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Bei jedem einzelnen Optionsfalle einzelnen Optionsfalle spielt sich in reduzirtem Massstabe der grosse im Staatsbegriffe liegende Prozess ab: Der staatlichen dauernden Verbindung des Menschen mit dem seiner ökonomischen Existenz zur Basis dienenden Gebietstheile; oder im umgekehrten Falle der entsprechenden Auflösung dieses bisher bestandenen Verhältnisses. Der sogestalt gewonnene Ausweg ermöglicht die Versöhnung des scharfen Gegensatzes zwischen dem Freiheitsrechte des Einzelnen und dem Nothrechte des erwerbenden Staates. Im Geiste dieser Entwicklung bilden, wenn Landestheile von einem Staate an einen andern abgetreten werden, den direkten Gegenstand dieser Abtretung nicht die Menschen, welche auf jenem Gebiete wohnen, sondern das Land selbst mit der Summe der in demselben wirksamen Hoheitsrechte, die Territorialgewalt. Die Bewohner unterlagen nur so lange dem Schicksale von Grund und Boden, so lange sie an die Scholle gebunden waren; ist es ihnen dagegen freigestellt, ihren bisherigen Wohnsitz zu verlassen, so ist ihr Verbleiben in dem Lande, das seine Herrschaft gewechselt hat, als freiwilliger Akt der Unterwerfung zu betrachten, ihr Verbleiben stellt sich der immer nur auf die äussere Form der Erscheinung gerichteten Cognition des Staates als rückhaltslose Anerkennung des neuen staatlichen Verhältnisses dar.

Kehren wir mit dem im Bisherigen gefundenen Resultate zum Ausgangspunkte unserer Darstellung der Eroberung zurück, welche wir als Zustand inneren geschichtlichen Zwanges für den erobernden, und freiheitswidriger Noth für den unterliegenden Staat, d. h. in jedem Falle für die Gesammtheit der die beiden bildenden Menschen erkannt haben, dann gelangen wir zur vollen Erkenntniss des in der persönlichen Staatswahl liegenden culturellen

Fortschrittes. In ihrem wahren Lichte besehen erscheint dann diese völkerrechtliche Einrichtung als wirksame Correctur des in der gewaltsamen Eroberung (oder der ihr gleich wirkenden Cession) ansonst liegenden Verletzung des hohen Gebotes der Sittlichkeit: dass kein Mensch blos als Mittel für fremde Zwecke behandelt werden dürfe, sondern immer auch zugleich als Zweck an sich selbst betrachtet werden muss 19). Dieses aus dem Begriffe der menschlichen Freiheit fliessende Recht der Persönlichkeit trat, wie wir sehen werden, ziemlich spät in das Bewusstsein der rechtzeugenden Staatengesellschaft; es schwankte sodann mit dem zeitweiligen Abblassen der Grundidee, ohne aber völlig zu verschwinden, und stieg gekräftigt durch den nationalen Gedanken neuerdings auf, um in jüngster frischer Zeit als das ausgebildete völkerrechtliche Institut der Option in der Praxis der Staaten und in der Theorie dauernde Gestalt zu gewinnen.

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5. Je sorgfältiger wir in das Wesen und in den eigenthümlichen Charakter einer Institution des internationalen Verkehrs eindringen, desto mehr werden wir die innere Nothwendigkeit ihrer Entwicklungsrichtung pro praeterito von dem rein Zufälligen trennen und die künftig sich gestaltenden Formen ihrer Ausbildung bestimmen können. Die uns beschäftigende Einrichtung anlangend, stellt sich die Option von allem zufälligen, nebensächlichen Beiwerke losgelöst, als mannichfach gegliederte Bethätigungsform der völkerlichen Rechtsüberzeugung dar. Ihre Technik - die

19) S. KANT. Metaphysik der Sitten. I. Th.: metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. Das öffentliche Recht. §. 55.

sinnliche Verwirklichung im einzelnen Anwendungsfalle wird immer durch den Charakter der besonderen Verhältnisse bestimmt werden, die ihre Vornahme umrahmen. Je nachdem dieselben friedlicher oder kriegerischer Natur sind, wird sie auch in ihrem Gefüge das grössere oder geringere Spannungsverhältniss zum Ausdrucke bringen, welches zwischen der neuen Staatsgewalt und der optirenden Bevölkerung besteht. Anders werden Optionsbefugnisse lauten, welche aus Anlass einer glatten Grenzregulirung zwischen befreundeten Staaten aufgestellt werden - anders Optionsnormen, welche die Populationsverschiebung vertragsmässig abgepresster oder im offenen harten Kampfe eroberter Provinzen regeln sollen.

