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hinreiche, sondern daß der Forscher sich zu diesem wichtigen Geschäfte besonders auszubilden habe. Er zeigt uns die Macht gewisser Vorstellungsarten, ge= wisser Vorurtheile, die uns hindern, die Gegenstände, welche die Natur uns darbietet, genau zu kennen und 5 den Zusammenhang, in dem sie untereinander stehen, zu begreifen. Wir erschrecken über die Forderungen, die er an den Beobachter macht, und erstaunen über die Hülfsmittel die er ihm reicht, über die neuen Organe mit denen er ihn ausrüstet.

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Von diesem Augenblick an scheint Beobachtung über Grillenfängerei zu siegen, an die Stelle des Wortes die Sache zu treten, indem das Wort eine wohlbeobachtete Sache bezeichnet. Hier scheint eine neue Epoche anzugehen, eine neue Bahn sich zu öffnen. 15 Jeder Beobachter scheint gezwungen auf die Willkür seines eigenen Geistes Verzicht zu thun und sich den bestimmten Sachen zu unterwerfen. Aber leider es scheint nur! Wenige Männer haben Gewalt genug über sich selbst, einen Theil dieses Weges zurückzulegen, 20 und der fürtreffliche Descartes überlebt den Baco um fünfundzwanzig Jahre, und hinterläßt bei einer großen Wahrheitsliebe, bei aller eignen überzeugung: daß ein Beobachter der reinen und bedächtigen Methode der Mathematiker zu folgen habe, seinen Schülern nur 25 ein Luftgebäude von Träumen und Meinungen, das vor einer fortgesetzten Erfahrung, vor einem freieren Blick der Nachfolger bald verschwinden mußte.

Daß Bacons Bemühungen und die frühern Bei= spiele der Mathematiker weniger gefruchtet, als man hätte hoffen sollen, gesteht die Geschichte der Philosophie ungern. Doch erfahren wir bei genauer Unter5 suchung auch hier, was wir so oft im Leben bemerkten, daß Erkennen und Thun, überzeugung und Handlung durch eine ungeheure Kluft getrennt sein können.

Es mag sein, daß die dunkle Schreibart Bacons, in welcher dieser außerordentliche Mann die geheim10 nißvollen Wirkungen unsrer Seele oft in geheimnißvollen und seltsamen Worten darlegt, Ursache gewesen sei, daß seine Schriften nicht so viel wie man hoffen und wünschen mußte gewirkt haben; aber mehr noch möchte in der Natur der menschlichen Köpfe, und zwar 15 eben in der Natur der Vortrefflichsten die Ursache zu suchen sein, warum so schwer auf dem Wege der reinen Erfahrung Fortschritte gemacht werden.

Das Genie, das vorzüglich berufen ist auf jede Weise große Wirkung hervorzubringen, hat seiner 20 Natur nach den Trieb über die Gegenstände zu ge= bieten, sie sich zuzueignen, sie seiner Art zu denken und zu sein zu unterwerfen. Viel schwerer und leider oft nur zu spät entschließt es sich auch den Gegen= ständen ihre Würde einzuräumen, und wenn es durch 25 seine productive Kraft eine kleine Welt aus sich hervorzubringen vermag, so thut es der großen Welt meist unrecht, indem es lieber wenige Erfahrungen in einen Zusammenhang dichtet, der ihm angemessen

ist, als daß es bescheiden viele Erfahrungen neben= einander stellen sollte, um womöglich ihren natürlichen Zusammenhang endlich zu entdecken. So ungeduldig es sich nun bei der Beobachtung zeigt, so fest finden wir es, auf einer einmal gefaßten Idee zu s beharren und so thätig sie auszubilden. Sehr leicht findet es Gründe die Blößen seines Systems zu decken, und zeigt einen neuen Zweig seiner Fähigkeiten, indem es dasjenige hartnäckig vertheidigt, was es niemals bei sich hätte begründen sollen. Prägt sich nun 10 gar eine solche Vorstellungsart, eine solche Ideenreihe in die Köpfe leicht eingenommener gleichzeitiger Jünglinge, so geht ein halbes, ja ein ganzes Jahrhundert darüber hin, bis ein Irrthum entdeckt, und wenn er entdeckt ist, bis er endlich wirklich anerkannt und aus- 15 gestoßen wird.

