTER. Europ. Völkerrecht. 5. Aufl., S. 321. CALVO. Droit Intern. II., §. 1289., p. 739. BLUNTSCHLI. Modernes Völkerrecht. Art. 700. SCHULZE. Einleitung in das deutsche Staatsrecht. S. 392. VON HOLTZENDORFF. Encycl. S. 813.

14) Das Fürstenthum Liechtenstein hatte sich an den sogenannten Bundesbeschlüssen vom 14. und 16. Juni 1866 gegen Preussen betheiligt und sein Bundeskontingent zu Oesterreichs Verfügung nach Tyrol gestellt. Preussen betrachtete daher Liechtenstein jedenfalls als Feind ... „hat es aber nicht für nothwendig gehalten, mit diesem Staate Frieden zu schliessen." SCHULZE. 1. c.

Verhältnisses bildet keine Gegeninstanz wider unsere Behauptung; denn selbst angenommen, dass letzteres bei den Friedensschlüssen d. J. 1866 und bei Constituirung des Deutschen Reiches einfach übergangen wurde, so erscheint es doch für unzulässig, eine Gemeinschaft, die des Momentes der Autarkie so vollständig entbehrt, — wie dies bei dem süddeutschen Fürstenthume der Fall ist, als Paradigma für ernst-staatliche Verhältnisse im angenommenen Sinne dieses Wortes aufzustellen.

Je vollkommener nun das staatsbürgerliche Ziel des Krieges ins Bewusstsein der Völker tritt, um so schärfer tritt auch die Sorge für das politische Schicksal der von den Kriegsfolgen mittelbar oder unmittelbar Betroffenen im Friedensinstrumente hervor. Ueberblicken wir die lange Reihe der für die Theorie wichtigeren Friedensschlüsse vom Beginne des XVIII. Jahrhunderts ab, so begegnen wir mit immer steigender Regelmässigkeit einer zweifachen Gruppe von Bestimmungen, welche ohne Rücksicht auf den eigentlichen Friedenszweck jenem Schutze der staatsrechtlichen Seite der Persönlichkeit dienten, lange bevor noch der Begriff der letzteren selbst in Lehre und Leben zur Formulirung gelangt war.

Wieder zeigt sich auch hier der Gang der Geschichte als Bewegung und Entwicklung vom unklaren Gefühle zum Bewusstsein. Ohne dass die zunächst berufene Wissenschaft auf dem Wege vorangeleuchtet hätte, brach sich von altersher im Staatenverkehre die Ueberzeugung Bahn, dass das definitive Abbrechen der Feindseligkeiten zwischen den Staaten sich auf alle Angehörigen der Kriegspartheien und deren Verhältnisse erstrecken müsse, und dass der im Auftrage seiner höchsten staatlichen Pflicht handelnde Einzelne nicht über diesen Zeitpunkt hinaus der exceptionellen Norm des Krieges unterworfen bleiben dürfe.

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Die ursprünglich naive Form des wechselseitigen Verzeihens und vollkommenen Vergessens, enthalten in der Amnestie-Klausel der Friedensverträge, zeigt zuerst die Anerkennung des in jenem Auftrage liegenden staatlichen Momentes, die Zwiespältigkeit zwischen Einzelwillen und Gesammtwillen, und darum ist auch die culturhistorisch eminent wichtige Geschichte jener Klausel in allen Punkten, wo sie sich auf Handlungen von Unterthanen des feindlichen Staates bezieht, zugleich die Geschichte der schärfer sich darstellenden völkerrechtlichen Unterscheidung zwischen dem Bürger in Waffen und dem waffenlosen Staatsbürgerthum. Corollarisch aus diesem Nachsichts- Versprechen einerseits, und zum andern aus dem überkommenen Gedanken der unveräusserlichen Unterthanstreue ergibt sich eine zweite Gruppe von Bestimmungen, enthalten in Friedensverträgen, welche die vollständige Separation eines Territoriums zum selbstständigen Dasein oder den Uebergang von Gebietstheilen zwischen zwei oder einer Mehrheit von Staaten zum Gegenstande haben. Oberster Zweck dieser Normen ist: Wahrung des dem Bewohner des demembrirten Gebietstheiles zustehenden Rechtes, sich von diesem Territorium abzulösen, um unverändert ein Bestandtheil der ursprünglichen Personengemeinschaft zu verbleiben, ungeachtet der zur Zeit noch in voller Blüthe stehenden Auswanderungs- resp. Niederlassungsverbote der einzelnen Territorien.

Diese beiden Complexe von Friedensvertragsnormen umgeben demnach in zweifacher Weise schützend die staatsrechtliche Seite der Persönlichkeit. Die AmnestieKlausel: indem sie das Hinüberwirken des Kriegszustandes auf den Rechtsboden des friedlichen Staatenlebens verhindert; und die Auszugsfreiheitsnormen, indem sie

dem durch die Eroberung oder Cession gewaltsam in den fremden, feindlichen Staat Eingeschlossenen das geeignete Mittel bieten, um die Frage der Staatszugehörigkeit im gegebenen Falle von dem freien Willen des Individuums. selbst abhängig zu machen.

4. Der oberste Fortschritt der Cultur auf dem Gebiete des Rechts besteht darin, dass die persönliche Freiheit, die freie Bethätigung der Persönlichkeit in steigendem Maasse ihre Anerkennung im geltenden Rechte finde. Das gilt für das private, wie für das öffentliche Rechtsgebiet. Zutreffend bemerkt hierüber IHERING (Geist d. r. Rechts I., S. 100):

Der eine Satz, dass der Mensch als solcher Rechtssubjekt sei, zu dem das römische Recht sich praktisch nie erhoben hat, wiegt für die Menschheit mehr als alle Triumphe der Industrie. Um diesen Grundsatz zu verwirklichen, hat die Geschichte Jahrtausende arbeiten müssen." Dieses Fortschrittswerk gelangte jedoch vorerst nur auf dem Boden des Sachgüterrechts ans Ziel: der Rechtsgehalt der Persönlichkeit nach ihrer öffentlich-rechtlichen Seite hatte diesen Kampf noch weit länger zu bestehen, bis er zur Anerkennung seines ganzen Umfanges gelangte.

Unter der unbedingten Herrschaft des monarchischen Princips erscheinen Eroberung und Cession als selbstver ständliche Erweiterung und Ausdehnung der Herrschergewalt auf die unlösliche Einheit fremden Staatsgebietes und der darauf befindlichen Bewohnerschaft. So lange der Staat nicht in seiner Selbsteigenheit erfasst war; so lange die patrimoniale Anschauung die Erkenntniss zurückdrängte, dass der Staatsbegriff das freiwillige Gebundensein der Glieder des Staatsvolkes an das Staatsgebiet enthalte; - insolange konnte bei den mit seiner Decomposition

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