Page images
PDF
EPUB

10

III.

Wie die entoptischen Eigenschaften dem
Glase mitzutheilen.

Das Experiment in seiner größten Einfalt ist fol= gendes: man zerschneide eine mäßig starke Spiegel5 scheibe in mehrere anderthalbzöllige Quadrate, diese durchglühe man und verkühle sie geschwind. Was davon bei dieser Behandlung nicht zerspringt, ist nun fähig entoptische Farben hervorzubringen.

IV.

Äußere Grundbedingung.

Bei unserer Darstellung kommt nun alles darauf an daß man sich mit dem Körper, welcher ent= optische Farben hervorzubringen vermag, unter den freien Himmel begebe, alle dunkle Kammern, alle kleine Löchlein (foramina exigua) abermals hinter sich 15 laffe. Eine reine, wolkenlose, blaue Atmosphäre, dieß ist der Quell wo wir eine auslangende Erkenntniß zu suchen haben!

V.

Einfachster Versuch.

Jene bereiteten Tafeln lege der Beschauer bei ganz 20 reiner Atmosphäre flach auf einen schwarzen Grund, so daß er zwei Seiten derselben mit sich parallel habe und halte sie nun, bei völlig reinem Himmel und niedrigem Sonnenstand, so nach der der Sonne entgegengesetzten Himmelsgegend, richte sein Auge der=

Goethes Werte. II. Abth. 5. Bd. 1. Abth.

17

maßen auf die Platten daß von ihrem Grunde die Atmosphäre sich ihm zurückspiegele und er wird so= dann, in den vier Ecken eines hellen Grundes, vier dunkle Puncte gewahr werden. Wendet er sich darauf gegen die Himmelsgegenden welche rechtwinklicht zu s der vorigen Richtung stehen, so erblickt er vier helle Puncte auf einem dunklen Grund; diese beiden Erscheinungen zeigen sich auf dem Boden der Glasplatte. Bewegt man die gedachten Quadrate zwischen jenen entschiedenen Stellungen, so gerathen die Figuren in 10 ein Schwanken.

Die Ursache warum ein schwarzer Grund verlangt wird, ist diese: daß man vermeiden solle, entweder durch eine Localfarbe des Grundes die Erscheinung zu stören, oder durch allzugroße Hellung wohl gar 15 aufzuheben. Übrigens thut der Grund nichts zur Sache, indem der Beschauer sein Auge so zu richten hat, daß von dem Grunde der Platte sich ihm die Atmosphäre vollkommen spiegele.

Da es nun aber schon eine gewisse Übung er- 20 fordert, wenn der Beschauer diese einfachste Erschei= nung gewahr werden soll, so lassen wir sie vorerst auf sich beruhen und steigern unsern Apparat und die Bedingungen desselben, damit wir mit größerer Bequemlichkeit und Mannichfaltigkeit die Phänomene 25 verfolgen können.

VI.

3weiter, gesteigerter Versuch.

Von dieser inneren, einfachen Spiegelung gehen wir zu einer nach außen über, welche zwar noch einfach genug ist, das Phänomen jedoch schon viel 5 deutlicher und entschiedener vorlegt. Ein solider Glaskubus, an dessen Stelle auch ein aus mehreren Glasplatten zusammengeseßter Kubus zu benußen ist, werde, bei Sonnenaufgang oder -Untergang, auf einen schwarz belegten Spiegel gestellt, oder etwas geneigt darüber 10 gehalten. Man laffe den atmosphärischen Widerschein nunmehr durch den Kubus auf den Spiegel fallen, so wird sich jene obgemeldte Erscheinung, nur viel deutlicher darstellen; der Widerschein von der der Sonne gegenüberstehenden Himmelsregion gibt die vier dunklen 15 Puncte auf hellem Grund; die beiden Seiten-Regionen geben das umgekehrte, vier helle Puncte auf dunklem Grund, und wir sehen bei diesem gesteigerten Versuch, zwischen den pfauenaugig sich bildenden Eckpuncten, einmal ein weißes, das anderemal ein schwarzes Kreuz, 20 mit welchem Ausdruck wir denn auch künftig das Phänomen bezeichnen werden. Vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang bei sehr gemäßigter Hellung erscheint das weiße Kreuz auch an der Sonnenseite.

25

Wir sagen daher, der directe Widerschein der Sonne, der aus der Atmosphäre zu uns zurückkehrt, gibt ein erhelltes Bild, das wir mit dem Namen

des weißen Kreuzes bezeichnen. Der oblique Widerschein gibt ein verdüstertes Bild, das sogenannte schwarze Kreuz. Geht man mit dem Versuch um den ganzen Himmel herum, so wird man finden daß in den Achtelsregionen ein Schwanken entsteht; wir s gewahren eine undeutliche, aber, bei genauer Aufmerksamkeit, auf eine regelmäßige Gestalt zurückzuführende Erscheinung. Zu bemerken ist daß wir das helle Bild dasjenige nennen dürfen, welches auf weißem Grund farbige Züge sehen läßt, und um= 10 gekehrt das dunkle, wo sich zum dunklen Grunde hellere farbige Züge gefellen.

VII.

Warum ein geschwärzter Spiegel?

Bei physikalischen Versuchen soll man mit jeder Bedingung sogleich die Absicht derselben anzeigen, 15 weil sonst die Darstellung gar leicht auf Taschen= spielerei hinausläuft. Das Phänomen womit wir uns beschäftigen ist ein schattiges, beschattetes, ein Skieron und wird durch allzugroße Helle vertrieben, kann nicht zur Erscheinung kommen; deßwegen be- 20 dient man sich zu den ersten Versuchen billig verdüsterter Spiegelflächen, um einem jeden Beschauer die Erscheinung sogleich vor Augen zu stellen. Wie es sich mit klaren und abgestumpften Spiegelflächen verhalte, werden wir in der Folge zeigen.

25

VIII.

Polarität.

Wenn wir den entoptischen Phänomenen Polarität zuschreiben, so geschieht es in dem Sinne wie Goethe in seiner Farbenlehre, alle Chroagenesie zu entwicklen s bemüht gewesen. Finsterniß und Licht stehen ein

ander uranfänglich entgegen, eins dem andern ewig fremd, nur die Materie, die in und zwischen beide sich stellt, hat, wenn sie körperhaft undurchsichtig ist, eine beleuchtete und eine finstere Seite, bei schwachem 10 Gegenlicht aber erzeugt sich erst der Schatten. Ist die Materie durchscheinend, so entwickelt sich in ihr, im Helldunklen, Trüben, in Bezug auf's Auge, das was wir Farbe nennen.

Diese, so wie Hell und Dunkel, manifeftirt sich 15 überhaupt in polaren Gegensäßen. Sie können auf

gehoben, neutralisirt, indifferenziirt werden, so daß beide zu verschwinden scheinen; aber fie lassen sich auch umkehren und diese Umwendung ist allgemein bei jeder Polarität die zarteste Sache von der Welt. 20 Durch die mindeste Bedingung kann das Plus in Minus, das Minus in Plus verwandelt werden. Daffelbe gilt also auch von den entoptischen Erschei= nungen. Durch den geringsten Anlaß wird das weiße Kreuz in das schwarze, das schwarze in das weiße 25 verwandelt und die begleitenden Farben gleichfalls in ihre geforderten Gegensäße umgekehrt. Dieses aber aus einanderzulegen ist gegenwärtig unsere Pflicht.

« PreviousContinue »