einträchtigt, schlossen sich ihnen an; die Fabrik- und Handelsstädte, vor Allem die City, standen ganz auf Seite der Opposition, die Gährungen in der Masse verdoppelten sich; seit der Middleser-Wahl begannen sie einen förmlich anarchischen Charakter anzunehmen.

Denn Wilkes war wiedergekehrt. Von Frankreich aus, wohin er geflüchtet war, hatte er sich an Grafton, den Genossen früherer Orgien, um Begnadigung gewandt; zurückgewiesen, bewarb er sich um die Wahl in Middleser; unter ungeheurem Tumult zog er ein, ward gewählt; dann legte ihn der Generaladvocat ins Gefängniß, das Volk stürmte die Thore, befreite ihn; freiwillig kehrte er ins Gefängniß zurück. Am Tage der Eröffnung des Parlamentes, am 10. Mai 1768, kam es bei der ungeheuren Menge, die ihn aus dem Gefängniß ins Parlament geleiten wollte, zu argem Tumult, zu Gewaltsamkeiten, endlich rückte Militair an, feuerte unter die Haufen, tödtete und verwundete Viele. Dann unter immer neuen Gewaltsamkeiten der Menge folgte Wilkes' Proceß, der Wiederbeginn des Parlamentes, der Antrag der Minister auf Wilkes' Ausschließung vom Parlament und am 3. Februar 1769 dessen wirkliche Ausstoßung. Aber am 16ten wählte ihn Middleser wieder, das Parlament erklärte die Wahl für nichtig, Wilkes für unfähig in dem gegenwärtigen Parlament zu sihen; zum dritten Male ward er eins stimmig erwählt und seine Wahl wieder verworfen; zum vierten Male ward er mit ungeheurer Majoritát erwählt

und seine Wahl vernichtet, der Candidat der Minorität ins Parlament berufen und trotz des Protestes der Freeholder von Middleser als „gehörig erwählt" (is duly elected a knight of the Shire) in seinem Sit gehalten.

Während so die Masse arbeitete, kamen von unbekannter Hand, aber aus dem innersten Kreise des Whiggismus, aus den vornehmsten Regionen der aristokratischen Zirkel jene furchtbaren Pamphlets, die unter dem Namen Junius Briefe während des Jahres 1769 die Minister, ihre Creaturen, ihr Parlament, ja den König selbst auf eine beispiellose Weise angriffen. Jeder neue Brief war eine Brandfackel mehr, die Wuth des Volkes zu entzünden; alle Möglichkeiten, auch die ausschweifendsten, wurden dem Volke vor die Augen gerückt; es wurde an die Stuarts erinnert. Der Fürst, der ihre Weise nachahmt, mag sich durch ihr Beispiel warnen lassen, und eingedenk sein, daß seine Krone, wie sie durch eine Revolution gewonnen worden, so durch eine Revolution wieder verloren werden kann." Endlich ertrug Grafton, „das Kopfkissen", nennt ihn Junius, „auf das er seine Rache niederlege", den Aerger nicht långer; Lord North trat statt seiner an die Spiße der Verwaltung. Er war der Mann, die Wuth der Opposition, das Toben des Volkes, den Jammer der Amerikaner ruhig auszuhalten; der König beschwor ihn, '

Nach Allem ist doch Sir Philipp Francis am wahr scheinlichsten der Verfasser.

er möge ihn nicht in die Hände seiner Feinde fallen lassen, und treulich lich der gewandte und kaltblütige Mann seinen Namen, alle die Gewaltsamkeiten und Eigenwilligkeiten hindurchzuführen, ohne welche Georg III. die Sache der Krone verloren glaubte. Und der parlamentarischen Majoritát - Dank dem Wahl- und Bestechungssystem war und blieb man gewiß.

