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1. Einleitung.

INHALT.

Eroberung und Debellatio in der älteren Völkerrechtsliteratur; BENJAMIN CONSTANT: De l'esprit de conquête et de l'usurpation; die Erörterungen der justa belli causa und die theoretische Untersuchung der eigentlichen Kriegsergebnisse. 2. Wirkungen des Krieges auf die privatrechtliche und staatsrechtliche Seite der Persönlichkeit; die levées en masse und ihr Ergebniss: Das Staatsbürgerthum. 3. Der Krieg neben der staatsbürgerlichen Gliederung der Gesellschaft. Nothwendigkeit des Kriegsabschlusses in einem Friedensvertrage; Amnestieclausel und Normen über Auswanderung und Option. 4. Rechtsphilosophische Basis des Optionsinstitutes. 5. Technik der Option. 6. Die Plebiscittheorie und die Lehre ROUSSEAU'S. 7. Der staatsfeindliche Charakter ihrer Grundidee. 8. Die Plebiscittheorie in der Literatur des Völkerrechts.

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1. Zu den auffälligsten Ergebnissen literargeschichtlicher Beobachtung zählt die Erscheinung, dass die Völkerrechtswerke aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts dem theoretischen Begriffe der Eroberung mit aller Sorgfalt aus dem Wege gehen, sichtlich im harten Kampfe um die positive Rechtsqualität ihrer Disciplin bemüht, dieser schneidigen Klippe auszuweichen, ihren Wellenkreis zu umgehen. Fand doch die unerbittliche Schaar jener nie aussterbenden Vertheidiger des „kahlen Satzes" eben dort das volle Rüstzeug der schärfsten Argumente, die knorrigsten Beweise für die Nicht existenz jenes Völkerrechts, dessen Leugnung oratorisch immer fesselnder als seine Vertheidigung wirkt. Die Tonleiter der dem Völkerrechte gemachten Vorwürfe hatte immer das Moment der Gewalt zum Grundtone, - es schien daher rathsam, weil vortheilhafter, jene ganz in den Hintergrund treten zu lassen, um sie der feindlichen Discussion zu entziehen. Von OMPTEDA bis auf KALTENBORN unterlässt es keiner der Autoren im Paragraphen des Staatseigenthums" umständlich die originären und derivativen Erwerbungsarten desselben darzustellen. Alluvio, avulsio und insula in flumine nata werden mit privatrechtlicher Sorgfalt neben der occupatio behandelt und erlangen sogar durch ORTOLAN's Monographie

eine ihre Bedeutung für das Völkerleben weit übersteigende Ausdehnung im Lehrgebäude 1).

Dagegen fand die aus dem Charakter des Staates als Machtorganismus fliessende Form der Gebietserwerbung: die Gebietsnahme, nur gelegentlich unter dem ererbten Titel der „Debellatio" zweitlinige, ihrer inneren Bedeutung nicht correspondirende Erörterung. Die Schule, welche trotz lebendiger, Jahrzehnte langer Kriegsnoth, stets in besonderen Schlusscapiteln das Völkerrecht im blendenden Lichtkreise des ewigen Friedens aufgehen liess, die Schule übersah dabei gründlich, dass die Forderung der Lehre nach Anerkennung ihres positiven Rechtscharakters nicht schlechter gestützt, nicht besser geschwächt werden konnte, als durch den stillschweigenden Verzicht auf ein wesentliches, ihrem Zweckbegriffe entsprechendes Schutz- und Realisirungmittel ihrer theoretischen Sätze.

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Ganz spurlos konnte dennoch die lange Reihenfolge gewaltiger Eroberungen, welche die Geschichte unseres Jahrhunderts einleitet, an der politischen Literatur nicht vorüberziehen. Es ist nicht des Zufalls Spiel, dass der erste grosse Wortführer und praktische Begründer des continentalen Constitutionalismus BENJAMIN CONSTANT auch der Erste und Einzige war, der dem Gedanken der Eroberung und ihren staatsrechtlichen Folgen sein kritisches Augenmerk zuwandte. Die zeitliche Ausnahmsstellung dieses Schriftstellers vermochte jedoch seiner Anregung nicht jenen Nach

1) S. ORTOLAN. Du domaine international. 1849. · Des moyens d'acquérir le domaine international. Die sonstige Literatur über die staatliche Gebietsfrage ist, wie schon MOHL (Encycl. S. 569) bedauernd hervorhebt, trotz der offenbaren Wichtigkeit der Sache und trotzdem, dass sich in der Wirklichkeit ein grosser Theil der auswärtigen Politik um Gebietsverhältnisse dreht, weder zahlreich noch sehr bedeutend.

hall zu sichern, dessen jeder Versuch auf geistigem Gebiete bedarf. Der aus Frankreich verbannt gewesene Staatsmann geisselt zudem in seinem auf deutschem Bodem geschriebenen Pamphlet:,,De l'esprit de conquête et de l'usurpation" (1813) immer nur die Herrschgier, das Verbrechen Eines, im Texte nicht genannten, doch im Vordergrunde der Zeit stehenden Eroberers. Dass auch Völker und Staaten sich jener Gewaltmittel bedienen können, ist ihm bekannt, aber nicht interessant genug; dass jene in Nothlagen auch dazu greifen müssen, die Erkenntniss war ihm fremd geblieben. Dahin zeigt schon seine schräge Charakteristik des Krieges und seiner Aufgaben. Nach BENJAMIN CONSTANT sind Krieg und Handel in ihren Zielpunkten identische Emanationen des menschlichen Schaffens; verschiedene Mittel zur Erreichung eines und desselben Zweckes: Das zu besitzen, was man sich wünscht 2). Der Stärkere sei dem Handel von Natur aus abgeneigt; erst die Wechselfälle des Krieges lassen jenen zum sanfteren Mittel des Handels greifen, um das Interesse der Anderen mit seinem eigenen übereinstimmend zu machen. Krieg sei der wilde Handel; Handel der milde Krieg. Das ganze Spiel mit schönen Worten zerfällt natürlich, sobald die historische Probe herantritt und den zweifellosen Nachweis führt, dass die Kriegsfackel zu allen Zeiten im Kampfe um die höchsten Geistesgüter entbrannte, die wie religiöse und politische Freiheit, Staats

2) BENJ. CONSTANT 1. c. Chap. II.

Le commerce n'est autre chose qu'un hommage rendu à la force du possesseur par l'aspirant à la possession. Un homme qui serait toujours le plus fort n'aurait jamais l'idée du commerce. C'est l'expérience qui, en lui prouvant que la guerre est exposée à diverses résistances et à divers échecs le porte à recourir au commerce, moyen plus doux et plus sûr d'engager l'intérêt des autres à consentir à ce qui convient à son intérét."

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