Jede Schule scheint von den Grundsägen der römischen Kirche etwas geerbt zu haben. Wer von dem einmal festgestellten Glaubensbekenntnisse abweicht, wird als Ketzer ohne weiteres verdammt, und wenn 20 ja zulezt die Wahrheit siegt, so darf man nur in der Geschichte zurücksehen, und man findet gewöhnlich, daß sie schon früher bekannt, öffentlich dargestellt, aber leider mit Gewalt oder Kunst wieder auf eine Zeit unterdrückt worden.

Freilich ist die Menge immer auf der Seite der herrschenden Schule; es ist so bequem für das, was man nicht begreift, wenigstens Formeln zu haben,

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und durch sie geschüßt, alle mühsame Erfahrung, alle beschwerliche Übersicht, alle sorgfältige Zusammenstellung für überflüffig zu erklären, und so bleibt dem Beobachter, der, auf dem freien Wege der Natur, die 5 unendlichen Phänomene verfolgt, welche die Schule schon in ihren engen Kreis gebannt zu haben glaubt, nichts übrig, als entweder einsam und in sich verschlossen seinen Weg fort zu gehen, oder bei einem öffentlichen Bekenntniß sich auf die heftigen Anfälle 10 einer ganzen Partei vorzubereiten.

Und so ist mir recht wohl bekannt, was mich erwartet, indem ich gegenwärtig auftrete, um zu zeigen, daß ein großer und berühmter Beobachter als Mensch seinen Tribut abtragen müsse, daß selbst das große 15 Genie Newtons sich bei Erfahrungen übereilte und mit Folgerungen zu frühzeitig vorschritt; daß er unfägliche Mühe auf die Behauptung seines einmal fest= gestellten Irrthums verwendete, daß sein durch diese Bemühungen errichtetes Gebäude die Menschen der= 20 gestalt verblendete, daß sie nach dessen Grund zu forschen zum Theil versäumten, zum Theil durch Ge= wohnheit und Vorurtheil beherrscht, es nicht nur für einzig ewig erklärten, sondern auch jeden, der den Grund zu untersuchen, die Maße und Verhältnisse 25 zu beurtheilen wagte, als einen verwegnen Thoren abzuweisen und zu verschreien wußten.

Wohlbekannt mit diesen Gefahren wage ich dennoch mit dem Geständnisse meiner Überzeugung öffentlich

hervorzutreten und zu behaupten: Newton habe feineswegs erwiesen, daß das farbloje Licht aus mehreren andern Lichtern, die zugleich an Farbe und an Brechbarkeit verschieden sind, zusammengesezt sei; ich erkläre vielmehr die diverse Refrangibilität nur für eine s fünstliche Hypothese, die vor genauer Beobachtung und scharfer Beurtheilung verschwinden muß. Nach dieser kühnen Erklärung habe ich alle Ursache in meinem Vortrage bedächtig zu Werke zu gehen, um eine so schwere und verwickelte Sache zu einer aber= 10 maligen Revision vorzubereiten. Ich bin daher ge= nöthigt, ehe ich zur Abhandlung selbst schreite, einiges vorauszuschicken, um die Standpuncte anzugeben, woraus die Lehre sowohl als mein Widerspruch zu betrachten ist.

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Vor allen Dingen muß ich auf das dringendste einschärfen, daß diverse Refrangibilität keine That= sache, kein Factum sei. Newton erzählt uns selbst den Gang seiner Beobachtungen und seiner Schlüsse; der aufmerksame Kritiker ist also im Stande ihm auf 20 dem Fuße zu folgen. Hier ziehe ich nur die ersten Linien der ausführlichen Darstellung, die das Werk selbst enthalten wird. Newton findet, indem er einen Sonnenstrahl durch ein Prisma unter bestimmten Umständen durchgehen läßt, das aufgefangene Bild des= 25 selben nach der Brechung viel länger als breit, und was noch mehr ist, mit verschiedenen Farben gefärbt.

Hierauf gibt er sich Mühe sowohl durch Verände

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