So folgte denn das wildaufgeregte Jahr 1770. In beiden Häusern Debatten, wie sie heftiger noch nicht gehört waren; Proteste der Minoritát, welche rückhaltlos von dem Bruch der Constitution, der Vernichtung der Landesgesehe durch die Majorität und das Cabinet sprachen; förmliche Secessionen der Minoritåt; von Seiten der Londoner Magistratur jene wiederholten Adressen, im feierlichsten Aufzuge dem Könige überreicht, in denen die Lage des Oeffentlichen, die Willkühr des Cabinets, die Servilität des Parlaments mit den schonungslosesten Ausdrücken bezeichnet ward. Dann jene steigende Hef= tigkeit der Presse, man denke an Burke's Meisterwerk: Gedanken über die Ursachen der gegenwärtigen Unzufriedenheit“: „kein anderes Mittel - als daß die Masse des Volkes selbst (auch Junius spricht so von dem body of the people) ins Mittel trete". Bis das Vertrauen auf die Regierung wieder hergestellt ist, solle „das Volk zu einer strengeren, ins Einzelne gehenden Achtsamkeit auf das Benehmen seiner Vertreter aufgeboten werden; Grundsåße der systematischen Beurtheilung ihres Benehmens sollten in den Versammlungen

der Grafschaften und der Corporationen aufgestellt, håufige und genaue Listen der Botanten über alle wichtigen. Fragen sollten beigebracht werden". Ja noch mehr, als Gründe für das Einschreiten des Volkes in dieser Zeit beispielloser Volksaufregung führt er an: „übermäßige Einkünfte, ungeheure Schulden, mächtige Colonien", sie sind es, die das Volk in höchste Angst versehen; Burke verlangt von dem Haus der Gemeinen, daß es das Gepräge der jedesmaligen Stimmung des Volkes trage; „és würde ein natürlicheres und erträglicheres Uebel sein, wenn das Haus von jedem epidemischen Wahnsinn des Volkes angesteckt wäre, als daß es überhaupt von den Ansichten und Gesinnungen des Volkes draußen unberührt bliebe".. "Der König, die Lords, die Richter, sie sind eben so wie die Gemeinen. Bevollmächtigte für das Volk, weil keine Gewalt zum bloßen Vortheil des Empfängers ertheilt wird." Es ist dieselbe Lehre, die Junius mit den berühmten Worten aussprach: king, lords and commons are the trustees, not the owners of the estate, the fee-simple is in us.

Das waren die Gedanken, die damals mehr und mehr das Volk von England ergriffen, Gedanken, die den lebendigen Kern in dem Wust der factischen Verfassungsverhältnisse bezeichneten, den Weg zu einer wahren, den Ansprüchen der gesunden Vernunft entsprechenden Reform zeigten.

Droysen Freiheitskriege. I.

16

Nur um so hartnäckiger verfolgte der König mit seinem Lord North einen anderen Weg. Das Parlament und damit das formelle Recht war ja für sie; es galt, dieß System, das in England immer heftigeren Widerstand fand, in den Colonien hindurchzuführen, um dorther die Mittel zu gewinnen, den unvermeidlichen lehten Conflict daheim siegreich zu entscheiden.

Mit Ostindien gelang es. Vergebens hatte die Opposition gewarnt; was soll aus uns werden", sind Burke's Worte im Parlament, wenn der Ganges eine neue Fluth von Bestechungen über uns ausgießt; ich fürchte mehr von jenen Ansteckungen, als ich von euren Tugenden hoffe". Ich übergehe die Einzelnheiten dieses Kampfes. Die ostindische Compagnie, Herrin schon eines großen Reiches, erstaunlicher Einkünfte, fürchtete für ihren monopolistischen Freibrief; mit immer neuen Anleihen, deren Bedingungen das Ministerium vorschrieb, erkaufte sie dessen Beistand und Empfehlung im Parlament. Sie mußte es geschehen lassen, daß Ministerium und Parlament ihre Angelegenheiten in die Hand nahm, um sie durch ein Gesetz zu ordnen, und Lord North erklärte, die Krone habe ein Recht an alle Territorialerwerbungen, die irgend ein Unterthan durch Eroberungen mache; und troßdem daß der Freibrief der Compagnie auf das Recht, Krieg und Frieden zu machen, lautete, trohdem daß viele ihrer Erwerbungen auf friedlichem Wege gemacht waren, troß des heißen Widerspruches der Opposition beharrte er bei seinem