Immer ist es der erwerbende Theil, der auf den Charakter der aufzustellenden Staatswahlbedingungen den überwiegenden Einfluss nehmen wird, weil das Ergebniss der Staatswahl selbst unmittelbar seine Interessensphäre berührt. Sicherheit und Dauer des territorialen Zuwachses und damit seiner übrigen staatlichen Existenz sind für ihn von dem Umfange abhängig gemacht, welcher den Optionsbefugnissen der zur Wahl berufenen Bevölkerung gegeben ist. Während der verlierende Staat in der Option das Mittel sieht, welches ihm den staatstreuen Theil der abgetretenen Bevölkerung in sein Gebiet führen. soll, dient sie dem erwerbenden Staate in Ansehung der der Annexion feindlichen Bewohnerschaft als Sicherheitsventil zur Ableitung der seiner Herrschaft direkt widerstrebenden Elemente.

So wenig zahlreich auch die Punkte sind, auf welchen sich die Interessen der Contrahenten des Cessionsvertrages völlig decken, so ist ihr einheitliches Zusammenwirken bei Fixirung der Optionsbefugnisse doch die uner

lässlichste Voraussetzung zur Definitivgestaltung der Bevölkerungsverhältnisse in den beiderseitigen Gebieten. Lassen sich beide Staaten von der Tendenz ihrer divergirenden Interessen zur Aufstellung incongruenter Massnahmen bestimmen, dann wird erfahrungsgemäss jener oberste Zweck vollständig verfehlt, und die versöhnende Wirkung des Zeitenlaufes auf die Gemüther der von der Cession Erfassten durchaus vereitelt. Die Optionsvornahme gelangt in diesem Falle nie zu ihrem beabsichtigten Ergebnisse: Klarheit in die Sachlage zu bringen, und genau den Personenkreis Jener zu umschreiben, welche von einem gegcbenen Zeitpunkte ab befugt sind, in einem der beiden Staaten Anerkennung ihrer Zugehörigkeit und den Schutz ihrer bürgerlichen Rechte zu beanspruchen.

Regelmässig wird der Friedens- (Cessions-)vertrag nur die obersten Grundsätze enthalten, welche den Anordnungen der beiderseitigen Regierungen zur Basis dienen sollen. Mag nun die Durchführung einer Option sich als Folge friedlicher Verträge oder kriegerischer Ereignisse darstellen, in beiden Fällen werden die aufzustellenden Optionsbedingungen in vollem Maasse jene Voraussetzungen bieten müssen, welche dem Individuum wirklich die Bethätigung seines freien Willens in Absicht auf die Staatswahl ermöglichen. Dazu gehört Allem voran die den Umständen gemäss denkbarste Schonung seiner wirthschaftlichen Interessen. Soll der Bewohner des in seiner Staatspertinenz geänderten Gebietes wahrhaft frei über seine Staatszugehörigkeit entscheiden können, dann darf seine Entscheidung keinen allzu harten Abbruch seines Vermögens herbeiführen. Wenn auch die mit der Auswanderung, mit dem Aufgeben des bisherigen Lebenskreises verbundenen Vermögensnachtheile meistens unberechenbar sind, die direkt berechenbare Ver

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kürzung der bereits vorhandenen Gütersumme wirkte in ihrer plastischeren Gestalt von jeher lähmender auf den Entschluss des Auszugsberechtigten. Die Emigrationsgebühr 2o) beruhend auf dem überkommenen Rechtfertigungsgrunde", dass von dem wegziehenden Vermögen billigerweise ein Theil zurückgelassen werde, als Entgeld für den bisher genossenen Schutz, konnte von vorneher keine Anwendung auf Fälle finden, da das ausziehende Vermögen sich eben in den Bereich jener Staatsautorität begeben wollte, deren Schutz es bisher genossen hatte. Aber auch die im XVII. und XVIII. Jahrhundert fast widerspruchslos gebliebene mercantilistische Anschauung, welche das Nachsteuerrecht, wie überhaupt die Erschwerung oder gewaltsame Verhinderung der Auswanderung durch die Gefahr der Verarmung des Staates an Geld und Soldaten rechtfertigte, wagte es nicht vom Ryswicker Frieden (1697) ab die Handlungsfreiheit des von dem Gefühle der Staatstreue Geleiteten durch Abzugssteuern zu beengen. Seither ist der Gedanke des unbeschwerten, abgabenfreien Auszugsrechts zum Gemeingut des gesitteten Völkerverkehrs geworden und seine nahe zweihundertjährige constante Praxis hat die Härte mancher Begleitungserscheinungen zum Schwinden gebracht.

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Der Zwangsverkauf liegender Güter als Optionsbedingung wird nur mehr unter ganz abnormen Verhältnissen statthaft erscheinen, in den meisten Fällen wird der Gedanke der wirthschaftlichen Einheit von der Aufstellung einer Norm abhalten, welche die Summe der mit jeder Gebietswandlung verbundenen Schwierigkeiten nutzlos vermehrt. Von dem wahrscheinlichen Ausmaass der letzteren wird auch die Fixirung der Optionsfrist

20) S. KAMPTZ. Literatur des Völkerrechts. S. 127. KLÜBER. Oeffentliches Recht. §. 229. MITTERMAIER. Deutsches Privatrecht. §. 102.

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