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XXXVII.

Gemodelte Zinn-Oberfläche.

Hierher gehört gleichfalls die mannichfaltige und wundersam erfreuliche Erscheinung, wenn eine glatte Zinn-Oberfläche durch verdünnte Säuren angegriffen und dergestalt behandelt wird, daß dendritische Figuren 5 darauf entstehen. Der Beobachter stelle sich mit dem Rücken gegen das Fenster und lasse das Licht von der einen Seite auf die verticale Tafel fallen, so wird man den einen Theil der Zweige hell und erhöht, den andern dunkel und vertieft erblicken; nun kehre 10 man sich leise herum, bis das Licht zur rechten Seite hereintritt, das erst Helle wird nun dunkel, das Dunkele hell, das Erhöhte vertieft und beschattet, das Vertiefte erhöht und erleuchtet in erfreulicher Mannichfaltigkeit erscheinen. Solche Bleche, mit farbigem Lack- 15 firniß überzogen, haben sich durch ihren anmuthigen Anblick zu mancherlei Gebrauch empfohlen. Auch an solchen lackirten Flächen läßt sich der Versuch gar wohl anstellen, doch ist es besser, bei'm entoptischen Apparat, der Deutlichkeit wegen ungefirnißte Bleche 20 vorzuzeigen.

XXXVIII.

Oberflächen natürlicher Körper.

Alle diejenigen Steinarten welche wir schillernde nennen schließen sich hier gleichfalls an. Mehreres was zum Feldspath gerechnet wird, Adular, Labra= 25

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dor, Schriftgranit, bringen das Licht durch Widerschein zum Auge, oder anders gerichtet leiten sie es ab. Man schleift auch wohl dergleichen Steine etwas erhaben, damit die Wirkung auffallender und ab= 5 wechselnder werde, und die helle Erscheinung gegen die dunkle schneller und kräftiger contrastire. Das Katenauge steht hier obenan; doch lassen sich Asbeste und Selenite gleichmäßig zurichten.

XXXIX.

Rückkehr und Wiederholung.

Nachdem wir nun die Bahn die sich uns eröffnete nach Kräften zu durchlaufen gestrebt, kehren wir zum Anfang, zum Ursprung sämmtlicher Erscheinungen wieder zurück. Der Urquell derselben ist die Wirkung der Sonne auf die Atmosphäre, auf die unendliche 15 blaue Räumlichkeit. In freister Welt müssen wir immer wieder unsere Belehrung suchen.

Bei heiterem Himmel, vor Aufgang der Sonne sehen wir die Seite wo sie sich ankündigt heller als den übrigen Himmel, der uns rein und gleich blau 20 erscheint, ebendasselbe gilt vom Untergange.

Die

Bläue des übrigen Himmels erscheint uns völlig gleich. Tausendmal haben wir das reine heitere Gewölb des Himmels betrachtet und es ist uns nicht in die Gedanken gekommen daß es je eine ungleiche Beleuchtung 25 herunter senden könne, und doch sind wir hierüber nunmehr, durch Versuche und Erfahrungen belehrt.

Da wir nun aber über diese Ungleichheit der atmosphärischen Wirkung schon aufgeklärt waren, versuchten wir mit Augen zu sehen was wir folgern konnten: es müsse nämlich, im directen Gegenschein der Sonne, der Himmel ein helleres Blau zeigen als 5 zu beiden Seiten; dieser Unterschied war jedoch nie zu entdecken, auch dem Landschaftsmahler nicht, dessen Auge wir zum Beistand anriefen.

Daß aber die durch entoptische Gläser entdeckte ungleiche Beleuchtung für ein glücklich gebornes ge- 10 übtes Mahlerauge bemerklich sei, davon gibt Nach= stehendes sichere Kunde.

XL.

Wichtige Bemerkung eines Mahlers.

Ein vorzüglicher, leider allzufrüh von uns ge= schiedener Künstler, Ferdinand Jagemann, dem die 15 Natur, nebst andern Erfordernissen, ein scharfes Auge für Licht und Schatten, Farbe und Haltung gegeben, erbaut sich eine Werkstatt zu größeren und kleineren Arbeiten; das einzige hohe Fenster derselben wird nach Norden, gegen den freisten Himmel gerichtet, 20 und nun dachte man allen Bedingungen dieser Art genug gethan zu haben.

Als unser Freund jedoch eine Zeitlang gearbeitet, wollte ihm, bei'm Porträtmahlen, scheinen daß die Physiognomien, die er nachbildete, nicht zu jeder 25 Stunde des Tags gleich glücklich beleuchtet seien, und

doch war an ihrer Stellung nicht das Mindeste verrückt, noch die Beschaffenheit einer vollkommen hellen Atmosphäre irgend verändert worden.

Die Abwechselung des günstigen und ungünstigen 5 Lichts hielt ihre Tagesperioden; am frühsten Morgen erschien es am widerwärtigsten grau und unerfreulich; es verbesserte sich, bis endlich, etwa eine Stunde vor Mittag, die Gegenstände ein ganz anderes Ansehen gewannen, Licht, Schatten, Farbe, Haltung, alles in 10 seiner größten Vollkommenheit, sich dem KünstlerAuge darbot, so wie er es der Leinwand anzuvertrauen nur wünschen konnte. Nachmittag verschwindet diese herrliche Erscheinung; die Beleuchtung verschlimmert sich, auch am klarsten Tage, ohne daß in der Atmo= 15 sphäre irgend eine Veränderung vorgegangen wäre.

Als mir diese Bemerkung bekannt ward, knüpfte ich solche sogleich in Gedanken an jene Phänomene mit denen wir uns so lange beschäftigten und eilte, durch einen physischen Versuch dasjenige zu bestätigen 20 und zu erläutern was ein hellsehender Künstler, ganz für sich, aus eingeborner Gabe, zu eigner Verwunde= rung, ja Bestürzung entdeckt hatte. Ich schaffte unsern zweiten entoptischen Apparat herbei und dieser verhielt sich wie man nach Obigem vermuthen konnte. 25 Zur Mittagszeit, wenn der Künstler seine Gegenstände am besten beleuchtet sah, gab der nördliche directe Widerschein das weiße Kreuz, in Morgen- und Abendstunden hingegen, wo ihm das widerwärtige,

obliquirte Licht beschwerlich fiel, zeigte der Kubus das schwarze Kreuz, in der Zwischenzeit erfolgten die Übergänge.

Unser Künstler also hatte, mit zartem geübten Sinn, eine der wichtigsten Naturwirkungen entdeckt, s ohne sich davon Rechenschaft zu geben. Der Physiker kommt ihm entgegen und zeigt wie das Besondere auf dem Allgemeinen ruhe.

Wir gedenken ähnlicher Fälle die uns überraschten lange vorher ehe die Kenntniß dieser Erscheinung uns 10 erfreute. In Rom wo wir zehen Wochen des allerreinsten Himmels, ohne die mindeste Wolke genossen, war es überhaupt gute Zeit Gemählde zu sehen. Ich erinnere mich aber daß eine in meinem Zimmer aufgestellte Aquarellzeichnung mir auf einmal so unend= 15 lich schön vorkam, als ich sie niemals gesehen. Ich schrieb es damals eben dem reinen Himmel und einer glücklichen augenblicklichen Disposition der Augen zu; nun, wenn ich der Sache wieder gedenke, erinnere ich mich daß mein Zimmer gegen Abend lag, daß diese 20 Erscheinung mir des Morgens zuerst auffiel, den ganzen Tag aber wegen des hohen Sonnenstandes Plat greifen konnte.

Da nun aber gegenwärtig diese entschiedene Wirkung zum Bewußtsein gekommen ist, so können Kunst- 25 freunde bei'm Beschauen und Vorzeigen ihrer Bilder sich und andern den Genuß gar sehr erhöhen, ja Kunsthändler den Werth ihrer Bilder durch Be=

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